Seach Novine - Den Vogel täuschen

  • Seach Novine

    Den Vogel täuschen


    ZarAsuryan ist angewiesen auf einen Zugang zum Netzt der Tausend Tore. So wichtig ist diese Mission, dass der Erste Runenprophet des Weltenschiffs selbst sie leitet, begleitet von seinem Schüler und eine kleine Ensatztruppe aus Aspektkriegern. Denn auf dem Mond aus Meeren und Inseln treffen sie nicht nur auf die heimischen Vögel, sondern auch auf solche, mit denen selbst der Runenprophet nicht gerechnet hat.


    Kapitel I

    Kapitel II

  • Kapitel I


    Ein dunkler Umriss zeichnete sich am dunstigen Himmel über der Eben am Waldrand ab. Langsam tiefer sinkend, schien er die Form eines großen Vogels zu haben. Beim näheren Hinschauen fiel jedoch etwas Eigenartiges auf. Anstatt gespreizt wie bei einem gleitenden Habicht oder nach hinten gebogen wie bei einem herabstoßenden Falken, wiesen die Flügelsitzen nach vorne.


    Der Vogel kam noch tiefer. Jetzt war sein Kopf zu erkennen. Der Schnabel schien gespalten zu sein, die beiden einander gegenüberstehenden Hälften erinnerten eher an die geöffneten Kieferzangen eines Insekts, denn an den Schnabel eines Vogels. Das Erscheinungsbild war in Gänze unnatürlich.


    Ein vibrierendes Summen begann die Luft zu erfüllen, erst kaum wahrnehmbar, an einen fernen Bienenschwarm erinnernd, dann immer lauter, je näher der Vogel kam. Nun, da er nur noch in doppelter Höhe über den Baumspitzen schwebte, war erst seine gewaltige Größe zu erkennen, größer als selbst die Raubadler, der auf den Grasebenen die gigantischen Laufvögel jagte. Die glatte Außenhaut war von leuchtendem Azurblau, die Schwingen schimmernd silbern. Das Summen wurde zu einem kurzen, hohen Aufheulen, als der Vogel einschwenkte, und verklang dann, während er langsam auf der Ebene niedersank.



    Aus der Luft glich die Oberfläche des Mondes einem Mosaik aus Smaragdgrün und Saphirblau. Weite Teile waren mit Wasser bedeckt, doch fehlten weite Ozeane. Unregelmäßig verteilten sich Gruppen größerer und kleinerer Inseln in den Meeren. Ein Paar besonders großer Landflächen, nur durch eine schmale Straße getrennt, erstreckte sich von der äquatorialen Region über die Südhalbkugel, für die Verhältnisse des Trabanten schon beinahe ein Kontinent. Die Küstenlinie waren zerklüfte von Fjorden. In der Mitte der beiden Landmassen erhoben sich schneebedeckte Gebirgsketten.


    Eathalvaën betrachtete das halbtransparente Abbild der Landmassen, das in der Mitte des Transportraumes schwebte. Einige rasche, präzise Bewegungen seiner schlanken Finger veränderten die Ansicht. Das Bild drehte sich zu einer Draufsicht und wechselte die Farben. Der größte Teil der Landschaft würde dunkel, nur die Umrisse zeichneten sich etwas heller ab. Doch zogen sich mehrerer bernsteinfarben glühenden Linien ab, die heller wurden, je näher sie aufeinander zuliefen, ehe sie sich in einem Punkt auf eine Halbinsel auf der Nordinsel trafen.


    Weswegen sie hergekommen waren, musste dort sein. Alles stimmte mit den Weissagungen der Runen überein: der türkisene Gasriese, sein habitabler dritter Mond, eine Welt aus Wasser und Inseln, deren Herr einen Stern zu Herren hat. ZarAsuryans Odyssee hatte hier schließlich ihr Ende gefunden. Ob der Schatten des riesigen Planeten ein sicherer Hafen war, würde sich noch herausstellen müssen. Eins stand jedoch fest: Ohne einen Zugang zum Netz der Tausend Tore war das Weltenschiff hier draußen, am östlichen Rand der Galaxis, im Niemandsland zwischen konkurrierenden Reichen der jüngeren Völker, vollkommen isoliert, auf sich allein gestellt und handlungsunfähig.


    ZarAsuryans Portal war irreparabel beschädigt. Hier sollte sich ein anderer Zugang befinden. Mit Glück war es groß genug, um ZarAsuryans Streitmacht Zugang zu den Welten der Galaxis zu gewähren, wenn auch die Flotte fortan in der Nähe des Weltenschiffes bleiben oder lange Reisezeiten würde auf sich nehmen müssen. Andererseits, so würde das Weltenschiff niemals seines wichtigsten Schutzes entbehren. Jeder unerfreulichen Situation ließ sich auch ein Vorteil abgewinnen.


    Nur eins hatte sich dem Runenpropheten bisher noch nicht erschlossen. Immer wieder hatte sich die Rune der Faolchu unter die anderen gemischt, so beharrlich, dass sie schließlich vor seinem inneren Auge die Gestalt eines wirklichen Falken annahm, mit blaugrauem Kopf und Flügeln, rostrotem Rücken und heller, gefleckter Brust. Die durchdringenden Augen glichen schwarzen Perlen.


    Der Vampire Raider setzte zur Landung an. Sanft und ohne jede Erschütterung beschrieb das Transportschiff einen weiten Bogen und kam schließlich zur Ruhe. Die große Heckluke öffnete sich und gab den Blick auf eine wilde, grüne Landschaft frei. Der Himmel war dicht verhangen von hellblaugrauen, regengetränkten Wolkenstreifen. Eben erst musste ein Schauer niedergegangen sein, denn die dicken Grasbüschel waren schwer von Wassertropfen. Wenn ein sanfter Wind die feuchte Luft bewegte, war sie von angenehmer Temperatur. Hoch oben in den Wolken kündigten dumpfes Grollen das nächste Sommergewitter an.


    In einigen hundert Schritten Entfernung griffen Sträucher und dichtes Gestrüpp ins offene Grasland hinaus. Hinter dieser grünen Barriere erhob sich das Kronendach des Urwaldes, aus dem einzelne Bäume mit mächtigen, silbergrauen Stämmen und weit ausladenden Kronen herausragten als würden sie die tiefhängende Wolkendecke stützen. Unwillkürlich fühlte der Runenprophet sich bei ihrem Anblick an die Wohn-Biodome des Weltenschiffs erinnert. In der Ferne schimmerten die schneebedeckten Gipfel der Bergkette, die die Inseln durchzog.


    Eathalvaën schritt die Rampe hinunter. Die Säume seines mitternachtsblauen, mit silbernen Runen bestickten Sehermantels und der hellblauen Robe streiften durch das feuchte Gras und sogen die glitzernden Wasserperlen auf. Die Luft roch nach Regen und Erde und war erfüllt von Vogelstimmen. Wie die IstuKarun es berichtet hatten: Dies war eine Welt der Vögel. Andere, vierbeinige Landtiere gab es hier nicht. Der Runenprophet schloss die Augen und lauschte. Er fühlte sich zurückversetzt in eine unsagbar ferne Vergangenheit, auf die Heimatwelt des Volkes von ZarAsuryan, die nun nicht mehr war.


    Ein vertrauter Geist erschien an seiner Seite. Eathalvaën öffnete die Augen. Der junge Runenleser war neben ihn getreten. Ein leichter Wind spielte mit seinen weißblonden, zu einem offenen Zopf auf dem Scheitel zusammengefassten Haaren. Er wartete, wie es die Sitten des Pfades geboten, bis sein Meister das Wort ergriff.


    „Illurayon, du weißt, dass ich wenig von Konventionen um ihrer selbst willen halte. Sprich aus, was dich bewegt.“


    Der Runenleser nahm eine Haltung der Demut an. Dennoch folgte er der Aufforderung.


    „Über diesem Wald liegt ein Schatten. Quan. JiorQuas sikal.[1]


    Der Runenprophet nickte zustimmend. „Wir werden unser Ziel nicht ohne Widerstand erreichen.“


    Hinter den beiden Aeldari-Sehern verließ ein Trupp aus zwanzig Aspektkriegern die Landefähre. Die tiefblauen Rüstungen, weißen, goldgelb gesäumten Schärpen und die mit gelbweißen Helmbüschen auf den hohen, silbernen Helmen zeichneten die eine Hälfet von ihnen als Rächer Asuryans von Schrein der Sonnengarde aus. Ihre Bewegungen waren präzise und bedacht. Jeder der Männer und Frauen hielt sein elfenbeinfarbenes Jagdkatapult vor sich, sichernd, aber nicht offensiv. EsikCaman waren Meister darin, jeder Situation mit der passenden Taktik zu begegnen. Die übrigen trugen die grün gemusterten Panzer, langen, geschwungenen Helme und Kettenschwerter der Skorpionkrieger. Trotz ihrer dicken Panzeranzüge bewegten sie sich nicht minder gewandt als ihre leichter gepanzerten Gefährten.


    Zuletzt verließ eine Kriegerin in der blauen, mit einer silbern schimmernden Brustblatte versehenen Rüstung ZarAsuryans den Vampire Raider. Ihr hoher, grüner Helm war mit den Mandiblastern eines Skorpionkriegers ausgestatte. Auf dem Rücken trug sie eingefaltet die himmelblauen Schwingen der Kriegsfalken, an der Seite ein Skorpionschwert und den Fusionsstrahler der Feuerdrachen. Versichernd sah sie sich um, schritt zu den beiden Sehern und nickte ihnen in einer Geste der Bestätigung zu. Einstweilen war keine Bedrohung auszumachen. Dann gab die Autarchin den wartenden Skorpionkrieger ein Zeichen. Der Trupp wandte sich in Richtung des Waldrandes, tauchte in das hohe Gras ein und war schon wenige Augenblicke später selbst für die scharfen Augen der Aeldari nicht mehr zu sehen.


    Einige Zeit nachdem die heimliche Vorhut sie verlassen hatte, setzte sich auch der verbliebene Trupp in Bewegung. Die Rächer Asuryans schritten wachsam voran, die Seher und die Autarchin folgten.


    Als sie den Waldrand erreichte hatten, hielten sie inne. Vor den Asuryani erhob sich eine grüne Wand aus Ästen und Ranken. Baumfarne reckten ihre gefiederten Wedel dem Licht entgegen. Blätter groß wie Schlangenschilde webten im Wind. Das Dickicht erschien undurchdringlich.


    Erwartungsvoll sah Eathalvaën die Autarchin an. Sie hob den Kopf, als würde sie in eine bestimmte Richtung lauschen. Dann nickte sie.


    „Die MeanTokath haben einen Pfad entdeckt, der in den Wald führt“, berichtete sie. „Bisher konnten sie keine feindlichen Kräfte ausmachen.“


    „Dann folgen wir ihnen“, entschied der Runenprophet. „Bleibt dennoch wachsam.“


    Einige Schritte entfernt tat sich eine Öffnung zwischen den Pflanzen auf. Die Asuryani schlüpften durch das Laub in fanden sich umgeben von feuchtwarmen, grünen Schatten des Waldes wieder.


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    [1]Quan=unnatürlich; JiorQuas = der Warp; sikal=nahe

  • Nahezu ohne ein Blatt zu regen, pirschten die zehn Skorpionkrieger durch das Unterholz. Weiter im Inneren hatte das dichte Gestrüpp des Waldrandes sich gelichtet. Dennoch boten die Baumfarne, großblättrigen Stauden und Büschen genügend Deckung für die Aspektkrieger. Ihre grüngefleckten Rüstungen ließen sie mit dem Wechselspiel auf Licht und Schatten verschmelzen. Mit fließenden, bedachten Bewegungen schlichen sie vorwärts, hielten inne, lauschten. Vögel und Insekten waren die einzigen Lebewesen, die Laute von sich gaben. Das Gewirr von stimmen verschmolz zu einem monotonen Hintergrundrauschen. Nichts stach daraus hervor, dass auf eine Bedrohung hingedeutet hätte.


    Die MeanTokath folgten einem schmalen Pfad durch den Busch, wie größere Tiere ihn anlegten, um zu Futter- oder Wasserstellen zu gelangen. Ihr Ziel musste irgendwo tiefer im Wald liegen, so hatte der AreIdainn gesagt. Ihre Aufgabe war es, den Weg dorthin zu sichern, mögliche Feinde zu überraschen und auszuschalten – der Pfad des Skorpions. Einstweilen schien sich jedoch kein Gegner zu finden.


    Ein schriller Vogelschrei stach aus der Geräuschkulisse hervor. Der Trupp hielt an. Reglos verharrten die Krieger zwischen den Blättern. Wären sie in der Bewegung für einen aufmerksamen Beobachter noch zu erkennen gewesen, wurden sie nun vollends eins mit ihrer Umgebung. Nur die IstuKarun in ihren Chameolinmantel vermochten die Skorpionkrieger in der Kunst der Tarnung zu übertreffen. Der Tierlaut mochte ein Warnruf gewesen sein. Ein scharfblickender Vogel konnte die Eindringlinge entdeckt haben und aufgeschreckt worden sein. Wie die Methoden ihres Pfades lehrten, verharrten die Aspektkrieger, abwartend, ob dem Warnruf eine Reaktion folgen würde.


    Mearmuan – diesen Namen nahm sie an, wenn sie ihre Kriegermaske anlegte – kauerte neben einem ihrer Kampfgefährten zwischen den Wurzeln eines mächtigen Nadelbaumes. Der silbergraue Stamm hatte die Ausmaße eines kleinen Turms. Hoch über ihnen rauschte die Krone im Wind eines heraufziehenden Gewitters. Sie konnte das Schwanken des Stammes spüren.


    Ein kleiner Trupp blau schillernder Vögel flatterte durch die mittleren Schichten des Geästs, umkreiste sich zeternd und verschwand irgendwo im tiefen Grün des Dschungels. Danach kehrte wieder Ruhe ein, untermalt vom Dauerkonzert der Tierstimmen.


    Der Befehl des Truppführers erklang in Mearmuans Geist, übertragen von den psionischen Kommunikationsschaltkreisen ihres Helms. Amainiluin! Sunolam.[1] Mearmuan signalisierte, dass sie den Befehl empfangen hatte und ihn befolgte. Reglos kauerte sie sich in die Nische zwischen den Wurzeln und zählte ihre Atemzüge – eins, zwei, drei, vier fünf –


    Im nächsten Moment war der Wald erfüllt von schrillen, kreischenden Stimmen. Drahtige, zweibeinige Kreaturen brachen aus dem Geäst hervor und ließen sich aus den Zweigen über ihnen fallen. Sie waren ebenso groß und schlank wie die Aeldari, doch ihre Gesichter waren die abscheulicher Tiere, mit schnabelähnlichen Mündern, überstehenden Unterkiefern, winzigen, schmalen Augen und hohen Kämmen von Hornstacheln, die sie drohend aufrichteten. Schwarze Hornstacheln ragten auch aus den Seiten ihrer Arme und Beine hervor. Ihre Haut war grünblau und mit schwarzen Flecken versehen. Über den Schultern trugen grob aneinander genähte Lappen aus rohem Leder, ansonsten waren sie nackt. Stattdessen waren ihre Körper behangen mit Knochenschmuck und Beuteln und Haken, die von geronnenem Blut verfärbt schienen. Ein durchdringender Gestank ging von den Kreaturen aus.


    Die Missgestalten bewegten sich flink und gewandt. In den Händen, deren vier Finger zu je zwei einander gegenüberstanden, hielten sie blanke Messer und lange, primitive Gewehre, an Mündungen mit kurzen, scharfen Klingen besetzt waren.


    Ohne Vorwarnung fielen die Kreaturen über die Aeldari her. So gezielt sprangen sie die Skorpionkrieger in ihren Verstecken an, hieben mit den Klingen auf sie ein, dass es nur eine mögliche Erklärung gab: Sie hatten ihr Ziel die ganze Zeit gesehen und verfolgt - ohne dass die Aspektkrieger sie selbst mit den überlegenen psi-optischen Systemen ihrer Helme bemerkt hatten. Oder hatten sie ihnen, unter der Myriaden Kreaturen dieses Dschungels, einfach nicht die nötige Bedeutung beigemessen?


    Doch wenn die Wilden glaubten, eine leichte Beute überrascht zu haben, sollten sie rasch erkennen, in welchem Irrtum sie sich befanden. Die MeanTokath trugen ihren Namen nicht zu Unrecht. So heimlich wie sie sich anpirschten, so brutal und unbarmherzig schlugen sie zu. Selbst der überschatte Skorpion hatte noch Stacheln und Scheren.


    Die Aspektkrieger glitten aus ihren verstecken. Das hohe Summen der zahnbesetzten Ketten ihrer Skorpionschwerter erfüllte die Luft und übertönte das Insektenkonzert. Aus nächster Nähe feuerten sie ihre Shurikenpistolen auf die Angreifer ab. Die messerscharfen Klingenschieben zerfetzten die ungeschützte, ledrige Haut der Halbvögel, ehe die schweren Schläge der Schwerter sich durch die Knochen ihrer Glieder fraßen.


    Doch die wilden Kreaturen ließen sich von der Gegenwehr die Aeldari nicht einschüchtern. Rasch hatten sie bemerkt, dass es ihren Gegnern in ihren dicken Panzern an Beweglichkeit fehlte. Nachdem die ersten Schwertstreiche ihre Ziele gefunden und ein halbes Dutzend der Kreaturen niedergestreckt hatten, erlaubten die Kreaturen den Aspektkriegern nun nicht mehr, in ihre Nähe zu kommen. Gewandt sprangen sie zurück, wichen den Schlägen aus, tauchten in das Unterholz ein, nur um im nächsten Moment aus einer anderen Richtung wieder über die Aeldari herzufallen.


    So gut sie konnte, wich Mearmuan vor ihrem Gegner zurück. Allein dies missfiel ihr zutiefst. Es entsprach nicht der Art der MeanTokath, noch entsprach es ihr, selbst überrascht und in einen langwierigen, offenen Kampf gedrängt zu werden. Der Skorpion lauert, schlägt mit Macht zu, und verschwindet wieder. Doch diese Prämisse war nun nutzlos.


    Die Kreatur kreischte und sprang mit unnatürlicher Kraft auf sie zu, holte dabei weit mit ihrer Waffe aus und hieb die Klingen gegen ihren Brustpanzer. Der Treffer warf wie zu Boden, dich die Rüstung hielt stand. Ihr Gegner setzte zum nächst Schlag an. Mearmuan rollte sich zur Seite und kam in die Hocke. Der Halbvogel setzte ihr nach. Sie fasst den Griff ihres Schwertes und richtete ihren Blick fest auf ihren Gegner. Die psi-optischen Sensoren ihres Helmes offenbarten den Aufbau des Alien-Körpers: ungewöhnlich dichte Muskelfasern, die gleichen Organe wie bei jedem anderen Zweibeiner auch, und hohle Knochen. Kein Wunder, dass sie so unberechenbar schnell und beweglich waren. Sie auszumanövrieren würde ihr nicht gelingen können.


    Reglos kauerte die Skorpionkriegerin am Boden, obwohl jeder Funke ihres Selbsterhaltungstriebes sie drängte, sich weiter zurückzuziehen. Doch ihr Kriegergeist widersetzte sich diesem Instinkt. Fest fasst sie ihren Gegner ins Auge. Eine Armlänge war er noch von ihr entfernt. Hoch hob er sein Gewehr über ihren Kopf und holte erneut zum Schlag aus.


    Mearmuan konzentrierte ihren Geist auf den entblößten Rumpf der Kreatur. Vor ihrem geistigen Auge zeichneten sich die Konturen von Herz und Lungen ab, die rasenden, stoßweisen Bewegungen der Organe. In dem Moment, bevor Schlag niederging, aktvierte sie ihren Mandiblaster. Ein Gedanke genügt und die Stutzen an den Wangenplatten ihrer Kriegermaske entließen ihre tödliche Ladung. Winzige, nadelgleiche Metallsplitter drangen in den Körper des Geschöpfes sein. Es stieß einen schrillen Schmerzenslaut aus und fiel im Sprung zu Boden. Doch sie schien sich wieder aufrappeln zu wollen. Die Muskelschichten über der Brust waren robuster, als es für Zweibeiner dieser Größe üblich war.


    Ungerührt blieb Mearmuan an Ort und Stelle. Der Stich des Skorpions sollte seine volle Wirkung erst noch entfalten. Ein weiterer Gedanke setzte die Energie des Lasers frei. Die Splitter fingen den Impuls auf und wurden in Bruchteilen eines Augenblicks in flüssiges Metall verwandelte, dass sie in die Organe der Kreatur brannte. Ihre Schreie verebbten in einem Gurgeln, krampfend lag sie auf dem Rücken. Die Optik des Helms offenbarte Mearmuan die verheerende Wirkung ihrer Waffe. Doch damit gab sie sich nicht zufrieden. Halb richtete sie sich auf, holte mit dem Kettenschwert aus und hieb, ohne zu zögern, dem Gegner zu ihren Füßen die surrende Klinge durch die Brust. Der Geruch von kochendem Blut und Fleisch breitete sich aus. Es erfüllte den Geist der Aspektkriegerin mit Ruhe und Zufriedenheit.


    Erst jetzt bemerkte sie einen stechenden Schmerz an ihrer Leiste. Eine Klinge war von der Waffe des Aliens abgebrochen und hatte sich in einen Spalt zwischen den Platten ihrer Rüstung gebohrt. Helles Blut pulsierte aus der Wunde hervor.


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    [1] Am- = Imperativ; aniulin = wartend; sun = sechs; olam = das Zehnfache eine Sekunde (wörtl.: ein Atemzug)

  • Kapitel II


    Ein Anblick des Grauens bot sich dem kleinen Asuryani-Tross. Über eine Fläche von mehreren Längen verstreut lagen die Körper der Skorpionkrieger am aufgewühlten, blutdurchtränkten Waldboden. Mindestens die doppelte Zahl erschlagener Aliens umgab sie. Abgetrennte Gliedmaßen, gespaltene Schädel und durchstoßene Brustkörbe zeugten von der Brutalität, mit der die MeanTokath gekämpft hatten, ganz wie es dem Wesen ihres Aspektes entsprach. Und doch hatten sie den höchsten Preis gezahlt.


    Zorn und Erschütterung kochte in Illurayon hoch, jene brennende Wut, die er selbst auf dem Pfad des Kriegers nie vollends hatte beherrschen können und sich in unheilvolle Weise mit seiner starken psionischen Begabung mischte. Eine Einladung an die verderbten Mächte des Sha’eil, nach seiner Seele zu greifen. Doch dann spürte er die vertraute, beruhigende Berührung seines Mentors in seinem Geist.


    Etharan, lianDainn[1].‘


    Derweil gab die Autarchin den Rächern ein Zeichen, den Ort zu sichern. Die blaugerüsteten Aspektkrieger schwärmten aus und bezogen taktisch vorteilhafte Position hinter Baumstümpfen und niedergefallenen Ästen in der näheren Umgebung. Der Runenprophet schritt durch die Reihen der gefallenen Skorpionkrieger. Trauer überkam ihn. Die Runen hatten ihm gezeigt, dass ihre Mission nicht ohne Verluste würde vollendet werden können. Doch sie hatten ihr Ziel noch nicht einmal erreicht. Dann betrachtete er die Aliens. Sie wirkten fremd, aber nicht bösartig. Es schienen halb tierische Wesen zu sein, Vögeln nicht unähnlich. Ihre Waffen und Kleidung zeugten von einem gewissen Maß an Intelligenz und Kultur. Nichts jedoch wies auf eine dämonische Natur hin.


    „Wir sollten hier nicht länger als nötig verweilen“, hörte er Cielirras sagen. „Die MeanTokath müssen von einer Überzahl überrascht worden sein. Anders lässt sich dieser Ausgang nicht erklären. Wenn wir Glück haben, haben sie die meisten Gegner bereits erschlagen.“


    Eathalvaën nickte bedächtig. Die emotionslose Analyse der Lage entsprach dem Wesen des Pfades des Befehlens. Ein Autarch sah die Sachlage, die Möglichkeiten und zogen die notwendigen Schlüsse. Einem Seher nicht unähnlich. Unter anderen Umständen hätte er vielleicht sogar den Rückzug befohlen. Doch ihr Ziel war zu wichtig für das Weltenschiff. Er sah sich nach Illurayon um. In Abwesenheit eines Geistersehers war es an ihm, die Seelenstein der Toten einzusammeln. Reglos kniete der Runenleser über einem der Körper, den leuchtenden Stein in der Hand. Eine Welle der Abscheu wogte von ihm herüber. Der Runenprophet eilte zu seinem Schüler. Auch die Autarchin kam dazu.



    Aufmerksam beobachtete der Rächer Asuryans das Unterholz. Die autonome Zielerfassung, die über der Schulter seiner Aspektrüstung montiert war, übertrug ihre Bilder auf das Display in seinem Helm. Die Bäume und Pflanzen verblassten zu schwarzgrünen Konturen. Er hatte seine Optik psionisch auf die aktive Bewegung von Lebewesen eingestellt. Würde das Gerät eine Regung erfassen, er würde sie sofort erkennen. Doch außer einigen kleinen Vögeln war bisher nichts in seinem Sichtfeld erschienen, so dass der Aspektkrieger deren Bewegungsmuster inzwischen aus seinen Zielparametern entfernt hatte. Dieser Wald war voll von Leben. Was unter anderen Umständen ein erfreulicher Zustand war, konnte hier eine Gefahr sein, denn die unzähligen Geschöpfe sorgten für Ablenkung, unter der eine tatsächliche Gefahr seiner Wachsamkeit entgehen mochte.


    Im Augenwinkle, beinahe außerhalb seines Sichtfeldes, hatte ein Blatt auf und ab gewippt. Der Rächer fasste den Griff seiner Shurikenwaffe eine Spur fester, bereitete seinen Geist darauf vor, sofort einen Schuss abzugeben, wenn ein Ziel in den Blick kam. Doch noch war es nicht so weit, möglicherweise war es auch nur ein Windstoß. Langsam richtete er seine Zieloptik auf die Stelle, das Rächerkatapult schussbereit, doch noch nicht auf das Ziel angelegt. Er wollte das Überraschungsmoment so lange wie möglich auf seiner Seite behalten. Und vielleicht war es ja doch nur der Wind.


    Der Bereich lang nun im Zentrum seiner Zielsuchers. Erst glaubte er, sich getäuscht zu haben, denn nun war die Vegetation wieder völlig reglos. Doch im nächsten Moment erzitterte eines der großen Blätter erneut. Nun hatte der Aspektkrieger Gewissheit: Dies konnte nicht der Wind sein. Einige Augenblicke überlegte, wie er nun reagieren sollte. Er war im strategischen Vorteil. Noch wusste das potenzielle Ziel nicht, dass er es entdeckt hatte. Ein rascher Schuss konnte es gefahrlos ausschalten. Doch wusste er immer noch nicht, worum es sich handelte. Vielleicht war es nur ein größeres Tier. Doch wenn es einer der halb-tierischen Kreaturen war, durfte er nicht warten, bis es ihn anfiel. Langsam drehte er sich um und richtete seine Waffe aus. Mit einem Gedanken aktivierte er die Ansicht des Waffen-Zielsystems in seinem Helm. Die beiden Bilder, die sich ihm zeigten, begannen sich anzunähern und sich zu überlagern. Er wollte eine einzige, präzise Salve im richtigen Moment abgeben.


    Die Bewegung im Unterholz hielt an. Nicht nur das, sie wurde deutlicher. Die Muster ließen keine Zweifel, dass es sich um ein größeres Lebewesen handeln musste. Und es näherte sich. Die Bilder der Zielsucher waren bis auf Haaresbreite deckungsgleich. Sein Finger legte sich auf den Abzug des Rächerkatapultes.


    Dann teilten sich die großen Blätter und eine grün gefleckte Gestalt warf sich aus dem Schatten hervor und ihm entgegen. Augenblicklich riss der Rächer Asuryans den Lauf seiner Waffe nach oben. Schneller als die Helmoptik die Figur in weißes Licht getaucht und den psionischen Warnhinweis ausgesandt hatte, hatten seine Reflexe reagiert. Ein Skorpionkrieger taumelte ihm entgegen. Wenige Schritte vor ihm sank der Aeldari in die Knie. Rasch befestigte der Rächer Asuryans sein Shurikenkatapult zugriffsbereit am Rückenmodul seines Kampfanzuges und sprang dem anderen Aspektkrieger zu Hilfe.


    Als er dem Skorpion unter die Arme griff, um ihm auszuhelfen, stellte er zweierlei fest. Der Aspektkrieger blutete aus einer scheinbar tiefen Wunde an der Innenseite des Oberschenkels. Dunkelrote Streifen liefen die grünen Platten hinunter, während er seine langen, schmalen Finger auf die Verletzung presste. Und der Skorpionkrieger war eine Frau. Unsicher, ob sie das Bewusstsein verloren hatte, sprach er sie an.


    „Wie ist dein Name, MeanTokath?“


    Kaum mehr als ein Wispern, drang ihre Antwort durch ihren Helm: „Mearmuan.“


    „Ich heiße Maegil“, entgegnete er. „Ich bringe dich zurück zu den anderen.“


    Ohne lange zu überlegen, löste der er die weiße, gelb gesäumte Schärpe, die um seine Taille gewunden war und von seiner Hüfte herabfiel, und riss sie der Länge nach in zwei Teile. Den einen drückte er in den Spalt in der Rüstung, den anderen Schlang er mehrmals um das Bein und zog ihn fest. Die Skorpionkriegerin zuckte kurz, gab aber keinen Laut von sich.


    Der Druck, der so auf das sich selbst verfestigende Material des Kampfanzuges entstand, sollte genügen, um die Blutung vorerst zu stoppen – so hoffte er zumindest. Dann half er der Aspektkriegerin, sich aufzurichten. Noch einmal sah er sich versichern um, ließ seine Zieloptik zweimal die Umgebung absuchen, konnte jedoch nichts entdecken.


    Maegil machte Anstalten, sie zu tragen, doch Mearmuan wies ihn mit einer Geste zurück, legte stattdessen ihren Arm über seine Schultern und gestatte, dass er seinen um ihre Brust legte. So gestützt, machten sie sich auf den Rückweg zur Truppe.



    Illurayon starrte auf den toten Aeldari. Kaum nahm er wahr, dass der Runenprophet und die Autarchin zu ihm traten, so sehr nahm ihn der verstörende Anblick gefangen. Die grüne Rüstung des Aspektkriegers war gewaltsam aufgebrochen worden. Und nicht nur die Rüstung. Auch der Brustkorb klaffte weit auseinander. Die inneren Organe waren herausgerissen, doch in wirrem durcheinander in der Leibeshöhle belassen worden. Und es schien, als wären Stücke herausgebissen worden. Ihm wurde übel.


    „Das sind Tiere!“ entfuhr es Cielliras voll Zorn und Abscheu.


    „Vielleicht sind wir es für sie“, murmelte Eathalvaén mehr zu sich selbst als zu der Autarchin.


    „Euer Bestreben nach friedlichen Wegen in allen Ehren, AthIdainn“, warf Cielirras hitzig ein. „Aber dazu ist hier bereits zu spät. Wir sollten umgehend zum Transporter zurückkehren. Unsere Späher haben keine Feinde gemeldet, und doch liegen zehn MeanTokath hier, Aspektkrieger, denen an Heimlichkeit niemand gleichkommt. Wissen wir, wie viele dieser Bestien noch ungesehen in den Wäldern umherstreifen? Ohne eine ausreichend große Expeditionsstreitmacht werden wir hier nichts erreichen.“ Erst nachdem sie zu Ende gesprochen hatte, vollführte sie eine verbeugende Geste, die signalisierte, dass sie sich der Anmaßung ihrer Rede durchaus bewusst war.


    Ehe der Runenprophet etwas erwidern konnte, ergriff auch Illurayon das Wort. „Sie hat recht, AreIdainn. Wir…“


    Doch weiter kam er nicht mehr. Seine Stimme ging unter im Krachen des Geäst und schrillen Kreischtönen, als dutzende der Vogelkreaturen aus dem Unterholz hervorbrachen und sich auf die Aeldari stützten.


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    [1] Etharan = Gelassenheit; lian- = lernen; dainn = Seher