Anton Kalen - Ewige Verdammnis - [Kapitel 10]

  • -Anton Kalen-

    Ewige Verdammnis




    Prolog

    Kapitel 1

    Kapitel 2

    Kapitel 3

    Kapitel 4

    Kapitel 5

    Kapitel 6

    Kapitel 7

    Kapitel 8

    Kapitel 9

    Kapitel 10



    Kommentare sehr gerne hier!



    Da Schriftdeutsch nicht meine Muttersprache ist, ist Korrekturlesen für mich recht Aufwendig. Da es sich hier um ein nicht-kommerzielles Projekt handelt, werde ich diese auf ein Minimum begrenzen - es wäre für mich zu Zeitintensiv. Meine begrenzte Zeit nütze ich lieber dafür, die Geschichte weiterzuspinnen. Ich entschuldige mich schon jetzt für allfällige Fehler. Falls mir zufällig mal was auffällt, werde ich das natürlich nach und nach korrigieren. Allenfalls durch euch gemeldete Fehler werden ASAP korrigiert.


    Dieser Roman ist der 3. Band meiner Anton-Kalen-Serie - die anderen teile sind hier im Forum zu finden.


    Diese Fanfic wird in unregelmässigen Abständen neue Kapitel erhalten. Ein Release-Datum für Kapitel XY gibt es nicht nicht (und wird es nicht geben - it's done when it's done).

    Gerne nehme ich auch kritische Kommentare entgegen oder lasse mich auf Diskussionen über das Setting, die Charaktere, ihre Denkweise etc. ein; beziehungsweise würde mich das sogar freuen und motivieren, dranzubleiben :)


    Ich schreibe die Story in Word und verwende Taschenbuchformat; sprich mit einem Einzug bei jeder neuen Zeile usw.. Da das hier im Forum nicht Umsetzbar scheint, habe ich alle Einzüge durch Zeilenabstände ersetzt. Ich hoffe, es ist so leserlich genug!

  • Prolog


    Emanuel betrat das Zimmer ohne anzuklopfen. Im schwachen Licht einiger einsamer Kerzen, erkannte er seinen Freund. Anton sass mit den Rücken zu ihm auf einem vornehmen, gepolsterten Sessel aus feinstem Holz, handgefertigt, bezogen mit teurstem, dunkelpurpurnem Stoff.
    »Anton. Wir sind fast da«, sprach der Freihändler. Die gespengstige Gestalt auf dem Sessel zuckte zusammen, als sie seine Stimme vernahm.


    »Gut… Endlich…«, keuchte Anton nach kurzem zögern. Als Emanuel die erschöpfte Stimme seines Freundes hörte, vermutete er bereits, was sich nur einen Moment später bestätigen sollte. Neben dem Sessel angekommen, musterte er den traurigen Rest, der von Anton übrig geblieben war. Der Inquisitor sass in sich zusammengesunken da. Schweiss perlte auf seiner Stirn. In der Hand hielt er eine Spritze, mit der sich offensichtlich gerade das Lunaïn iniziiert hatte.


    »Anton. Du solltest damit aufhören«, sprach Emanuel mit ruhigem Ton. »Irgendwann trennen sich unsere Wege wieder. Wie gedenkst du, dich damit zu versorgen, wenn nicht aus meinem Vorrat?«


    Anton drehte Emanuel langsam den Kopf zu und starrte ihn mit leeren Augen an. »Wie… soll ich… das wissen?«. Seine Stimme war brüchig und schwach. »Du… hast mir das Zeug… verabreicht. Es… ist alles… was mir bleibt.«


    »Um dir dabei zu helfen, über deinen Verlust hinwegzukommen!«, antwortete der Freihändler forsch. »Nicht, damit du dich den Rest deines Lebens damit betäubst!«


    »Es… Es gibt mir etwas davon zurück«, wisperte Anton. »Vom… vom Warp. Es… fühlt sich an… als könnte ich… damit… wieder sehen…«


    Emanuel wusste nicht genau, was Anton damit meinte. Er selbst war kein Psioniker. Er verstand nicht viel vom Warp, verfügte höchstens über theoretisches Wissen der gefährlichen Dimension des Immateriums.


    Nicht so, wie Anton. Vor dem Zwischenfall hatte er die Fähigkeit, in den Warp zu blicken. Er hatte ein feinfühliges Gespür für die Seelen seiner Mitmenschen und veränderungen im Warp. Doch nach dem, was passiert war, hatte er alle seine psionischen Fähigkeiten verloren. Dieser Verlust belastete ihn zunehmend stärker – inzwischen weit mehr, als es der Verlust seines Armes es tat.


    »Eine Lüge. Das Lunaïn lässt sich in einer Lüge leben!«, gab Emanuel gereizt zurück. »Aber ich bin nicht hier, um dich zu tadeln. Ich bin hier, weil es an der Zeit ist. Wir haben soeben unser Ziel erreicht.«


    »Gut«, antwortete Anton und zog sich langsam vom Sessel hoch. Dann schleppte er sich durch das schlecht beleuchtete Zimmer. Der Boden der luxuriösen Unterkunft war mit samtweichem Teppisch bezogen. In Wandnischen standen wertvolle Kunstobjekte, die wohl für jeden gewöhnlichen Menschen äusserst inspirierend gewirkt hätten. Dennoch konnte die dekadente Schöhnheit des Quartiers nicht darüber hinwegtäuschen, dass es Anton alles andere als gut ging. Überall lagen leere Flaschen, schmutzige Gläser und gebrauchte Spritzen. Anton hatte darauf bestanden, nicht von Bediensteten gestörrt zu werden, hatte aber offenbar auch keinen Bedarf, selbst für Ordnung zu sorgen. So stapelten sich die Überbleibsel seiner eher weniger erfolgreichen Versuche, mit seinem Schicksal fertig zu werden, wohin das Auge blickte.


    Der Inquisitor hielt vor einem grossen metallenen Schrank, der mit vornehmen Messingbeschlägen und allerlei eingelassenen Edelsteinen verziert war. Er packte seinen Mantel, den er zuvor irgendwann derespektierlich über die halb offene Schranktüre geworfen hatte, und warf ihn über seine Schulter.


    »Gehen wir«, murmelte er kalt, während er sich kurz zu Emanuel umdrehte. Dann machten sich beide auf den Weg zur Landefähre.


    ***


    Unter ihnen lag Wolfsschlucht. Der einsame, verlassene Planet befand sich irgendwo am Rande des Imperiums und fand kaum beachtung. Vor einiger Zeit gab es eine kleine Kolonie der Menschen, die aber von Xenos verherrt wurde und seither dem Verfall überantwortet wurde. Die Landefähre durchbrach die finstere, graue Wolkendecke. In der Dunkelheit der Nacht war die von engen Tälern durchfurchtete Landschaft nur undeutlich zu erkennen.


    »Wir landen in Nadelhayn, der einzigen Siedlung auf dieser verfluchten Welt«, sprach Emanuel zu Anton und dem Landetrupp, der sich aus Hector, Jek und einigen Söldnern zusammensetzte. »Die Kolonie liegt in Ruinen, meine Handelspartner erklärten sich aber bereit, uns dort zu treffen…«


    Anton fiel auf, dass alle Söldner bis an die Zähne bewaffnet waren. Er dachte sich aber nichts dabei – seine eigene Sicherheit bedeutete ihm nicht mehr viel. Ausserdem war es kaum verwunderlich, dass Emanuel solche Sicherheitsmassnahmen traf, denn seine Kontakte waren meistes eher übler Natur.


    »Was erwartet uns dort?«, fragte Hector misstrauisch, dem die gut gerüstete Truppe ebenfalls aufgefallen sein musste.


    »Die Eldar sind arrogante Wesen, ihr Wort ist kaum verlässlich«, antwortete der Freihändler. »Normalerweise bringe ich Waren, an denen sie interessiert sind. Diesesmal habe ich mich als Bittsteller an sie gewandt. Auch wenn sie einem Treffen zugestimmt haben, weiss ich nicht, was uns erwartet…«


    »Könnte es sein, das die Lage eskaliert?«


    »Ich halte das für unwahrscheinlich. Sollte das trotzdem der Fall sein, werden wir uns natürlich verteidigen.«


    Während seine beiden Freunde noch taktische Details der Landezone besprachen, starrte Anton aus dem kleinen Sichtfenster nach draussen. Es regnete stark. Am Horizont tobte ein mächtiges Gewitter, wobei Blitze immer wieder die finstere Nacht erhellten und den Blick auf karge Gipfel und endlose Nadelwälder ermöglichte. „Was erwartet uns dort?“, hatte Hector gefragt. Natürlich hatte diese Frage für ihn eine andere Bedeutung. Hector fragte sich, welche Gefahren auf sie lauern könnten. Anton versuchte die Frage, die er sich selbst stellte – wenn auch mit einem anderen Kontext – zu verdrängen. Erfolglos. Konnten die Xenos ihm zurückgeben, was er verloren hatte? Den Arm mit sicherheit. Selbst im Imperium gab es Welten, die fast täuschend echte Bioniks herstellten. Die psionische Gabe wiederherzustellen würde sich als weitaus schwieriger herausstellen. Und Ashenya zurückzubringen… er konnte nicht daran Glauben. Würde er es hoffen, und würde diese Hoffnugn zerschlagen, würde er daran zerbrechen. Aber die Chance, dass dem so sein könnte, konnte er nicht einfach ignorieren. Laenryl hatten sie auch wiederhergestellt, obwohl das Leben ihren Körper verlassen hatte. Wenn auch zum Preis ihrer Seele.


    Anton würde diesen Preis niemals akzeptieren, doch wusste er, dass Emanuel wohl sogar bewusst gefordert hatte, dass ihr Verstand ausgelöscht wurde. Es war also vielleicht möglich, dass die Eldar zu mehr fähig waren, als sie bei Laenryl getan hatten.


    Während seine Gedanken sprunghaft zwischen Ashenya, Laenryl und dem erhabenen Gefühl des Lunaïns, das seit Wochen sein stetiger begleiter war, hinundher wechselten, verlor er jegliches Zeitgefühl. Erst der dumpfe Schlag der aufsetzenden Landefähre holte ihn zurück in die Realität.


    Sobald die Transportluke sich geöffnet hatte, schwärmten Emanuels Söldner aus und sicherten profesionell, gleich Gardisten der Imperialen Armee, die Umgebung. Emanuel musste seine besten Männer für diesen Einsatz mitgenommen haben. Hector trottete ihnen desinteressiert nach. Anton wusste aber, dass der ehemalige Soldat mindestens genauso auf der Hut war, wie die Söldner. Er hatte seinen Granatwerfer fest im griff und würde jedes Ziel in Sekundenschnelle vernichtet haben, sollte es zu einem Kampf kommen.


    Als die Männer ihre Positionen bezogen hatten, folgte ihnen Emanuel. Mit elegantem Schritt, den Rücken gerade und dem leicht erhobenen Kinn wirkte er auf dieser verlassenen, düsteren Welt, fast wie ein Ritter in glänzender Rüstung, der gekommen war, die Dunkelheit zu vertreiben. Nichts hätte weiter von der Wirklichkeit entfernt sein können.


    Anton folgte dem Freihändler nach. Jek kam mit zwei Bediensteten, die eine kleine Transportraupe, auf der eine Kyrokapsel befestigt war, nach.


    Es schmerzte Anton, Ashenya bei sich zu wissen, ohne sie sehen oder spüren zu können. Doche ohne die hermetisch versiegelte Kapsel hätte ihr Organismus wohl noch schlimmeren Schaden genommen und wäre inzwischen unweigerlich zerstört.


    Der Regen prasselte unermüdlich auf sie nieder und durchnässte Antons vornehme Kleidung, die Emanuel ihm zur verfügung gestellt hatte. Er blickte sich um.


    Die Siedlung lag in einem tiefen Tal, von zwei gewaltigen Gebirgszügen flankiert. Die nie endenden Tannenwälder wiptem heftig im stürmischen Wind, so das es in der Finsternis der Nacht so wirkte, als würden sich die Berge auf und ab bewegen. Die ganze Welt schien ein einziger, atmenter Organismus zu sein.


    Das Scheinwerferlicht der Ladefähre glitt über die trostlosen Reste der zerfallenen Gebäude, während unglaublich heftige Blitze immer wieder durch den Himmel zuckten und die Sicht auf die nicht minder bedrohlich wirkende Umgebung freigab.


    Vor ihnen lagen etwa ein dutzend flacher Gebäude aus Ferrobeton, die mit verrostenden Rohrsystemen verbunden waren. Eine unzählbare vielzahl an technischen Geräten säumten die Fassaden. Vox-Anlagen, Temperaturregler, Luftreiniger, Waffenlafetten – nutzlos, vom Rost zerfressen. Die Kolonie musste vor mindestens hundert Jahren aufgegeben worden sein. Dass alle Gerätschaften zurückgelassen wurden, war aber untypisch. Es wirkte, als ob die ganze Bevölkerung einfach verschwunden wäre, ohne Zeit gehabt zu haben, die Siedlung zu evakuieren. Antons Geist durchzuckten schmerzhafte Erinnerungen an Ysraal VI. Trotz all seiner Bemühungen konnte nur ein verschwindend kleiner Teil der Bevölkerung gerettet werden. Wäre die Welt nicht vernichtet worden, hätte es dort wohl eine ganze Menge solcher dem verfall ausgeliferten Geisterstädte gegeben.


    »Irgendetwas stimmt hier nicht«, brüllte Hector Emanuel zu. Er befand sich etwa zehn Meter weiter vorne in der Deckung einer Mauerrerste. Der Regen prasselte so heftig nieder, dass der ehgamalige Soldat kaum zu hören war. »Die Schatten… Bewegen sich?«
    Emanuel hob die Hand.


    »Nur mit der Ruhe«, erwiderte er gelassen. »Sie sind hier.«


    Fast schon, als hätte Emanuel seine Freunde mit diesen Worten beschworen, tauchte in der schwarzen Dunkelheit eine Gestalt vor ihnen auf.


    Es war eine grossgewachsene, schlanke Gestalt. Der Körper war von einer bedrohlichen Plattenrüstung geschützt. Eine vielzahl Stacheln, Dornen und Klingen erweckten den Eindruck, dass die tiefschwarze Rüstung mit smaragtgrünen Glanz, selbst eine Waffe war. Mit jeder Bewegung des Kriegers bewegten sich die lamellenartigen Segmente der Rüstung mit, als wären sie einen Teil seiner selbst.


    »Ich grüsse euch, Eldar«, sprach Emanuel und deutete eine höfliche Verbeugung an.


    Der Krieger kam näher. Anton musterte das Alien. Die Statur, die spitzen Ohren und die Mandelaugen liessen keinen Zweifel daran, dass es sich um einen Eldar handelte. Trotzdem schien dieser Xeno irgendwie anders als seine Brüder, mit denen Anton zuvor Kontakt hatte. Die Haut war leichenblass und wirkte fast schon kränklich. Ausserdem nahm Anton eine diffuse Aura wahr, die von dem Krieger ausging. Eine beunruihgende, schreckliche Aura des Schmerzens und Leidens.


    Der Xeno blieb einige Schritte vor Emanuel zu stehen. Auch wenn er die Söldner bemerkt haben musste, schenkte er ihnen kienerlei Aufmerksamkeit.


    »VilithCaihe1«


    Der Eldar spie die Worte so verächtlich aus, als würde ein stinkender Ghoul des Seuchenvaters vor ihm stehen. Hectors Griff umschloss den Granatwerfer fester.


    »Dein Eintreffen beschmutzt unsere Kabale. Du bist ein Stück Dreck, das nicht würdig ist, an den Stiefeln des Archons zu kleben. Ich werde die Azrushar von dir befreien!«


    Emanuel hob beide Hände. Nicht beschwichtigend, sondern so, um alle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.


    »Das ist meine Angelegenheit!«, donnerte seine Stimme mit solcher unwidersprechlicher Autorität, dass selbst Hector es nicht gewagte hätte, einzugreiffen. Selbst der Eldar schien einen kurzen Moment erstaunt über die Kraft und Überzeugung, die in den Worten des Freihändlers mitschwangen.


    Mit einer Schnelligkeit, die in keinerweise mehr als menschlich bezeichnet werden konnte, zogen sowohl der Eldar als auch Emanuel ihre Schwerter. Emanuel führte sein reich verziertes, elegantes Schwert, ein erbstück seiner Familie und Jahrtausend altes Artefakt von höchster Qualität. Der Dark Eldar schwang eine gekrümmte und gezackte Klinge, die zwar kurz, aber äusserst flink war. Obwohl sich der Xenos mit katzenhafter Anmut und der eleganz eines Fürsten bewegte, konterte Emanuel mit nicht weniger raffinierten Bewegungen. Anton fiel auf, dass sein Freund einen ihm völlig unbekannten Kampfstil anwandte, dem der des Eldars nicht unähnlich war.


    Die beiden Klingen prallten aufeinander. Finten, Konterangriffe und Paraden folgten in rassantem Tempo aufeinander. Für die Söldner und Hector war es genauso wie für Anton unmöglich, dem Duell zu folgen. Plötzlich hielten die beiden Duellanten inne, die Körper so nah beieinander, dass die stacheln und Klingen der Eldar-Rüstung Emanuels vornehmen Gewänder durchstiessen. Dem Freihändler war ein gewagter Angriff gelungen, mit dem er dem Xenos das Schwert mitten durch die Brust rammen konnte. Die Klinge hatte den Krieger vollständig durchbohrt und ragte blutgetränkt aus seinem Rücken heraus.


    »Die Azrushar hat persönlich dafür gesorgt, dass ich den euren ebenbürtig bin…«, flüsterte Emanuel mit derselben verächtlichkeit, die der Eldar ihm entgegengebracht hatte. Mit grosser Befriedigung drehte er dann sein Schwert mit einer bohrenden Bewegung, ehe er den Krieger abschätzig von seiner Klinge gleiten liess. Das schmerzerfüllte Gesicht seines Gegners liess ihn zufrieden grinsen.


    Als der besiegte Eldar tot zu Boden gesunken war, säuberte Emanuel sein Schwert lässig an seinem Mantel, ehe er es wieder zurück in die Scheide gleiten liess.


    Plötzlich flimmerte die Dunkleheit um den Freihändler und seine Leute herum. Als würden die Schatten selbst humanoide Formen annehmen, manifestierten sich etwa zwei dutzend Eldar-Krieger, jeder nicht minder düster, wie der, den Emanuel soeben von seinem irdischen Leben befreit hatte. Mit den Kriegern tauchte ebenso eine Art schwebendes Schiff mit elegenten, gezacktem Segel aus den Schatten aus.


    Sofort richteten Emanuels Männer ihre Waffen auf die Neuankömmlinge, die unverhofft aus den Schatten auftauchten. Die Eldar richteten ihre fremdartigen Waffen ebenso auf die Menschen. Eine dramatische Anspannung lag in der Luft und nur ein kleiner Fehler würde zu einem mehr als ungleichen Gefecht führen.


    Ein Eldar-Krieger trat hervor. An seinem Rücken war ein kleines Banner mit einer exotischen Rune angebracht, das heftig in den Sturmböen flatterte.


    Emanuel kniete ehrfürchtig nieder – eine Geste, die Anton ehrlich schockierte. Emanuel war keine Person, die kniete. Erst recht nicht vor einem Alien.


    »Ich grüsse euch, Sybarith«, sprach der Freihändler respektvoll, ehe er sich wieder erhob.


    Der Krieger nickte selbstgefällig, ehe er den Helm abnahm. Ein von unzähligen Narben völlig enstelltes Gesicht offenbarte sich. Der Eldar war schien uralt und der völlig haarlose Kopf war von furchen und falten übersäät.


    »Arhkei widersetzte sich den Befehlen der Azrushar«, begann der Eldar mit ruiher, ausgeglichener Stimme. »Er war der Meinung, euer Besuch sei eine Schande. Ich habe ihn gewähren lassen, damit ihr das Gegenteil beweisen könnt.«


    Der Bick des Sybarith schwenkte kurz zu der Leiche des Kriegers.


    »Verdammte Halbgeborene…«, murmelte er, ehe er wieder zu Emanuel blickte.


    Der Freihändler deutete eine dankbare verbeugung an, ehe er das Wort ergriff.


    »Ihr ehrt mich, Sybarith. Ich nehme an, die mächtige Azrushar hat meine Nachricht erhalten?«


    »Der Archon nimmt euer Angebot an, VilithCaihe.«


    »Ich werde sein Vertrauen mit grosser Zuwendung entgelten, Sybarith«, entgegnete Emanuel respektvoll.


    »Natürlich werdet ihr das«, erwiederte der Eldar mit einer unheimlichen gewissheit, die nichts Gutes ahnen liess.


    »Was geht hier vor?«, wandte sich Anton verwirrt an Emanuel.


    »Ich habe meinen ‚Freunden‘ bereits vor unserer Ankunft ein Angebot unterbreitet. Sie werden deinen Arm wiederherstellen, die Bezahlung übernehme ich. Als kleine Geste der Freundschaft.« Emanuels blick fiel auf den Kyrokapsel hinter ihnen. »Alles Weitere liegt bei dir.«


    »Was sollte dieser Angriff? Was ist hier los?«, insistierte Anton darauf, mehr über diese finsteren Eldar und ihre Beziehung zu Emanuel zu erfahren.


    »Der Sybarith ist meine Verbindungsperson zum Anführer dieser Eldar. Ihre Gesellschaft ist etwas kompliziert, daher halte ich mich ausschliesslich an jene, die echte Macht besitzen – hier auf Wolfschlucht ist das der Sybarith.«


    »Der Eldar hätte sich töten können!«, warf Anton ein.


    Emanuel lachte herzlich los.


    »Glaube mir Anton, das dachte dieser Krieger auch. Aber ich bin viel mehr, als es scheint!«


    Der Sybarith trat näher.


    »Lord Kalen?« sagte er ungeduldig und deutete auf Anton, wohl in keinerweise am Gespräch der beiden Interessiert. »Kommt er jetzt endlich?«


    »Nun, Anton, es ist nicht weise, diese Eldar zu verägern. Ihr müsst mit ihnen gehen… Vertraut mir. Meine Freundschaft ist ihrem Anführer zu nützlich, als dass dir etwas passieren könnte. Aber sei auf der Hut – höre auf Hector. Und halte Jek an der kurzen Leine.«


    »Du kommst nicht mit?«, fragte Anton unruhig. Furcht vergiftete seinen Verstand. Furcht, von Emanuel – vom Lunaïn – getrennt zu werden.


    »Ich habe andere Verpflichtungen, denen ich nachgehen muss. Wir werden uns wiedersehen, doch vorerst muss ich dich der Gastfreundschaft der Azrushar überantworten.«


    »Nein, das kannst du nicht tun!«, weigerte sich Anton, dessen Furcht sich in Panik wandelte.


    »Nun, ich hatte sowas bereits befürchtet…«, entgegnete Emanuel. »Hector?«, wandte er sich dann kurz den Soldaten, der sich unauffällig Anton genähert hatte und gleich hinter dem Inquisitor stand. Ohne zu zögern richtete er sich dann wieder an seinen Freund.


    »Tut mir Leid, Anton.«


    Ehe Anton reagieren konnte, spürte er einen stechenden Schmerz im Rücken. Als er sich umdrehte, sah er die leere Spritze in Hectors Hands. Dann verschwamm eine Sicht und er verlor das Bewusstsein.

  • I


    Anton wurde von unruhigen Träumen heimgesucht. Oder waren es Visionen? Schemenhafte Bilder zuckten durch seinen Verstand, verängstigend und bedrohlich zugleich. Immer und immer wieder suchten die unsäglichen Szenen ihn heim.


    Er sah Ashenya, inmitten eines tosenden psionischen Sturm. Immer und immer wieder verschmolz sie mit einer blasphemischen, sich windenden Masse aus fleischigen, glänzenden Tentakeln. Der Anblick der glitzernden Fangarme, die sich sanft und doch unweigerlich um Ashenya schlangen, dabei schleimige Spuren auf ihrer fremdartigen Haut hinterlassend, war zutiefst abstossend und faszinierend zugleich. Während sie sich mit dem Wesen zu einem unbeschreiblichen Ding vereinte, schien sie Anton etwas zuzurufen. Doch er konnte sie nicht hören, eine unsichtbare Wand schien die Worte davon abzuhalten, in seinen Geist einzudringen.


    Er musste zu ihr! Verzweifelt versuchte er immer wieder, zu seiner Liebsten zu gelangen. Egal, wie schnell er auf sie zuschritt, blieb sie aber immer unereichbar. Er musste zu Ashenya, ehe das fürchterliche Wesen sich entgültig mit ihr vereinte. Sie gehörte ihm, nicht diesem Ding! Er durfte nicht scheitern!


    Er würde jeden Preis zahlen, damit er sie wieder in seine Arme schliessen konnte. Doch irgendetwas hinderte ihn daran… Egal, was er versuchte, die unsichbare Wand blockierte seine Verbindung zu der Quarr’va und die Distanz dadurch unüberbrückbart.


    Irgendwann erwachte er schliesslich. Er spürrte, wie sein Körper bebte. Das Herz pochte mit unglaublicher Geschwindikeit, kalten Schweiss nässte seinen Körper. Er wollte sich aufsetzten, doch schien er gelähmt. Er konnte weder Arme noch Beine bewegen, ja, sogar nicht einmal die Augen schliessen. War er erneut in einem bösen Traum gefangen?


    Das unbändige Verlangen nach dem sanften Kuss des Lunaïns gab ihm schliesslich die Gewissheit, dass er sich in der Wirklichkeit befand. Wie eine lodernde Feuerwalze überollte ihn die Sucht und liess jeden Muskel zusammenzucken, der noch Fähig war, sich zu bewegen. Unglaubliche Schmerzen frassen sich durch seinen Körper und seinen verwirrten Geist. Gnadenlose Verzweiflung überkam ihn. Es war, als fehle ihm einen Teil seiner Seele. Eine tiefe Traurigkeit erfüllte seine Gedanken, während sein Körper brannte, als würde er bei lebendigem Leib geröstet. Er musste Weg! Er brauchte Lunaïn! Sein Körper fühlte sich an, als würde er zerbechen und in tausend Teile zersplittern, sollte er sich die Droge nicht bald injizieren können. Die Verzweiflung wandelte sich langsam in Angst. Was geschah, wenn er nicht bald eine Dosis bekommen würde? Wieviel Zeit ist seit der letzten Injektion vergangen? Jede Sekunde fühlte sich wie eine Ewigkeit an. Und mit jeder Sekunde stieg die Angst, dass sein Organismus den Entzug nicht länger aushalten würde – dass er sterben würde. Doch er lag da, unfähig, sich zu bewegen. Sein Körper drohte im Angesicht der gewaltigen Anspannung zu zerreisen, aber Anton wollte nicht einfach Aufgeben. Ihm war bekannt, dass der Lunaïn-Entzug schnell tödlich endete, aber er konnte nicht einfach gelähmt darniederliegen und auf seinen Tot warten.


    Gewöhnlicherweise wäre ein Mensch in seinem Zustand bereits ins Delirium gefallen. Auch wenn er das selbst nicht wusste, war er nur einen kleinen Schritt vom Tode entfernt, doch etwas hielt ihn am Leben – und bei Bewustsein.


    Bewegungsunfähig, versuchte Anton sich seiner Lage zu vergewissern. Sein Körper musste an einer metallenen Konstruktion festgeschnallt worden sein, den er spürrte, wie sein Körper gegen eiskalten Stahl gepresst wurde. Am ganzen Körper zitternd, untersuchte Anton seine Umgebung. Er hing inmitten eines grossen Raumes der von kaltem, diffusem Licht erfüllten wurde. Fremdartige Instrumente warfen blasse, düstere Schatten. Den Wänden entlang befanden sich blutverkrustete Tische aus schwarzem Metall, welche als Ablage für bedrohlich wirkende chirugische Werkzeuge, Gläser mit fragwürdigen, milchigen Flüssigkeiten und deformierten Stücken organischen Materials dienten.


    Neben den körperlichen Qualen des Lunaïn-Entzugs, löste der Anblick dieser fürchterlichen Kammer ein weit diskreteres, aber nicht minder schrecklicheres Gefühl aus.


    Er versuchte erneut, seinen Körper zu bewegen, musste aber feststellen, dass er wirklich vollkommen gelähmt war. Er spürte dafür aber eine Vielzahl von Kanülen, die offenbar in seinem Rücken steckten und durch die unbekannte Lösungen über verschiedene Infusionspumpen, die seitlich neben ihm an dem Gerüst, an dem er gefesselt war, montiert waren, in seinen Organismus gepumpt wurden. Dem gequälten Inquisitor war nicht klar, wie oder warum, aber es schien logisch, dass diese Medikamente wohl für seine Lähmung verantwortlich war. Und dafür, dass er trotz den unglaublichen Schmerzen bei vollem Bewusstsein blieb.


    Anton wusste nicht, wie lange er sich schon in dem Raum befand. Vielleicht nur Minuten, vielleicht auch Tage. Er hatte ausser den unendlichen Schmerzen und der immer stärker werdenden Verzweidlung beinnahe jedes Gefühl verloren. Irgendwann trat eine düstere Gestalt vor ihn. Schon alleine ihre Anwesenheit löste in Anton panische Angst aus. Dieses Wesen war etwas unglaublich altes, unglaublich boshaftes. Eine Aura von Schmerz und abgründiger Verachtung erfüllte den ganzen Raum.


    Die makabere Erscheinung schien ein groteskes Zerrbild der Eldar zu sein. Die langen, schlanken Gliedmassen hingen schlaff an seinem Körper hinunter, der von einer spinnenartigen, technischen Konstruktion getragen wurde. Der geschwärzte Stahl war fest mit dem Xenos verbunden und schien die Wirbelsäule zumindests teilweise zu ersetzten. Drei Paare unglaublich feiner, metallener Glieder, lugten unter dem schweren Mantel hervor, der den geschundenen Leib des Eldars grösstenteils verbarg. Sie dienten wohl als ersatz für die vertrockneten, leblosen Arme. Das blasse Gesicht wirkte völlig entseelt, während sich nicht die geringste Gefühlsregung darauf abzeichnete. Die vollständig geschwärzten Augäpfel starrten Anton leer an.


    In vollkomener Stille kam die furchteinflössende Gestalt näher. Dann begannen die sechs grazilen Gliedmassen sich mit grosser Geschwindikeit zu bewegen, während der Eldar mit Anton mit seiner ausdruckslosen Mine noch immer anstierte.


    Anton spürrte den Schmerz, als die dünnen Injektionsspitzen und Skalpelle, die anstelle von Finger das Ende der metallenen Arme zierten, in seinen Körper eindrangen. Unbekannte Chemikalien schossen durch seinen Körper und lösten weit schlimmere Schmerzen aus, als er es je für möglich gehalten hätte. Schlimmer noch als den Entzug des Lunaïns.


    Dennoch blieb er bei vollem Bewussstein. Dieses Geschöpft wusste genau, was es tat. Es ergötzte sich an seinem Leid. Es sorge willentlich dafür, dass er jeden Stich, jeden Schnitt und jede der fremdartigen Substanzen, die seine Organe zu zerfressen schienen, in vollem Ausmass spüren musste.


    Der grässliche Eldar führte seine Arme an Antons Schulter, dort wo er seinen Arm verloren hatte. Er spürte jede kleinste Bewegung der Klinge, als der Eldar seine Nervenbahnen freilegte und das inzwischen relativ gut verheilte Gewebe langsam abschabte, um den Knochen freizulegen.
    Anton wollte die Augen schliessen, doch verweigerte sein Körper noch immer den Gehorsam. Langsam übernahm der Wahnsinn seinen Verstand. Von unvorstellbaren Qualen gepeinigt, hörte er Ashenya rufen. Ihre Stimme war dumpf und unendlich weit entfernt. Doch Anton war sich sicher, dass sie ihn beruhigen wollte. Irgendetwas von ihr war noch immer bei ihm. Auch Ashenya vermochte nicht, sein Leiden zu lindern, doch irgendwie schaffte es ihr kaum hörbares flüstern, zu verhindern, dass der Schmerz seine Seele ausradierte. Wenn Ashenya bei ihm war, würde er jeden Schmerz ertragen können. Solange sie bei ihm war, würden all die Qualen, die er ertragen musste, ihn höchstens stärker werden lassen. Jede noch so schreckliche Erfahrung würde den steinigen Weg, den er zu gehen beschlossen hatte, etwas erleichtern.


    Nach einer gefühlten Unendlichkeit im fibrigem Wahn wandte sich der fahle Eldar von Anton ab und begab sich zu einem der schmutzigen, unaufgeräumten Tischen im hinteren Teil der Kammer. Nur einen kurzen Moment darauf kam er mit einer grünlichen, fleischigen Masse zurück, die er mit einem der metallenen Klauenarme wie ein kranker Kadaver vor sich her trug. Zu Antons entsetzen legte er die Masse direkt an den Armstumpf, an dem sich der Eldar vorher zu schaffen gemacht hatte. Als sei sie eine eigene Lebensform, frass sich einen Teil der Masse sofort in Antons Körper hinein. Er spürte, wie sich millionen kleinster Haken in sein Gewebe gruben und mit seinem Fleisch verschmolzen. Es fühlte sich an, als würde seine Schulter in Säure getaucht. Der Eldar injizierte dann eine gelbliche Flüssigkeit in die organische Masse, die begann, sich zu winden und umzuformen. Anton spürrte jede Bewegung dieses Etwas, als sei es schon immer einen Teil seines Körpers gewesen. Die Schmerzen, während sich die Substanz veränderte, waren für den menschlichen Verstand nicht mehr begreiffbar. Nur die Gewissheit, Ashenya bei sich zu wissen, hielt Anton davon ab, den Verstand zu verlieren.


    Dann endlich betätigte sein Peiniger einen Mechanismus, der die Zusammensetztung der Stoffe änderte, die in Antons Körper gepumpt wurden. Sein Körper wurde nicht mehr länger künstlich bei Bewusstein gehalten. Seine Sicht verschwamm angesicht all des Schmerzens. Endlich. Er wusste, dass seine Erlösung nah war. Dann fiel er ins Koma.


    Verworrene Visionen und böse Träume suchten Anton heim, während er an der Schwelle zwischen Leben und Tod stand. Erneut erblickte er Ashenya, umgarnt von schleimigen Fangarmen, die langsam mit ihrem Körper verschmolzen. Wieder rief sie ihm etwas zu, dass er nicht zu verstehen in der Lage war. Irgendwann verschwand der psionische Wirbelsturm, in dem Ashenya gefangen war, und Anton fand sich in einem unendlich langen Korridor wieder. Eine Gestalt mit einer schlichten, eisern glänzenden Servorüstung schritt auf ihn zu, in der Hand ein gewaltiges Richtschwert. Er musste fliehen, doch konnte er sich nicht bewegen. Er blickte an seinem Körper hinab und erkannte, dass die grünlich-schleimige Masse, die seinen Arm ersetzte, mit dem Boden verwachsen war. Die Gestalt trat näher.


    »Xenosphiler. Mutant. Verräter«, keuchte die Gestalt.


    Anton verfiel in Panik. Doch er konnte sich dem drohenden Schicksal nicht entwinden. Er war durch seinen Arm an Ort und Stelle gebunden und musste das Urteil über sich ergehen lassen.


    Als der Angreifer mit seinem Schwert zuschlug, tauchte ein alles erhellendes Licht auf. Es blendete Anton, so dass er nicht mehr als gleissendes Weiss sah. Eine ganze Weile schien er in dem Licht zu schweben, ehe eine riesige Getsalt erschien. Aus ihrem Rücken ragten mächtige Engelsschwingen, über seinem Kopf leuchtete ein flammender Strahlenkranz. Die langen, schwarzen Haare wallten in einem überirdischen Wind.


    Anton erkannte die Gestalt sofort. Der Imperator – oder zumindest das Bild, das die Ekklesiarchie für gewöhnlich von ihm beschwor. Die Erscheinung schwebte eine ganzen Moment lang vor ihm und schaute ihn mit durchdringendem, aber weichem und mitleidvollem Blick an. Er hatte bisher noch nie vom Imperator geträumt. Trotz allem, das Anton erlebt hatte – oder vielleicht gerade deswegen – glaubte er fest daran, dass der Imperator nichts weiter war, als eine Gallionsfigur, die der Menscheit ein Ziel gab, für das es sich zu leben lohnte. Anton erinnerte sich an Konstantijn, den er kurz zuvor erst kennengelernt hatte. Er war die Art Mensch, wieso Anton die Sache des Imperators immer unterstützt hatte: Alleine der Glaube an den Imperator, an das Gute, brachte Konstantijn dazu, das richtige zu tun. In einer Galaxie, in dem es kaum möglich war, richtig und falsch zu unterscheiden. Doch auf der anderern Seite war es auch der Glaube an den Imperator, den ihn in diese Lage gebracht hatte. Den Ashenya das Leben gekostet hatte.


    Trotz seiner herätischen Geisteshaltung war Anton dann aber ernsthaft entsetzt, als sein Traum-Ich die Gestalt vor ihm verächtlich anbrüllte.


    »Du hast mich verlassen! Du hast mir alles genommen!«, fuhr er die Gestalt an, ohne dass er Kontrolle über Verstand oder Körper hatte.


    Das Antlitz des Imperators reagierte nichteinmal darauf. Es schwebte einfach reglos vor Anton, die Augen auf ihn fixiert. Er spürrte etwas, eine Art Gefühl, das ihn beschlich. Alles war schrecklich aus dem Gleichgewicht geworfen worden. War ihm diese Imperator-Figur erschienen, um ihm mitzuteilen, dass er das, was geschehen war, hinter sich lassen sollte? Dass er neu anfangen sollte?


    »Jenseits des Meeres…«, hörte Anton eine Stimme flüstern. Dann, völlig unvorbereitet, gellte ein verzweifelter Schrei durch die Szenerie. Ein Schrei, den Antons Herz in Sekundenschnelle zeriss.


    »LASS MICH NICHT ALLEIN!«


    Anton schreckte auf. Noch nie hatte er Ashenyas Stimme mit solch panischer Angst hören müssen. Er war schlagartig aus seinen wahnhaften Träumen gerissen worden. Sein Herz schlug wild pochend und sein Atem war kaum mehr als ein kurzes, nervöses keuchen, als er sich seiner Umgebung bewusst wurde. Er fand sich auf einer harten Liege wieder, zugedeckt von einem hauchfeinen, dunkelvioletten Seidentuch. In dem Zimmer, das von einer Art Kristall in diffuses, blau-grünliches Licht getaucht war, befanden sich zwei andere Personen. Die Wände als auch die spartenischen Möbel bestanden aus einem fremdartig flimmernden Material, das einer Mischung aus Glas und Metall glich.


    Benommen richtete er seinen Blick auf die Gestalten neben ihm. Seine Augen brauchten einen Moment, ehe sie sich an die unnatürlichen Lichtverhältnisse angepasst hatten.


    »Endlich, du bist wach!«, vernahm Anton eine ihm vertraute Stimme. Hector. Also war er in Sicherheit.


    Antons treuer Gefolgsmann stand direkt neben dem Bett, ihm sorgevoll zugewandt.


    »Was… ist geschen… was ist mit den Eldar?«, keuchte Anton erschöpft. Er war völlig ausgelaugt und schläfrig, fühlte sich aber vergleichsweise gut. Der rechte Arm war etwas taub, als hätte er sich im Schlaf einen Nerv eingeklemmt. Sein Geist war klar. Das Gift, das seinen Verstand gemartert hatte, war aus ihm hinausgepresst worden. Weder spürrte er den verzehrrenden Hunger nach der erlösenden Liebkosung des Lunaïns, noch waren seine Gedanken durch die Droge vernebelt. Den Verlust Ashenyas und das Trauma, das er erlitten hatte, warteten für den Moment in seinem Inneren, um ein anderes Mal erneut mit unglaublichem Schrecken hervorzubrechen. Die jetzige Situation erforderte aber Antons ganze Aufmerksamkeit, so dass das dunkle Trübsal vorerst ruhig schlummerte.


    »Die Eldar?«, erklang eine sanfte, melodiöse Stimme, die Anton bisher unbekannt war. »Wenn du die Drukhari meinst; du bist noch immer ihr Gast.«


    Die angenehm weiche Stimme gehörte zu einem Eldar, der offenbar mit Hector an Antons Bett gewacht hatte. Der Xenos war wie die anderen seiner Art hochgewachsen und schlank, hatte jedoch eine dunklere und ungewöhnliche furchige, wettergegerbte Haut. Seine hellen blonden Haare wirkten beinnahe Weiss und seine orangen Augen strahlten grosse Weissheit aus. Er trug ein schlichtes Gewand aus grob gewebten Stoff, dass rissig und zerschlissen war.


    »Drukhari? Wer bist du?«, wandte sich Anton an den Xenos. Einerseits wusste er, dass Hector sie beide beschützen konnte, andererseits verunsicherte ihn, dass er nicht wusste, wo sie waren und in welcher Lage sie sich befanden.


    »Kayrel vom Stamme der MaerLir«, antwortete der Eldar. »Ich stamme von Ghenarys, einer Welt abseits eures Imperiums. Meine Vettern drangen in meine Heimat ein, um die Drachen zu bejagen. Das konnte unser Stamm nicht zulassen…«. Kayrel seufzte. »Jetzt bin ich hier, versklavt von meiner eigenen Art. Ohne Aussicht auf Erlösung.«


    »Die Eldar führen Krieg untereinander? Was hat das mit uns zu tun?!«, wollte Anton wissen. Normalerweise wäre er an der Geschichte des Aliens durchaus interessiert gewesen, doch musste er erst herausfinden, was passiert ist. Was Wirklichkeit und was Traum gewesen war. Hat ihm das Lunaïn vielleicht einfach den Verstand geraubt?


    Hector versuchte schliesslich, Anton über das wichtigste aufzuklären.


    »Emanuel hat einen Pakt mit den Eldar dieser Welt geschlossen«, begann er. »Sie nennen sich Drukhari. Es sind durch und durch abscheuliche Xenos, beim Imperator! Aber sie haben dich zurückgebracht… Kayrel wurde uns als eine Art Diener zugewiesen, weil er unsere Sprache spricht.«
    »Und weil ich als Eldar kaum eure Interessen teilen würde, solltet ihr euch gegen die Kabale wenden«, ergänzte Kayrel.


    Anton stellten sich hunderte Fragen. Ehe er aber auch nur eine davon stellen konnte, erinnerte er sich an die alptraumhafte Behandlung, der er ausgesetzt war. Er ertastete mit seiner Linken den anderen Arm, der sich noch immer etwas dumpf anfühlte. Mit erschrecken, erstaunen und erleichterung zugleich, fühlte er seinen zuvor verlorenen Arm. Er war vollständig wiederhergestellt. Seine Haut fühlte sich ungewöhnlich rau an, der Arm sah aber exakt so aus, wie ein ganz gewöhnlicher Arm aussehen sollte.


    »Du warst lange Zeit bewustlos, Anton«, sagte Hector beinnahe vorwurfsvoll.


    »Etwa sechs Tage in eurer Standardzeit«, ergänzte Kayrel.


    Anton spürte eine unangenehme, aufkommende Angst. Sechs Tage waren nicht allzulange, trotzdem konnte in diesen sechs Tagen alles Mögliche geschehen sein.


    »Wo ist Jek?«, fragte er, wissend, dass Emanuel den Metzger mit Sicherheit nicht bei sich behalten hatte.


    »Er ist im Zimmer nebenan. Bewacht Ashenya…«, antwortete Hector.


    Der Namen seiner Liebsten zu hören, zeriss Anton das Herz. Er hatte ihren Tod nie verarbeiten können, ist den quälenden Gedanken entflohen. Aber er wollte ihren Tod auch gar nicht verarbeiten. Sie war noch immer da, irgendwie. In seinen Träumen, in seiner Seele. Und diese Xenos hatten eindrücklich bewiesen, dass sie zu weit mehr Fähig sind, als selbst der Adeptus Biologis je sein könnte. Wenn auch zum Preis gnadenloser Schmerzen und unglaublicher Pein. Es war möglich, Ashenya zurückzuholen. Er würde sie zurückholen, egal, zu welchem Preis! Er konnte sie nicht den dämonischen Tentakeln überlassen, welche sie zu verzehren drohten.


    »Ich muss mit deinem Anführer sprechen, Eldar«, wandte sich Anton ungewollt herrisch an Kayrel.


    »Das ist nicht mein Anführer«, gab dieser zurück, ein gequältes Lächeln auf den Lippen. »Du hast keine Ahnung, mit wem du es zu tun hast. Du hast keine Ahnung von der Kultur der Drukhari. Du weisst rein gar nichts. Ich habe dich sechs Tage lang – zusammen mit Hector – bewacht und gepflegt. Und du denkst, du kannst einfach so Aufstehen und der Azrushar deine Forderungen vortragen?«


    »Ich…«, stotterte Anton, der sich eigentlich durchaus bewusst war, das sein Rang als Inquisitor hier keinerlei Bedeutung hatte.


    »Keine Sorge, Cresistauead«, erwiderte Kayrel sanftmütig. »Mein Stamm teilte die weiten Ebenen von Ghenarys mit besonders primitiven Mitglieder eurer Rasse. Ich bin es mir gewöhnt, mit eurer unflätigkeit Umzugehen. Ich verurteile dich nicht für das, was du bist. Aber beweise deine Würde, in dem du meinem Rat gehör schenkst. Und ihn zu Herzen nimmst.«


    Hector nickte bestimmt. »Der Xenos ist unser Freund. Verdammen soll mich der Imperator, aber er ist ein Freund, den wir zur Hölle nochmal brauchen können.«


    »Wieso hilfst du uns?«, fragte Anton den Eldar.


    »Wieso? Braucht es ein wieso?«, antwortete Kayrel. »Nun, einerseits, weil die Drukhari mich dazu zwingen. Andererseits – meine Seele ist für immer verloren. Sie haben meinen Seelenstein zerschmettert. Aber ihr Menschen könnt das nicht verstehen. Ich habe nichts mehr zu verlieren. Wieso sollte ich meine verbliebene Zeit dann nicht dafür geben, denen zu helfen, die noch Hoffnung haben?«


    Anton hörte genau zu. Er wusste aus den Archiven der Inquisition ein wenig über die Eldar. Und auf Emanuels Schiff hatte er begrenzt Kontakt zu zwei Vertreter ihrer Spezies. Doch dieser Xenos war anders. Er schien fast schon menschlich.


    »Erzähl mir von deinem Stamm. Er ist nicht so, wie die anderen Eldar, nicht wahr?«, fragte Anton nach.


    »Es schmerzt mich, an die MaerLir zu denken. Aber du hast Recht. Fast. Es sind die anderen Aeldari, die nicht sind, wie wir. Wir sind die wahren Erben unseres Volkes. Die Exoditen. Wir haben den Stolz und die Würde unserer Ahnen bewahrt, während sich die Drukhari der Dekadenz hingaben und die Aeldari der Weltenschiffe uns im Stich liessen.«


    Anton war fasziniert. In nur wenigen Sätzen hatte er mehr über die Eldar gelernt, als er aus den Xenologie-Büchern der Inquisition je hätte lernen können. Er verachtete die Ignoranz des Imperiums und bedauerte, dass er so lange treu dem Imperator gedient hatte. Hätte er sich früher vollständig von den strengen Dogmen abgewendet, würde Ashenya jetzt vielleicht noch leben. Sie würden gemeinsam für das Wohl der Menscheit kämpfen, vielleicht auf sich alleine gestellt, vielleicht mit Gleichgesinnten. Vielleicht sogar mit fremden Xenos. Aber der Hass und der Fanatismus, mit der die Galaxie von Terra aus regiert wurde, liessen dafür keinen Platz.


    Sie redeten noch eine ganze Weile weiter. Hector hatte nach ihrer Ankunft bald sein Misstrauen gegenüber Kayrel abgelegt, nachdem er gesehen hatte, mit was für Sorgfalt sich das Alien um Anton gekümmert hatte. Während die beiden über Anton gewacht hatten, schlossen sie sogar eine richtige Freundschaft. Ob dem so gewesen wäre, wäre Kayrel nicht „für immer verloren“ gewesen, konnte Anton nicht sagen, aber auf jeden Fall war es gut, sowohl Hector als auch den Eldar bei sich zu wissen.


    Die Situation, in der sie sich befanden, war weniger Erfreulich. Anton konnte nicht alles, was Kayrel sagte, genau einordnen, aber offenbar waren sie in Dalrailac, einem „Schattenreich“ nahe der Hauptstadt der Eldar, die sich Drukhari nannten. Sie waren eine Fraktion der Eldar, die sich nach einer gewaltigen Katastophe vor etlichen Jahrtausenden abgespalten hatten. Ihre Gesellschaft war von Hinterlist, Ausschweifung und Brutalität geprägt. Das Leben hatte für sie keinerlei Wert, dennoch verfügten sie über mächtige Technologien, die nahezu alle Grenzen der Natur problemlos durchbrechen konnten. Antons Arm war durch eine solche Technologie wiederhergestelt worden. Dalrailac wurde von einer Kabale beherrscht, einer verworrenen Gesellschaft die an eine Mischung aus Kriegerorden, mystischem Kult und Adelsgeschlecht erinnerte. Der Anführer der Kabale wurde die Azrushar genannt und war ein mächtiger Kriegherr, der offenbar aus dem ältesten Eldar-Adel stammte. Er war auch die Person, mit der Emanuel in Kontakt stand.


    Die Drukhari brachten den Menschen jedoch nur verachtung entgegen. Anton fragte sich, wie und warum Emanuel überhaupt Handelsbeziehungen mit dieser schrecklichen Abart der Eldar unterhalten konnte. Alleine in dem Palast, in dem Anton und seine Gefährten mehr Gefangene als Gäste waren, wurden unzählige Menschen als Sklaven gehalten und kaum besser als niedrige Tiere behandelt. Sie wurden einzig alleine zum Spass geschlagen, gedemütigt, gequält und sogar ermordet.


    Vielleicht hatte Emanuel diesen Ort nie selbst gesehen; vielleicht gab es eine Art Forum, in dem die Drukhari ihre Geschäfte abwickelten und wo sie ihre sadistische Natur verstecken konnten? Anton hoffte innig, dass dem so war. Hätte Emanuel um all diese Gräueltaten an unschuldigen Bürgern des Imperiums gewusst und sich trotzdem mit den Drukhari zusammengetan, wäre er unweigerlich ein Verräter gewesen. Nicht nur ein Verräter am Imperium, sondern an der Menscheit höchst selbst.


    Es würde schwierig werden, einen Handel mit den rücksichtslosen, sadistsischen Xenos zu schliessen. Aber er musste alles tun, was in seiner Macht stand, um seine Liebste zu retten. Sollte das gelingen – und es musste gelingen – konnte er sich noch immer Gedanken über seine Artgenossen machen. Vielleicht konnte er ja sogar zusammen mit Emanuel einen Weg finden, sie freizubekommen.


    Es widerstrebte Anton, sich als Bittsteller an die Azrushar zu wenden, doch war dies seine einzige Hoffnung, Ashenya zurückzuholen. Ohne Verbündete war er ohnehin nicht in der Lage, den bedauernswerten Seelen zu helfen, die von den Xenos versklavt worden waren. Er durfte Ashenya nicht noch einmal verlieren – nicht aufgrund naiver Ideale.

  • II


    Anton wachte schweissgebadet auf. Er hatte wieder von Ashenya geträumt. Und von der Unbeschreiblichkeit, die sie langsam verschlang.


    Aus einem Belüftungsschacht an der Zimmerwand zog ein kühler Luftzug durch den Raum. Die Kristalllampen brannten noch immer und tünchten ihn -wie am Abend zuvor - in seltsames, unnatürliches Licht.


    Obwohl Anton sechs ganze Tage bewustlos gewesen war, hatte sich sein Körper nur halbwegs von der qualvollen Behandlung durch die Drukhari erhohlen können. Schon kurz nach dem intensiven Gespräch mit Kayrel, war der Inquisitor wieder geschwächt in einen unruhigen, wenig erholsamen Schlaf gesunken. Ständig heimgesucht von den schrecklichen Visionen seiner Geliebten, deren Seele schutzlos den Dämonen des Warp ausgeliefert war.


    Anton richtete sich langsam auf und tastete seine Liege ab. Erst nach einigen Sekunden realisierte er, dass er instinktiv nach einer Lunaïn-Spritze oder wenigstens einer Flasche Hochprozentigem gesucht hatte.


    Von sich selbst angewidert stoppte er unverzüglich die ohnehin sinnlose Suche und schüttelte enttäuscht den Kopf. Die Drukhari hatten seine Abhängigkeit zwar kuriert, aber gewisse Gewohntheiten, die er sich in letzter Zeit angeeignet hatte, hielten sich offenbar hartnäckig.


    Er war erschöpft und müde. Sein Verstand funktionierte aber wieder wie vor dem Zwischenfall, frei vom Einfluss des Lunaïns. Leider bedeutete das auch, dass die schwarze Düsternis zurück war, die er mithilfe der Droge zu vertreiben versucht hatte. Ashenya war ermordet worden. Ermordet aufgrund der Gesetzte des Imperiums. Des Imperiums, dem er sein Leben lang gedient hatte. Als ob das nicht bereits genug war, hatte er dabei seine psionische Begabung verloren und wurde taub für die Dimension des Immateriums.


    Es machte im Grunde wenig Sinn, denn ohne psionsiche Fähigkeit war es unmöglich, in den Warp zu schauen. Ttrotzdem war Anton sich aber sicher, dass seine Träume eine Art letzte Verbindung zur der Welt jenseits der ihren, bildeten. Die Visionen von Ashenya deutete er als einen verzweifelten Hilferuf, der ihr äusserst feinfühliger Geist an ihn richtete – ihn, den weit mehr mit Ashenya verbunden hatte, als nur Freundschaft.


    Alleine dieser Gedanke schmerzte gewaltig. Ashenyas Tod war eine Tragödie. Dass ihre Seele aber offenbar schreckliche Qualen erleiden musste, war ungleich schrecklicher. Doch es waren auch diese düsteren Gedanken, die Anton dazu antrieben, alles zu geben, um Ashenya zurück zu holen. Ihre Seele war nicht verloren. Sie konnte zu ihm zurückkehren. Und die Drukhari waren wahschreinlich der Schlüssel dazu.


    Langsam erhob sich der Inquisitor von seinem Bett. Seine Augen hatten sich bald an das diffuse Licht gewöhnt und so fand er einen Stapel säuberlich zusammengelegter Kleider gleich neben seiner Liege. Es waren diesselben, die er bei ihrer Ankunft getragen hatte. Während sich Anton ankleidete, bemerkte er sofort einen intensiven Moschus-Geruch, der den edlen Stoffen anhaftete. Offenbar hatten seine Gastgeber die Kleider gewaschen, während er Bewustlos darnieder lag. Das Parfüm war für Antons Geschmakt viel zu stark und löste bei ihm eine leichte Übelkeit aus. Er hoffte, sich bald daran zu gewöhnen. Ansonsten würden die kommenden Tage noch schlimmer, als sie ohnehin waren.


    Auf einer anderen Pritsche an der gegenüberliegenden Wand schlief Hector. Er hatte sich wörtlich an seinem Granatwerfer festgekrallt, machte ansonsten aber einen ungewöhnlich friedlichen Eindruck. Der ehemalige Soldat hatte anonsten einen unruhigen Schlaf, der kaum mehr als einem leichten dösen entsprach.


    Anton entschied, seinen Freund nicht zu wecken und schlich sich förmlich zu der hohen Türe, die aus dem spärlich ausgestatteten Zimmer führte.


    Sie war nicht abgeschlossen und liess sich ohne viel Kraftaufwand öffnen. Dahinter befand sich ein weiter Korridor, der durch schwaches Licht erhellt wurde. Die Temperatur war niedrig, so dass Anton fröstelte. Der Korridor hatte kein Dach und ermöglichte, einen Blick auf den Himmel zu richten. Was der Inquisitor sah, liess ihn nachdenklich die Stirn runzeln. Er sah keine Sterne. In der schwarzen Dunkelheit, die sich über ihm ins unendliche erstreckte, glühte lediglich eine gigantische Sonne, die viel näher schien, als es physikalisch hätte möglich sein sollen.


    Anton trat in das fahle, blau-grüne Licht des bedrohlich wirkenden Himmelskörpers, spürte aber keine Wärme. Der Himmel über ihm war leblos, ausgestorben, als wäre dieser Ort der einzige im ganzen Universum. Trostlose Gedanken trübten seine ohnehin düstere Stimmung noch weiter.


    Er schritt planlos den Korrior entlang. Da es keine Fenster gab, konnte er nur den schwarzen Himmel und die blasse Sonne sehen. Gerne hätte er das Umland der Palastanlage gesehen und mehr über diesen merkwürdigen Ort erfahren, der der Bezeichnung Schattenreich alle Ehren machte.


    Nachdem er den Gang ein paar Mal einsam auf und ab geschritten war, entschied er sich, Jek zu besuchen. Seit ihrer Ankunft hatte er seinen Gefährten nicht mehr gesehen, doch hatte Hector erwähnt, dass er in der Kammer nebenan einquartiert worden war. Zusammen mit Ashenyas Sarg.


    Anton war unsicher, ob es eine gute Idee war, Jeks Zimmer zu betreten. Er wusste nicht, wie er reagieren würde, wenn er direkt mit Ashenyas Tod konfrontiert werden würde. Besonders jetzt, mit klarem, nüchternen Verstand.


    Trotz aller Bedenken begab er sich schliesslich zu dem Raum, in dem er Jek vermutete. Ehe er an die Türe klopfen konnte, wurde sie bereits von Innen her geöffnet. Gerötete Glubschaugen starrten ihn freudig an. In der Türe stand Jek, dessen fettleibiger, untersetzter Körper kaum in dem schmalen, hohen Eingang platz hatte. Speichel tropfte aus seinen Mundwinkeln.


    »Väterchen ist wieder da!«, grunzte er enzückt. »Ich habe deine Schritte gehört! Ja das hab ich!«


    Anton schmunzelte. Trotz seinem abstossenden Äusseren und seiner gestörrten Persönlichkeit, war Jek doch auf eine spezielle Art liebenswert.


    »Und wie willst du wissen, dass es meine Schritte waren?«, bemerkte Anton neckend.


    »Weisst du, Väterchen, die Spitzohren bewegen sich viel leichfüssiger… Haben weniger Gewicht… und die armen Vögelchen in Ketten, die haben einen schleppenden Trott.«


    Anton nickte. Natürlich erkannte Jek die Schritte. Trotz aller seiner Fehler und Unzulänglichkeiten hatte er ein hervorragendes Gehör und die Wahrnehmung eines voll gerüsteten Astartes-Krieger.


    »Die Menschen hier sind keine Vögelchen«, wies Anton seinen Freund zurecht. »Ich weiss nicht, was sie getan haben, aber sie haben nicht verdient, von den Xenos versklavt zu werden. Wir werden sie nicht singen lassen – hast du verstanden?«


    »Jaja, verstanden«, erwiderte Jek hörbar entäuscht. Dann murmelte er undeutlich etwas vor sich hin. »…aber sie sind in Ketten… Ketten… Nur böse Menschen legt man in Ketten…«


    Anton liess es dabei. Er kanne Jek gut genug, um zu wissen, dass er seine Anweisungen befolgen würde. Abgesehen davon war es völlig unmöglich, dem Foltermeister den Unterschied zwischen Gut und Böse zu erklären. Jek sah andere Lebewesen grundsätzlich nur als Spielzeug. Alles andere waren ihm eingetricherte Regeln, die er sich zwar merken konnte und die er meistens auch befolgte. Doch wirklich verstehen, konnte er sie nicht.


    »…kann ich hereinkommen?«, fragte Anton zögerlich. Erneut zweifelte er daran, ob er wirklich zu Ashenya wollte. Zu ihrem Sarg.


    Jek nickte wortlos und bat Anton mit einer Geste hinein.


    Die Kammer war ebenso wie Antons Zimmer mit einer Art Kristalllampe beleuchtet. Ein kleines Bett stand unbenutzt in der hinteren Hälfte. Jek hatte wohl wieder einmal am Boden genächtigt. Die Kyrokapsel, in der Ashenyas Körper aufbewahrt wurde, stand etwa mittig in der trostlosen Zelle.


    Anton schritt langsam darauf zu. Er wünschte sich, dass sich die Kapsel öffnen und Ashenya unbeschadet daraus emporsteigen würde. Als er vor dem Sarg angekommen war, legte er seine wiederhergestellte rechte Hand darauf und streichelte das kalte Metall.


    Seit er das letzte Mal mit Ashenya gesprochen hatte, hatte sich alles verändert. Durch ihrem Tod hatte er beschlossen, sich vom Imperium abzuwenden. Ausserhalb des Imperiums zu operieren – den Menschen zu helfen, so gut er konnte, auch wenn das bedeuten würde, das Imperiale Gesetzt zu brechen. Vielleicht konnte er wirklich etwas Neues schaffen. Etwas wahrhaft Gutes, Rechtschaffendes. Doch er brauchte dazu Unterstützung. Er brauchte Ashenya, damit er sich nicht selbst verlor. Auch ohne psionische Fähigkeiten war der Weg ausserhalb des Imperiums gefährlich, denn auch die Wesen des Realraums waren gewieft und gnadenlos. Ohne den Imperator brauchte Anton eine andere Stütze, um all die alptraumhaften Schrecken zu bekämpfen, die die Menscheit bedrohten und ihn selbst heimsuchten. Er konnte sich dafür absolut niemand Anderes vorstellen, denn Ashenya.


    Ein Schleier aus Traurigkeit legte sich um Antons Geist. Würde es nicht gelingen, Ashenya zurückzuholen… Was würde er dann tun? Was bliebe ihm dann noch übrig? Vielleicht ein Märtyrertod für das Imperium; aber diese Option erschin ihm noch unsinniger als je zuvor. Vielleicht konnte er Hilfe bei Konstantijn holen? Aber würde das noch eine Rolle spielen, wäre Ashenya für immer verloren?


    Jek hatte Antons Trübsaal sofort gespürt. Auch wenn er die Gefühle Anderer nicht richtig zuordnen konnte, saugte er sie förmlich in sich hinein.


    »Väterchen…«, sagte er, während er sich dem Inquisitor von hinten näherte. »Willst du einen Menschen singen lassen?«


    Anton wirbelte herum. Er war einen kurzen Moment so in Gedanken versunken, dass er Jek ganz vergessen hatte und dieser dadurch etwas verloren neben ihm stand.


    Ob er einen Menschen singen lassen wollte? Ein grimmiges Lächeln huschte über Antons Gesicht. Einerseits war er fast gerührt, dass Jek ihm helfen wollte. Andererseits war der Vorschlag so unpassend, wie er nur hätte sein können. Doch immerhin riss er Anton aus seiner Grübelei.
    »Lass gut sein, Jek«, antwortete dieser und machte eine kurze Pause. »Wie gefällt es dir hier?«, entschied er dann, das Thema zu wecheln. »Was hast du über unsere Gastgeber in Erfahrung bringen können?«


    Jek begann ehrlich zu lächeln, als sich Anton ihm zuwandte.


    »Gefallen… gefallen… Ja, es gefällt mir hier! Jek hört das Singen. Aus den Wänden… Hier wird viel gesungen, hier drinnen! Aber ich mag die Spitzohren nicht. Flink. Stark. Kaum mehr als Muskeln. Sehr gefährlich. Ich rieche viele fremde Substanzen, wenn sie an mir vorbei gehen.«


    Anton nickte anerkennend. Jek war ebenso zuverlässig wie verrückt. Ob Mensch oder Xenos – alles, was ihn vom spielen abhalten konnte, war eine potentielle Gefahr. Und entgegen seinem anders anmutenden Aussehen, war er nicht nur ein begnadeter Foltermeister, sondern ein ebenso tödlicher Agent.


    »Wie viele Eldar sind hier?«


    Jek grinste. »Habe alles ausgekundschaftet. Sie haben mich gar nicht gesehen, hehe. In der Kammer gegenüber schläft das Spitzohr, das mit Hector plaudert. Am Ende des Ganges befindet sich ein Durchgang, an dem jeweils zwei Spitzohren mit Xenos-Gewehre wache halten. Etwa Dreizehn-einhalb Stunden. Dann kommen andere. Die letzten Tage haben mindestens sechs verschiedene Aliens sich abgewechselt, den Schritten nach zu beurteilen.«


    »Gut gemacht, Jek«, lobte Anton seinen Gefährten aufrichtig. »Gibt es noch andere Zugänge?«


    »Neeeeein«, quiekte Jek, der begonnen hatte, an seinen entzündeten, schmutzigen Finger herum zu kauen. »Nur… nur von Oooben. Kein Dach, Väterchen, kein Dach! Das hast du sicher gsehen.«


    »Ja, ja, das habe ich gesehen«, gab Anton zurück. Der offene Korridor war durchaus ein Problem. Sollte es zu einem Zwischenfall kommen, wären sie ausschliesslich in ihren Zellen sicher. Wenigstens schienen sie den Trakt nicht teilen zu müssen, abgesehen mit Kayrel, der jedoch einen anständigen Eindruck machte. Die ständige Wache vor dem Ausgang wies dagegen darauf hin, dass Anton und seine Freunde wahrhaftig mehr Gefangene denn Gäste waren.


    »Jek, egal was passiert, bleibe bei Ashenya«, befahl Anton mit Nachdruck. »Schütze sie, wie du mich beschützen würdest.«


    Jek legte den Kopf schräg zur Seite. »Wenn es das ist, was Väterchen wünscht…«


    »Ja, das ist es…«


    Anton blieb noch eine Weile bei Jek. Immer wieder blickte er Gedankenversunken zur Kyrokapsel, während sie sich über Belanglosigkeiten unterhielt. Irgendwann hörten sie, wie jemand den Korridor entlang schritt und die Sektion, in der sie sich aufhielten verliess. Es musste Kayrel gewesen sein. Wenig später gesellte sich Hector zu ihnen, der ebenfalls aufgewacht war. Er wirkte unruhig und getrieben. Jetzt, wo Anton wieder bei ihnen war, wollte er nicht mehr länger warten und endlich ihre Mission fortsetzen. Nach einem kurzen Austausch über die verganenen Tage, trat Kayrel zu ihnen ins Zimmer.


    »Das Mahl für den heutigen Tag«, murmelte er und stellte ein Tablar auf Jeks Bett. Darauf befanden sich drei kleine Schüsseln mit einer exotischen Sorte Reis. Dazu ein kleiner Topf mit einer dickflüssigen, herrlich fruchtig duftenen Sauce und ein grosser Topf mit einer vielzahl fremdartigen Beeren und Früchten. Anton erinnerte sich, dass er zumindest ein paar davon schon bei Emanuel gesehen hatte.


    »Bleibe doch, und esse mit uns«, lud Anton den Eldar ein, der sich bereits wieder zurückziehen wollte. Seine Miene war leer und düster. Die Nacht schien ihm nicht wohl bekommen zu sein.


    »Nun… Wir Exoditen ziehen Mässigung einem derart erlesenen Mahl vor«, erklärte Kayrel mit monotoner Stimme. »Aber wenn du bereits ein solches freundliches Angebot vorbringst, nehme ich gerne ein Paar von diesen.«


    Er griff nach zwei zitronengelben Früchten mit rauer Haut und äusserst weichem Fruchtfleisch, die etwas an faulende Äpfel erinnerten.


    »MalNamoth. Mild im Geschmak und sehr Gesund«, kommentierte der Eldar schulterzuckend, als er Antons interessierten Blick bemerkte. Dann verschwand er in Richtung seines Zimmers.


    Der Inquisitor, Hector und Jek bedienten sich an den servierten Speisen. Letzterer sehr zurückhaltend - als würde er damit rechnen, vergiftet zu werden.


    Die Mahlzeit schmeckte überaus gut. Jedes der Nahrungsmittel hatte einen intensiven, vielseitigen Geschmack und ergänzte die anderen hervorragend. Anton fühlte sich ungewohnt lebendig. Die erquickende Würze, die sanften Bitterstoffe und die fruchtige Süsse waren unvergleichlichg mit dem, was gewöhnlicherweise im Imperium an Nahrung verfügbar war.


    Auch wenn es angesichts ihrer verächtlichen Art irgendwie befremdlich wirkte, hatten die Drukhari ihre Kochkunst wahrlich mehr als nur gemeistert.


    Nach dem die drei ihre Mahlzeit beendet hatten, liess Anton seine Kameraden zurück und begab sich zu Kayrels Kammer. Er klopfte ruhig an die Türe und wartete, bis der Exoditen-Eldar sie öffnete. Es dauerte einen Moment, bis das Gesicht des Xenos im Türrahmen erschien. Er sah deutlich erholter aus als zuvor.


    »Ich muss unbedingt mit der Azrushar sprechen«, wandte sich Anton an Kayrel. »Ich gehe davon aus, dass liesse sich einrichten?«


    Der Eldar nickte. »Was mich angeht, denke ich, dass sowas bereits geplant ist. Ansonsten hätten sich die Drukhari kaum Zeit genommen, euch Menschen zu beherbergen. Sie hätten euch bei der ersten Gelegenheit weggeschickt… oder schlimmeres.«


    »Sind sie wirklich so bösartig, die Drukhari?«, fragte Anton nach.


    »Bösartig? Nun, sie sind verkommen und degeneriert. Aber bösartig? Sie sehen keinen anderen Sinn in ihrem Leben, als der eigenen Genusssucht zu fröhnen. Und sie geniessen den Schmerz und das Leid anderer. Aber ob sie darum böse sind… ich denke nicht. Zumindest nicht alle, und nicht in dem Sinne, in dem die Yngir oder Quass böse sind.«


    »Yngir? Quass?«


    »Uralte Wesen, die Einen schrecklicher als die Anderen. Aber das ist nichts, was einen Menschen interessieren würde – nichts, dass ihr mit eurem Verstand erfassen könntet.«


    Anton dachte sofort an die Wesen, die Necrons genannt wurden. Auch wenn er sie auf Ysraal VI vernichtet hatten, behauptete der Weltenwanderer Margil, es gebe noch unzählige davon. Und er nannte sie den alten Feind.


    »Necrons«, bemerkte Anton trocken.


    Kayrel war sichtlich überrascht und brauchte einen Moment, Anton zu antworten.


    »Du weisst über den alten Feind bescheid?«


    Anton bejahte. »Ich habe sie auf einer Welt des Imperiums bekämpft. Sie sind mit dem ganzen Planeten untergegangen…«


    »Im Namen der Götter. Dann ist es also soweit…«, flüsterte der Eldar düster.


    »Was ist soweit? Was weisst du über diese Xenos?!«, wollte Anton wissen. Er hätte selbst nicht erwartet, an diesem Ort mehr über diese Necrons zu erfahren, aber wenn es sich so ergab, dankte er dem Schicksal dafür.


    »Ich bin kein Weiser. Ich kenne nur die Legenden. Geschichten aus ältester Zeit. Es wird erzählt, dass die Necrons eines Tages zurückkehren würden. Dass sie erneut die Galaxie heimsuchen würden.«


    »Aber was sind diese Necrons genau?«


    »Wie gesagt, ich kenne nur die Geschichten. Ein altes Volk, älter als die Aeldari selbst. Sie werden kommen und alles Leben vernichten… Irgendwann. Wenn sie wahrlich zurückgekehrt sind, hiesse das, die Legenden sind wahr«


    Anton seufzte etwas enttäuscht. Kayrel wusste nicht viel mehr, als er selbst bereits erfahren hatte.


    »Wie dem auch sei«, wechselte er das Thema. »Kannst mir mehr über die Azrushar sagen?«


    Kayrel zog eine finstere Grimasse. Offenbar wäre es ihm lieber, über schreckliche Eldar-Legenden zu sprechen, als über den Anführer dieser Drukhari. Alleine das sagte Anton schon einiges.


    »Er ist der Archon der Kabale der dürstenden Viper«, begann Kayrel seine Erläuterung. »Seine Familie beherrschte diesen Teil des Drukhari-Reiches schon seit dem Fall. Das Haus Azrushatora gehört zum alten Adel und ist damit zumindest etwas berechenbarer als die aufstrebenden Drukhari der anderen Kabalen. Wenn du mit ihm sprichst, erwäge, ihn wie einen Gott zu ehren. Das würde ihm gefallen.«


    »Kann ich mich darauf verlassen, dass er zu seinem Wort steht?«


    Kayrel lachte laut.


    »Vertraue niemals einem Drukhari, Chem-Pan-Sey. Ihr verdrehtes Verständniss von Ehre hat keinen Platz für deine Art. Hast du deinen Wert verloren, gibt es nichts, was du noch tun könntest.«


    Anton überlegte. So wie er die Situation einschätze, musste die Azrushar irgendetwas von ihm wollen. Ansonsten wäre er kaum hier. Zumindest wenn er Kayrels Worten glauben schenken konnte.


    »Und was für einen Wert habe ich?«


    Kayrel zuckte mit den Schultern.


    »Ich hab keine Ahnung«, erwiderte der Eldar. »Wieso sollst du mehr Wert sein, als die anderen Chem-Pan-Sey? Ich weiss es nicht, aber ich kann dir versichern, dass die Azrushar dies glaubt.«


    Dass Kayrel ihn quasi als Wertlos bezeichnete, ignorierte Anton gekonnt. Langsam hatte er sich daran gewöhnt, dass die Eldar ihn von Oben herab betrachteten. Sollten sie ihn Unterschätzen, konnte das vielleicht sogar zu seinem Vorteil sein.


    »Danke für deine Einschätzung«, bemerkte er dann doch ungewollt zynisch. Sofort runzelte sich Kayrels Stirn.


    Ohne ihm Zeit zu lassen, sich angegriffen zu fühlen, platzierte Anton mit ruhiger, freundlicher Stimme die finale Frage: »Kannst du der Aszrushar meine Bitte um eine Audienz überbreingen?«


    Der Eldar nickte. »Ich werde mich sofort darum Bemühen. Passe auf dich und deine Freunde auf…«

  • III

    Zum ersten Mal seit langem, fühlte sich Anton wieder etwas Wohler in seiner Haut. Kayrel hatte ihm eine grosse Schüssel klares Wasser und Seife gebracht, mit der er sich etwas frisch machen konnte. Er hatte das prupurnrote Wams wie eine Uniform streng bis oben Zugeknöpft. Mit dem weissen Seidenhemd darunter und der mitternachtsblauen Samthose wirkte er zwar eher wie ein Adeliger, denn als ein Inquisitor, aber zumindest war er anständig gekleidet. Die morgendliche Mahlzeit war erneut vorzüglich gewesen. Er war so bereit, wie er den Umständen entsprechend sein konnte.


    Am Tag zuvor hatte Kayrel in seinem Namen eine Audienz beim Anführer der Kabale erbaten. Die Azrushar kam seiner Bitte erstaunlich schnell nach, so dass er nun bald vor dem Archon stehen würde.


    Anton überlegte sich nocheinmal, was er zu sagen gedenkte. Seine Position für Verhandlungen war undenkbar schlecht, aber offenbar hatte die Azrushar interesse an ihm. Diese Tatsache musste er sich effektiv zu nutzen machen, ansonsten würden seine Pläne womöglich scheitern. Und ein Scheitern konnte er sich nicht leisten.


    Während er Inquisitor in Gedanken versunken war, betrat Kayrel das Zimmer.


    »Es ist so weit«, wandte er sich direkt an Anton, ehe er kurz Hector zunickte, der gelangweilt auf seinem Bett sass.


    Anton drehte sich zum Exoditen um und schaute ihn zuversichtlich an.


    »Dann lass uns gehen.«


    Kayrel schritt voraus und Anton folgte ihm. Eine ganze Weile gingen sie durch ein Labyrinth aus kalten, düsteren Gängen. Das fahle Licht aus den unnatürlichen Kristallampen erhellte den Palast nur unzureichend. Andererseits gab es nicht viel, dass sich gelohnt hätte zu beleuchten. Weit und breit schien alles ausgestorben, selbst Wachen waren keine zu sehen. Anton stellte fest, dass es weder Möbelstücke, noch Bilder oder Skulpturen gab. Ab und zu dachte er, blutige Spuren, die den Wänden entlang führten, zu sehen, wusste aber nicht, ob die tanzenden Schatten einfach nur seine Sinne betrügten.


    Nach einiger Zeit kamen sie vor ein kleines, unscheinbares Tor aus einem polierten, tiefschwarzen Metall.


    »Dieser Durchgang führt in die Räume der Kabale«, erklärte sein Begleiter. »Was du bisher gesehen hast, war lediglich der Sklaventrakt der Azrushar.«


    »Sklaventrakt? Wo waren die Sklaven? Die Aufseher?«, erwiderte Anton fragend.


    Kayrel lächelte müde. »Normalerweise ist es hier etwas lebhafter. Entweder soll das eine Art Ehrehrbietung sein, oder der Archon will dir zeigen, dass du nichteinmal Wert genug bist, seinen Sklaven gesellschaft zu leisten.« Er machte eine kurze Pause, ehe er fortfuhr. »In so manchen Angelegenheiten, verstehe auch ich die Kultur der Drukhari nicht. Sie sind mir fremd. Sie sind vom rechten Pfad abgekommen.«


    Anton wäre dem gerne auf den Grund gegangen, doch musste er wohl einfach Akzeptieren, dass auch Kayrel nicht mehr wusste.


    Der Exodit nahm eine Art kleines Szepter, das er am Gürtel trug, in die Hand. Anton war es bisher noch nie aufgefallen. Der Eldar schlug kräftig gegen die Türe, die sogleich einen langezogenen, äusserst harmonischen Klang von sich gab. Kurz darauf öffnete sich das metallene Tor.


    Was Anton auf der anderen Seite erblickte, machte ihn Sprachlos. Hinter der Türe lag eine riesige Halle mit unzähligen Plattformen, Gallerien und Balkone. Ähnlich einer Imperialen Kathedrale, war die Decke von solcher Höhe, dass sie kaum auszumachen war. Die Wände bestanden teils aus dem merkwürdig flimmernden Material, das er bereits aus dem Sklaventrakt kannte, teils aus geschwärztem, aber noch immer durchsichtigem Kristallglas. Das unheilvolle Licht der widernatürlichen Sonne fiel durch die gläsernen Sektionen und liess die fremdartige Bausubstanz mysteriös funkeln. Die unzähligen glizternden Punkte waren wie eine geheimnisvolle Imitation des Sternenhimmels. Anton war, als hätte er die Barriere zum Immaterium überquert und würde wahrhaft inmitten des Warp stehen, dessen von Seelen erfüllte, psionsichen Stürme, ein ebenso wunderschöner wie beunruhigender Anblick waren.


    Obwohl der Palastanlage eine finstere Aura anhaftete, war Anton ob der mystischen Schönheit der vor ihm liegenden Halle überwältigt. Wenn auch verworren und ohne erkennbares Konzept, ergänzten sich die elegant geschwungenen Formen der Terassen sowohl mit den boshaften, die Wände zierenden gezackten Runen, als auch mit den ineinander verwundenen Treppen und Rampen, die sich aufgebäumten, dämonischen Schlangen gleich, in die Höhe empor hoben.


    Es dauerte einen kurzen Moment, ehe Anton die beängstigenden Details bemerkte. Überall waren metallene Ketten an den Wänden angebracht, an denen kümmerliche Kreaturen festgemacht waren. Die meisten davon Menschen – der Inquisitor erkannte aber auch einige wenige Eldar und andere, weitaus fremdartigere Wesen.


    Nicht wenige der massiven Ketten, verfügten an den Enden über grosse Fleischerhaken, die durch die Körpoer der glücklosen Gefangenen getrieben waren. In dunklen Ecken und Nischen tanzten Schatten, die schwärzer zu sein schienen, als die ohnehin düsteren Schatten, die vom fahlen Licht der verkümmerten Sonne ausgingen.


    Während Anton noch daran war, die so eben gewonnenen Eindrücke zu ordnen, traten zwei Drukhari-Krieger auf ihn und Kayrel zu. Sie waren mit den Kriegern, mit denen sie auf Wolfsschlucht zusammentrafen, identisch. Ihre schwarzen Rüstungen hatten einen smaragdgrünen Glanz und waren derart mit Dornen und Stacheln übersäät, dass sie sich genauso als Waffe wie zum Schutz geeignet hätten. Beide Krieger hatten ihr Gesicht hinter einem hohen, klingenbewehrten Helm verborgen, der eine sadistisch grinsende Fratzte darstellte.


    »Ihr wisst, was zu tun ist«, sagte Kayrel niedergeschlagen in der Sprache der Eldar. Anton, der kein Wort verstand, schaute den Exoditen fragend an.


    »Sie bringen dich zu ihrem Herrn und Meister«, erklärte er dem Inquisitor, ohne zuviele Worte zu verlieren. Etwas stimme nicht mit dem Eldar. Er wirkte unsicher und nervös. Vielleicht sorgte er sich um ihn? War dem so, war Kayrel wirklich menschlicher als die meisten Beamten des Imperiums.


    Die beiden Soldaten richteten ihre Gewehre auf Anton und machten ihm mit einer abfälligen Bewegung deutlich, voranzugehen. Er folgte den ungesprochenen Anweisungen und trat in die faszinierende und bedrohliche Halle ein.


    »Viel Glück…«, flüsterte Kayrel leise, ehe er sich in das Sklavenquartier zurückzog.


    Anton fühlte sich inzwischen mehr als Gefangener denn zuvor. Zwar war er noch immer von der entzückenden und fürchterlichen Schönheit des Palastes fasziniert, doch langsam nahm die Anspannung überhand. Sein Herz pochte. Er befand sich inmitten eines Xeno-Palastes, war unbewaffnet und wurde von zwei Alien-Kriegern zum Anführer einer Drukhari-Kabale geleitet. Nur ein paar Tage zuvor hätte er jeden verspottet, der eine solche Situation auch nur zu beschreiben gewagt hätte.


    Während sie mit langsamem Schritt durch die Halle gingen, stellte Anton fest, dass sie neben den Gefangenen, die kaum mehr bei Bewusstsein waren, offenbar alleine waren. Obwohl sich mehere reich gedeckte Tafeln und verschiedene Sitzmöbel in der tempelartigen Anlage befanden, fehlte von den Drukhari jede Spur. Antons Instinkt sagte ihm, dass die Azrushar das Treffen verbergen wollte, was ihm besser gefiel, als die Option, die Kayrel zuletzt bezüglich den Sklaven geäussert hatte.


    Hin und wieder sah er in der Entfernung ein paar voll gerüstete Krieger, die offenbar Wache hielten. Manchmal dünkte es ihn auch, dass die schwarzen Schatten in einigen entlegenen Winkel der Halle sich bewegten. Von irgendwoher drangen klagende Töne zu ihm herüber, die von einem ihm unbekannten Streichinstrument stammen mussten. Nach einer quälenden Ewigkeit erreichten sie ein Tor, dass offenbar in eine Art Thronsaal führte. Die mächtigen Türflügel waren aus irisierendem Kristall, der mit massiven schwarzen Metallbeschlägen eingefasst war. Die perfekt auf hochglanz polierten Beschläge waren mit einer vielzahl Runen beschrieben, über deren Bedeutung Anton nur mutmassen konnte. Langsam schwang das Tor zu Seite und gab den Blick auf die Räumlichkeit dahinter frei.


    Hinter dem absonderlichen Tor erblickte der Inquisitor eine weitere, in die länge gezogene Halle. Das diffuse Licht der sterbenden Sonne, die am schwarzen Himmel hing, drang durch das hier vollständig gläserne Dach und liess die Szenerie in noch bedrohlicherem Glanz funkeln. Ein Teppich aus willkürlich zusammengenähten, verdorrten Hautfetzen reichte zu einem Podest, auf dem ein riesieger Thron aus Kristall stand. In dessen Innerem pulsierte ein roter Schein, der wie ein gefangenes Tier hin und her bewegte.


    Anton überkam ein ungutes Gefühl. Trotzdem war sein Geist mit ehrfurcht erfüllt. Er war womöglich der erste Mensch überhaupt, der so tief in dieses Heiligtum der Drukhari vorgedrungen war. Mit dem, was er bereits erfahren hatte und mit dem, was er wohl noch erfahren würde, konnte er das im Imperium vorherrschende Bild der Eldar mit nie zuvor gekannter Präzision neu malen.


    Langsam schritt Anton über den makaberen Teppich, noch immer von seinen bisher stummen Wachen begleitet. Links und Rechts von ihm ragten grosse eiserne Hände aus dem Boden. Ihre dünnen, nach oben gerichteten Finger liefen an den Spitzen zusammen. In dem so entstehenden Hohlraum brennten matte, grünliche Feuer, die Anton an den Anblick der menschlichen Seele, wie er sie einst im Warpraum wahrnahm, erinnerte. Trotzdem, wie faszinierend der völlig fremdartige Tempel dieser Kabale auch war, war jeder Winkel des Palastes von einer Aura des unsagbaren Leids erfüllt.


    Endlich war er vor dem Thron angekommen. Zu seinem erstaunen war niemand darauf zu erkennen. Zumindest im ersten Moment.


    Dort, wo Anton den Archon sitzen vermutete, war eine unnatürliche, flimmernde Schwärze. Das Licht der fahlen Sonne hätte den Thron eigentlich genug erhellen müssen, damit Anton die Azrushar genau hätte erkennen können, doch schien ein fremdartiges Kraftfeld alles Licht zu verschlingen. Er konzentrierte sich und nahm in der sinisteren Finsternis eine Bewegung wahr. Ehe er seine Wahrnehmung an das verbergende Energiefeld angewöhnen und das Antlitz des Herrschers der Kabale zu erblicken konnte, schlug einer seiner Bewacher ihm mit dem Gewehrkolben gegen den Rücken.


    Die unzähligen kleinen Klingen und Haken, die am Kolben angebracht waren, zerissen sein Wams. Er spürrte, wie die Haut darunter in feinen Streiffen abgezogen wurde. Überrascht von dem unverhofften Hieb und von schrecklichen Schmerzen übermannt, viel er vor dem Podest auf die Knie. Es war eine Illusion gewesen, mit diesen Xenos auf gleicher Ebene zu verhandeln. Anton verstand aber schnell. Er hatte vor der Azrushar zu knien. Den Blick bewusst gesenkt, erinnerte er sich an das, was Kayrel ihm erzählt hatte. Erwäge, ihn wie einen Gott zu ehren …


    Auch wenn er sich bisher niemals vor einem Xenos freiwillig erniedrigt hatte, war nun nicht der Moment, sich an dem letzten Rest seiner Selbstachtung festzuklammern. Er würde dem Rat des Exoditen folgen und der Azrushar zu verstehen geben, dass er als Bittsteller gekommen war.


    Sein verletzter Rücken brannte fürchterlich, als er im Augenwinkel sah, wie sich eine buckelige Gestalt auf ihn zu bewegte. Sie stoppte gleich neben ihn. Ein bleicher, haarloser Kopf tauchte neben dem seinen auf. Die Augen waren herausgerissen worden. Schreckliche Narben hatten das Gesicht völlig entstellt, so dass Anton nicht mehr feststellen konnte, ob die arme Kreatur einst Mensch oder Xenos war.


    »Die Azrushar fordert dein Gehorsam«, hörte er eine brüchige Stimme flüstern. »Dann wird die Azrushar deine Dienste belohnen.«


    »Wer bist du?«, antwortete Anton.


    »Ich bin niemand«, antwortete der Blinde. »Ich leihe meine Zunge der Azrushar, um mit den niederen Wesen zu sprechen.«


    Die Worte erzürnte Anton. Ihm war klar gewesen, dass der Anführer dieser Kabale – zumindest auf der Welt der Drukhari – deutlich über ihm stand. Dass er aber einen verstümmelten Sklaven sandte, um mit ihm zu sprechen, war übler, als Anton je sich hätte vorstellen können. Was dachten sich diese Eldar? Sollte er sich etwa glücklich schätzen, alleine in der Nähe des Archons zu sein? Eine solche herablassende Arroganz hätte er nicht einmal den verkommensten imperialen Adelshäusern zugemutet. Dennoch musste er sich zusammenreissen, um hier Erfolg zu haben.


    »Ich will mit der grossen Azrushar einen Handel schliessen…«, begann Anton, ehe er aprupt unterbrochen wurde. Das verstümmelte Wesen schüttelte panisch seinen Kopf.


    »Die Azrushar hat eine Forderung gestellt!«, brabbelte der Sklave hysterisch. »Du musst diese Forderung erfüllen, oder sie…« Der Sklave verstummte.


    Anton war nicht erfreut. Auch ohne dass die glücklose Seele ihren Satz beendet hatte, konnte sich der Inquisitor vorstellen, was seine Alternativen waren. Die ganze Sache war gerade einiges komplizierter geworden. Er war bereit, sein eigenes Leben gegen Ashenyas zu tauschen, wenn es nicht anders ginge. Würde er sich widersetzten, wären sie wohl beide verloren. Mit einem unguten Gefühl entschied er, vorerst mitzuspielen.


    »Sag der grossen Azrushar, ich willige ein«, wandte er sich an den Sklaven.


    Dieser nickte eifrig. Dann wante er sich dem Thron zu und sprach etwas in der Sprache der Eldar. Anton hätte gerne die Reaktion des Archons beobachtet und dessen Körpersprache gelesen. Er wollte aber auf keinen Fall die Verhandlungen sabotieren und hielt sowohl Kopf als auch Blick weiterhin gesenkt.


    Ein boshaftes, verzerrtes Zischen peitschte durch die Halle. Die fremdartige Bausubstanz des Palastes warf die unmenschliche Stimme vollständig zurück, so dass sie von überall zu gleich zu kommen schien. Die Azrushar sprach etwa dreissig Sekunden, ehe die zischende Stimme wieder verstummte. Nach einem Moment der Stille bewegte der Sklave zurück zu Anton zu und flüsterte ihm direkt ins Ohr.


    »Du wirst ein Geschenk sein«, keuchte der Blinde. Anton hörte genau zu, sich jedes Wort verinnerlichend. Wissend, dass er seine Anweisungen wohl nur dieses eine Mal bekommen würde.


    »Du wirst ihr gehören. Du wirst kämpfen müssen. Du tust wie dir geheissen. Du wirst ein guter Sklave sein. Du wirst Privilegien erhalten. Du wirst bei ihr sein. Du wirst sie töten. Wenn nicht, werden die, die mit dir gekommen, sterben. Das ist die Forderung der grossen Azrushar. Das ist nun deine Bestimmung.«


    Kalter Schweiss lief Anton über die Stirn. Er war bereit, für Ashenya zu sterben. Aber er hatte nicht damit gerechnet, dass Jek und Hector in die Sache mithineingezogen würden. Wenn er es richtig verstanden hatte, würde er in den nächsten Tagen ein Sklave werden. Als solcher musste er das Vertrauen seines ‚Meisters‘ gewinnen, um ihn dann zu töten. Im grunde eine einfache Aufgabe, doch Anton war sich sicher, dass es dabei mehr Hürden zu überwinden gab, als es den Anschein hatte.


    Dies war keinesfalls eine Audienz. Die Azrushar hatte ihm einfach befohlen. Nicht mehr und nicht weniger. Sie war gar nie an einer Einigung interessiert.


    Andererseits hatte der Archon erwähnt, dass seine Dienste belohnt werden würde. Plötzlich wurde Anton klar, dass es eine Prüfung war. Hatte nicht Konstantijn ähnliches erzählt? Dass man sich den Eldar als würdig erweisen musste?


    »Mitkommen, Chem-Pan-Sey!«, riss die herablassende, fauchende Stimme einer der Wachen Anton aus seinen Gedanken. Gleichzeitig zerrten sie und der andere Krieger, den Inquisitor an seinen Oberarmen hoch. Ihr Griff war unglaublich hart. Wenigstens wusste Anton jetzt, dass sie doch nicht vollkommen Stumm waren. Und dass sie zumindest rudimentär Gotisch sprachen.


    Er hielt seinen Blick weiter gesenkt und wartete, bis die Drukhari-Krieger ihn einige Schritte weggezerrt hatten. Auf eine unangenehme Art und Weise hatte er sein Ziel erfüllt. Er hatte mit dem Anführer dieser Kabale einen Handel geschlossen. Oder er war zumindest den ersten Schritt dazu gegangen. Er hatte eine Chance bekommen, sich zu beweisen. Und alles was er dazu tun musste, war eines der Xenos zu töten. Dieses Ziel schien ihm durchaus erreichbar. Die Aufgabe seines Ordo war die Vernichtung der Xenos. Er war jahrelang zu nichts anderem ausgebildet worden.


    Auf dem Weg zurück durch die riesige, tempelartige Halle, stolptere er einige Male. Die Wachen mussten ihn zuletzt beinnahe zurückschleifen. Die Verletzung an seinem Rücken schmerzte erst fürchterlich, doch irgendwie gelang es ihm, sie schliesslich zu ignorieren. Er schien sich an die andauernden Schmerzen zu gewöhnen. Es waren Schmerzen, die dazu dienten, Ashenya zurückzubringen. Dafür war kein Schmerz zu gross. Und sowieso, solch triviale Verletzungen waren nichts verglichen mit dem seelischen Leid, das seinen Verstand gemartert hatte und noch immer marterte.


    Bei den Sklavenquartieren wartete Kayrel auf Antons Rückkehr. Er wechselte ein paar Eldar-Worte mit den Kriegern, die ihm dann den Inquisitor überantworteten.


    »Ruhig. Du hast es geschafft. Ich bringe dich zurück.«


    Kayrels beruhigende Stimme weckte in Anton ein schwaches Gefühl der Geborgenheit. Der Exodit stütze ihn ab und zusammen machten sie sich auf den Weg zu Antons Schlafquartier.


    »Es tut mir Leid«, sprach Kayrel mit ehrlichem mitgefühl. »Ich hätte dich davor warnen müssen...«


    »Davor warnen?«, fragte Anton mit gedämpfter Stimme, die Gedanken darauf fokusiert, seine Verletzungen zu ignorieren.


    »Die Azrushar ist grausam«, antwortete der Eldar. »Wie wichtig deine Aufgabe auch sein mag, du wirst hier nichts anderes finden, als deinen Tod.«


    Anton stiess einen Seufzer aus.


    »Die Azrushar benötigt meine Hilfe – zumindest glaube ich das. Ich verstehe nicht, warum, aber ich habe eine Chance, zu bekommen, was es mir verlangt.«


    »Sei kein Narr. Deine Spezies hat hier keinen Wert. Die Azrushar wird dich Hintergehen. Ihr Wort hat keine Bedeutung.«


    »Und doch herrscht sie hier… Und doch hören alle auf ihren Befehl«, entgegene Anton.


    »Aus Respekt vor den alten Traditionen. Oder vielleicht auch eher aus purer Angst. Ich hoffte wirklich, dass du bekommen würdest, was du gewollt hast. Doch nun bin ich mir sicher, dass du hier genauso Gefangener bist, wie ich selbst. Es gibt keine Zukunft mehr… Dalrailac ist unser beider Ende.«


    Antion schiweg. Er spürte die trauer Kayrels. Seine Enttäuschung. Der Exodit hatte sich wahrscheinlich wirklich erhofft, anstatt seiner selbst, Anton, Hector und Jek retten zu können. Es schien als hatte er nun auch diese Hoffnugn verloren. Auf eine finstere Art und Weise machte sich in Anton das Gefühl breit, dass Kayrel womöglich Recht hatte.

  • IV


    Anton sass auf seiner Pritsche. Seine Verletzungen hatte er von Kayrel unauffälig verbinden lassen. Er wollte seine Freunde nicht zu sehr verunsichern. Hector war schon länger in ihrem Zimmer, lehnte sich an die Wand an und trommelte schon eine gefühlte Ewigkeit mit den Fingerspitzen ungeduldig auf seinem Granatwerfer herum. Jek hatte sich eben gerade zu ihnen gesellt. Nun war der Moment gekommen, das weitere Vorgehen zu besprechen.


    »Die Lage ist schwierig«, begann Anton. »Aber wir müssen stark sein. Dann können wir Ashenya zurückholen. Der Anführer dieser Eldar benötigt meine Dienste.«


    Er konnte nicht genauer auf die Forderung des Archons eingehen. Zumindest Hector würde den Plan, dass Anton sich freiwillig in die Sklaverei begab, niemals gutheissen.


    »Ich werde diese Prüfung alleine durchstehen müssen. Ihr werdet solange hier blieben«


    Jek war ruhig. Anton hatte befürchtet, dass dieser ihn hätte durchschauen können. Sein Foltermeister erkannte jede Lüge. Es war eigentlich unmöglich, Jek zu täuschen. Dass Anton eine ganze Reihe wichtiger Tatsachen vorenthielt und der Metzger keinen verdacht schöpfte, grenzte an ein Wunder.


    »Was soll das?«, fragte Hector entnervt. »Wir sind ein Team. Wir halten zusammen. Wie wir es schon immer getan haben. Ausserdem, was sollen wir deiner Meinung nach tun, während du den Xenos mit was auch immer hilfst? Einfach nur abwarten?«


    »Hector, ich weiss…«, entgegene Anton beschwichtrigend. »Aber das ist die einzige Möglichkeit. Mehr konnte ich beim Archon nicht erreichen.«


    »…Väterchen kann nichts erreichen…«, murmelte Jek undeutlich, während er seinen Kopf zu einer nicht-existerneden Musik hin und her wippte.


    Anton verkrampfte. Hatte Jek seine Lüge gewittert? Würde er dahinter kommen, wusste Anton nicht, was passieren würde. Er beschloss, Jek vorerst zu ignorieren. Alles andere würde womöglich das gesääte Misstrauen nur noch verstärken.


    »Und dieser Archon kann Ashenya wirklich zurückholen?!«


    Hector zweifelte offenbar daran.


    »Ja. Er wird sie retten«, sprach Anton mit stoischer Überzeugung. »Bleibt hier, haltet die Stellung. Ich erledige den Rest. Sollte der Eldar sein Wort nicht halten, werden wir ihn zur Rechenschaft ziehen!«



    ***



    Der Archon hatte Anton etwa zwei Tage warten lassen. Dann, endlich, kam Kayrel mit der entscheidenden Nachricht zu ihnen.


    Die Azrushar wünschte ihre Anwesenheit. Anton war sich sicher, dass dies nur der Beginn eines erneuten Märytriums war, doch er war bereit, sich für Ashenya aufzuopfern. Seine beiden Begleiter dagegen würden in Geiselhaft genommen werden, ein Schicksal, dass Anton ihnen lieber ersparrt hätte. Er fühlte sich schrecklich, sie auszulierfern, ohne mit ihnen darüber gesprochen zu haben. Es war aber ein vergleichweise kleines Opfer, das seine Kameraden erbringen mussten. Anton war sich sicher, dass dies der beste Weg war. Er konnte nicht riskieren, dass Hectors Sturrheit oder Jeks Wahnsinn den Handel, den er mit dem Archon geschlossen hatte, gefährdeten.


    Nur kurze Zeit nach dem Kayrel ihnen die Nachricht zukommen liess, waren vier Kabelenkrieger erschienen, um sie zur Azrushar zu geleiten. Anton hatte Hector überzeugt, seinen Granatenwerfer zurückzulassen, was gar nicht so einfach gewesen war. Alles musste genau so funktionieren, wie der Archon es gewünscht hatte – oder Ashenya würde im Warp gefangen bleiben und langsam von den dämonsichen Wesen des Immateriums verschlungen werden.


    Diesesmal waren die Sklavenquartiere mit mehr Leben erfüllt. Durch die immerwährende Finsternis und die fahle Sonne, die regungslos am Himmel stand, hatte Anton jegliches Zeitgefühl verloren, doch vermutete er, im Gegensatz zum letzten Mal, dass es nun wohl Tag sein musste.


    Der Anblick der Sklaven, die emsig mit gesenktem Blick durch die trostlosen Gänge liefen, ängstigen Anton in anbetracht der Tatsache, dass er vielleicht bald einer der ihren war. Ebenso erfüllte es ihn mit rechtschaffendem Zorn, dass Bürger des Imperiums zu solch niederen Existenz gezwungen wurden.


    Die allermeisten waren bis auf die Knochen abgemagert und nur in ausgebleichte Lumpen gehüllt. Nicht wenige waren mit rostigen, blutverkrusteten Eisengestänge versehen, die offenbar mit sadistischer Brutalität direkt an ihre Knochen geschraubt wurden, um spezifische Bewegungen zu erschweren. Ein junger Erwachsener humpelte an ihnen vorbei, dessen Bein auf diese schreckliche Art fixiert worden war, dass er es kaum mehr bewegen konnte. Andere hatten ihre Arme oder auch Köpfe auf diese unmenschliche Weise geschient. Anton sah, dass Hector fast unmerklich den Kopf schüttelte. Es war auch ohne Worte eindeutig, dass er die Xenos für ihre Taten aufs schlimmste missachtete. Anton dachte angesichts dieser armen Seelen ähnlich, doch war es trotz all dem erforderlich, mit den Drukhari zusammenzuarbeiten.


    In der grossen Palasthalle angekommen, war selbst Anton erstaunt. Auch wenn er bereits ein zweites Mal hier war, wirkte es noch immer, als würde man sich in eine andere Dimension begeben. Anders als zuvor, befanden sich aber hunderte Drukhari vor ihnen. Sie unterhielten sich, feierten, assen und tranken. Eine ausgelassene Stimmung, die überhaupt nicht zum düsteren Wesen dieser Xenos-Kathedrale passen wollte.


    Die Eldar trugen zwar fast aussschliesslich dunkle, aber denoch durchaus bunte Kleider. Viele hatten ihre weiten Gewänder mit bedrohlichen Rüstungsteilen ergänzt, die aber ganz offensichtlich nicht zur Verteidigung, sondern einzig alleine der Optik wegen getragen wurden. Auch weibliche Eldar waren einige mitdabei. Während viele sich ähnlich den Männern kleideten, hatte es darunter einige, deren Kleidung als freizügig zu bezeichnen, absolut untertrieben war. Ihre auch für das menschliche Auge makellose Körper, präsentierten sie mit selbstgefälliger Eitelkeit.


    Auch hier waren überall Sklaven, welche ihre Herren mit allen Arten ausschweifenden Genusses versorgten. Mit Schrecken stellte Anton fest, dass einige der Drukhari ihre Bediensteten mit freudig erregten Gesichtern und in aller öffentlichkeit, wörtlich in Stücke zu schneiden schienen. Als Dank dafür, dass die Sklaven das taten, was verlang wurde, wurden ihnen Finger, Stücke ihres Fleisch oder ganze Gliedmassen abgetrennt. Andere Sklaven wurden getreten oder auf andere perverse Arten misshandelt.


    »Diese verdammten Xenos sind Böse. Wir sollten nicht hier sein…«, bemerkte Hector angeeckelt.


    Anton gab keine Antwort. Sein Freund hatte Recht. In jeder Beziehung. Und doch waren es diese lebensverachtenden Xenos, die ihm das wiedergeben konnten, was ihm am wichtigsten war.


    Die Eldar-Krieger geleiteten den Inquisitor und seine beiden Freunde durch die unbeschreibliche Orgie aus Gewalt, Lust und Ausschweifung. Bald kamen sie vor der kristallene Tor zum Heiligtum dieser blasphemischen Kathedrale. Diesemal waren die beiden Torflügel bereits weit geöffnet. Die an Perversion kaum zu übertreffende Orgie der Drukhari wurde hier noch intensiver gefeiert. Eine unzählbare Menge an Sklaven stand bereit, um sofort alle wünsche der Anwesenden zu erfüllen. Und um jene der ihren zu ersetzen, die den unmenschlichen Freuden der Xenos zum opfer vielen.


    »Senkt den Blick«, flüsterte Anton seinen Begleitern zu. Die Azrushar musste von seiner Ergebenheit überzeugt sein.


    Während Jek, ein wirres Grinsen auf dem Gesicht, ohne zu zögern der Anweisung folgte, blickte Hector, Anton misstrauisch an, ehe er ihm gleich tat. Langsam schritten sie dem Thron des Archons entgegen. Dann wurden sie von ihren Bewachern angewiesen, stehen zu bleiben.

    Um sie herum wurde es Still. Die feiernden Eldar verstummten und richteten ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Menschen, die das Privileg erhalten hatten, vor ihren Anführer zu treten.


    Wie zu erwarten hallte die zischende Stimme des Archons, die Anton bereits von seinem letzten Zusammentreffen bekannt war, durch die Halle. Natürlich war es ihm unmöglich, auch nur ein Wort zu verstehen. Die Azrushar schien eine kleine Ansprache zu halten. Nach dem sie einige Sätze gesprochen hatte, jubelten die anderen Drukhari ihr zu und wiederholten etwas, das wie „AthTuisich Azrushar“ klang. Da Anton den Namen des Archons heraushören konnte, war er sich sicher, dass es sich dabei um eine Lobpreisung handeln musste.


    Als die jubelnde Menge wieder verstummt war, erklang die Stimme einer weiblichen Drukhari. Sie sprach mit einer Mischung aus absoluter Verachtung und Respekt zugleich. Anton hob seinen Kopf ein kleines Stück und versuchte die Sprecherin zu erblicken. Einige Meter neben dem Thron stand eine Eldar, die sich offenbar dem Archon zugewandt hatte. Ihre blass-weisse Haut war von solchen reinheit und glätte, dass es in dem unheimlich glitzerden Licht des toten Sternes fast wirkte, als würde sie aus Spiegelglas bestehen. Ihr wie düsteres Eis, in dunklem Blau schimmerndes Haar, war in einer komplexen Hochsteckfrisur kunstvoll hergerichtet. Ein eng anliegendes Gewand aus grün-blauen Schuppen war wie eine zweite Haut um ihren Körper gewickelt, während ein mit gold und juwelen Verziertes Brustgeschirr ihre üppige Oberweite mehr als offensichtlich betonte.


    Als sie fertig gesprochen hatte, jubelten die anwesenden Edlar erneut, wenn auch weit weniger enthusiastisch als zuvor.


    Anton war klar, dass er wohl eben verschenkt worden war. Die Azrushar hatte erwähnt, dass er ihr gehören würde. Wie es schien, war diese Eldar-Frau die Person, auf die sich der Archon bezogen hatte. Ohne zu wissen, wie er sich nun verhalten sollte, entschied er sich, vorerst einfach abzuwarten. Einen kurzen Moment später – die Drukhari hatten ihre widerwertige Orgie wieder fortgesetzt – kam eine weitere Xenos auf sie zu. Sie trug dieselbe geschwärzte Rüstung wie die anderen Krieger, jedoch keinen Helm. Ihr Blick war voller abgründigem Hass und purer Verachtung. Der Schädel zur hälfte abrasiert, trug sie die übrigen ihrer schneeweissen Haare zur Seite gekämmt, so dass die Stirnfransen ihr linkes Auge verbargen. Anton spürrte deutlich eine abstossende, boshafte Energie, die von der Xenos ausging. Ohne die unheilvolle Aura genau einordnen zu können, fühlte er sich sofort an die Unberührbaren erinnert, die bei normalen Menschen Unwohlsein und Abneigung auslösten, bei Psionikern sogar zu schweren Schmerzen und Tod.


    »Du gehörst nun der Herrin«, schnauzte die Kriegerin Anton in makellosem Hochgotisch an.


    Zeitgleich näherten sich die vier Bewacher und richteten ihre Waffen auf Jek und Hector.


    »Was ist hier los? Was soll das bedeuten?«, fauchte letzterer gehässig. »Anton, was soll das?«


    Wissend, dass die Antwort seinem Freund nicht gefallen würde, blieb Anton nur, auf seine Vergebung zu hoffen.


    »Ich werde mich den Xenos anschliessen. Das ist die einzige Chance, Ashenya zu retten. Euch beiden wird aber…«


    »Das ist Verrat!«, unterbrach ihn Hector mit Zorn in seinen Augen. »Das ist Wahnsinn!«


    Anton schloss seine Augen. Er war in diesem Moment froh, dass er nicht in den Warp blicken konnte. Den Anblick all des Hasses, der Wut und der Enttäuschung in Hectors Seele, hätte er kaum ertragen. Im Grunde hatte Hector Recht. Er hatte seine Freunde verraten. Gleichzeitig würde ihr Leben geschont. Es gab keinen anderen Weg. Eigentlich hätten sie Anton dankbar sein müssen, denn am Ende war er es, der sich für ihre Freundin aufopferte. Dennoch war ihm auch bewusst, dass seine Gefährten – vor allem Hector – dies in just diesem Moment nicht verstehen konnten.


    »Es tut mir Leid, Hector«, entschuldigte er sich ehrlich. Als Antwort spuckte sein freund aber nur verächtlich aus. Ein unappetitlicher Klumpen Speichel verfehlte knapp Antons Stiefel und blieb neben ihm auf dem morbiden Hautteppich kleben. Egal, was Anton sagen würde, Hector würde vorerst toben. Ohne weiter Worte zu verlieren, wandte sich der Inquisitor an Jek.


    »Jek, ich werde eine Weile weg sein… Höre auf Hector. Tu, was er sagt!«


    Jek grinste teuflisch und zeigte seine schiefen, ungepflegten Zähne.


    »Ja-ja, Väterchen ist ein Lügner… Ja-ja…«, flüsterte er dann abwesend, den Blick gedankenverloren auf Anton gerichtet.


    Die Art wie er ginste; wie er Sprach – Anton schauderte. Er erkannte darin weder Erstaunen noch Enttäuschung oder Zorn. Jek wirkte völlig ausgeglichen, als ob endlich ein lang gehegter Traum in Erfüllung ging. Was das auch immer zu bedeuten hatte, Anton musste auf der Hut sein.


    »Los jetzt!«, fuht ihn die Kriegerin an und gab Anton zu verstehen, ihr zu folgen. Die Krieger, die sie hier hin geleitet hatten, trieben derweil seine Freunde mit gezogener Waffe zurück in Richtung der Sklavenquartiere.


    Schwermütig, dass seine Kameraden noch nicht verstehen konnten, dass dieser Weg die einzige Rettung für Ashenya war, und beunruhigt über das Martyrium, dass ihn nun wohl erwartete, schritt er langsam und mit pochendem Herz der Drukhari-Kriegerin nach.

  • V


    Anton wurde von der Drukhari-Kriegerin zu einer unscheinbaren Türe geführt, die sich seitlich im Thronraum befand. Er hoffte, dass der Archon sein Wort hielt und seine Gefährten verschont bleiben würden. Es war nicht schwer zu erkennen, dass die Azrushar den Mord an der Drukhari-Frau verschleiern wollte. Ansonsten wäre eine Vereinbarung mit Anton wohl gar nie erst in Frage gekommen. Das Wissen um diese Intrige diente ihm ein Stück weit als Garantie für Hector und Jek, denn Anton konnte das Mordkomplott sofort auffliegen lassen, sollten seine Freunde verletzt werden. Er war sich sicher, dass das auch der Archon wusste. Andererseits brauchte er die Unterstützung des Archons zwingend, um Ashenya zurückzubringen. Selbst wenn die Azrushar also ihr Wort brechen würde, konnte Anton sich nicht einfach auf die Seite seiner Zielperson schlagen.


    »Los, weiter«, fauchte die Drukhari-Kriegerin vor ihm und riss dadurch den Inquisitor aus seinen Gedanken. Sein Kopf schmerzte. All die Entscheidungen, die er treffen musste, all die seelischen Schmerzen, die er erleiden musste, zerrten an seinem Verstand. Sie betraten einen schlichten Korridor, der den Durchgängen im Sklavenquartier stark ähnelte. Im Gegensatz zu jenen war der Flur aber pendantisch gesäubert und durch fremdartige Kristallleuchten gut belichtet.


    »Wo bringst du mich hin?«, fragte Anton, ohne eine Antwort zu erwarten.


    Die Kriegerin schnaubte verachtend, antwortete dann aber zu Antons verwunderung trotzdem.


    »Die Quartiere der Herrin«, sagte sie kurz und ohne sich dem Inquisitor zuzuwenden.


    »Wer ist die Herrin? Was will sie von mir?«, forschte er weiter nach.


    Die Kriegerin hielt inne und blieb stehen. Anton schloss zu ihr auf. Sobald er kurz hinter der Drukhari stand, drehte sie sich zu ihm um. Ihre Augen brannten vor Hass. Dann schlug sie ihm mit der flachen Hand ins Gesicht. Anton war völlig unvorbereitet und hatte keine Chance, dem Schlag auszuweichen und wurde fast zu Boden geschleudert. Er fühlte sich, als hätte ein Ogryn auf ihn eingedroschen. Vom Angriff überrascht und vom Schmerz fast übermannt, taumelte er einige Schritte zurück.


    »Du dreckige Kreatur wagst es, von der Herrin zu sprechen?«, schrie die Kriegerin Anton aufgebracht an. »Ich sollte dir die Zunge herausschneiden!«


    »Aber ich will ihn mit seiner Zunge, Nalaryss«, erklang eine Stimme hinter ihnen, noch ehe Anton eine Antwort geben konnte. Der Inquisitor erkannte sie sofort wieder. Sie gehörte der Xenos-Frau, die nach dem Archon gesprochen hatte. Der „Herrin“. Die Person, die er ermorden musste, um Ashenya zurückzugewinnen.


    Es war ihm nicht entgangen, dass sie Hochgotisch gesprochen hatte, obwohl sie sich an die Drukhari-Kriegerin richtete. Sie musste ganz bewusst gewollt haben, dass Anton verstand, dass ihm keine direkte Gefahr drohte. Auch wenn er froh war, nicht dem unermässlichen Hass dieser Kriegerin ausgeliefert zu sein, konnte er sich das Verhalten der Herrin nicht erklären. Es war, gemessen an seinen bisherigen Erfahrungen mit den Druklhari, mehr als nur ungewöhnlich.


    Die Kriegerin, die offenbar auf den Namen Nalaryss hörte, zuckte sichtlich erschrocken zusammen und bezeugte ihre Ergebenheit mit einer kurzen Kniebeuge. Dann antworte sie in ihrer eigenen Sprache. Anton verstand kein Wort, spürte aber, dass es sich um eine Art Entschuldigung oder Erklärung handeln musste.


    Die Herrin nickte abweisend. Dann sschritt sie mit graziösen, katzenhaften Bewegungen auf Anton zu. Sowohl ihr dunkles Haar als auch ihre Haut glitzernde mit jeder Bewegung und wirkten dadurch dermassen unecht, dass ein gewöhnlicher Mensch wohl gezweifelt hätte, ob die Person vor ihm wirklich real sei. Die schmalen, Augen der Drukhari hatten Anton mit unheimlicher beharrlichkeit Fixiert.


    »Du bist also das Geschenk meines Onkels…«, sprach sie Anton direkt an, während sie sich näherte. »Ein Fürst der Chem-Pay-Sey, der sich Freiwillig der Azrushar hergibt, entäuscht und desillusioniert vom König seines Volkes? Zumindest hat das Onkel behauptet.«


    Sie trat vor Anton, jeglichen für menschliche Verhältnisse angebrachte Distanz missachtend. Ihre beiden Körper berührten sich nahezu, ehe die Drukhari innehielt. Mit ihren Augen musterte sie den Inquisitor wertend, als würde sie ein Stück Fleisch auf dessen Qualität prüfen. Anton fiel auf, dass in ihren dunkelroten Augen keinerlei Leben lag. Sie waren von schauerhafter Kälte erfüllt und erinnerten den Inquisitor unangenehm an die Necrons, die er auf Ysraal VI bekämpfte. Es schien, als ob diese Frau schon seit vielen Jahhunderten nichts mehr fühlen würde.


    Die Drukhari musterte ihn einen kurzen Moment. Dann packte sie ihn am Kinn und hob seinen Kopf an, dass sie ihm direkt in die Augen schauen konnte.


    »Du bist wirklich ein interessantes Etwas«, flüsterte sie, ehe sie Anton losliess und mit einer windigen Bewegung an ihm vorbeischritt.


    Dann befahl sie Nalaryss in ihrer fremden Xenos-Sprache etwas und schritt voraus. Die Drukhari-Kriegerin gab Anton mit einer abschätzigen Kopfbewegung zu verstehen, dass er seiner Herrin folgen solle.


    Einen Moment lang gingen Anton und die beiden Drukhari schweigend den Korridor entlang. Nach kurzer Zeit erreichten sie eine grosse, kunstvoll gearbeitete Türe. Die Nichte des Archons öffnete sie, in dem sie mit einem ihrer Finger, eine Rune auf ein archaisch aussehendes Bedienfeld zeichnete, dass sich gleich neben dem Durchgang befand. Als sich die Türe geöffnet hatte, schritt sie noch immer schweigend hindurch und liess Anton mit der Kriegerin alleine zurück.


    Anton zögerte einen kurzen Moment, bevor er der Herrin nachfolgte. Als er durch die mächtige Pforte schritt, wurde ihm klar, dass dies wohl die Privatgemächer der Herrin sein mussten. Vor ihm fand er eine grosse Halle mit Kreuzgewölbe, welche sofort an die Sakralbauten des Imperiums erinnerte. Doch ganz anders als die Imperialen Tempel, war dieses Gewölbe voller dekandenter Schönheit. Unzählige exotische Pflanzen wuchsen aus flachen, runenförmigen Gefässen, die in den Boden eingelassen waren. Ein künstlicher Fluss durchzog den labyrinthartigen Garten aus in allen Farben wuchernden Gewächse. Durch die dichte und trotzdem systematisch geordnete Bepflanzung erkannte Anton etliche samtige Sitzkissen, die in kleinen Gruppen angeordnet waren, aber auch immer wieder grösserre, verschwenderisch kunstvolle Möbel aus Kristall, Smaragdglas und anderen nicht minder edlen Materialien. Ein Paradies, das selbst verglichen mit den Gartenwelten des Imperiums von herausragender Schönheit war. Die fremdartigkeit der Pflanzen und die aussergewöhnlichen Formen des Interieurs verliehen dem Ort eine noch fantastischere, nahezu mystische, Atmosphäre.


    Während Anton über die Schönheit der Anlage staunte, stiess ihn Nalaryss nach vorne. Er geriet kurz ins straucheln und blickte entnervt zu der nachkommenden Kriegerin. Mit einer unfreundlichen Kopfbewegung wies sie ihn an, weiter zu gehen.


    Schliesslich hielt seine neue Herrin in einem kleinen Pavillon mit zwei Diwanen und einigen grossen Sitzkissen an. Sie legte sich Graziös auf eine der Liegen und wies Anton an, sich zu setzten. Nalaryss platzierte sich missmutig neben dem Inquisitor und verschrenkte die Hände hinter dem Rücken. Sie wartete offenbar nur darauf, dass Anton einen Fehler machen würde, um ihn dann mit billigung der Herrin, niederstrecken zu können.


    »Ich habe dir schon gesagt, was ich über dich weiss«, begann die Drukhari-Adelige, deren Namen noch immer nicht errfahren hatte, mit weicher, aber dennoch feindseeliger Stimme. »Zumindest, was Onkel mir erzählt hat. Da er ein ehrloser Verräter ist, dem ich nicht zutraue, mir aus reiner Liebe ein Geschenk zu machen, will ich es aus deinem kleinen Mund hören.«


    Anton war Nervös. Seine Aufgabe wurde offenbar immer schwieriger. Es reichte nicht, dass er die Nichte der Azrushar ermorden sollte, sondern sie wusste unbestreitbar auch bereits, dass ihr Onkel einen Anschlag plante. Nalaryss als durchaus gehässige, wohl aber ebenso fähige Leibwächterin, erschwerte das Attentat zusätzlich. Die Schmerzen in Antons Kopf verstärkten sich zunehmend. Was auch immer er sagte, musste absolut überzeugen. Er hatte keine Ahnung, wie die Position der Herrin innerhalb der Kabale war. Vielleicht kannte sie Emanual, vielleicht hatte sie auch die möglichkeit, Hector, Jek oder Kayrel zu befragen. Anton musste so aufrichtig wie möglich sein, damit er sich nicht in Lügen verstrickte.


    »Die grosse Azrushar liegt richtig«, begann Anton, sich respektvoll zu erklären. »Ich habe dem Imperator entsagt. Ich habe dem Imperium den Rücken zugekehrt und mich der Azrushar zur Verfügung gestellt. Es war sein Wille, euch zu dienen. Ich weiss nicht, wieso ich euch dienen soll, werde diesem Willen aber entsprechen.«


    »Und du wurdest nicht geschickt, um mich zu vergiften? Mir meine Geheimnisse zu entlocken?«


    Die Drukhari-Frau lachte amüsiert, jedoch ohne Freude oder Fröhlichkeit.


    »Du hattest eine wichtige Position bei den Chem-Pay-Sey. Entweder bist du völlig Wahnsinnig, oder noch dümmer als der Rest deiner erbärmlichen Spezies. Was auch immer du zu suchen gedenkst, in Dalrailac wirst du es nicht finden. Was auch immer Onkel bezwecken will, in dem er dich zu mir schickt, er wird damit scheitern. Trotzdem bist du bereits jetzt in gewisser weise eine Attraktion – der erste Inquisitor, der sich Freiwillig einer Kabale unterordnet. Dadurch hast du unserem Haus, sowohl Onkel als auch mir, durchaus einen Gefallen getan. Du wirst uns besser Unterhalten, als es diese lachhaften Sklaven tun. Und ganz nebenbei beweist du unsere Überlegenheit dadurch, dass wir dich nichteinmal dazu zwingen müssen. Du wirst mir also sowieso nützlich sein, egal, was kommt.«


    Anton war verunsichert und fürchtete, dass die Drukhari den Archon im grunde bereits durchschaut hatte. Dennoch liess er sich nichts anmerken und zwang sich, seine Rolle weiterhin zu spielen. Er müsse Kämpfen und Vertrauen gewinnen – so hatte es der Archon ihm aufgetragen. Wahrscheinlich wusste die Azrushar genau, dass sich seine Nichte nicht so einfach ermorden liess.


    »Ich werde tun, was Ihr verlangt, Herrin«, versuchte er, die Drukhari zu beschwichtigen.


    Sie nickte knapp, ein verächtliches Lächeln im Gesicht.


    »Nalaryss wird dich vorbereiten«, beendete sie das Gespräch, ehe sie ihrer Leibwächterin mit einer abschäzigen Geste befahl, Anton wegzuschaffen. Die Kriegerin nickte ergeben und packte den Inquisitor sogleich an seinen Armen, um ihn hochzuziehen. Obwohl Anton bereits ohne Zwang begonnen hatte, sich zu erheben, griff die Drukhari unnötig fest zu. Ohne ein Wort zu sagen, machte sie dann in den hinteren Teil der Halle auf und zerrte Anton grob mit sich.


    Sie verliessen das exotische Paradies durch eine kleine Türe, die tiefer ins inneren dieser Anlage führte. Nach dem sie einige kurze Korridore hinter sich gelassen hatten, kamen sie schliesslich zu einer Treppe, die auf eine tiefere Ebene führte. Unten angekommen, öffnete Nalaryss die Türe zu einer Kammer und stiess Anton hinein, bevor sie ihn selbst betrat.


    Auch wenn die Kammer schon alleine aufgrund ihrer Lage einer Gefägnisszelle glich, liess sich die Einrichtugn auch hier sehen. Wenn auch nicht ansatzweise so verschwenderisch wie die Gartenanlage weiter oben, hatte es hier doch alles, was man für ein überdurchschnittlich konfortables Leben brauchte. Samtig aussehende Sitzkissen und Diwane boten auch hier mehr als genug Gelegenheit, sich bequem zu setzen. Mehrere Kommoden und Schränke aus gläsern wirkendem, tiefschwarzem Stahl, waren so platziert, dass der Raum sich in mehrere Bereichte teilte, ohne dabei klein oder überfüllt zu wirken.


    Die Wände waren mit einem stählernen Gitter überzogen, an denen eine grosse Auswahl an Ketten und boshaften Haken angebracht war, die eine bedrohliche Atmosphäre schufen und überhaupt nicht zu der ansonsten einladenden Ausstattung passte. Der Anblick des blutverkrusteten Metalls liess Anton erschaudern. Weiter hinten im Raum befand sich eine knapp anderthalb Meter tiefe Grube, die offenbar für Übungs- oder Arenakämpfe genutz wurde.


    Nalaryss drückte Anton mit gewalt gegen das Gitter, welches an der Wand festgemacht war und legte ihm einen an einer Kette befestigten Ring um den Hals. Anton fühlte sich entwürdigt, gleich einem ungeliebten Haustier, wusste aber, dass er sich gerade jetzt nichts anmerken lassen durfte, um das Misstrauen der Drukhari nicht weiter zu schüren.


    »Du wirst im Namen der Herrin kämpfen«, schnauzte die Drukhari-Kriegerin Anton an. »Bis es so weit ist, wirst du hier bleiben. Verlässt du diese Kammer, werde ich dich töten.«


    Anton nickte bestimmt. Selbst ohne Halsfessel hätte er nicht vorgehabt, dieses Gefängnis zu verlassen. Daraufhin verliess Nalaryss Stumm das Zimmer und liess den Inquisitor zurück. Als sie die Türe hinter sich schloss, sank Anton zu Boden. Die Kette reichte nur gerade knapp dazu, dass er sich setzten konnte. Sich hinzulegen war unmöglich, genau so wie sowohl Kissen als auch Diwane ausserhalb seiner eingeschränkten Bewegungsreichweite lagen.


    Alleine, ankettet und jeglicher Freiheit beraubt, begannen ihn seine Gedanken zu quälen.


    Was war nur aus ihm geworden? Er hatte sich von dem Imperium abgewand, seine Freunde diesen Xenos ausgeliefert und sich freiwillig in Sklaverei begeben. Wie konnte es so weit kommen? Was hatte er sich dabei gedacht? War es das Wert?


    Tränen begannen, seine Wangen herunterzurinnen. Asheyna zählte auf ihn. Er war ihre letzte Hoffnung. Er konnte sie nicht einfach im Stich lassen, nicht nach all dem, was sie füreinander getan hatten. Was sie füreinander empfunden hatten. Dennoch kamen ihm Zweifel. War Ashenyas Tod nicht auch seine Schuld gewesen? Er war es, der dem Imperium vertraut hatte. Er hatte sein Leben in den Dienst des Imperiums gestellt. Wäre er nicht gewesen, wäre Ashenya niemals in die Fänge dieses bösartigen Inquisitors geraten. Nicht nur Ashenya. Auch Ysraal VI. Er war es, der befahl, die Welt zu vernichten. Wäre er nicht gewesen, hätten die Imperiale Armee und die Space Marines, die Xenos womöglich zurückschlagen können. Sein ganzes Handeln führte scheinbar nur zu Tod und Vernichtung. Sein ganzes Leben bestand aus Leid. Leid, dass durch sein handeln, anderen zugefügt wurde.


    Vielleicht sollte er einfach aufhören, an das Gute zu glauben. Um dann, eingesperrt in der Finsternis dieser Xenos-Welt, langsam zu sterben.


    Alleine beim Gedanken, sich erneut eine Dosis zu verabreichen, verkrampfte sich sein ganzer Körper, doch wünschte er sich in diesem Moment trotzdem sehnlichst eine Spritze Lunaïn. Oder zumindest etwas Hochprozentiges. Irgendetwas, das seinen geschundenen Geist betäuben würde. Das ihn vergessen lassen würde, was er getan hatte. Was er erlebt hatte.


    Apathisch, leise schluchztend, übermannte Anton irgendwann die Müdigkeit, so dass er in einen unruhigen Schlaf fiel.


    Doch auch im Schlaf fand er keine Erlösung. Wieder erblickte er Ashenya, die langsam von den Kreaturen des Warp verschlungen wurde. Er sah, wie sie ihn verurteilend Anblickte. Sie war noch immer bei ihm. Sie konnte seine Gedanken lesen. Anton war kurz davor gewesen, aufzugeben. Sie wusste, dass er daran dachte, sie im Stich zu lassen. Anton hatte sie enttäsucht. Er war ihre einzige Hoffnung, wie konnte er es dann wagen, an seinem einsamen Kampf zu zweifeln? Er durfte nicht Aufgeben. Er würde Ashenya wissentlich dem Warp übereignen und ihre Seele auf immer verdammen.


    Nein. Er konnte nicht Aufgeben. Er musste weiterkämpfen. Egal zu welchem Preis.


    Anton wünschte sich, ihre Stimme zu hören. Ihre Lippen bewegten sich, aber Anton war ihrem Flüstern gegenüber taub. Er hatte seine Verbindung zum Warp verloren. Sie konnte ihn nicht mehr erreichen.


    Alles was ihm blieb, war ihr seelendurchdringender Blick. Ihre Augen, die voller Leidenschaft und voller Lust auf Leben glühten. Und Anton spürrte, wie sie ihn mit genau so unbändiger Energie dafür verurteilte, an seiner Sache gezweifelt zu haben. Er drufte nicht mehr Zweifeln. Er musste sie retten.


    Irgendwann erwachte Anton. Auch wenn er sich müde und ausgelaugt fühlte, hatten ihn die schmerzlichen Visionen von Ashenya bestärkt, weiter seinen Weg zu gehen. Er durfte nicht mehr wanken. Und er durfte sich erst recht nicht durch Selbstzweifel davon abbringen, sein Ziel zu erreichen.


    Ohne Zeitgefühl hockte Anton benommen da, bis sich irgendwann die Türe zu seinem Gefängniss öffnete.


    Nalaryss trat ein und warf ihm sogleich ein Stück Fleisch zu.


    »Iss. Ich würde dich am Liebsten verotten lassen, aber der Herrin würdest du dann nichts mehr nützen können«, erklärte sie feindseelig.


    Anton war zu erschöpft, um zu Antworten. Einen Moment lang blickte er auf das grosse Stück Fleisch vor ihm. Es war maximal knapp angebraten worden und ganz offensichtlich grösstenteils roh. Dennoch hatte Nalaryss im Grunde genommen recht. Tod würde er niemandem mehr nützen. Nicht der Herrin und - was noch viel wichtiger war - nicht mehr Ashenya. Stumm griff er nach dem Stück und begann das saftige Fleisch zu verschlingen. Vielleicht lag es daran, dass Anton ausgezerrt und überaus hungrig war, aber es schmeckte hervorragend, trotz des nicht besonders appetitlichen Aussehens. In einem kurzen Moment der Normalität dachte Anton an Emanuel und daran, dass diesem die Kost der Drukhari mit sicherheit besonders schmeckte.


    Während Anton ass, streifte Nalaryss rastlos im Zimmer umher, ihre tiefblauen Augen wie ein Raubtier auf Antron fixiert.


    »Steh auf!«, befahl sie, als Anton sein Mahl beendet hatte. Er folgte mit der Gewissheit, dass jeder Ungehorsam auch seinen eigenen Zielen zuwiderlaufen würde.


    Die Drukhari-Kriegerin trat näher und öffnete Antons Halsfessel. Dann packte sie seinen Arm und zog Anton grob in den hinteren Teil des Zimmers, wo sie vor der Kampfgrube stehen blieb. Anton nutze die Pause, um seinen Hals zu massieren. Es war nicht nötig, ihn so violent anzugehen, doch konnte der Inquisitor, dem Xenos das brutale Vorgehen eigentlich nicht verübeln.


    Die Drukhari drückte ihm wortlos einen metallenen Becher in die Hand und füllte ihn aus einer schmucklosen Karaffe, die auf einer der unzähligen Ablagen gestanden hatte.


    Anton nahm vorsichtig einen Schluck. Er atmete beinahe laut auf, als er feststellte, dass es sich um Wasser handelte. Es schmeckte abgestanden und hatte eine seltsame, süssliche Note, schien aber dennoch normales Wasser zu sein. Nalaryss wartete, bis er den Becher ausgetrunken hatte, und füllte ihn erneut auf.


    Nachdem Anton auch den zweiten Becher zügig getrunken hatte, wies sie ihn mit einer Kopfbewegung an, das Gefäss hinzustellen. Sobald er getan, wie ihm geheissen, stiess sie ihn überaschend mit grosser Kraft in die Kampfgrube hinab, an derer Rand sie sich befunden hatten. Anton fiel hinunter und landete auf allen Vieren. Glücklicherweise war die Grube nicht allzutief und der der Boden mit Sand bedeckt, so dass er unverletzt blieb. Nalaryss schwang sich mit einer unglaublich schwunghaften, agilen Bewegung zu Anton hinunter und warf ihm ein einfaches, stark verwitteres Kettenschwert zu. Anton konnte sich nicht erinnern, dass sie es bereits bei sich trug, als sie das Zimmer betreten hatte. Sie musste es also irgendwo hier aufbewahrt haben. Anton war sich nicht sicher, ob die Drukhari nachlässig oder einfach nur überheblich war, aber es schien für ihn befremdlich, Waffen im selben Raum wie Gefangene zu lagern.


    Er nahm das Kettenschwert, stellte dann aber fest, dass es wohl schon vor langer Zeit aufgehört hatte, zu funktionieren. Das Chassis war korrodiert und die Kettenzähne grösstenteils abgerissen. Der Motor liess sich nicht einmal ansatzweise starten.


    »Du wirst im Namen der Herrin kämpfen, Chem-Pay-Sey«, begann Nalaryss ruhig zu erklären. »Würdest du zu schnell sterben, würde das ein schlechtes Licht auf sie werfen. Verteidige dich!«


    Dann zog sie in einem Sekundenbruchteil ihre kurze, gezackte Klinge und griff Anton an, der viel zu überrascht war, um rechtzeitig zu reagieren. Er spürrte, wie die Klinge in sein Fleisch schnitt. Doch die Kriegerin nahm im letzten Moment alle Kraft aus ihrer Bewegung, so dass die Klinge Anton nur einen winzigen, oberflächlichen Schnitt zufügte.


    »Ich weiss nicht, gegen wen du kämpfen wirst«, schnauzte ihn Nalaryss an, »aber gegen uns Drukhari bist du Chancenlos! Trainiere deine Reflexe – vertraue deiner Intuition.«


    Ein erneuter Angriff folgte. Anton spürte das Adrenalin. Er war vielleicht nicht der beste Kämpfer, hatte aber eine hervorragende Ausbildung genossen. Sein Kampfgeist erwachte. Wieder spürte er, wie die Klinge in seine Haut schnitt. Dem dritten Angriff konnte er dann beinahe ausweichen, auch wenn er das Gefühl hatte, dass Nalaryss sich enorm zurückhielt und nur mit einem kleinen Teil ihrer Fähgikeit kämpfte.


    Noch eine ganze Weile trainierte das ungleiche Paar stumm. Die Drukhari schien aber eine hervorragende Ausbildnerin zu sein, denn sie passte sich sowohl Antons Ausdauerleistung als auch seinen immer weiter erwachenden Instinkten an, um ihm genau die richtige Herausforderung zu bieten, damit er seine Fähigkeiten verbessern konnte.


    Irgendwann stoppte Nalaryss Anton, in dem sie ihn mit einem völlig unvorsehbaren Hieb entwaffnete und gleichzeitig mit einem heftigen Tritt in die Magengrube zu Boden sinken liess.


    Das defekte Kettenschwert nahm sie vom Boden auf und warf es achtlos zur Seite. Mit einem geschickten Sprung verliess sie die Kampfgrube und wandte sich Anton zu.


    »Steh auf, Chem-Pan-Sey!«


    Anton erhob sich und machte sich daran, die Grube hochzuziehen. Nalaryss beobachtete ihn dabei die ganze Zeit kritisch. Sie musste keine Befehle mehr erteilen. Anton wusste bereits, was als nächstes kommen würde. Stumm folgte er der Drukhari zurück zu der Halsfessel und liess sich widerstandslos anketten. Er fühlte sich schmutzig. Sein Schweiss brannte in den unzähligen offenen Wunden, die Nalaryss ihm während seines Trainings zugefügt hatte und Anton war sich sicher, dass einige davon sich schrecklich entzünden würden.


    Trotzdem hatte er das Gefühl, seinem Ziel näher gekommen zu sein. Er konnte es schaffen. Irgendwann schlief er entkräftet wieder ein.


    Trotz seines langsamen vorankommens, riefen seine Träume ihm dennoch qualvoll in Erinnerung, dass die Zeit drängte. Ashenya lief die Zeit davon.


    Er wusste nicht, wie viele Nächte er noch Ashenyas vorwurfsvollen Blick ertragen konnte. Und wieviele Nächte Ashenya noch blieben, ehe die gierigen Tentakel ihren Körper vollständig verschlangen hatten.

  • VI

    Hätten die Xenos nicht ihre Waffen driekt auf ihn und Jek gerichtet, hätte Hector zweifelsfrei widerstand geleistet. Der Hass loderte in ihm, aber er war nicht dumm. Die Eldar hätten ihn ohne zu zögern niedergeschossen.


    Er konnte nicht fassen, was Anton getan hatte. Nach all dem, was sie zusammen durchgestanden hatten, war ein Verrat das Allerletzte, das Hector erwartet hatte. Ashenya war auch seine Freundin gewesen, doch selbst wenn diese Xenos sie wiederbeleben konnten, hätte er niemals Anton dafür verraten. Selbst Jek, der im Grunde genommen nur eine tickende Zeitbombe war, hätte er nicht diesen Bestien ausgeliefert. Loyalität und Zusammenhalt war der Grund, wieso sie bisher Überlebt hatten. Sie waren eine Familie. Dass Anton offenbar bereitwillig seine Freunde gegen die Quar’va einzutauschen bereit war, liess Hector an alldem Zweifeln. War es das Lunaïn? War es die selbstgerechte Arroganz Emanuels, die abgefärbt hatte? War Anton schon immer ein illoyaler Bastard gewesen und hatte ihn mit seinem grossartigen Gerede von Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit geblendet?


    Wer auch immer die Person war, die sich in dieser blasphemischen Halle den widerwertigen Xenos unterworfen hatte, es war nicht der Anton, den Hector gekannt hatte. Er fragte sich sogar, ob Claudius nicht doch Recht hatte. Ob die Xenos – Ashenya – nicht ihren Verstand vergifteten. Der Glaube an die Menscheit war Garant ihrer gegenseitigen Loyalität. Wer sich aber mit den Xenos einliess… Auf Ysraal VI hatte er gesehen, zu was sie fähig waren. Er hatte Emanuel erlebt, dessen Dekadenz wohl auf den Einfluss der Xenos zurückzuführen war. Er hatte Anton erlebt, der unter Einfluss der Xenos seine engsten Freunde verriet. Vielleicht lag im Imperialen Glaube weit mehr Wahrheit, als ihm bisher bewusst gewesen war. Er, der dem Xenos zu leben erleubt, teilt sein Verbrechen der Existenz. Ein Credo, das Hector langsam zu begann, zu verstehen.


    Obwohl sie von den Aliens unter vorgehaltener Waffe abgeführt wurden, schien Jek zufrieden zu lächeln. Hector erschauderte beim Versuch, die Gedanken des sabbernden Foltermeisters zu ergründen. Es würde Blut fliessen. Auf besonders grausame Art und weise.


    Ohne es genau zu wissen, war sich Hector sicher, dass Jek sich nicht einsperren lassen würde. Welcher Gedanke auch immer in seinem verkommenen Verstand keimte, würde früher oder später in einer Welle der Gewalt hervorbrechen, die wohl selbst für diese Xenos unvorstellbar sein mochte. Hector hoffte, dass Anton nicht Teil dessen werden würde, trotz des Hasses und der Verachtung, die er nun für seinen Freund empfand.


    Nachdem sie die Halle hinter sich gelassen hatten, merkte Hector, dass sie nicht in ihre vorherigen Quartiere zu Kayrel gebracht wurden. Sollten sie ihn widersehen, würde Hector ihn eingebig Befragen, ob er etwas über Antons wahnwitzigen Plan wusste.


    Die Eldar führten ihn zusammen mit Jek eine ganze Zeit lang durch klaustrophobische, dunkle Tunnel. Sie mussten sich schliesslich irgendwo tief unter dem Xeno-Palast befinden, denn es gab weder Fenster noch erreichte das fahle Licht des toten Sternes diese Hölle aus schwarzem, gläsernen Stahl und noch schwärzeren, finstersten Schatten. Nur einige wenige Kristallleuchten erhellten die Dunkelheit mit ihrem schwachen, kränklichen Schimmern, während eine dicke Schmutzschicht am Boden des Gewölbes auch das letzte Licht in sich aufzusaugen schien.


    Nicht weniger ausgezerrt und kränklich wirkten die abgemagerten, ghoulhaften Männer und Frauen, die durch die dunklen Gänge schlichen und sich schüchtern an Hector, Jek und ihren Häschern vorbeidrängten. Sie alle hatten ihren Blick gesenkt. Was auch immer die Xenos ihnen angetan hatten, musste fürchterlich gewesen sein.


    Vor einer kleinen metallenen Türe, hielten ihre Bewacher an und zischten etwas in der fremden Eldar-Sprache, das weder Hector noch Jek verstehen konnte. Der Tonfall und die überdeutliche Gestik eines der Krieger waren aber eindeutig. Sie beide sollten sich in den Raum hinter der Türe begeben. Diese finstere Kammer des Siechtums und des Leids sollte augenscheinlich ihr Gefängnis werden.


    Ohne eine Möglichkeit, effektiv Widerstand zu leisten entschieden sie, der Anweisung fürs erste zu Folgen. Die übrigen Sklaven schienen sich ohnehin frei in den Tunneln bewegen zu können. Sollte Hector und Jek ein ähnliches Schicksal blühen, wären ihre Fluchtchancen zu einem späteren Zeitpunkt deutlich günstiger als jetzt, während die Xenos ihre Waffen auf sie gerichtet hatten und nur darauf warteten, abdrücken zu können.


    Missutig trat Hector als erster ein. Jek folgte stumm, mit noch immer demselben diabolischen Grinsen im Gesicht nach. Hinter der kleinen Türe befand sich jedoch entgegen ihren Erwartungen keine kleine, enge Kammer, sondern eine grosse, gegen oben noch grösser werdende Halle. In die schräg nach oben ragenden Mauern waren unzählige kleine Nischen geschlagen, in denen Gespengstern gleich, entkräftete menschliche Sklaven lagen. Es musste sich um jene handeln, die gerade keine Aufgabe hatten – oder zu schwach waren, ihre eigentlichen Aufgaben zu erfüllen. Hector erkannte sofort den süsslichen Verwesungsgeruch, der ihm entgegenwehte und wusste, dass in manchen Nischen nur noch verrotende Kadaver liegen würden.


    »Hehe, ein neues Zuhause für Jek!«, lachte Antons Foltermeister, als er die Halle erblickte.


    Hector verzog sein Gesicht. Offenbar freute sich Jek, ein Gefangener der Xenos zu sein. Vielleicht erinnerte ihn diese unterirdische Behausung an seine Heimatwelt, Necromunda, doch selbst in diesem Fall schien sein irrer Gefährte etwas zu enthusiastisch.


    »Fühlst dich zuhause?«, bemerkte Hector trocken.


    Jek schaute ihn mit seinen geweiteten Glubschaugen an. »So viele Vögelchen. So viel Schatten. So viel Leid. Väterchen ist ganz nett…«


    »Anton hat uns verraten, Jek. Er ist weg. Er hat uns im Stich gelassen!«


    »Väterchen ist ganz nett…«, wiederholte Jek abwesend und begann, sich tiefer in das Sklavenquartier hineinzubewegen. Hector entschied, ihn erstmal gewähren zu lassen. Er konnte den Metzger ohnehin kaum unter Kontrolle halten. Mit seinem widerwertigen Äusseren und seinem befremdlichen, hopsenden Gang, würde er ihn sowieso einfach wiederfinden. Es blieb lediglich zu Hoffen, dass Jek sich lange genug zusammenreissen konnte, um kein Massaker unter den Sklaven anzurichten. Etwas, dass für ihn leider immer schwieriger werden würde, umso länger er hier eingesperrt war.


    »Der Imperator hat euch verlassen«, ertönte eine dumpfe, leblose Stimme neben Hector. Sofort drehte sich der Veteran um. Ein Mann stand neben ihm. Er hatte sich fast geräuschlos durch die Dunkelheit genähert, so dass Hector seine Anwesenheit erst bemerkte, als er von ihm angesprochen wurde. Hector trat einen Schritt zurück und musterte die Gestalt vor ihm.


    Ähnlich den im Palast lebenden Eldar war die Haut des Mannes von ungesunder Blässe. Das Gesicht war aber im Gegensatz zu den Xenos so stark eingefallen, dass die Haut wie ein dünnes, knittriges Papier wirkte, dass über seinen nackten Schädel gespannt worden war. Die dünnen, schulterlangen Haare waren unfrisiert. Fettige Strähnen hingen wie schmierige Fangarme vor seinem Gesicht.


    »Und du bist…?«, fragte Hector den verwahrlosten Sklaven.


    »Jakub Sanz«, antwortete er mit gleichbleibend gefühlsloser Stimme. »Sprecher dieser Gemeinde.«


    »Gemeinde?«, erwiderte Hector. »Du meinst die Sklaven?«


    »Diese Xenos – Eldar – sehen und als Sklaven. Wir sind aber alle Bürger des Imperiums. Ich meine unsere Gemeinschaft.«


    »…und die Xenos haben dir die Führung über diese Gemeinde überlassen? Du bist also eine Art Kontaktmann?«


    Jakub lachte freudlos.


    »Die Xenos kümmern sich einen Dreck um uns. Ich wurde von den Menschen hier gewählt. Ich trage dazu Sorge, dass wir Überleben können… einige von uns. Ich verhindere, dass wir uns gegenseitig zerreissen. Aber sprich. Welche Sünde hat dich hierhin gebracht? Die Art, wie du mit mir sprichst… Die Art, wie du hier hereingekommen bist. Dein Gang. Du bist kein einfacher Gefangener der Eldar, nicht wahr?«


    Hector musste zugeben, dass er von Jakubs scharfsinniger Analyse etwas überrascht war. Andererseits machte es durchaus Sinn, denn in dieser Hölle zu Überleben, forderte wohl einen äusserst gerissenen Verstand. Ausserdem wäre er kaum der Anführer dieser Sklaven, würde er über keinerlei aussergewöhnliche Fähigkeiten verfügen.


    »Von einem Freund verraten…«, flüstere Hector bitter. »Wir waren wohl Gäste des Xenos-Anführers, bis dieser Bastard uns verkaufte.«


    »Wenn du Gast des Archons warst, hast du den Imperator beleidigt«, erklärte Jakub monoton. »Darum hat er dich verlassen. Darum bist du hier.«


    Hector spuckte auf den Boden und zündete sich ein Loh-Stäbchen an. Ein Murmeln durchzog die Dunkelheit, ehe ihm bewusst wurde, dass die Menschen hier unten wohl schon für eine winzige Dosis Loh töten würden. Aber was hatte er zu befürchten? Diese ausgehungerten Wesen waren keine Gegner für ihn. Er nahm einen Zug und bliess Jakub den Qualm ins Gesicht.


    »Verschon mich mit deiner Predigt. Der Imperator hat sich schon seit langem von mir Abgewandt!«


    »Dann wirst du hier deinen Tot finden«, antwortete Jakub, offenbar durch Hectors kaltschnäuziges Auftreten in keiner Weise beeindruckt. »Aber der Tot wartet auf uns alle.«


    Als er fertig gesprochen hatte, verschwand Jakub so leise, wie er gekommen war. Er hatte etwas durch und durch gespengstiges an sich. Hector fühlte weder Angst noch Anspannung, doch hatte der Mann bei ihm ein ungutes Gefühl ausgelöst. Mehr noch, als er aufgrund seiner Lage sowieso ein ungutes Gefühl hatte. Alles würde schrecklich schief gehen. Früher oder später.


    Er machte sich Vorsichtig auf die Suche nach Jek und erspähte ihn weit hinten in einem der dunkleren Ecken der kavernenartigen Halle. Trotz allem war ihm in der Gesellschaft des Metzgers wohler, als die Gesellschaft einem bemitleidenswerten und doch äusserst zwielichtigen Sklaven wie Jakub.


    »Hector«, grunzte Jek leise, als er sich ihm näherte. »Das Bleichgesicht ist der Anführer. Die anderen Vögelchen haben Angst vor ihm. Viele folgen ihm nur deshalb. Links von uns viele Leichen. Hehe. Da werden wir wohnen. Ein neues Zuu-hauuuu-seee!«


    Hector schüttelte resigniert den Kopf. Jek hatte wieder einmal bewiesen, dass Wahnsinn und Genie sehr nahe beieinander lagen. Einerseits hatte er ihre Situation sofort erkannt und sich ein Bild der Lage gemacht, andererseits schlug er ebenfalls vor, neben verwesenden Körpern zu liegen und nannte das dann „Zuhause“. Dennoch musste Hector, Jek in gewissen Punkten zustimmen. Er würde eine Anslammlung von Nischen, in denen hauptsächlich Tote lagen, niemals sein Zuhause nennen, vor allem nicht mit solchem Enthusiasmus. Doch Jek vertraute Jakub unverkennbar ebenso wenig, wie Hector es tat. Es war besser, wenn sie alleine bleiben würden. Jede Nische, in der ein Toter lag, war eine Nische, in der kein Lebender lag. Die Logik dahinter war so einfach wie bizarr.


    Zusammen begaben sie sich zu der Stelle, die Jek ausgesucht hatte und fanden sogar zwei Nischen, die gleich beieinander lagen. Der Verwesungsgeruch war dort zwar ausgeprägter, als im Rest der Halle, doch Stank es sowieso so fürchterlich, dass es kaum ein Unterschied machte.


    Sie einigten sich, abwechselnd zu schlafen, während der andere jeweils Wache hielt. Da aber beide noch nicht Müde waren, entschied Hector, die Umgebung auszukundschaften. Als sie von den Xenos hier hin geleiet wurden, kamen ihnen immer wieder Sklaven entgegen, die sich offenbar frei bewegen konnten. Auch hatte Hector nicht gehört, dass die Türe abgeschlossen wurde, nachdem die Xenos sie hier abgesetzt hatten.


    Während er sich aufmachte, die nahen Tunnel zu erkunden, blieb Jek zurück und beobachtete die anderen Sklaven, um möglichst viel über ihre Hierarchie und Gesellschaftsstruktur zu erfahren. Der Metzger fühlte sich in seiner Rolle offenbar äusserst Wohl. Sein Leben auf Necromunda musste ähnlich Schrecklich gewesen sein, denn die Situation schien ihm wohl vertraut.


    Die düsteren Tunnel waren ein wahres Labyrinth. Hector stellte fest, dass die finsteren Gänge grundsätzlich in zwei Richtungen führten. Einerseits dahin, wo sie hergekommen waren, andererseits tiefer nach Unten. Da er sich sicher war, dass er spätestens beim Zugang zur Palastanlage von Xenos-Wachen aufgehalten werden würde, entschied er sich, den Bereich zu erkunden, der, so wie er vermutete, tief im Fundament des Palastes lag. Vielleicht auch unter der Planetenoberfläche dieser sonderbaren Welt. Umso weiter er sich von dem riesigen Sklavenquartier entfernte, umso bedrohlicher fühlte sich die Umgebung an. Erst passirte er eine grässlich stinkende Halle, deren Boden aus einem verrosteten Metallgitter bestand. Darunter floss ein unterirdischer Fluss, der von Schmutz und Unrat eine braun-gelbe Färbung angenommen hatte. Den Spuren auf dem Gitter zu urteilen, diente diese Stelle den Sklaven als Abort. Der trostlose Anblick und die gewaltigen Ausmasse des Gestanks liessen Hector schaudern. Auch im Imperium gab es Welten, auf denen die Bewohner dazu gezwungen waren, ein kaum zu ertragendes Leben zu führen. Die Geschichten, die er von einigen Makropolen gehört hatte, waren oft mehr als nur befremdlich, aber in diesem Moment war er sich sicher, das die Sklaven dieser Aliens, ein noch viel schlimmeres Los hatten. Die Menschen waren in den Augen der Xenos wahrlich nur Tiere. Wenn überhaupt. Sie waren keine echten Sklaven, keine Ressorcen, die einen Zweck hatten, sie waren lediglich ein dahinvegetierendes Etwas, an dem sich die Eldar bespassen konnten, wenn ihnen danach war.


    Er durchquerte die Halle und folgte den Tunneln, die weiter in die Tiefe führten. Inzwischen war kein einziger Sklave mehr anzutreffen. Irgendwann wurden die glatten Wände aus dem fremdartigen Material durch rohen Fels abgelöst. Immer wieder schritt er an Nischen und grösseren Höhlen vorbei, erkannte aber in der absoluten Dunkelheit nahezu nichts. Er musste sich an den Wänden entlang tasten, um überhaupt vorwärts zu kommen. Wo auch immer dieses Labyrinth enden würde – eine Flucht war unmöglich, zumindest ohne künstliche Lichtquelle. Immer wieder vernahm er ein entferntes Schmatzen und Knurren, tat es aber als Einbildung ab. Es viel Hector schwer, sich einzugestehen, dass er es langsam mit der Angst zu tun bekam. Er fühlte kalte, unmenschliche Blicke, die ihn verfolgten. Die Temperatur sank drastisch, als er noch Tiefer in das Höhlensystem eindrang. Schliesslich musste er seine Niederlage eingestehen und kehrte um. Hier war kein Platz für ihn. Hier gab es nichts, dass ihm irgendwie zur Flucht verhelfen konnte. Mit zügigem Schritt begab er sich zurück zu der stinkenden Halle, stehts begleitet von dem Gefühl, beobachtet zu werden.


    In der entgegengesetzten Richtung, die er nun eingeschlagen hatte, nahm die Anzahl der herumeilenden Sklaven immer weiter zu, umso näher er den oberen Bereichen dieser Anlage kam. Die Menschen waren allesamt völlig verwahrlost und apathisch. Wenn es jemanden gab, der noch auf einen Ausweg aus dieser Hölle hoffte, so verstecke er dieses kleine bisschen Hoffnung hervorragend. Es war niederschmetternd zu sehen, wie die Sklaven sich einfach ihrem Schicksal hingaben. Auf dem Weg zu den oberen Gewölben erblickte Hector mehere Zugänge, die in weite, leere Räume führten, deren Funktion ihm völlig unbekannt war. An anderen Stellen versperrten massive Gitter oder metallene, mit unheilkündenden Runen versehene Türen die vielen Seitenstollen, die links und rechts von dem etwas grösseren Hauptgang wegführten. Etwa dreissig Standardminuten von der grossen, als Unterkunft dienenden Halle entfernt, erblickte er das erste Mal einen Xenos-Wachposten. Zwei Eldar-Krieger in ihren gefährlich anmutenden Rüstungen standen neben einem etwa doppelt so grossen Schlagenwesen mit vier massiven, muskulösen Armen. Als er sich näherte, richteten die Wachen sofort ihre Waffen auf Hetor.


    »Du nicht«, zischte die Xenos-Schlange ihm undeutlich entgegen, als er noch gut zehn Meter entfernt war. Hector hatte Mühe, ihre Worte zu verstehen. Unüberhörbar bereitete die gotische Sprache ihr grossen Mühen, auch wenn sie einfache Sätze sprechen konnte.
    Hector musste es nicht darauf ankommen lassen. Nicht jetzt. Er entschied sich, umzudrehen. Der einzige Weg, der vielleicht hier herausführte, war durch die bedrohliche Dunkelheit der tiefergelegenen Tunnel. Sowohl sein Verstand als auch seine Intuition stimmten aber damit überein, dass der Versuch, sich durch die unbekannte Finsternis zu schlagen, eine äusserst dumme Idee war. Um hier wegzukommen, musste er sich seinen Weg wohl oder Übel mit Gewalt freikämpfen. Er musste zu Jek. Sie brauchten Verbündete.


    Die Sklaven, die ihm auf dem Rückweg entgegenschlenderden, waren ein solch erbärmlicher Anblick, dass Hector dagegen ankämfen musste, nicht auch alle Hoffnung zu verlieren. Die allgegenwärtige Negativität, welche die Tunnel wie unsichtbare, giftige Nebelschwaden erfüllte, begann selbst den hartgesottenen Veteranen zu zermürben.


    Jek war noch immer dort, wo Hector ihn zurückgelassen hatte. Der Soldat erläuterte dem Metzger, dessen Gesichtsmuskulatur unkrontrolliert zuckte, was er entdeckt hatte. Jeks gerötete Glubschaugen starrten Hector mit irrem Blick an, während dieser seine neu gewonnen Erkentnisse teilte. Trotzdem, so war sich Hector sicher, hörte der Foltermeister genau zu und begann bereits, das neue Wissen in seine Pläne zu integrieren.


    »Schwierig, schwierig«, stellte der Metzger fest. »Wir brauchen Waffen – kein Problem. Jek weiss, wo es welche gibt. Die Vögelchen müssen uns gehorchen – viel schwerer.«


    »…aber du hast einen Plan?«, fragte Hector nach.


    »Keinen Plan… zu wenig Informationen für einen Plan… Aber ich habe beobachtet. Dieses da«, Jek zeigte auf einen Sklaven am anderen Ende der Halle, »und dieses und dieses. Ich bin mir sicher, sie singen besonders schöne Lieder.«


    Hector wusste nicht recht, was er von Jek halten sollte. Er empfand sein Äussers absolut widerlich. Sein Geist war nicht unbedingt in besserem Zustand und es fühlte sich falsch an, ihn auf diese grundsätzlich unschuldigen Sklaven loszulassen. Hector selbst war Ratlos und konnte nur mutmassen, was Jek sich davon versprach, einen der von ihm ausgesuchten Sklaven auszuquetschen. Hector musste aber auch zugeben, dass es wertvoll sein konnte, was diese Männer, die schon viel länger hier gefangengehalten wurden, zu sagen hatten. Er hätte es allerdings vorgezogen, wenn Anton die Befragung hätte durchführen können. Jeks Methoden waren sehr extrem und sie brauchten Verbündete, keine Feinde.


    Doch Anton hatte sie verraten. Im Stich gelassen. Plötzlich wurde Hector klar, dass diese Sklaven keinen Deut besser waren. In dem sie ihr Los akzeptierten, machten sie sich genauso schuldig wie Anton. Er, der dem Xenos zu leben erleubt, teilt sein Verbrechen der Existenz. War das nichts-tun, das nicht-kämpfen gegen die Xenos nicht bereits ein Verbrechen? Diese Sklaven hätten sich bereits viel früher gegen ihre Herren stellen können. Sie haben ihre Seite gewählt – die Seite der Xenos. Wenn der Tod eines dieser Sklaven, ihnen dabei helfen würde, zu fliehen, wäre das im Grunde genommen sogar wünschenswert.


    »Lass sie singen«, befahl Hecor düster. Jek begann zu grinsen, während sich Schaum vor seinem geifernden Maul bildete.


    »Anton sagte, hör auf Hector. Das werde ich tun! Ich hör auf Hector!«


    ***


    Der Sklaven sass am Boden. Jek hatte aus der Kleidung einer der unzähligen Leichen in der Schlafhalle, einen grossen, schmutzigen Stofflappen mitgenommen und den kränklichen Mann geknebelt, nachdem dieser alleine durch die Gänge wanderte, um den Abort aufzusuchen. Ihn dann in einen der leeren Räume zu zerren, war ein leichtes.


    Wähend Hector etwas weiter hinten wache hielt und stumm in die finsteren Korridore blickt, kauerte Jek vor der glücklosen Seele. Er trug ein kleines Chirurgenmesser, das er in seinem Hosenbund versteckt hatte und fuchtelte damit, mit gierigem Blick, vor dem Gesicht seines Gefangenen herum. Dann löste er den festen Knoten, mit dem er den Lappen befestigt hatte und ermöglichte so dem Sklaven, wieder zu sprechen.


    »Du gehörst mir, Vögelchen!«, quiekte Jek freudig. »Mir alleine! Sing für mich! Sag mir alles, was du weisst!«


    Alleine der Ablick des gestörten, messerschwingenden Psychopathen war genug, dass der verängstigte Mann zu reden begann. Wiederstand zu leisten oder um Hilfe zu rufen, zog er nichteinmal in Betracht.


    »Ich heisse Marcus, ich lebte auf…«


    Jek rammte ihm das Messer in die Schulter, worauf der Mann einen kurzen, leisen Schmerzensschrei ausstiess und zusammenzuckte.


    »Du bist mir egal, Vögelchen«, flüsterte der Foltermeister und weckte in seinem Opfer dadurch die Hoffnung, dass er möglicherweise von ihm ablassen würde, sobald er erfuhr, was er wisse wollte. »Wieso dient ihr den Xenos?«


    »Wir… haben keine Wahl«, keuchte der Mann. »Unten, in den Schatten. Etwas Dunkles, Bösartiges. Es verschwinden Menschen, die dann nie wieder auftauchen. Sie werden von eisigen Schatten in die Tiefe dieser Tunnel gezerrt. Wenn wir den Xenos dienen, können wir nach oben. Solange wir nützlich sind. Besser sterben wir dort im halbschatten dieser verdammten Sonne, als von irgendwelchen Wesen geschlachtet zu werden. Solange die Xenos es erlauben, können wir in der grossen Halle leben. Dort kommen die eisigen Schatten nicht hin.«


    »Und wer ist euer Anfüher? Du? Ich habe dich beobachtet, du singst vielen der anderen Vögelchen deine Lieder.«


    »Ich bin nur einer der Vollstrecker! Jakub! Jakub ist der Anführer! Bevor er kam, war alles noch schlimmer! Wir haben uns gegenseitig getöten. Assen unser Fleisch. Jakub hat uns die Wahrheit gezeigt. Der Imperator hat uns verlassen, doch wenn wir lange genug Leiden, wird er uns vergeben!«


    »…und wer ist dieser Jakub? Weisst du etwas über ihn?«


    »Er sagst, er hätte mit Space Marines gekämpft. Dass diese ihm gesagt hätten, der Imperator sei tot. Dass er Schreckliches getan hätte. Doch irgendwann geriet er diesen Spitzohren in die Hände. Dann wurde er erleuchtet und der Imperator hat zu ihm gesprochen. Der Imperator! Er hat jenen, die ihm nicht gehorchten, die Haut abgezogen. Er hat sie verstümmelt, schrecklicher als es die Xenos tun. Er hat die, welche die Grossartigkeit unserer Spezies verkannten und den Glauben an den Imperator verneinten, getilgt. Er hat uns von Mördern und Kannibalen errettet. Nur durch seine schreckliche Führung können wir lange genug Überleben, um uns im Namen des Imperators wieder reinzuwaschen! Wir müssen als Menschen zusammenhalten, nur dann können wir genug Leid erfahren, um vom Imperator Vergebung zu erfahren.«


    Hector, der alles mitgehört hatte, war inzwischen zu Jek hinübergekommen. Er Empfand keinerlei Mitleid mehr für diese Kreatur. Der Imperator hilft den Menschen nicht. Der Imperator hatte auch Hectors Familie nicht geholfen. Und er sprach erst recht nicht mit Menschen, insbesonders nicht mit solchen, die ihn verdammt hatten. Nicht nur das, der Sklave ordnete sich den Xenos unter. Er tat es sogar auf Geheiss eines gebrechlichen Fanatikers. Das Ausmass an Willensschwäche, das der Mann zeigte, widerte Hector an. Doch er wusste dafür, was zu tun war, um „Verbündete“ zu gewinnen. Und er würde dabei keinerlei Skrupel kennen.


    »Jek«, richtete er sich mit emotionsloser Stimme an den Metzger. Er legte eine kurze, ungewollt dramatische Pause ein.


    »Geniesse es…«, waren seine Worte, ehe er den Raum verliess.

  • Stahl-Opa

    Hat den Titel des Themas von „Anton Kalen - Ewige Verdammnis - [Kapitel 5]“ zu „Anton Kalen - Ewige Verdammnis - [Kapitel 6]“ geändert.
  • VII


    Anton wusch sich das Gesicht mit einem wassergetränken Lappen, der zuvor zusammen mit einem kleinen Bottich in seine Kammer gebracht wurde. Mit jedem vergangenen Tag, in dem er in fast völliger Stille mit Nalaryss den Kampf gegen die Drukhari übte, wurden ihm mehr Freiheiten zugestanden. Anton schätze, dass er sich bereits vier Tage in Gefangenschaft befand. Ohne Chronometer, eingesperrt und völlig isoliert, war es jedoch unmöglich, genau festzustellen, wieviel Zeit bereits vergangen war. Die sich wiederholenden Trainingseinheiten gaben ihm jedoch eine gewisse Struktur, die ihm half, bei Verstand zu bleiben. Dadurch, dass er sich den Befehlen der Drukhari bedingunglos beugte, schien das Misstrauen ihm gegenüber langsam zu schwinden. Er durfte sich frei in seiner Kammer bewegen und bekam die möglichkeit, sich zumindest Bedingt frisch zu machen. Natürlich hatte er bei der ersten Gelegenheit, bei der er frei von Ketten und für sich alleine war, den ganzen Raum durchsucht, doch fand er nichts, was die Situation merklich verändert hätte. Neben alten, schrottreifen Waffen und jeder Menge leerer Gefässe und Schalen, fand er nur noch einige moderigen Lumpen, aus denen er immerhin einen einfachen Rock schnüren konnte, um seine Kleider während des Trainings nicht weiter zu zerschleissen. Obwohl die Gewänder, die ihm Emanuel zu Beginn dieser Tortur gegeben hatte, bereits übel zugerichtet waren, erinnerten sie Anton doch an die Zeit vor seinem Märtyrium. Sie hatten inzwischen einen sentimentaln Wert weswegen er verhindern wollte, dass sie weitere Schäden davontrugen.


    Das Training belebte zwar sowohl Körper als auch Geist, doch mangelte es Anton an Schlaf und Erholung. Er hatte mehr als genug Zeit, sich zwischen den Übungskämpfen mit Nalaryss auszuruhen, aber beim Nichtstun vergifteten düstere Gedanken seinen Verstand und im Schlaf quälten ihn die schrecklichen Visionen von Ashenya. Er hatte begonnen, Gebete, Gesetzte und Texte, die er auswendig kannte, zu rezitieren. Nicht um derer Inhalt willen – vieles davon schien im gerade in seiner jetzigen Situation unglaublich banal – sonder lediglich zur Ablenkung und Beschäftigung.


    Immer wieder fragte er sich, wie lange er noch hier festsitzen würde. Wie lange es gehen würde, bis er die Gelegenheit bekam, seine neue Herrin zu töten.


    Als er gerade einige besonders geschmackslose Passagen aus dem Lectitio Divinitatus vor sich her murmelte, betrat Nalaryss sein Gefängniss. Anton hörte sofort damit auf und fokusierte seinen Verstand auf das jetzt. Etwas stimmte nicht. Es konnten kaum mehr als eine halbe Stunde vergangen sein, seit er sein Training beendet hatte und die Drukhari ihn wieder alleine zurückgelassen hatte. Das sie nun wiedergekehrt war, war durchaus ungewöhnlich.


    »Mach dich bereit«, sagte Nalaryss noch während sie zielstrebig auf Anton zuschritt. »Heute wirst du deinen Wert unter beweis stellen«


    ***


    Maelarah blickte hinab in die Arena ihres Hauses. Sie lag zwischen dem Palast der Azrushar und den Refugien ihrer Getreuen. Die grosse Kristallkuppel, die sich über den hexagonalen Bau wölbte, verunmöglichte sowohl Flucht als auch Eindringen, liess aber die schwachen Strahlen der sterbenden Sonne ihr Licht auf die weissen, marmorähnlichen Platten strahlen, die den Boden der Arena bedeckten.


    Die Drukhari liess ihren Blick über die nur zur Hälfte gefüllten Zuschauerränge schweifen. Das Haus Azrushatora hatte wahrlich schon bessere Zeiten erlebt. Auch wenn die grosse Ära des alten Adels schon seit Äonen vorbei war, hatte ihr Vater doch immer Wert auf die alten Traditionen gelegt und zum Ruhme ihrer Dynastie ausschweifende Festspiele veranstaltet. Nach dem sein Bruder ihn ermordet und seinen Platz eingenommen hatte, verkam Dalrailac zu einem erbärmlichen Hort Ausgestossener, in dem diejenigen Zuflucht fanden, welche in Commorragh selbst keine Zukunft hatten. In den grossen Logen waren kaum mehr Mitglieder der alten Familien anzutreffen. Kaum mehr reinblütige Fleischgeborene, sondern Bastarde und Abkömmlinge niederer Drukhari. Alleine der Gedanken an diese in Brutkapseln gezüchteten Abscheulichkeiten ekelte Maelarah. Zumindest hatte der heutige Kampf potential, etwas mehr Vergnügen zu bereiten als die geistlosen Sklavenkämpfe, mit denen ihr Onkel seine Anhänger ruhigstellte.


    Auch wenn der Chem-Pan-Sey, der in ihrem Namen kämpfen würde, ein Geschenk ihres schandhaften Onkels war, würde es ein spezielles Spektakel werden. Der Mensch hatte sich Freiwillig in die Hand der Drukhari begeben – ein besonders niederträchtiger Verrat an seinem Volk. Doch wie weit würde er dabei gehen? Der Schmerz und die Scham, die er fühlen würde, wenn er die unverdorbensten seiner Spezies niederstreckte, würden besonders delikat sein.


    Maelarah hörte das leise Zischen des Sslyth, der in ihrer Loge wache hielt und wusste, dass er ihre Besucher gewittert hatte. Sie freute sich, den bevorstehenden Kampf mit einer alte Freundin geniesse zu können, deren Abstammung ebenso rein wie die ihre war.


    Die schweren, smaragdgrünen Brokatvorhänge der Loge wurden auseinandergezogen. Eine schlanke, hochgewachsene Drukhari-Frau betrat den Raum. Die arroganten Züge ihres blassen Gesichts wiesen auf eine noble Abstammung hin. Ihre langen, weißblonden Haare waren mit einer silbernen Nadel auf dem Scheitel hochgesteckt und zu einem strengen Zopf geflochten, der bis auf den Boden reichte, am Ende zusammengehalten von einer mehrgliedrigen, goldenen Spange in Form eines Schlangenkopfes. Silbernen Ketten hingen über ihren Hüften, daran wie Edelsteine winzige Phiolen mit purpurnen Flüssigkeiten. Dieser Schuck ließ sie als eine Tochter des Shaimesh erkennen, eine Anhängerin des Kultes der Lhamea.


    Die Farben ihrer Kleidung wiesen jedoch noch auf eine andere Zugehörigkeit hin. Über einem eleganten Kleid mit langen Handschuhärmeln und weitem Dekolletee aus schimmernder, blauvioletter Seide trug sie ein Mieder und einen hohen Kragen aus schwarz glänzenden Chitinplatten, an deren Kanten sich das gedämpfte Licht in irisierendem Grün und Orange brach. Sie trug die Farbe des Hauses DorchaKerun, jene, die für sich in Anspruch nahmen, Nachkommen des Kurnous zu sein.


    Unmittelbar nach der Frau traten drei weitere Drukhari ein, wahre Hünen unter ihresgleichen. Die Krieger trugen Plattenrüstungen wie aus glänzender Jade. Ihre Gesichter verbargen sich hinter schwarzen Masken, die Helme waren von messingfarbenen Hörnern gekrönt. Die Schärpen und Bänder an ihren Rüstungen waren nicht aus Stoff, sondern aus bleicher Haut. Ein jeder präsentierte auf den gebogenen, mit Dornen gesäumten Trophäenstangen an seinem Rücken, Schmuckstücke von erschlagenen Feinden. Auf der Brust jedes Kriegers schimmerte ein Seelenstein ihrer verachteten Vettern, der Asuryani, in Gold gefasst, tiefblutrot und zersplittert, einem ausgerissenen Herzen gleich. In Hände hielten sie breite, beidhändige Klingen aus schwarzglänzendem Obsidian.


    Nachdem der Vorhang hinter ihnen zugefallen war, blieben die Krieger stehen und rührten sich nicht mehr, als wären sie Statuen aus grünem Edelstein. Dennoch ging eine Bedrohung von ihnen aus, die jeden mit voller Härte treffen würde, der der jungen Frau zu nahem kam. Der Sslyth war angesichts solch mächtiger Elitekämpfer sichtlich nervös. Er bewegte unruhig seinen Körper auf und ab, wagte es aber nicht, die Neuankömmlinge anzusprechen.


    Die Lhamea blieb kurz stehen und schaute das vierarmige Schlangenwesen verächtlich an. Dann legte sie mit einem arroganten lächelnd den Kopf zur Seite und schritt auf Maelarah zu.


    »Deine Incubbi verängstigen meinen Sslyth«, sagte Maelarah zu der nach vorne tretenden Drukhari. »Es freut mich zu sehen, dass das Haus DorchaKerun noch immer so vorzügliche Krieger in seinen Diensten hat.« In ihrer Stimme lag unverblümt Neid und Verbitterung. Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte sie sich sogleich direkt an den Sslyth.


    »Verschwinde. Deine Dienste werden nicht mehr benötigt.«


    Sie wartete, bis das Alien die Loge verlassen hatte. Er dann liess sie ihren Blick von der eindrucksvollen Kreatur ab.


    »Viel besser«, flüsterte sie leise, ehe sie sich wieder der wohl gekleideten Drukhari-Adeligen zudrehte. Sie selbst war mit einem eleganten, transparenten Gewand gekleidet, unter dem eine kaum als solche zu bezeichnende Rüstung aus smaragdbesetzter Echsenhaut, nur die intimsten Körperstellen verdeckte. Sie wirkte eher wie eine Hekatari als eine angehörige des Adels. Ironischerweise war ihr Gast die Tochter einer Succubus, während sie selbst keinerlei direkten Bezug zu den Hagashîn-Kulten der Drukhari hatte.


    »Mein Onkel hat ihn bezahlt«, erklärte sie. »Es ist gut, dass du mit deinen eigenen Kriegern hergekommen bist. Es wäre eine Schande, wenn Llvayarzh von meinen Plänen erfahren hätte.«


    »Quisar hat darauf bestanden, sonst hätte er mich nicht alleine gehen lassen. Die Inccubi vom Orden der Gehörnten Jadeviper stehen im Dienst unseres Vaters, um meinen Bruder unter Kontrolle zu halten – oder zumindest glaubt der alte Mann dies.« Sirqa lachte verächtlich.

    »Ich freue mich sehr, dass du meiner Einladung gefolgt bist, liebste Sirqa.«


    »Es ist mir immer wieder eine Freude, deine Gastfreundschaft zu genießen, Maelarah.«


    Sirqa ließ ihren Blick über die Arena schweifen. Sie musste sich eingestehen, dass der sechseckige Bau beeindruckend war, wenn auch keinem Vergleich standhielt zu dem großartigen Theater ihrer Mutter. Schon als kleines Mädchen hatte sie dort bis auf den höchsten Ebenen der gewaltigen Fassade der Skene ihre Gegner mit Schnelligkeit und Gewandtheit zu Fall gebracht und hinunter in das Rund der Orchestra stützen lassen – wo der schwarze Fließsand sie in die Tiefen der Erde zog. Gelegentlich vermisste sie diese Zeit.


    »Dann hoffe ich, dir gefällt der Kampf, meine liebe Freundin«, antwortete Maelarah. »Ich bin zuversichtlich, dass es ein vorzügliches Spektakel sein wird. Auch wenn es natürlich nicht das Theater des Kultes der Dunklen Mutter ist. Aber ich versichere dir, auch wir haben ein unterhaltsames Programm zu bieten.«


    »Ich erwarte nichts geringeres, Maelarah. Die Schauspiele des Hauses Azrushatora haben einen ausgezeichneten Ruf.«


    »Uns es liegt an mir, dass dieser Ruf auch weiterhin bestehen bleibt. Die exquisiten Spektakel sind selten geworden. Mein Onkel zieht es vor, sich der Jagd hinzugeben oder sich in seinem Palast huldigen zu lassen. Ohne meinen vorzüglichen Geschmack gäbe es kaum mehr als simpelste Sklavenkämpfe, die höchstens den niederen Pöbel amüsieren könnten. Natürlich können aber auch meine besten Kämpfer, in der Arena nicht mit deiner anmutigen Eleganz konkurrieren.«


    »Wahrlich eine Schande, dass dein Vater sich nicht behaupten konnte.«, stimmte Sirqa eher beiläufig zu. Die Mealarahs Familienfehde interessierte sie nicht. Dass ihre Freundin aber Sirqas vorzügliche Kampffähigkeiten erwähnte, sprach für ihren guten Geschmack. Mealarah lud ihren Gast mit einer Handbewegung ein, Platz zu nehmen. Der massive Sessel glich einem kristallenen Thron und war mit samtweichem Fell bezogen, das eine absonderliche, orange-graue Musterung aufwies. Als Sirqa sich gesetzt hatte, nahm Maelarah eine Karaffe mit blassgoldener Seelenessenz und füllte zwei dünne, hohe Gläser auf, welche auf einem aufwendig gefertigten Kristalltischchen standen, dessen Oberfläche mit komplex gewundenen Reliefs verziert war. Die meisten davon zeigten exotische Wesen, von denen wohl alle bereits seit langer Zeit ausgestorben waren.


    Der Kampfansager erhob gleichzeitig seine durch abscheuliche Chirurgie verstärkte Stimme, als die beiden Drukhari-Prinzessinnen auf ihr Wohl anstießen.


    »Jubelt und ehrt das große Haus Azrushatora«, brüllte er, wobei sein Echo von der Kristallkuppel zurückgeworfen wurde, und die ganze Arena erfüllte. »Die grossartige Azrushar, unser glorreicher Herr und Gebieter, präsentiert eine besonders entzückende Auswahl an Sklaven. Seine uns allen bekannte Nichte, Maelarah aus dem Hause Azrushatora, präsentiert einen Fürsten der Chem-pan-sey, den sie vor nicht allzu langer Zeit als Geschenk unseres angebeteten Archons erhalten hat.«


    Maelarah spuckte voller Verachtung auf den Boden, als der Ansager ihren Onkel erwähnte.


    »Dieser Bastard ist eine Beleidigung«, zischte sie wie eine boshafte Schlange, den Rest der Kampfansage ignorierend. »Hätte er nicht eine Armee halbgeborenen Abschaums um sich geschart, würden nicht einmal die erbärmlichsten Sklaven ihm Ehre erbieten. Diese Arena gehört noch immer meinem Bruder!«


    Sirqa setzte ein unbestimmtes Lächeln auf. Rivalitäten innerhalb der hohen Familie waren Alltag in Commorragh. Im Haus DorchaKerun waren sie fester Teil der Kultur der Dynastie. Immerhin trug ihr Vater nach wie vor den blanken Schädel seines älteren Bruders auf seiner Rüstung. Der Verbleib ihres Großvaters war nie wirklich geklärt worden. Gerüchteweise hatte ihre Mutter, zu jener Zeit noch Unter-Succubus im Kult der Schwarzen Mutter, dabei eine Rolle gespielt. Und auch die Zahl ihrer und Quisars Halbgeschwister schwankte ständig. In dieser Beziehung waren die Azrushar und ihr Bruder nicht allzu verschieden. Auch Quisar war sich dazu nicht zu schade, die Hilfe jener in Anspruch zu nehmen, auf die ihr Vater nur herabsah. Bei allem Standesbewusstsein mangelte es ihm nicht an Pragmatismus.


    Anton wusste nicht, was ihn erwarten würde. Er wusste nur, dass es nun endlich so weit war. Er würde kämpfen müssen. Er würde einen ruhmvollen Kampf bieten und sich den Respekt der Drukhari verdienen. Er würde Ashenya aus den Klauen des Warps retten.


    Nalaryss stand vor ihm und blickte ihm direkt in die Augen. Sie sagte nichts, aber Anton verstand sie trotzdem. Die Übungskämpfe hatten ihm nicht nur einen Einblick in die Kampfweise der Eldar gegeben, sondern auch in die Persönlichkeit der Drukhari-Kriegerin. Sie würde ihn zweifelslos töten, würde er versagen. Doch Anton würde nicht versagen. Ein Versagen würde bedeuten, Ashenya für immer zu verlieren. Sie zu einem unendlichen Märtyrium in den Seelenfeuer des Immateriums zu verdammen.


    Der Inquisitor nickte zustimmend. Sie würde verstehen Sie würde wissen, dass er bis zum Äußersten gehen würde. Er ergriff also das Schwert, dass Nalaryss ihm entgegenstreckte. Die Klinge war von höchster Qualität, hatte aber ein gewaltiges Gewicht, so dass er sie nur beidhändig schwingen können würde. Ein stilisiertes Ultima-Symbol zierte die Parierstange und ein Aquila den Knauf. Es fühlte sich völlig falsch an, dieses Relikt des Adepta Astartes zu ergreifen, um damit im Namen einer Xenos-Herrin zu kämpfen. Aber hatte er eine Wahl? Wem auch immer diese Klinge gehörte, hatte sie wohl ebenso wenig freiwillig hiergelassen. Der Gedanke, dass ein Space Marine in dieser Arena sein Leben ließ, beunruhigte Anton zutiefst. Doch er musste standhaft bleiben. Er musste sich auf den Kampf fokussieren. Auf Ashenya.


    Die Stimme eines Eldar donnerte durch die Arena. Offenbar war es bald so weit. Anton begab sich zu dem vergitterten Zugang, der in den offenen Kampfplatz der imposanten Anlage führte. Nur Sekunden später öffnete sich das Fallgatter mit einer gleichmäßigen, sanften Bewegungm, in dem es lautlos nach oben gezogen wurde. Anton spürte wie Nalaryss’ Blick ihn von hinten durchbohrte, als er langsam seinem Schicksal entgegenschritt.


    Die Menge johlte, als der Inquisitor vor seine Zuschauer trat. Es war eine abnorme Mischung aus verächtlichem Gelächter, verletzenden Beleidigungen und belustigtem Hohn. Doch Anton war das egal. Diese Xenos würden bald erfahren, zu was er fähig war. Er Schritt über die Marmorplatten in die Mitte der sechseckigen Arena, bereit, sich seinem Feind entgegenzustellen.


    »Weisst du, die ganzen Sklavenkämpfe langweilen mich«, erklärte Maelarah. »Daher habe ich den heutigen Kampf etwas spannender gestaltet.«


    Eine Gruppe junger Frauen in zerfetzten Lumpen betraten die Kampfarena. Sie hatten alle schneeweißen, kinnlangen Haare mit kerzengerader Schnittkante an der Kopfvorderseite. Angeführt wurde die Gruppe von einer etwas älteren Frau mit derselben Frisur. Sie trug als einzige ein Kettenschwert, während der Rest unbewaffnet war.


    »Diese Weibchen sollen zu den reinsten und unschuldigsten Wesen ihrer Spezies gehören. Der Chem-Pan-Sey wollte sich mir freiwillig unterordnen. Sie abzuschlachten, sollte seine Seele derart zerrütten, dass die dabei freigesetzte Agonie köstlicher sein wird als der verzweifelte Überlebenskampf gewöhnlicher Cresistauead.«


    »Eine originelle Idee«, stimmte Sirqa zu. »Den Tierhetzen, die Quisar so liebt, mangelt es zuweilen an der psychologischen Komponente. Allerdings - habe ich dir je von den beiden Asuryani erzählt, die wir gefangen hatten?«


    »Nicht, dass ich mich erinnern könnte.«


    Sirqa lehnte sich zurück und griff nach ihrem Glas.


    »Erinnere mich nach dem Kampf daran, dies nachzuholen. Es wird dir gefallen.«


    Anton hatte eine Alienbestie oder einen Drukhari-Krieger erwartet, doch mit Sicherheit keine Schwestern der Adepta Sororitas. Er zählte neun Schwestern, acht davon waren kaum sechzehn Jahre jung, während Eine wohl mittleren Alters war. Sie war es auch, die die Gruppe anführte und als einzige mit einem imperialen Standard-Kettenschwert bewaffnet war. Die Roben der Sorotitas waren zerfetzt und auch beim besten Willen kaum mehr als Lumpen. Anton wandte instinktiv seinen Blick von der entwürdigend entblößten Weiblichkeit der Mädchen ab. Die Schwestern der Adepta Sororitas so vorzuführen war schon blasphemische Häresie, nicht nur gegen den Imperator, sondern gegen alles Menschliche. Verlangten die Drukhari wirklich, dass er Kinder töten sollte? Waisenkinder, wie er selbst eines war? Waisenkinder, deren Seele dem Imperator gehörten, wie keine Seele es sonst tat?


    Nur der Gedanke daran war so absurd, dass Anton glaubte, zu phantasieren. Doch so sehr er es sich wünschte, er konnte nicht leugnen, dass er in der Arena stand. Und neun Sororitas-Schwestern vor ihm.


    Sein Geist kollabierte. Er konnte das nicht. Er konnte keine Kinder ermorden. Natürlich starben in der Vergangenheit auch Kinder – durch seine Befehle, nicht nur auf Ysraal VI, das sich schmerzlich in seine Erinnerung zurückkämpfte, sondern auch viele Male zuvor. Aber trotz all dem war es etwas völlig anderes, unschuldige Kinder mit dem Schwert zu richten. Aber was war mit Ashenya? Um jeden Preis... Um jeden Preis musste er sie retten. Um jeden Preis? Auch wenn das hieß, unbewaffnete Kinder abzuschlachten?


    Ashenya bedeute ihm alles. Inzwischen mehr, als es das Imperium je tat. Aber würde er nun seine Waffe gegen diese Sorotitas erheben, würde er sich selbst zu ewiger Schuld verdammen. Er träumte davon, den Menschen zu helfen. Zusammen mit Ashenya, mit Hector, mit Jek. Aber würde dieser Traum nicht hinfällig, wenn er selbst zu einem der Monster wurde, von dem er die Menschen beschützen wollte?


    Anton war auf die Knie gefallen. Tränen liefen seine Wangen hinab. Er konnte sich nicht mehr bewegen, sein ganzer Körper fühlte sich taub an. Alles, was er bisher erreicht hatte, alle Opfer, die er gebracht hatte, wurden in Anbetracht dieses unmenschlichen Dilemmas nichtig. Dann wurde ihm unverhofft die Entscheidung, die er niemals hätte treffen können, abgenommen.


    »Verräter!« brüllte die Schwester mit dem Kettenschwert, ihre Schützlinge wie ein Regiment Gardisten hinter sich sammelnd. Sie kannte den Mann nicht, doch sie hatte die anderen Sklaven flüstern hören. Ein gefallener Inquisitor hatte sich den Xenos unterworfen. Hatte aus freien Stücken das Imperium verraten. Den Gottimperator auf blasphemischste Art beleidigt. Eine solche Sünde wog unendlich schwer. Diese Last zwang ihn nun auf die Knie. Der Mann vor ihr war zu gut genährt, zu gepflegt, um ein gewöhnlicher Sklave zu sein. Es musste sich um diesen Inquisitor handeln. Sie spürte, dass es so war. War es der Imperator, der ihr den Weg wies? Was auch immer es war, die Schuld dieses wankelmütigen Mannes war mehr als bewiesen. Das Urteil stand außer Frage.


    »Der Imperator ist ein Fels, der meinen Händen den Krieg gelehrt hat! Meinen Fingern den Kampf!«, begann die Schwester eine der kraftvollen Liturgien der Ekklesiarchie zu rezitieren.


    Die jugendlichen Novizen wiederholten die Worte, den Kopf gen Himmel gerichtet, als ob der Gottimperator jeden Moment innerhalb der sterbenden Sonne erscheinen würde, während ihre Obere auf den erbärmlichen Ketzer zu stürmte.Auch wenn Anton sich in einem katatonischen Zustand befand, gewannen seine Jahrzehnte lang geschulten Instinkte im Angesicht des Todes die Oberhand. Gerade im letzten Moment warf er sich zur Seite, so dass der kraftvolle, aber plumpe Angriff sein Ziel verfehlte. Anstatt dass das Kettenschwert seinen Schädel spaltete, streifte es Antons Arm und riss das Fleisch bis auf die Knochen ab. Er war kaum mehr bei Bewusstsein und hatte keine Kontrolle über sein Handeln, als sein Körper sich wie von selbst bewegte und eines der tausendfach eingeübten Kampfmanövern vollzog. In einem tödlichen Gegenangriff sprang er direkt auf die Schwester zu, die sich gerade im selben Moment, seiner Ausweichbewegung folgend, ihm zudrehte. Warmes Blut schoss ihm entgegen. Er roch verbranntes Fleisch. Erst jetzt gab sein Überlebensinstinkt die Kontrolle wieder an seinen Verstand ab und Anton merkte, dass er der angreifenden Sororita, das mächtige Energieschwert direkt in den Bauch gerammt hatte. Erschöpft liess er sich auf die Knie sinken. Die Verletzung an seinem Arm schmerzte fürchterlich, doch als er den Blick auf die grässliche Fleischwunde senkte, wandte er ihn sofort angeekelt wieder ab, Was auch immer die Drukhari mit seinem Arm gemacht hatten, als sie ihn vor Tagen ersetzt hatten, es war widerwertig und blasphemisch. Das Fleisch war aufgequollen und zog schleimige Fäden, während sich die Wunde von selbst zu verschließen begann. Mit Entsetzen wurde Anton bewusst, dass das nicht sein Arm war. Es war ein außerirdisches Etwas, dass sich an seinem Körper festgekrallt hatte. Die Xenos hatten ihn getäuscht.


    Sein Blick fiel wieder auf die Schwester, leblos vor ihm auf dem Boden lag.


    Ich habe sie getötet! dachte Anton. Aber ich musste es tun... ich hatte keine Wahl...


    »Amüsant, dieser Chem-Pay-Sey«, merkte Maelarah an, als Anton auf seine Knie sank, von seiner Tat selbst erschrocken und verstört. »Er hat sich freiwillig unserem Haus unterworfen. Doch trotzdem bereitet es ihm solche Pein, seine eigene Art zu töten.«


    »Dem kann ich nicht wiedersprechen«, pflichtete Sirqa bei. »Wie schade, dass es ihnen an der Kunstfertigkeit mangelt. Diese Kreaturen bewegen sich so plump, wenn sie aufeinander losgelassen werden. Aber mehr darf man wohl von Chem-Pan-Sey nicht erwarten.«


    Der seelische Schmerz des närrischen Inquisitors war purer Genuss für die Drukhari, die dem Kampf in der Arena beiwohnten. Der Schmerz, das Leid und die Verzweiflung ihrer Opfer hatten eine belebende, fast schon berauschende Wirkung, denn das Wesen der Xenos war durch Jahrhunderte der exzessiven Dekadenz immer weiter abgestumpft, so dass nur die drastischen Eindrücke in der Lage waren, ihr Gemüt zu erquicken.


    Bestialische Schreie aus acht zornerfüllten Kehlen rissen Anton aus seinen marternden Gedanken. Die Novizinnen der von ihm ermordeten Schwester rannten wutentbrannt auf ihn zu. Rechtschaffender Zorn brannte rachsüchtig in ihren Augen, Sie wollten Blut. Sein Blut.


    Mit vor Leid schmerzverzerrtem Gesicht richtete Anton sich auf. Er wollte nicht mehr kämpfen. Sollen diese jungen Schwestern ihn bei lebendigem Leib zerreißen. Vielleicht wäre es besser so? Aber war es nicht ein legitimes Ziel, Ashenya zu retten? Sie war mindestens so unschuldig wie diese Mädchen. Sie hatte nie jemandem Leid zugefügt. Und war es nicht das Imperium, das zum größten Anteil ihren Tod verschulden hat? War es nicht der Imperator selbst – seine vom Hass erfüllten Gesetze – die Ashenya in den Tod getrieben hatten? War es aufgrund dessen nicht fair, wenn diese Novizinnen, die den Imperator mehr als alle anderen als Gott verehrten, Verantwortung übernahmen und ihren Anteil darangaben, das geschehene Unrecht zu tilgen? In Antons Verstand tobte ein Sturm aus Schmerz, Verzweiflung und Selbstgerechtigkeit.


    Die ersten der jungen Sororitas erreichten Anton und gingen mangels anderer Waffen mit blossen Händen auf ihn los. Die schlugen auf ihn ein und bohrten ihre durch die Gefangenschaft verrotteten Fingernägel tief in sein Fleisch. Zuerst leistete der Inquisitor keine Gegenwehr. Es war sich nicht mehr sicher, was richtig und was falsch war. Er war zu schwach, eine Entscheidung zu treffen. Er konnte nicht länger Leben gegeneinander abwägen.War Ashenyas Schicksal besiegelt? Anton musste auch an Jek und Hector denken. Was würde mit ihnen passieren? War er nicht auch für seine Freunde verantwortlich?


    Eine Unzahl an Gedanken schossen ihm innerhalb weniger Sekunden durch den Kopf.


    Es war seine Schuld, dass alles so weit gekommen war. Er war immer viel zu schwach gewesen. Er war zu schwach, um die Menschen auf Ysraal VI zu retten. Er war zu schwach, sich gegen die barbarischen Dogmen des Imperiums zu stellen. Er war zu schwach, sich gegen Claudius durchzusetzen. Er war zu schwach gewesen, seine Forderungen gegenüber diesen Drukhari durchzusetzen.


    Sollte er nun erneut schwach sein? Zu schwach, um eine Entscheidung zu treffen? Zu schwach sich zwischen diesen Kindern und seinen Freunden zu entscheiden?


    Nein. Er hatte sich geschworen, seine Freunde niemals im Stich zu lassen. Ashenya um jeden Preis zu retten. Selbst wenn er sich gegen das Imperium stellen musste. Was war das Leben dieser Fanatikerinnen im Vergleich zu Ashenya? Im Vergleich dazu, was er zusammen mit Ashenya alles bewirken konnte? Im Vergleich zu den Abermillionen Leben, die sie zusammen schützen konnten, denen sie ermöglichen konnten, ein besseres Leben zu führen?


    Es war närrisch, Schwäche so viel Raum zu geben. Er war Inquisitor. Er hatte schon tausendmal schwerere Entscheidungen getroffen. Er hatte immer mit großer Weisheit und unter Anbetracht aller Möglichkeiten gehandelt. War es sein Fehler, wenn zufällige Faktoren seine ehrenhaften Absichten zunichtemachten? War er dafür verantwortlich? Nein. Er war nicht schwach. Er würde mit Leichtigkeit seine Entscheidung treffen. Er würde sie nicht bereuen. Seine Ziele waren Nobel, und er durfte sich nicht von zermürbenden Gedanken davon abbringen lassen. Er war im Recht, und die Zukunft würde den Beweis dafür liefern.


    Durch sein zögern hatte er den Novizinnen des Adeptus Sororitas genug Zeit gelassen, ihm einige schmerzhafte Verletzungen zuzufügen. Durch den Mangel an Waffen jedoch keine, die eine ernsthafte Gefahr dargestellt hätten.


    Anton richtete sich auf. Dann zog er das Schwert aus dem dampfenden Körper seiner niedergestreckten Widersacherin und stürzte sich auf die jungen Mädchen, die in wildem Fanatismus auf ihn einschlugen.


    Obwohl sie weder echte Freude noch tiefere Befriedigung empfand, lächelte Mealarah doch beim Anblick ihres Chem-Pan-Seys, der so mit sich selbst gerungen hatte, um am Ende trotz allem, wie ein hungriger Yr'ghul über diese Mädchen herzufallen.


    »Solche vergnügsamen Darbietungen sind einfach immer so kurzlebig... «, sagte sie, ehe sie die beiden Gläser mit der wabernden Seelenessenz auffüllte, die durch komplexe Verfahren in diese geschmacksvolle flüssige Form umgewandelt worden war.


    »Ich werde mein Geburtsrecht zurückholen«, wechselte sie dann abrupt und ohne Umschweife das Thema auf den eigentlichen Grund, wieso sie Sirqa eingeladen hatte. Sie nahm einen kleinen Schluck der Seelenessenz und fuhr dann fort: »Onkel ist schwach. Er hat Angst. Ich weiss, dass er mich sofort ermorden würde, aber ich habe an seinem Hof viele Verbündete. Er kann mir im Moment nichts antun, ohne seine eigene Machtposition zu gefährden. Aber mit jedem Tag wird er stärker... Darum brauche ich dich. Darum brauche ich das Haus DorchaKerun.«


    »Ach meine Liebe, und wieso sollte sich unser Haus in deine Familienangelegenheiten einmischen?« antworte Sirqa wenig überrascht.


    »Du weisst, dass dein Vater solche Geschwüre hasst, die sich zum Drukhari-Adel zählen und dabei vergessen, was für Blut durch ihre Adern fliesst. Er würde dir – und Quisar – einen Gefallen schulden, würdest du dabei helfen, ein solches Geschwür aus dem Drukhari-Adel zu entfernen.«


    »Unser Vater hält sich wohlweislich aus den Angelegenheiten der anderen Häuser heraus, solange sie seine eigenen nicht tangieren. Zudem, Quisar und ich, wir haben unsere eigenen Pläne. Und denen würde es nicht entgegenkommen, wenn er seine Aufmerksamkeit auf unser Tun richtet, weil wir entgegen seiner Agenda handeln und uns an den inneren Konflikten anderer Kabalen beteiligen.«


    »Von dem Bündnis, dass ich euch anbiete, könntet ihr auch für eure Pläne profitieren. Das Haus Azrushatora würde diesmal nicht einfach ein verbündeter des Hauses DorchaKerun sein. Ich würde persönlich dafür Sorge tragen, dass es dein Verbündeter ist. Für welche Unternehmung auch immer, meine Krieger würden dir zur Verfügung stehen.«


    Sirqa lachte. »Und was nützen uns deine Krieger, wenn wir sie für unsere Pläne nicht gebrauchen könne? Wir haben Verbündete unter jenen, mit denen du dich nicht gemein machen würdest. Auch unser Vater weiß das. Doch solange er seinen Blick darauf richtet, wie sein einziger überlebender Sohn und Erbe sich mit dem abgibt, was sowohl er als auch du Abschaum nennt, sieht Vater nicht, was - wir abgesehen davon - direkt unter seinen Augen vorbereiten. Und unsere Mutter steht mit ihrem Kult hinter uns. Das Bündnis mit einer anderen Kabale würde ihn zum Handeln gegen uns veranlassen.«


    »Ich verlange gar nicht, dass eine Streitmacht deines vorzüglichen Hauses in Dalrailac einmarschiert und überall den grünen Halbmond hisst«, versuchte Maelarah einzulenken. »In einigen Tagen feiert Onkel ein großes Gelage mit allen seinen wichtigsten Unterstützer. Auch wenn der Palast dann gut vereidigt sein wird, ist es die optimale Gelegenheit, diesen Bastard und alle, die ihm ergeben sind, umzubringen. Sobald Llvayarzh tot ist, werden sich die Fleischgeborenen unter seinen Krieger auf meine Seite schlagen und all jene, die sich mir nicht unterwerfen, umbringen. Ausnahmslos. Doch er wäre niemals so einfältig, mich in seine Nähe zu lassen. Daher brauche ich deine Krieger. Es gibt ein Tunnelsystem unter dem Palast, durch dass sie ohne einen direkten Angriff durchführen zu müssen, in den Palast eindringen könnten. Llvavarzh dann zu ermorden, dürfte keine Schwierigkeit mehr sein.«


    Verständnislos sah Sirqa Maelarah an. »Von Intrigen verstehst du in der Tat nicht viel, meine Liebe. Was denkst du, zieht so ein Vorgehen als Konsequenzen nach sich? Wer würde dich als Archon ernstnehmen, wenn du nicht einmal aus eigener Kraft imstande warst, dir diesen Titel zu nehmen?«


    Mealarah lachte amüsiert. »Und du verstehts offenbar nicht viel von Politik, Sirqa. Natürlich, ein Archon muss stark sein. Aber ich habe noch nie gehört, dass jemand eigenhändig die Hälfte einer Kabale massakriert und den Archon getötet hat, um die Macht so an sich zu reißen. Nein. Jeder benötigt eine Gefolgschaft. Abschaum, Söldner, machthungrige Krieger... Solche, die entweder dafür bezahlt werden, oder sich einen Vorteil davon versprechen, den Prätendenten zu unterstützen. Bei diesen zwingenden Voraussetzungen - wer besitzt größeres Ansehen: Jemand, der ein paar Söldner um sich geschart hat, oder jemand, dem ein mächtiges und ehrwürdiges Haus zur Seite steht?«


    »Jemand, der in der Lage ist, der Schlange das Haupt abzuschlagen, unerwartet und unberechenbar. Du bist dir sicher, dass die Krieger deines Hauses dir folgen werden, wenn du ihnen den Kopf der Azrushar präsentierst?«


    Maelarah sah Sirqa irritiert an. »Du meinst das wörtlich?«


    Sirqua lächelte vieldeutig. »Selbstverständlich.« Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: »Was für ein Mann ist dein Onkel?«


    »Ein Primat, verglichen mit meinen ruhmreichen Vorfahren. Er legt keinerlei Wert auf die alten Traditionen und Bräuche, welche unser Haus einst als eines der Edelsten auszeichnete. Die Privilegien der Fleischgeborenen verachtet er, was zugleich seine Stärke, als auch seine Schwäche ist. Die alten Familien verabscheuen Onkel, doch hat er sich einen Hofstaat aus niederem Gesindel aufgebaut, der zu ihm hält. Im Moment herrscht eine zerbrechliche Balance zwischen diesen Bastarden und den wahren Anhänger der Azrushar. Eine Balance, die sich schleichend zu meinen Ungunsten entwickelt.«


    »Nur weiter, erzähle mir alles. Ich will alles über ihn wissen«, forderte Sirqa, deren Interesse langsam erwacht ward.


    »Er ist kein Krieger«, fuhr Maelarah fort, »lässt sich aber dennoch als gewieften Meister des Kampfes feiern. Gewöhnlicherweise frönt er ausschweifenden Gelagen oder inszenierten Jagdausflüge, bei denen seine Schergen ihm zujubeln können. Seine schwächliche Physis verbirgt er mit arkaner Technologie, Masken und vornehmsten Gewändern. Und doch, trotz allen seiner Unzulänglichkeiten ist er keineswegs dumm. Seine Geduld ist außergewöhnlich und seine meist langfristigen Pläne äußerst durchtrieben. Außerdem wird er sich immer mehrere Möglichkeiten offenhalten und sich nicht davor scheuen, mehrere Wege gleichzeitig zu beschreiten.«Sirqa nippte an ihrem Glas. »Das klingt nach einer Herausforderung...«


    »Dann sind wir uns einig?!«, fragte Maelarah nach, wenngleich es eher mit durchaus feststellendem Ton. Ein boshaftes, erzwungenes Lächeln huschte über ihr plastisches, makelloses Gesicht. Der Gedanke, das zu bekommen, was ihr seid jeher Zustand, löste das allzu seltenes Gefühl echter Zufriedenheit aus.


    »Ich denke, das sind wir«, entgegnete Sirqa mit unheilvoller Bestimmtheit.

  • Stahl-Opa

    Hat den Titel des Themas von „Anton Kalen - Ewige Verdammnis - [Kapitel 6]“ zu „Anton Kalen - Ewige Verdammnis - [Kapitel 7]“ geändert.
  • VIII


    Anton war zurück in seiner Zelle. Er war unendlich müde. Nach dem Kampf, in dem er zumindest in den Augen der Xenos siegreich war, war er ohne Umschweife zurück in die tiefen der Palastanlage gebracht worden. Es war ein wertloser Sieg, der weder ehrenhaft noch ruhmvoll gewesen war.


    Nachdem er sein Gesicht kurz mit dem Wasser, das ihm inzwischen zur Verfügung gestellt worden war, waschen konnte, liess er sich auf einen metallenen Hocker sinken. Seine Kleidung war noch immer vom Blut der Sororitas durchtränkt.


    Mit leerem Blick musterte er seine Kammer. Obwohl alles sich noch exakt an der gleichen Stelle befand wie vor dem Kampf, hatte sich doch alles verändert. Er empfand beim Anblick der noch immer fremden Umgebung nichts mehr. Kein Interesse an der Lebensweise der Drukhari. Keine Angst vor seinem ungewissen Schicksal. Kein Ekel vor den barbarischen Taten der Xenos. Die Verheerung seiner Seele nahm ihm die Fähigkeit, klar zu denken. Sein Körper war hier, aber sein Verstand schwebte in einem Zustand der absoluten Nichtigkeit. Als hätte er, als er die Sororitas erschlagen hatte, alles verloren, dass je von Bedeutung war.


    Anton bemerkte, dass Nalaryss sein Zimmer betrat. Doch sie wirkte nur wie ein grauer Schatten, der die Wände entlang kroch, bedeutungslos, irrelevant. Erst als sie neben ihm stehen blieb, wandte er sich ihr schleppend zu. Stumm blickte er sie an.


    »Der Kampf hat dir also gefallen«, sagte die Drukhari zynisch. »Gut.«


    Anton gab keine Antwort. Er hatte den Kampf gewonnen. Er war Ashenyas’ Rettung einen Schritt nähergekommen. Alles andere spielte keine Rolle mehr.


    »Ich habe dir etwas mitgebracht, illYesscrei«, fuhr Nalaryss fort. Sie streckte ihm eine kleine Flasche mit einer blassgoldenen Flüssigkeit entgegen.


    »Trink!«


    Anton wusste, dass es keinen Grund gab, ihn zu vergiften. Es wäre viel einfacher gewesen, ihm einfach die Gurgel aufzuschlitzen, würde seine Bewacherin seinen Tod wollen. Ausserdem sprach die Drukhari ihn mit einem Namen in ihrer Sprache an – eine Geste des Respekts, wie er von Konstantijn erfahren hatte. Solange er gehorchte, würde sein Ansehen schneller wachsen. Dadurch stiegen seine Chancen, mit der Herrin alleine zu sein. Die Chancen stiegen, sie umbringen zu können. Ashenya retten zu können.


    Er nahm das Fläschchen und schüttete den Inhalt einem lobotomisierten Servitor gleich, in sich hinein.


    Ihm wurde übel. Sein Körper hatte die wabernde Flüssigkeit sofort absorbiert, ehe sie überhaupt seine Kehle benetzen konnte. Seine Sicht verschwamm, als er auf dem Hocker in sich zusammensackte. Er spürte eine unglaubliche Energie, die ihn durchflutete. Als wäre die Barriere zwischen der Realwelt und dem Warp zusammengebrochen, schienen sich der ganze Raum und alles darin zu verzerren. Die Formen wurden grotesk pervertiert und die Wände begannen zu pulsieren. Unzählige schwache Leuchtfeuer schienen durch die flackernden Mauern des Palastes. Er erkannte eine Vielzahl Seelen, manche von unaussprechlicher Verzweiflung gezeichnet, kaum mehr als schattenhafte, flimmernde Punkte. Andere, weitaus fremdartigere Seelen waren auf äußerste korrumpiert und von unvorstellbarer Boshaftigkeit geschwängert. Er blickte direkt in das Immaterium, etwas, das seit dem Vorfall auf Emanuels Schiff nicht mehr hätte möglich sein sollen. Die Eindrücke fühlten sich inzwischen so unvertraut an, dass Anton vor Furcht erzitterte. Die Niederträchtigkeit, die den fremden Seelen innewohnte, wirkte wie abscheuliche Fratzen, die ihn anglotzen. Wie lachenden Gargylen glotzen sie, ihre verachtenden Augen auf Anton gerichtet, der sich wie ein Kadaver fühlte, der kurz davor war, auf unmenschliche Art und Weise auseinandergerissen zu werden. Dennoch erinnerte er sich an die heiligen Dogmen, die während seiner Ausbildung tief in seinen Versstand verankert worden waren. Er musste seinen Geist fokussieren und durfte nicht seinen Gefühlen folgen. Sie würden ihn nur tiefer in den abscheulichen Abgrund des Warps führen. Solange er sich auf die Gebote des Imperators konzentrieren würde, konnten ihm diese fürchterlichen Angesichter nichts anhaben.


    Sein Blick fiel auf Nalaryss. Ihre Seele war noch widernatürlicher als die anderen verkommenen Seelen der Drukhari. Sie erstrahlte in einer paradoxen Dunkelheit, grell leuchtend und doch ohne Licht. Im Inneren der Dunkelheit schien ein grausamer Sturm aus zerschmetternden Träumen und unbeugsamem Willen zu toben, der sich immer wieder selbst verzerrte, nur um dann mit gleichbleibender Heftigkeit erneut auszubrechen. Noch nie hatte Anton eine solch zerrissene Seele gesehen.


    Ein leises Flüstern zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Er blickte nach oben, wo die tote Sonne dieser Welt durch das transparente Gemäuer, das einer Geistererscheinung ähnlich sich in den funkelnden Nebeln des Warps unruhig auf und ab bewegte, hätte zu sehen sein müssen. Doch anstatt der Sonne sah er einen gewaltigen Wirbel aus finsteren Energien, deren Ursprung durch und durch blasphemisch sein musste. Inmitten des unheiligen Strudels hatte sich ein Wirrwarr aus glänzenden, schleimigen Tentakeln, immer wieder aufflackernden Novae und verkommenen Emotionen, welche sich Elmsfeuern gleich um die widerwertigen und doch faszinierenden Fangarme materialisierten, manifestiert. Dort, in der Mitte dieses abgöttischen Gewirrs, erblickte Anton Ashenya. Wie ein ungeborenes Kind, das in einem verdorbenen Mutterleib erstarrt war, lag sie zusammengekrümmt, einem verzerrten Schatten gleich da. Immer wieder verschwand ihr Antlitz in dem tobenden Sturm, nur um kurz darauf wieder zu erscheinen, einem Ertrinkenden gleich, der mit allerletzter Kraft gegen die Wellen der ungezügelten See ankämpfte.


    »Hilf mir… Liebling… Hilf mir…«, flüstere die Stimme seiner Gefährtin. Er konnte es deutlich hören. Nicht mehr wie in seinen Träumen, in denen er durch eine unsichtbare Mauer von Ashenya getrennt war. Er war ihr ganz nah. So nahe, wie schon lange nicht mehr. Dann wurde er aus seiner Vision gerissen. Der Raum verfestigte seine Form und der Sturm verschwand hinter den dunklen, undurchdringbaren Palastmauern. Keuchend, mit rasendem Puls stiess er hoch. Nalaryss war noch immer neben ihm, offenbar kaum beeindruckt durch die Wirkung des merkwürdigen Gebräus.


    »Was… was war das? Was hast du mit mir gemacht?!« fuhr Anton sie an, kaum fähig, sich auf den Beinen zu halten. Sein Kopf schmerzte ebenso wie sein Herz, das wieder mit unvorstellbarer Stärke aus der Wunde blutete, die Ashenyas Tod hinterlassen hatte.


    »Seelenessenz. Das Haus Azrushatora hat die Methoden, sie zu destillieren, über Jahrtausende perfektioniert.«


    »Was bedeutet das? Wieso hast du das getan!?«


    »Ich erfülle nur den Willen meines Meisters. Er hat dich auserwählt.«


    Anton verstand nicht. Welcher Meister? Auserwählt für was? Sprach Nalaryss von der Azrushar? Diente sie nicht der Herrin?


    »Erkläre dich, Xeno!« forderte Anton mit bebender Stimme und von der Vision sichtlich erregtem Gemüt.


    Nalaryss lachte verächtlich und schlug Anton mit ihrer flachen Hand so heftig ins Gesicht, dass er zu Boden ging.


    »Ich verachte dich, illYesscrei. Alleine deine schmutzige Sprache zu sprechen, widert mich an. Und trotzdem bist du wertvoller als alle Drukhari dieses verfluchten Schattenreiches zusammen. Ich gab dir die Seelenessenz, wie es mir mein Meister aufgetragen hatte. Du hast in den JiorQuas geblickt, nicht wahr? Wir Drukhari haben diese Fähigkeit vor langer Zeit verloren… um unsere erbärmlichen Leben zu schützen. Was du gesehen hast, war genauso real, wie der Raum, in dem wir uns befinden. Du bist das Werkzeug meiner Rache. Und du wirst mir dienen.«


    Der Inquisitor war noch immer verwirrt. Nichts, was Nalaryss sagte, schien Sinn zu ergeben. Es war beinahe so, als würden sie und ihr finsterer Meister ihre eigenen Pläne verfolgen. Welche Rolle Anton dabei spielen sollte, konnte er nicht erahnen. Ganz egal was die Drukhari von ihm wollte, wenn das stimmte, was sie sagte, war das soeben durchlebte, auf jeden Fall keine einfache Vision. Wenn Nalaryss Recht hatte, ermöglichte ihm diese Seelenessenz, wieder in den Warp zu schauen. Seine alten Kräfte zurückzuerlangen. Es ermöglichte ihm, Ashenya zu sehen. Ihre Stimme zu hören. Bei ihr zu sein. Nicht nur im Traum, sondern in der unwirklichen Wirklichkeit des Immateriums. Mit Hilfe dieses Destillats konnte er vielleicht wieder die Fähigkeiten erlangen, den Warp durch seinen Willen zu formen. Die Fähigkeit, Ashenya direkt den Fängen dieses unnatürlichen Etwas zu entreissen und ihre Seele zurück in diese Welt zu führen.


    Anton brauchte mehr davon. Er musste wieder zu Ashenya zurückkehren. Er durfte sie nicht alleine lassen. Als er realisierte, wie nah die Rettung seiner Liebsten war, begann er zu schluchzen. Tränen rannen ihm übers Gesicht, teils aus Freude, einen Weg gefunden haben, seine Gefährtin zu retten, ehe es zu spät war, teils aus Verzweiflung, dass dieser Weg vollkommen von Nalaryss‘ Gnade abhängig war.


    »Was auch immer du willst… Ich brauche mehr davon… Bitte!« stammelte er, vor der Drukhari niederkniend, die selbstgefällig grinste.


    Nalaryss war gegangen, ohne seiner Bitte nachzukommen. Anton war alleine in seiner Zelle, während ihn das Verlangen nach einer weiteren Dosis der sonderbaren Seelenessenz aufzufressen drohte. Diese Droge schien das Abbild des eigenen Geistes im Warp, um ein Vielfaches zu verstärken. Die Wirkung war so gewaltig, dass sogar Anton, der vollkommen Taub gegenüber dem Flüstern des Immateriums geworden war, wieder in das Meer der Seelen eintauchen konnte. Eine solche Droge war gefährlich. In den falschen Händen könnte sie verderben über unzählige Welten bringen, doch bei den Drukhari schien sie keine Wirkung zu besitzen. Wieso destillierten die Xenos diese Essenz? Zu welchen Zweck? Anton war sich auf jeden Fall sicher, dass diese sogenannte Seelenessenz nur das Ergebnis absolut blasphemischer Alchemie sein konnte. Doch er brauchte mehr davon, trotz dieser Einsicht. Selbst wenn dieses Gebräu seinen Ursprung in einem niederträchtigen Dämonenpakt haben sollte.


    Er hatte vergessen, wie es sich anfühlte, in den Warp zu schauen. Er hatte vergessen, wie es sich anfühlte, so nah bei Ashenya zu sein. Mit all dem Schrecken, der dem Warp innewohnte, war es doch ein Ort der unermesslichen Erkenntnis. Er konnte durch den Warp einen Teil des Ganzen werden. Er konnte die Seelen anderer erkennen, in ihnen Lesen, an ihren Gefühlen teilhaben. Selbst wenn dieser Xenos-Palast zutiefst korrumpiert war, war alleine die Aussicht, seine psionischen Fähigkeiten zurückzubekommen, etwas, auf dass er niemals zu hoffen gewagt hätte. Es war, als hätte sich ihm ein Weg geöffnet, den Schrecken, der dem Angriff des Fanatikers Dreystein nachfolgte, ungeschehen zu machen. aufs äusserste erstrebenswertes. Vielleicht konnte er durch den Warp wieder all das finden, was er verloren glaubte, zumindest nachdem er diese schreckliche Welt würde hinter sich gelassen haben.


    Ehe die Drukhari-Krieger ihn trotz seines Flehens alleine zurückgelassen hatte, hatte sie Anton eine absurd anmutende Anweisung gegeben.


    »Gehorche, illYesscrei, und du sollst erhalten, was du begehrst. Tu, was man von dir verlangt«, waren ihre Worte. Was sollte das bedeuten? Er gehorche bereits. Er tat, was man verlangt hatte. Was wollte diese Xenos-Kriegerin noch mehr, was sie nicht schon hatte? Anton dachte darüber nach, dass das alles vielleicht nur ein weiterer perfider Weg war, ihn zu quälen. Die Drukhari waren dafür verantwortlich, dass dieser monströse Arm ein Teil von ihm war. Der Gedanke an das aufgequollene Fleisch, das sich wie ein selbstständiger Organismus wieder von selbst verschlossen hatte, löste eine schlimme Übelkeit aus. Alleine dafür hasste er die Xenos. Außerdem zwangen sie ihn, seine Verbündeten in die Gefangenschaft zu führen. Sie zwangen ihn, Novizinnen des Adpetus Sororitas zu ermorden. Vielleicht wollten sie ihn nun einfach dazu zwingen, an sich selbst zu verzweifeln.


    Dennoch schien dieses Reich von Intrigen und verschiedenen Gruppierungen zerfressen zu sein. Die Azrushar hatte ihm aufgetragen, seine jetzige Herrin zu töten. Kayrel entstammte einem Klan der Eldar, der den Drukhari ohnehin feindlich gesinnt war. Und Nalaryss diente offenbar einem anderen Meister, der in den Schatten eigene Pläne schmiedete.


    Trotz all dem: Dass die Seelenessenz, die Nalaryss ihm gegeben hatte, äußerst effektiv war, war zweifelsfrei keine Lüge. Vielleicht wegen des gemeinsamen Trainings oder der Tatsache, dass Nalaryss die Einzige war, die sich die letzten Tage um ihn gekümmert hatte: Auf jeden Fall schien es Anton, als könnte er der Kriegerin vertrauen. Zumindest mehr als den anderen Akteuren dieser höllischen Welt, abgesehen von Kayrel natürlich.


    ***


    »...eine wirklich amüsante Geschichte«, sagte Maelarah mit einem verhaltenen Lächeln. »Eine wirklich delikate Vorgehensweise. Aber wären diese Weltenwanderer nicht hervorragende Gegner gewesen, um deine überragenden Fähigkeiten unter Beweis zu stellen? Oder hattest du es dir nicht zugetraut, es mit zweien unserer Vettern aufzunehmen?«


    Sirqas Augen funkelten böse, während sie sich auf dem bequemen Sitzkissen nach vorne beugte, um sich ihr Glas zu greifen.


    »Was willst du damit andeuten, Liebste? Wieso sollte ich? Diese IstuKarun sind keine Herausforderung. Sei schleichen herum wie Mandraceilan, aber sie töten aus der Ferne wie Feiglinge. Davon abgesehen, du selbst hättest wohl auch niemals in Betracht gezogen, beispielsweise gegen deinen rührseligen Chem-Pan-Sey zu kämpfen.«


    »Das habe ich durchaus nicht... Ich bin aber auch keine Schülerin der Hekatarii.«


    Maelarah lehnte sich entspannt zurück und ließ ihren Blick durch die Palasthalle streifen. Sie hatten sich einen Platz weit genug vom Thron der Azrushar entfernt ausgesucht, damit sie ungestört blieben, aber nicht so weit davon entfernt, dass Llvayarzh misstrauisch hätte werden können. Nalaryss stand ein paar dutzend Schritte von ihnen weg und lehnte sich an die im Halbschatten des diffusen Lichts liegende Wand. Sie war erst vor kurzem zu ihnen gestoßen, da sie zuvor damit beschäftigt gewesen war, ihren Chem-Pan-Sey in seine Unterkunft zurückzubringen. Nun wachte die Kriegerin beinahe verstohlen über ihre Herrin, jederzeit bereit, einen potenziellen Angreifer auszuschalten. Ihre Augen wechselten wachsam zwischen den beiden Prinzessinen und den Hofsklaven Sirqas hin und her, die einige Schritte von ihr entfernt warteten, um ihre Pflicht zu tun. Sollten sie sich entscheiden, Maelarah zu verraten, würde Nalaryss sie allesamt vernichten.


    Maelarah richtete sich schliesslich wieder an ihren Gast.


    »Möchtest du uns nicht deine Künste vorführen, liebste Freundin? Ich stelle dir gerne meinen Sklaven dafür zur Verfügung. Vielleicht stürzt er sich mit mehr Enthusiasmus in den Kampf, wenn er einem Kind der Schwarzen Mutter gegenübersteht.«


    Sirqa neigte zustimmend den Kopf zur Seite. »Ich muss zugeben, dein Schoßtier hat sich als durchaus fähig und geschickt für ein Exemplar seiner Spezies gezeigt. Es wird mir ein Vergnügen sein, mich nach so langer Zeit wieder einmal vor Publikum zu duellieren. Vielleicht lasse ich den Kampf sogar länger als nur ein paar Sekunden dauern.«


    »Wunderbar. Ich kann es kaum erwarten, mein neues Spielzeug in einem ernsthaften Duell zu begutachten – Nalaryss, bringe den Chem-Pan-Sey!«


    Ein zufriedenes, finsteres Lächeln zeichnete sich auf Maelarahs Gesicht ab. Natürlich würde Sirqa gewinnen. Und trotzdem würde die Vorführung eine kleine Überraschung bereithalten.


    Nalaryss gefiel es nicht, wie sie einer einfachen Dienerin gleich geschickt wurde, um illYesscrei zurückzuholen, nachdem sie ihn gerade erst weggesperrt hatte. Dennoch befolgte sie ihre Anweisungen mit düsterer Selbstgefälligkeit, da sie diese Entwicklung zwar nicht vorgesehen hatte, sie ihr aber absolut gelegen kam. Mit etwas Glück würden ihre Pläne deutlich schneller voranschreiten als ursprünglich gedacht. Ohne Eile, aber doch mit zügigem Schritt begab sie sich zum Quartier ihrer Herrin. Ihr Schützling lag kraftlos auf am Boden, den Kopf auf zusammengeknülltes Leinen gebettet. Sobald er Notiz von ihr nahm, richtete er sich schwerfällig auf. In seinen Augen funkelte unsägliches Verlangen. Sie erkannte seinen gierigen Durst und lächelte. Der gefangene Inquisitor stellte sich als weit umgänglicher heraus, als sie angenommen hatte.


    »Das Schicksal scheint gefallen an dir gefunden zu haben, illYesscrei. Unsere Herrin wünscht eine erneute Darbietung deiner liederlichen Fähigkeiten.«


    »Ich brauche mehr dieser Seelenessenz...«, knurrte Anton.


    Nalaryss lachte freudlos und grimmig.


    »Wer denkst du, dass du bist, dass du Forderungen stellen kannst? Ginge es nach mir, hätte ich dich schon lange getötet. Das Lebenselixier der Drukhari einem Chem-Pan-Sey zu verabreichen, ist eine schändliche Verschwendung. Trotzdem gewährte mein Herr und Meister dir dieses Privileg. Hörst du? Er gewährte dir dieses Privileg, nicht ich. Und er wird dir dieses erst wieder gewähren, wenn du das, was dich betrübt, was deinen Geist vergiftet, abwirfst.«


    »Wieso? Erzähle mir von deinem Meister! Wieso interessiertes ihn, was meinen Verstand quält? Lass mich gehen; gib mir, was ich brauche, und mein Verstand wird gesunden!«


    »Du bist ein einfältiger Narr, illYesscrei. Du hast mit Mächten zu tun, die weit über deinen Verstand hinausgehen. Und ich habe weder die Geduld noch das Verlangen, daran etwas zu ändern! Schweig, und folge mir.«


    Anton fügte sich dem Befehl. Es machte alles keinen offen nachvollziehbaren Sinn, doch schien dieser ominöse Meister wahrhaft sein Verbündeter zu sein. Der Widerwille, mit dem Nalaryss ihm diente, bewies sowohl, dass dieser der Kabale nicht freundlich gesonnen war, als auch seine offenbar der Drukhari überlegene Macht, konnte er sie doch zwingen, ihm zu dienen.


    Als die Kriegerin davon gesprochen hatte, dass es sich bei ihrem Herrn um etwas handelte, das sich Antons Verstandeskraft entzog, dachte er sofort an das Chaos. Als er zuvor in den Warp blicken konnte, hatte er dann auch insbesondere die korrumpierende Macht des Slaanesh gespürt, welche auf feinste, kaum merkliche Weise jeden Winkel dieses Palastes beschmutzte. Diese schleichende Verderbnis war aber – mit entsprechender Veranlagung und Ausbildung – auch auf vielen Imperialen Welten spürbar, besonders den dekadenten Welten des imperialen Adels. Diese kaum merkliche Korruption war nicht mehr als ein schwaches Indiz dafür, dass das Chaos seine Fänge nach dieser Welt ausstreckte. Und die dämonische Macht, die Ashenya zu verschlingen drohte, war weit außerhalb der physischen Grenzen dieser Welt. Außerdem schien keines der Xenos über psionische Fähigkeiten zu verfügen. Selbst in der eigenartigen, verzerrten Seele seiner Bewacherin waren nicht das geringste psionische Talent zu erkennen gewesen. Bis auf die wenig aussagekräftigen Worte Nalaryss’, gab es keinerlei Hinweise, dass die Chaosgötter versuchten, Einfluss zu nehmen.


    Nalaryss und Anton hatten kein Wort mehr gewechselt, während sie durch die finsteren Korridore sich zur großen Palasthalle hinbewegten. Dort angekommen, wurde sich Anton bewusst, dass dieser Ort inzwischen einiges seiner vorherigen, schrecklichen Faszination verloren hatte. Auch wenn der Bau noch immer fremdartig und beeindruckend war, kam die Wirkung mit Nichten derer gleich, die für Anton beim letzten Mal so überwältigend gewesen war.


    Die Xenos-Kriegerin führte ihn direkt zu ihrer Herrin, die neben einem kleinen Beistelltischchen auf einem opulenten, äußerst reich verzierten und überaus bequem aussehenden Sitzkissen saß, die Beine lässig übereinandergelegt. Anton konnte nicht bestreiten, dass die allermeisten Drukhari auch für menschliche Verhältnisse äußerst hübsch waren, und seine Herrin war keine Ausnahme. Doch die Selbstverständlichkeit, mit der sie ihren kaum bekleideten, wohlgeformten Köper präsentierte, widerte ihn an. Ihre ganze Erscheinung triefte von narzisstischer Selbstgefälligkeit, welche auch bei den teuersten Huren des Imperiums nicht von ekelhafterem Ausmaß hätte sein können.


    Interessanter war die Frau, die neben seiner Herrin saß. Obwohl von ähnlicher dekadenter Schönheit, hatte sie für Antons Geschmack doch deutlich mehr Klasse. Ihre weiß-blonden Haare trug sie als langen, geflochtenen Zopf, der bis an den Boden reichte. Ein Mieder aus glänzendem Chitin, das an den Rändern das Licht in spektakuläre Grün- und Orangetöne brach, bildete das Herzstück einer auch sonst sehr vornehmen Kleidung. Die Frau, so mutmaßte Anton, musste von einer anderen Fraktion der Eldar stammen. Wenn auch die Ähnlichkeiten mit diesen Drukhari nicht von der Hand zu weisen waren, unterschied sich die Art, wie sie sich kleidete, doch eindeutig.


    »Du bist also der, den sie IllYesscrei nennen«, sagte die Anton unbekannte Xenos-Dame mit sanfter, fast erotischer Stimme, jedoch mit nicht zu überhörendem höhnischem Unterton. »Ein durchaus stattliches Exemplar«.


    Anton war ratlos. Er konnte nicht ansatzweise verstehen, was diese Eldar von ihm wollten. Ihre Absichten schienen so stumpfsinnig, ja fast schon kleinlich zu sein, dass sie zumindest vordergründig keinen Sinn ergaben. Er fühlte sich wie ein Spielball dieser empathielosen Aliens, einmal geschätzt, dann wieder wie ein kurioses Tier vorgeführt. Trotz der prekären Lage, in der er sich wog, entschied er, weiter seine Rolle zu spielen. Ohne zu wissen, was auf ihn noch zukommen würde, war es nur vernünftig, an dem festzuhalten, was sicher war: Asheyna musste gerettet werden. So schnell wie möglich. Und dafür musste er Gehorsam leisten.


    »Ich stehe zu Diensten, Gnädigste«, stammelte er wenig überzeugend.


    Ohne ihren Sklaven wirklich zu beachten, lachte Maelarah boshaft. »Dieser Chem-Pan-Sey musste nicht einmal dressiert werden, Liebste, kannst du dir das vorstellen? Er scheint es zu genießen, sich zu unterwerfen!«


    »Nun, liebe Maelarah, nimmt das nicht etwas die Freude, wenn sich ein solches Prachtstück einfach so niederwirft, ohne den lieblichen Schmerz der Folter zu spüren?« warf Sirqa ein.


    Anton verstand nicht, was die beiden Drukhari besprachen, da sie wieder in ihre eigene Sprache wechselten. Doch alleine dem Tonfall und ihrer Körpersprache nach war offensichtlich, dass sie sich über ihn lustig machten. Anton verstand nicht, wieso sie ihm einerseits den Respekt zollten, einen Namen in ihrer Sprache zu geben, nun aber behandelten, als sei er ein unwillkommenes Geschwür, das sich aufgedrängt hatte. Die Aliens schienen ohne jegliche Logik zu leben, etwas, das für Antons menschlichen Verstand kaum fassbar war.


    »Du wirst gegen Prinzessin Sirqa kämpfen«, hörte Anton plötzlich eine Stimme hinter ihm. Es war Nalaryss, die zu ihm sprach. Ruhig und besonnen, ganz im Gegensatz zu den beiden Drukhari vor ihm, die freudig erregt in der Sprache der Xenos schnatterten. »Sie ist eine begnadete Kämpferin. Denke daran, was ich dir beigebracht habe, illYesscrei.«


    Anton nickte stumm. Er spürte eine Art Zuversicht in Nalaryss’ Stimme. Oder zumindest stimmte die Kriegerin ihn mit ihren Worten zuversichtlich. Ein weiterer Kampf war nur eine weitere Möglichkeit, in dieser sonderbaren Gesellschaft mehr Ruhm zu erlangen.


    »Ein Zweikampf. Du gegen die Prinzessin«, übersetzte Nalaryss bruchstückhaft, was die beiden Eldar-Adeligen besprachen. »...auf Leben und Tod.«


    »Ich werde bestehen«, flüsterte Anton der Kriegerin zu. Sie quittierte seine Worte mit einem müden Lächeln.


    Die Drukhari, die ihm als Prinzessin Sirqa vorgestellt worden war, erhob sich mit unglaublicher Eleganz. Sie trat einige Schritte von ihrem Sitzplatz vor und machte eine befehlende Handbewegung. Sofort eilten zwei Dienerinnen aus der Gefolgschaft der Fremden herbei. Die Prinzessin breitete leicht ihre Arme aus. Die eine Zofe löste das Mieder und entfernte das lange, blauviolett schimmernden Kleid einschließlich der Handschuhärmel. Für einige Augenblicke stand die blonde Drukhari-Frau nahezu unbekleidet, ihren makellosen Körper allen Blicken ausgesetzt, in der Halle. Doch schien sie darum in keiner Weise Scham zu empfinden – im Gegenteil, ihr nobles Gesicht zeigt nur Stolz und Selbstbewusstsein.


    Anton war angewidert und fasziniert zugleich. Während seine Herrin ihren eigenen Körper auf profanste Art und Weise zur Schau stellt, inszenierte die fremde Drukhari ihre Schönheit einer Schauspielerin gleich, die die Blicke des Publikums auf sich wissen will. Der Inquisitor musste die Schönheit seiner Herausforderin anerkennen, doch ihre selbstgerechte, arrogante Attitüde machten diese Schönheit ebenso so nichtig, wie es die Frivolität seiner Herrin, es bei ihr tat.


    Schon im nächsten Moment legte die zweite Dienerin ihr einen knappen Brustpanzer an, nicht viel mehr als ein Büstenhalter, zog einen segmentierten Armschutz über ihren linken Arm und befestigte eine mit langen, geschwungenen Dornen versehene Schulterplatte daran. Die erste Zofe versah derweil den linken Oberschenkel ihrer Herrin mit einer ähnlich gearbeiteten Panzerung, sowie reich verzierten Beinschienen. Die spärliche Rüstung, die kaum ernsthaft Schutz zu bieten schien, schimmerte in seidig-mattem Schwarz mit blutrot gesäumten Kanten.


    Zu guter Letzt tauchte die Prinzessin zwei Finger in eine kleine Schale, die eine ihrer Zofen ihr darbot, und färbte sich die Lippen ebenso blutrot wie die Zierkanten ihrer Rüstung. Dann entfernte sie die goldene, schlangenförmige Spange vom Ende ihres Zopfes und schüttelte ihre blonden Haare auf. Die strengen Flechten wanden sich auseinander und wallten über ihren Rücken wie ein Wasserfall, der in der Mittagssonne glänzte, nur auf dem Scheitel von einem schwarzen Band zusammengehalten.


    Die erste Zofe reichte ihr mit einer ehrerbietigen Verneigung ein Paar silberner, gebogener Klingen. Innerhalb weniger Augenblicke hatte die kultivierte Adelige sich in eine verführerische Arenakämpferin verwandelt, ohne dass dabei ihre arrogante Nobilität verloren gegangen wäre.


    Sirqa senkte leicht den Kopf und sah Anton herausfordern und zugleich selbstgefällig an.


    Nalaryss streckte Anton zwei dünne, gezackte Dolchmesser entgegen. Ein völlig unscheinbarer, geblendeter Sklave hatte sie unauffällig herbeigetragen. Durch den zugenähten Mund jeglicher Stimme enthoben, glich er einem Schatten, der zwar hier war, aber keine Möglichkeit hatte, essenziell mit seiner Umwelt zu interagieren.. Anton nahm das beklagenswerte Geschöpf nur noch beiläufig zur Kenntnis. Auch die abscheulichen Schandtaten, welche die Drukhari wieder und wieder ihren Sklaven zufügten, hatten für ihn an Schrecken verloren. Natürlich empfand er es noch immer als abartige Perversion, doch inzwischen war sein Geist aufgrund seines eigenen Leids, zunehmend abgestumpft.


    Anton nahm die Klingen an sich. »Prinzessin Sirqa. Es ist mir eine Ehre, mich gegen euch Euch beweisen zu dürfen!«


    Sirqa lächelte. »Es ist eine Gnade, dass ich dir gestatte, mein Spielzeug zu sein, Chem-Pan-Sey. «


    Mit eleganten, fließenden Schritten trat die Hekatari in die Mitte eines großzügigen, freien Platzes in diesem Teil der Festhalle. Ihre offenen Haare umspielten ihre kaum mehr durch Kleidung verdeckten Rundungen. Die ersten Blicke richteten sich auf sie. Sirqa genoss die Aufmerksamkeit. Der Chem-Pan-Sey folgte ihr wie ein dressierter Hund, ahnungslos, was ihm bevorstand. Sirqa hob ihre Klingen und nahm die klassische Angriffshaltung der Kinder der Schwarzen Mutter an. Ihr Gegner tat es ihr mit einer ungelenken Bewegung gleich.


    Wie zwei hungrige Wölfe schlichen Sirqa und Anton einen Moment im Kreis herum, den richtigen Moment abwartend, zuzuschlagen. Mit der Geschwindigkeit einer Viper sprang die Prinzessin unvermittelt nach vorne, mit sich überkreuzenden Armen die Klingen nach vorne gegen die Brust ihres Gegners stoßend. Ein kühner Angriff, der gleichzeitig elegant als auch gefährlich war. Ein gewöhnlicher Mensch hätte niemals so schnell eine solch gut koordinierte Bewegung durchführen können. Nur im allerletzten Moment gelang es Anton, Sirqas Klingen mit seinen Dolchmessern abzublocken. Die Prinzessin war verdammt schnell – schneller noch als Nalaryss, was Anton bisher kaum für möglich gehalten hätte. Dennoch, die Reflexe des Inquisitors waren geschult. Das gemeinsame Training mit der Eldar-Kriegerin verliehen ihm die fast unheimliche Fähigkeit, instinktiv die Angriffe der Drukhari vorauszuahnen.


    »Wirklich interessant...«, zischte Sirqa sichtlich erregt. Sie hatte offenbar nicht erwartet, dass Anton auch nur einen ihrer Angriffe abwehren konnte, auch wenn sie jetzt noch nicht geplant hatte, ihn tödlich zu verletzen – das entsprach nicht dem Stil eines Arenakampfes.


    Ohne zu zögern, griff sie erneut an. Die nächste Attacke initialisierte sie mit einem kunstvollen Sprung, der genauso aus einer hochkomplexen Tanzchoreografie hätte stammen können. Diesmal war Anton zu langsam. Sirqas klinge schnitt durch sein Fleisch wie ein heißes Messer durch Butter. Sie hatte ihn am Rücken erwischt, wohl nur ganz knapp an seiner Niere vorbei. Wie ein Stromschlag zuckte der Schmerz durch Antons Körper. Es war ein guter Schmerz. Es war ein Schmerz, der ihn Ashenya näherbrachte. Um seine leidenschaftliche Liebe zu vervollkommnen, war ihm jedes Leid recht. Er würde seine ganze Lebenskraft ihr opfern, um noch einmal in den Genuss der Essenz zu kommen, die ihm ermöglichte, bei ihr zu sein.


    Sirqa landete auf einem Bein und drehte eine Pirouette, bevor sie wieder auf beiden Füßen stand, den einen Arm vor, den anderen nach hinten gestreckt, die Spitzen ihrer Hekatari-Klingen nach unten weisend, die Schneiden nach außen. Von der vorderen Klinge rann das Blut ihres Gegners. Eine perfekte Ausführung des schneidenden Wirbelwindes. Ihr Messer hatte genau die Stelle getroffen, die sie beabsichtigt hatte. Erster Applaus und begeisterte Zurufe schallten ihr entgegen. Ein zufriedenes Lächern umspielte ihr Gesicht. Sirqa war von sich selbst überrascht, wie sehr ihr dieses Hochgefühl in den letzten Jahren doch gefehlt hatte. Und sie hatte noch lange nicht das Ende ihrer Künste erreicht.


    Wie in Trance ging Anton zum Angriff über. Die Reaktionen der anderen Xenos um Saal entzogen sich seiner Wahrnehmung. Der ekstatische Schmerz war das Einzige, was seine Sinne noch ausfüllte. Er beflügelte ihn. Mit nahezu unmenschlicher Geschwindigkeit trieb er sich näher an Sirqa heran, um ihr mit seinen Messern die Haut abzuziehen.


    Trotz seiner blasphemischen Geschwindigkeit, wich Sirqa Antons Angriffen problemlos aus. Sie hatte den Chem-Pan-Say unterschätzt, ja, aber sie war ihm trotzdem noch weit überlegen. Immer wieder ließ sie ihn bis auf Armeslänge an sich herankommen, nur um dann um seine Streiche und Stiche herumzutanzen und ihm mit weit ausholenden, geschwungenen Bewegungen an eben jenen Stellen Schnitte zu versetzen, die er selbst zuvor anvisiert hatte.


    Anton fühlte sich zunehmend schwächer werden. Der Blutverlust aus den immer zahlreicheren, wenn auch nicht sehr tiefen Wunden, wirkte dem Hochgefühl, in das der Schmerz ihn versetzt hatte, mehr und mehr entgegen. Er war kaum noch in der Lage, gezielte Angriffe durchzuführen und hieb wahllos auf seine Gegnerin ein.


    Doch war er aber nicht bereit, eine Niederlage zu akzeptieren. Er konnte noch immer siegen. Die Drukhari würde nicht ewig zu solch geschickten Manövern fähig sein. Irgendwann würde auch sie ermüden. Als ob ihn Mächte von jenseits des Erdenklichen dazu aufforderten, sich seinem Ziel völlig hinzugeben und notfalls alles zu Opfern, um dieses zu erreichen, versuchte er die allerletzten Reserven seiner fleischlichen Hülle zu mobilisieren. Mit der wilden Wut eines dem Wahn verfallenen Blood Angels stürzte er sich der Xenos-Prinzessin entgegen, nur um entsetzt feststellen zu müssen, dass sie mit immer gleichbleibender Eleganz seinen Angriffen auswich und ihm mit ebenso großer Leichtigkeit neue Wunden schlug.


    Der Kampf näherte sich seinem Ende. Ihr Widersacher war nun kaum mehr in Lage, als Ziel kunstvoller Angriffe zu dienen. Außerdem begann Sirqa sich zu langweilen. Sie beschloss, dass sie genug hatte. Sie bog sich geschmeidig unter einer erneuten, taumelnden Attacke des Chem-Pay-Seys weg, glitt auf den Knien um ihn herum ein durchtrennte die Sehnen seiner Kniegelenke.


    Von höllischen Schmerzen verzerrt ging der Inquisitor zu Boden. Das zuvor erlebte Hochgefühl wich einem unendlich tiefen Abgrund. Er war besiegt. In wenigen Sekunden. Der Schmerz war zu groß. Er war schwach. Erneut.


    Die Hekatari hingegen sog sein Leid, vermengt mit der Begeisterung ihres Publikums, buchstäblich in sich auf. Sie stolzierte elegant um den gefallenen Inquisitor herum, die Klingen erhoben. Dann beugte sie sich zu ihm herunter. Anton erwartete nichts weiter, als dass sie ihm nun die Kehle durchschneiden würde.


    Ob dies vielleicht nicht sogar besser wäre? Vielleicht war er wirklich verdammt und verlassen, und der Tod wäre die Erlösung, die ihm sonst für immer verwehrt bleiben würde. War Ashenya vielleicht doch nur ein Phantom, an das sich sein geschundener Geist klammerte, um den Schmerz des Lebens zu ertragen? Doch keine Klinge senkte sich auf ihn darnieder. Er wurde nicht aus seinem Gefängnis befreit. Stattdessen näherte die Prinzessin ihr Gesicht dem Seinen, so nahe, dass er beinahe glaubte, sie wollte ihn küssen.


    »Dein verlorener Glaube hat dir nichts genützten, illYesscrei«, flüsterte die Drukhari, halb höhnisch, halb erregt.


    Antons Puls raste. Seine Atmung war schnell und unregelmäßig. Als ob die zahlreichen tiefen Schnitte, die den Rest seiner verdammten Existenz als Narben von seinem Versagen zeugen würden, nicht genug der Pein wäre, rissen Wut und Verzweiflung die ohnehin verheerenden Wunden in seiner Seele auf noch viel brutalere Art und Weise weiter auf. Doch er wollte nicht aufgeben. Er durfte nicht. Ashenya brauchte ihn.

    »Ich...«, stammelte er schmerzverzerrt, »ich... habe... meinen Glauben... nicht verloren!«


    »Närrischer Chem-Pan-Sey. Wieso nennen wir dich illYesscrei – den, mit dem verlorenen Glauben? Selbst ein Yr’ghul hätte mitbekommen, dass du das verloren hast, woran du dich einst so festgeklammert hast.«


    Anton war kaum mehr bei Bewusstsein. Was wusste diese Xenos von seinem Glauben? Wie sollte ein derart mitleidsloses Alien das Konzept des Glaubes verstehen? Sirqa verspottete ihn. Anton wurde klar, dass er die ganze Zeit verspottet worden war. IllYesscrei war keinen Namen, den er des Ruhmes wegen trug. Er war ein Mal der endgültigen Verdammnis.


    Die Hekatari lächelte, als hätte sie seine Gedanken lesen können. Dann blies sie ihm einen Hauch ihres warmen, süßlich duftenden Atems ins Gesicht. Augenblicklich verebbten die Schmerzen, die seinen gesamten Körper überzogen. Dann begannen seine Sinne zu schwinden und er glitt in eine tiefe Dunkelheit hinüber.


    »Das war so nicht vorgesehen!« erklang Mealarahs aufgebrachte Stimme. Sie war aufgestanden und auf den Kampfplatz getreten.


    Sirqa richtete sich selbstgefällig lächelnd auf.


    »Keine Sorge, deinem Chem-Pan-Sey fehlt nichts.« Sie wischte sich mit zwei Finger etwas verschmierte rote Farbe aus dem Mundwinkel und hielt Maelarah die gefärbten Fingerspitzen entgegen. »Eine meiner Kreationen. Ich musste sie doch zunächst testen.«


    Sirqa winkte nach einer ihrer Dienerinnen. Diese reichte ihr ein schwarzes Tuch, an dem sie sich die Finger abwischt.


    »Eine hervorragende Vorstellung, Prinzessin von DorchaKerun!« donnerte eine zischende Stimme durch die Halle.


    Die Azrushar hatte ihren Thron verlassen und sich, begierig den ausgefochtenen Kampf aus der Nähe zu betrachten, auf das Geschehen zubewegt. Sirqa verneigte sich ehrerbietig vor dem Archon.


    »Es war mir eine Ehre und ein Vergnügen, Euch mit meinen Künsten zu erfreuen, großmächtige Azrushar.«


    »Der Sklave gehört meiner verkommenen Nichte. Sie wird seine Niederlage verantworten«, hallte die künstlich verstärkte Stimme des Archons. »Du, Sirqa, Tochter der Schwarzen Mutter, deine Fähigkeiten lassen mein kristallenes Gemüt ebenso erblühen wie es deine Schönheit tut. Komm, ich fordere, dass du an meiner Tafel speist. Du wiederum, Mealarah, du hast einen Zweikampf verloren. Nach den Gesetzten unseres Hauses verlierst du deine Würde für neun Zyklen.«


    »Nach den Gesetzten unseres Hauses wäre mein Bruder die Azrushar!« konterte Maelarah schäumend vor Wut.


    »Ich bin das Gesetz dieses Hauses!« entgegnete ihr Onkel wutentbrannt. »Du kleine Schlampe bist ein Nichts. Dein entmannter Bruder ist ein Nichts. Ich bin alles! Ich habe mein Urteil gefällt. Selbst dein Chem-Pan-Sey hat mehr Wert als du. Er soll zukünftig deinen Platz in dieser Halle einnehmen. Ich werde in ganz Dalrailac verkünden, dass dein Platz der eines Tieres ist!«


    »Wenn du die Gesellschaft eines Chem-Pay-Say vorziehst, nur zu, Onkel!« schrie die Drukhari erbost, ehe sie sich mit zornigem Schritt aufmachte, die Halle zu verlassen. Im Hinausgehen warf sie Sirqa einen verstohlenen Blick zu. Diese erwiderte ihn mit einem hinterhältigen Lächeln.


    Während allen beteiligten entgangen war, dass Nalaryss zufrieden grinste, ehe sie sich auch entfernte, machte sich die Azrushar auf den Weg zu ihrem Thron zurück. Sirqa folgte ihm dicht. Anton dagegen wurde alleine zurückgelassen.

  • Stahl-Opa

    Hat den Titel des Themas von „Anton Kalen - Ewige Verdammnis - [Kapitel 7]“ zu „Anton Kalen - Ewige Verdammnis - [Kapitel 8]“ geändert.
  • IX


    Als Anton zu sich kam, fand er sich in seinem Quartier wieder. Sein Körper schmerzte fürchterlich. Er hatte keine Ahnung, wie lange er bewusstlos gewesen war, noch wusste er, was seither alles geschehen sein mochte. Er lag auf ein schmutziges Tuch gebettet am Boden. Mit noch verschwommener Sicht richtete er sich auf und stellte fest, dass das Laken durch vertrocknetes, verkrustetes Blut seinem Körper anhaftete. Während er sich mit seiner Hand von dem Tuch befreite, fühlte es sich an, als würde tausend Nadel in sein Fleisch stechen. Die unzähligen, kaum versorgten Wunden an seinem geschundenen Körper rissen teilweise wieder auf, während seine Muskeln sich stumpf und taub anfühlten. Ein gewöhnlicher Mensch hätte sich in der Hoffnung, die Schmerzen würden abklingen, sofort wieder hingelegt. Doch für Anton waren Schmerzen inzwischen ein fester Teil seiner erbärmlichen Existenz. Nicht nur Schmerzen körperlicher Natur, denn die Schmerzen in seiner Seele waren ungleich grösser.


    Vorsichtige tastete er nach seinen Knien. Er konnte sich erinnern, dass er zu Boden gegangen war, nachdem die Drukhari-Prinzessin seine Sehnen durchtrennt hatte. Er erschrak, als er die knöcherne Struktur erfühlte, die er anstelle seiner Knie vorfand. Er erschrak nicht, weil die Drukhari ihm erneut einen Teil seiner Menschlichkeit genommen hatten. Er erschrak ob seiner Gleichgültigkeit darüber.


    Die Xenos wollten ihn Quälen, in dem sie ihn immer mehr entmenschlichten. Doch sein Geist war schon lange gebrochen. Nur dank der Liebe zu Ashenya war Anton noch bei Sinnen und solange er sein Ziel nicht aus den Augen verlor, konnten die Drukhari mit ihm machen, was sie wollten. Er würde standhaft bleiben, unbeachtet aller seelischen Schmerzen, die ihn peinigten oder in Zukunft noch peinigen würden.


    Das Gelenk war etwas feiner als sein menschliches Gegenstück und gut sichtbar, da kein Fleisch es umgab. Ein fremdartiges System aus mächtigen Sehnen und unmenschlichen Muskeln umgaben die Knochen wie ein Exoskelett, wiederum geschützt von einer dünnen, transparenten Knochenhaut.


    Als Anton versuchte aufzustehen, fiel er, von der übermenschlichen Schnellkraft seiner neuen Kniegelenke beinahe übermannt, fast wieder zu Boden. Nachdem er sich erhoben hatte, blickte er sich um, konnte aber nichts Außergewöhnliches feststellen. Noch etwas unsicher torkelte er zu einem der Wasserkrüge und wusch sich das Gesicht mit einem bereitliegenden Lappen. Das kalte, frische Wasser belebte seinen Geist und hemmte etwas die Schmerzen, die mit jeder Bewegung wiederholt durch seinen Körper zuckten. Erst jetzt merkte er, dass er überaus hungrig war. All die Anstrengungen, die er erleiden musste, forderten ihren Tribut. Er fühlte sich völlig ausgezehrt.


    Nur mit einer zerfledderten, schmutzigen Robe bekleidet, begab er sich zu der schweren Türe, die in das Gewölbe seiner Herrin führte. Seine Instinkte sagten ihm, dass sie nicht abgesperrt worden war, nachdem man ihn hier zurückgelassen hatte. Er behielt Recht – wahrscheinlich war sein Unterbewusstsein die ganze Zeit über intakt gewesen, während er ansonsten fast leblos darniederlag.


    Anton wusste, dass er noch immer ein Gefangener war, doch war er sich auch sicher, dass die Drukhari einen Grund haben mussten, wenn sie ihm eine Möglichkeit zur Flucht gaben. Mit langsamem Schritt verließ er seine Kammer und folgte der Treppe nach oben, wo er schließlich in die Gartenanlage seiner Herrin gelangte. Wie in Trance schlenderte er an den üppigen Xenos-Pflanzen vorbei. Das Gefühl, seinem eigenen Willen zu folgen, dahin zu gehen, wo er auch hinwollte, kam ihm fremd vor. Er hatte keine Ahnung, was er tun sollte. Er hatte seine Mission. Ashenya zu retten, sei es durch Ermordung seiner Herrin oder durch das blasphemische Destillat, mit dem er seine psionischen Kräfte zumindest zeitweise wiedererlangen konnte. Doch egal, wie er sich am Ende entscheiden würde, für beide Wege benötigte er keine Freiheit. Ganz im Gegenteil. Er benötigte die Gefangenschaft. Er brauchte den Schmerz und das Leid, dass ihm bei jeder Gelegenheit zugefügt worden war. Er musste fokussiert bleiben. Ausschließlich auf Ashenya. Freiheit und Müßiggang waren die noch größeren Feinde, als es die Drukhari waren.


    »illYesscrei«, riss ihn Nalaryss‘ Stimme aus seinen Gedanken. illYesscrei. Der, der den Glauben verloren hat. Das Wort verletzte seinen Selbstwert auf einer tiefen, für Anton fast nicht mehr bewusst fassbaren Ebene. Eine Erinnerung an sein Versagen.


    »illYesscrei«, wiederholte sie. »Du hast es also überlebt.«


    »Was...was ist passiert?« stammelte Anton mit krächzender, kränklicher Stimme. »Was... ist los?«


    Nalaryss beantworte seine Frage mit einem grausamen, verspottenden Lachen, während sie hinter dichtem Gebüsch hervortrat, nur Schritte von Anton entfernt. Das üppige Grün hatte sie perfekt verborgen. Anton stolperte überrascht ein paar Schritte zurück. Sein Schädel dröhnte und sein Körper funktionierte noch immer mehr schlecht als recht.


    »Die Herrin – Maelarah«, sagte Nalaryss, während sie bedrohlich auf den gefallenen Inquisitor zu schritt. »Du hast versagt. Du hast sie enttäuscht.«


    Die Drukhari trat bis auf eine halbe Armlänge an Anton heran. »Ich hätte mehr von dir erhofft, Chem-Pan-Sey. Aber ihr stinkenden Tiere seid offenbar nur bedingt zu trainieren. Wie dem auch sei. Du kannst dich glücklich schätzen, dass du noch lebst. Und du kannst der Azrushar danken.«


    »Wieso sollte ich der Azrushar danken?«, antwortete Anton. »Was ist mit der Herrin?«


    »Die Azrushar hat deine Niederlage für seine Zwecke benutzt. Durch alte Gesetzte, die eigentlich niemanden mehr kümmern, hat er Maelarah zutiefst entwürdigt. Sie hat sich vorerst zurückgezogen. Sie wird sich wohl gerade hunderte überaus amüsante Dinge einfallen lassen, die sie ihrem Onkel gerne antun würde. Das Miststück ist äußerst rachsüchtig.«


    Obwohl Anton geschwächt war, merkte er sofort, dass Nalaryss’ Loyalität offenbar durchaus nicht dort zu finden war, wo man sie vermutet hätte.


    »Du hegst einen Groll gegen die Herrin?«, fragte er, zuversichtlich ob der Offenheit der Drukhari-Kriegerin.


    »Einen Groll?«, antwortete die Xenos. »Diese Schlampe ist nicht viel mehr wert als der Rest dieses verkommenen Hauses. Sie hätte mich töten sollen, als sie die Möglichkeit dazu hatte. Stattdessen hat sie mich zu einer niederen Bediensteten gemacht! Sie zwang mich, eure schmutzige Sprache zu sprechen. Sie zwang mich, euch Widerlinge zu brechen und neu zu formen. Denkst du, du bist der erste deiner Art, der ihr als Arenasklave dient? Du bist vielleicht ein Fürst unter den deinen. Aber dennoch ein primitives Etwas, das meiner nicht würdig ist.«


    »Wer bist du, Nalaryss? Was ist passiert?«


    »Narr«, antwortete die Kriegerin zornig. »Hätte der Meister kein Interesse an dir, würde ich dich ausweiden und auf deinen Leichnam spucken.«


    »Wieso erzählst du mir das alles, wenn du mich so verabscheust?«, wollte Anton wissen.


    »Ich bin Nalaryss, erste Waffenmeister des Hauses Azrushatora. Kommandantin der Leibwache der wahren Azrushar. Ich habe ihren Tod zugelassen und wurde dafür zu dieser beleidigenden Existenz verdammt. Ich habe versagt. Zuerst habe ich Llvayarzh gehasst. Dann Maelarah. Schließlich jeden und jede Drukhari dieses verkommenen Reichs und ganz Commorragh. Das Ausmaß meines Hasses war von solcher ekstatischen Gewaltigkeit, dass Sie, die Dürstet, mich hätte verschlingen müssen. Doch anstatt dessen, bot ER mir Rache. Rache, im Austausch meiner Seele. ER fordert nur eines. Unendlichen Hass. Ich hasse deine Art ebenso wie die meine. Ich hasse dich, ebenso wie mich selbst. Denkst du, ich befolgte die Befehle der Herrin aus Gehorsam? Denkst du, ich lasse mich zu dir herab, weil sie mir das aufgetragen hat? Du einfältiger Wurm bist zu kleingeistig, um zu verstehen. Ich tue das alles, um mich selbst zu verachten. Um den Meister zu nähren.«


    Anton wich zurück. Das Gesagte stank förmlich nach dem verderbten Einfluss des Chaos. Als sie ihm ihre Geschichte voller Verachtung erzählte, spürte Anton eine Veränderung. Ein diffuses Gefühl beschlich ihn. Ein Gefühl des abgrundtiefen Ekels.


    »Und du denkst, ich glaube das einfach so? Wieso sollte ich dir trauen? Selbst wenn wir einen gemeinsamen Feind haben... selbst, wenn du sowohl dein Volk als auch dich selbst verabscheust. Du wärst noch immer eine Verräterin.«


    »Und du bist ebenso ein Verräter. Der Meister hat dich nicht einfach so auserwählt. Wir beide existieren nur durch unseren Hass, auch wenn deinem unterentwickelten Verstand das offenbar mitnichten klar ist. Wir sind durch den Hass aneinandergekettet. Du bist die fleischgewordene Verachtung meiner Existenz. Ob du mir glaubst, spielt keine Rolle. ER kennt die Wahrheit. Egal, wie verwirrt dein primitiver Geist sein sollte, irgendwann wirst du erkennen, dass wir beide völlig wertlos sind.«


    Aus Sicht des Imperiums war Anton wohl ein Verräter. Aber seine Absichten waren rein und sein Glaube an das Gute ungebrochen. Sie waren sich nicht ansatzweise ähnlich. Die Worte der Drukhari zeugten eindeutig von zerfressendem Wahnsinn und einem zutiefst zerrütteten Geist. Sie ließen eindeutig Besessenheit befürchten, doch in diesem Falle würde Anton mehr spüren als nur diesen unergründlichen, tiefen Ekel.


    »Wieso... bist du nicht vom Makel des Chaos befleckt?« flüstere er unwillkürlich, als sein Verstand nach einer Antwort suchte. Er hatte ihre geschundene Seele im Warpraum gesehen. Ihr zerschmettertes Antlitz war durchaus grauenhaft, doch hatte er keine offensichtliche Korruption durch die Chaosgötter erkennen können.


    »Chaos? Ich bin über die Mächte des JiorQuas erhaben. Ich diene nur der Rache. Und du bist mein Werkzeug.«


    Nalaryss löste ein Fläschchen von ihrem Waffengurt. Anton erkannte sofort, dass es sich um eine winzige Dosis Seelenessenz handelte.


    »Die Belohnung für deine Dienste, Chem-pan-sey«, sagte sie, während sie Anton das Fläschchen in die Hand drückte. »Nun geh. Gehe zur Halle der Azushar. Du sollst am Tische deiner Herrin speisen und es gibt keinen Grund, dich dem Willen unseres ach so großen Anführers zu widersetzen. Feiere den Untergang dieses Hauses und ich werde dich mit mehr dieser Essenz belohnen.«


    ***


    Die Azrushar war siegessicher. Bald würde er Maelarah endgültig ausschalten können. Der Archon nippte an seinem Glas, das eine solch vorzügliche Seelenessenz enthielt, wie es sie wohl kein zweites Mal in ganz Commorragh gab. Sirqa, nun wieder in ihr elegantes, purpur-schwarzes Kleid gehüllt, hatte auf einem hohen, reich verzierten Sitzkissen an der Seite des Herren der Kabale platzgenommen. Ihr war der Ehrenplatz zugewiesen worden, der traditionell nur der Gemahlin eines Fürsten zustand. Ein weiterer, subtiler Beweis für die Stillosigkeit dieses Emporkömmlings. Doch wenn sie sich schon auf dieses Niveau einließ, beschloss sie, das Spiel ein Stück weiter mitzuspielen. Auch wenn er es sich niemals eingestehen würde, musste der Archon sich seiner von Geburt niederen Stellung bewusst sein. Die Tochter eines Hohen Hauses an seiner Seite zu sehen, musste ihn in seinen Herrschaftsambitionen bestätigen.


    Seine Augen strichen über ihre weiblichen, durch ihre Kleidung noch hervorgehobenen Rundungen. Genüsslich tastete sich sein Blick über die reine, perfekte Haut ihres Dekolletés, das ihm wie ein erregendes Kunstwerk der Vollkommenheit schien. Die Hekatarii war durchaus mehr als nur begehrenswert. Familienpolitik interessierte die Azrushar nicht, doch hatte Llvayarzh schon immer eine Leidenschaft für ausgefallene Trophäen. Sirqa wäre ein besonders reizendes Stück, passend zu seiner ruhmreichen Stellung und seinem exquisiten Geschmack. Sie war nicht einfach eine Prinzessin aus angesehenem Hause, sondern ebenso eine Meisterin der Arena und eine kaum zu übertreffende Zier ihres Volkes. Ihre Anwesenheit erfüllte den Archon in gewissem Masse mit Stolz, selbst wenn er dies niemals zu zugegeben im Stande gewesen wäre. Sie war wirklich eine besonders reizende Trophäe. Selbst für eine Drukhari.


    Sein Blick fiel kurz auf den widerwärtigen Chem-pan-sey seiner Nichte, als dieser von ein paar nicht minder dreckigen Sklaven in die Halle geleitet wurde. Er schenkte dem Menschen nur einige wenige Millisekunden seiner Aufmerksamkeit und auch dann nur widerwillig – aber wie könnte man seine Augen vor solcher Hässlichkeit abwenden?


    Sirqa, hatte sofort bemerkt, wie der Azrushar Blick kurz zu dem Sklaven hinüberglitt.


    »Ein außergewöhnliches Exemplar«, sagte sie. »Ihm haftet eine Verzweiflung an, die man in dieser Form selten findet. Sie scheint seiner selbst zu entspringen, und bringt ihn dazu, sich selbst leiden zu lassen. Ihm einfach nur dabei zuzusehen, bringt bereist eine gewisse Befriedigung, nicht wahr?«


    Der Archon stieß ein düsteres Lachen aus.


    »Das ist wahr. Dein Gespür für den Seelenzustand dieser niederen Kreatur ist bemerkenswert.«


    Sirqa schenkte der Azrushar ein geschmeichelt sein vortäuschendes Lächeln. »Euer Lob ehrt mich, große Azrushar. Aber es ist nur das bescheidene Resultat meiner Ausbildung.« Mit vertraulicherem Ton setzte sie hinzu. »Und ich versichere Euch, sie beschränkt sich nicht nur auf die Empfindungen solch simpler Geister.«


    Der Archon grinste selbstgefällig. »Ich weiß, dass deine Zunge ebenso giftig wie bezaubernd ist, Tochter der Dunklen Mutter. Trotzdem sind deine Worte süßer als so manche Seele, wenn sie deinen erregenden, selbstsüchtigen Mund verlassen. Vergiss aber nicht, dass du alleine wegen deiner Fertigkeiten meine Gesellschaft genießen darfst.«


    »Es war mir eine Ehre, sie zu Eurem Wohlwollen vorzuführen. Wollt ihr, dass ich sie noch einmal an dem Chem-Pan-Sey erprobe?«


    »Auch wenn das sehr unterhaltsam wäre, ist dies nicht der Grund, warum ich ihn herbestellt habe.«


    Sirqa nickte verständig. »Ich erinnere mich an Eure Worte. Ihr wollt Eure Nichte demütigen. Ein Schachzug, der von großer Durchtriebenheit zeugt, große Azrushar. Einen Chem-Pan-Sey auf ihren Platz zu stellen – schlimmeres kann man einer Tochter eine Hohen Hauses nicht antun. Niemand wird sich nun dadurch erniedrigen, die Klinge oder auch nur das Wort für sie zu ergreifen.«


    »Und du hast deinen Teil dazu beigetragen. Den Sklaven hatte ich ihr geschenkt, damit er sie umbringt. Nun hat er seinen Zweck auf eine andere Weise erfüllt. Durch deinen Sieg über ihren dreckigen Chem-Pan-Sey hat sie ihre Stellung verwirkt. Ja, mir gefällt es so sogar viel besser, denn neben der Schmach, die Maelarah nun zusätzlich erleiden muss, werden andere vollenden, was begonnen wurde. Ich kann sie loswerden, ohne auch nur ein befleckendes Wort meiner Neider hören zu müssen.«


    Sirqa hob ihren eigenen Kelch mit Seelenessenz. »Dann lasst uns trinken auf den Erfolg Eures Plans, große Azrushar.« Sie nippte an der glimmenden Flüssigkeit. Dann reichte sie dem Archon das Gefäß. Mit einem selbstgefälligen nicken nahm er es entgegen und trank ebenfalls daraus, ehe er es Sirqa zurückgab. Lächelnd nahm sie den Kelch zurück und wischte dabei verstohlen die Reste ihrer tief purpurnen Lippenfarbe vom Rand.



    Anton setzte sich auf den großzügigen Divan, zu dem der Sklave ihn gebracht hatte. Der abgemagerte Mann, dessen Körper eindeutige Spuren schwerer Folter aufwies, sprach kein Wort und verständige sich ausschließlich mit Handzeichen. Durch die unendliche Verachtung und den gewaltigen Neid, der in seinen Augen funkelte, war es für Anton trotzdem unschwer zu erkennen, dass der Mann ihn zutiefst verabscheute. Dieser wohl sogar gerechtfertigter Hass war ein Teil des erdrückenden Preises, den Anton um seiner Liebe willen zahlen musste. Etwas, womit er sich langsam abgefunden hatte, wenn es ihn auch tief im Inneren schmerzte, dass die, die er eigentlich zu schützen geschworen hatte, ihn als ihren Feind ansahen.


    Der weiche Samt der gepolsterten Liege schien sich wie eine lüsterne Hure an seinen schmutzigen, von Narben übersäten Körper anzuschmiegen. Er hatte keine Ahnung, wieso er hier war und besonders auch nicht, was Nalaryss sich davon versprach. Langsam ließ er seinen Blick durch die Halle gleiten. Wie lobotomisierte Servitoren hetzten gebückte Sklaven überall herum, um ihre Meister mit verschwenderischen Speisen und exotischen Getränken zu versorgen. Mehrere dutzend Drukhari saßen in kleinen Gruppen auf reich verzierten Sesseln, Diwanen oder Sitzsäcken, beschäftigt, sich der Völlerei hinzugeben. Immer wieder blickten sie mit einer Mischung aus Widerwillen, Interesse und sadistischer Freude zu ihm hinüber, so dass er sich auf äußerst unangenehme Art und Weise beobachtet fühlte. Wie ein Tier, dass begafft wurde, weil es ein besonders hässliches Exemplar seiner Rasse war. Etwas, das wohl auch höchst zutreffend war, zumindest aus Sicht der Xenos. Und sicherlich auch aus Sicht der menschlichen Sklaven, die es aber nicht wagten, ihre Blicke zu heben. Er hatte sie alle verraten. Oder zumindest würden sie das glauben.


    Schließlich richtete er seine Aufmerksamkeit auf die Speisen und Getränke, die in verschwenderischer Menge den niedrigen Tisch vor ihm zierten. Anton wusste nicht, wann er das letzte Mal Nahrung oder Flüssigkeit zu sich genommen hatte, doch gierte seine Seele nach etwas anderem als der vorzüglichen Kost der Drukhari. Seine Gedanken drehten sich alleine um das kleine Fläschchen, dass Nalaryss ihm zuvor mitgegeben hatte. Verstohlen öffnete er das Elixier und füllte die wabernde Flüssigkeit in einen der reich verzierten Kelche, die auf dem Tisch bereitstanden. Ohne zu zögernzögern, hob er den Pokal und trank die Seelenessenz ohne abzusetzen. Sofort entfaltete sie ihre Wirkung. Sein Geist wurde durch die Macht, die dem Destillat innewohnte, in der Warp gezwungen. Um ihn herum flackerten unzählbare kleine Lichter in den verschiedensten Farben, einige so fremdartig und unnatürlich, dass er nicht vermochte, sie zu benennen. Die Seelen der Menschen-Sklaven waren wie schmutzige, schwarze Klumpen, die das strahlende Farbenmeer entweihten und versuchten, die Euphorie der Sinne abzutöten. Die Drukhari-Seelen glichen dabei eher bizarrer Glaskugeln, teils gefüllt mit pulsierender, lebendiger Energie, die Zeugnis ihrer dekadenten Exzesse ablegte. Teils aber auch mit grauer Düsternis und Leere, die Anton an das Nichts erinnerte, welches seinen eigenen Geist schon zu oft eingehüllt hatte.


    Doch sein Interesse galt weder den kummervollen Sklaven noch den boshaften Eldar. Der einzige Grund, wieso sein Geist durch die bizarre Dimension des Warps wandelte, war Ashenya. Nur einen Augenblick später - oder war es eine Ewigkeit? - fand er sie. Der blasphemische Strudel befand sich noch immer dort, wo er ihn das letzte Mal erblickt hatte, Ashenya noch immer zitternden inmitten des Gewirrs aus schleimigen Tentakeln, niederen Emotionen und alles verzehrender Pein.


    »Bist du meinetwegen gekommen?« hörte er ihre liebliche Stimme flüstern. »Komm zu mir, Liebling, komm zu mir!«


    Anders als beim letzten Mal, gelang es Anton, die Verbindung zum Warpraum aufrecht zu erhalten. Obwohl die Dosis der Seelenessenz dieses Mal deutlich kleiner war, so hatte sie doch eine weitaus effektivere Wirkung. Sein Geist schien zum Warp zurückzufinden. Seine psionischen Kräfte schienen erneut zu erwachen.


    »Ashenya...«, sprach Anton. Alleine dieses eine Wort auszusprechen, rang seiner Seele unglaubliche Kraft ab. Trotz allem waren seine Fähigkeiten bei weitem nicht so ausgeprägt, wie sie es einst waren. Befeuert von wahrhaftiger Liebe und getrieben von dem letzten Funken Hoffnung, den er all die Zeit bewahren konnte, zwang er seinen Verstand aber, tiefer in den Strudel vorzustoßen. »Ich... werde... dich... befreien!«

    Die gierigen Tentakel, die Ashenyas nackten Leib mit ihren schleimigen Absonderungen befleckten, zuckten bei Antons Worten zusammen. Magisch glitzernder, rosafarbener Nebel umhüllte seine Ausgewählte und drängten die Fangarme zurück in den dämonischen Strudel, der Ashenya zu verschlingen drohte. Doch die alle Kräfte, die Anton aufbieten konnte, reichten nicht aus, das teuflische Etwas zu vertreiben, das ihm das Wertvollste stehlen wollte, das er je besessen hatte. Bereits beim nächsten Schlag von Antons verwundetem Herzen, erstarkte die finstere Macht des Strudels wieder und dürstete mit derselben Niedertracht nach Ashenyas Seele.


    »Liebster!« erklang die Stimme seiner Geliebten noch süßer als je zuvor. »Hilf mir! Komm zu mir! Komm zu mir! Öffne mir deine Seele!«


    Anton war bereit, alles zu geben, um Ashenya zu retten. Er durfte nicht zögern. Es war seine Bestimmung. Ein einzelner Gedanke reichte aus und seine Seele verband sich lustvoll mit dem, was er so unbedingt begehrte. Er spürte bereits die sinnliche Wärme der Liebe, die er schon fast vergessen hatte, als er unverhofft aus dem Warp geschleudert wurde. Er hatte seinen Verstand weit über die Grenzen der Vernunft getrieben, um Ashenya zu Hilfe zu eilen; um ihr nahe zu sein. Die Kraft, die er aus der Seelenessenz gezogen hatte, war in kürzester Zeit aufgezehrt.


    Er war wieder in Dalrailac. In der Palasthalle der Azrushar. Eine unglaubliche Leere erfüllte seinen Geist. Er war seinem Ziel so nahegekommen. Doch er war nicht stark genug. Das Verlangen, wieder bei Ashenya zu sein und ihre Wärme zu spüren, wuchs zu einer wahnhaften Gier heran. Er spürte, wie sein Verstand zu kollabieren drohte. Er musste sich sofort beruhigen. Er brauchte etwas, dass ihn auf Kurs hielt! Wieso war Emanuel nicht bei ihm geblieben? Wieso hatten diese Xenos kein Lunaïn?! Seine Seele hatte sich für einen Moment an seiner Liebe zu Ashenya nähren können, doch durch die erneute Trennung von der Quarr’va, hatte sich die klaffende Wunde in seinem Herzen in einen tiefen, schwarzen Abgrund verwandelt.


    Verzweifelt fiel sein Blick auf den Tisch vor ihm. Ohne zu zögern, griff er nach den ausgesuchten Köstlichkeiten. In der Hoffnung, die exotischen Speisen würden die tiefe Leere in seiner Seele füllen und seine maßlose Gier nach Ashenya stillen, verschlang er sie mit exzessiver Akorie. Doch die Leere war von solchem Ausmaß, dass auch die vielschichtigen Geschmäcker des dekadenten Mahls nicht genügten. Erst als er Becher nach Becher der dargebrachten Getränke in sich hineinschüttete, linderte sich seine Qual. Während ihr Geschmack von zuckersüß bis extrem bitter variierte, erfüllte vor allem der hohe Alkoholgehalt tapfer seine Pflicht. Schlimmste Übelkeit zwang Antons Verstand, sich von dem Gedanken an Asheyna zu lösen und die darauffolgende Vergiftung schaltete sein Bewusstsein vorübergehend endgültig aus.


    ***


    Hector fauchte den Sklaven böse an.


    »Verschwinde! Ich habe nichts mit deinen Leuten zu schaffen!«


    »Ungläubiger«, antwortete dieser, »der Imperator wird dich vernichten! Ohne dein Schoßhündchen hätte sich Jakub schon lange von deiner erbärmlichen Existenz erlöst!«


    Wie gerufen, trat der Metzger aus dem Schatten und stellte sich neben Hector. Er war noch verdreckter als je zuvor und stank wie ein wandelnder Kadaver. Seine ganze Haut war voller eitriger Pusteln und offenen, madigen Wunden. An seinem Hosenbund hingen etwa ein halbes Dutzend seiner “Andenken”: Schädel, Skalpe, abgetrennte Genitalien.


    Der Sklave ließ Hector sofort in Ruhe und verschwand schweigend. Jakubs Anhänger hatten begriffen, dass sie sich besser nicht mit den zwei Neuankömmlinge anlegen sollten. Insbesondere nicht mit dem Metzger, der sich in dieser unterirdischen Hölle wie zuhause fühlte und seinen kranken Fantasien freien Lauf ließ – zumindest dann, wenn Hector es ihm erlaubte. Der Veteran hielt nicht viel von der plakativen Grausamkeit seines Gefährten, war sich aber bewusst, dass ebendiese der einzige Grund war, wieso sie die vergangenen Tage überlebt hatten.


    Jakub stellte sich als echte Gefahr heraus. Wie Jek herausfinden konnte, hatte er offenbar unter einer abtrünnigen Bande von Space Marines gedient, ehe er hierhin verschleppt worden war und den Glauben an den Imperator wiedergefunden hatte. Hector bezweifelte zwar, dass es etwas wie abtrünnige Space Marines geben konnte, doch bestätigten mehrere verhörte Sklaven diese Erzählung. Zumindest unter Folter, die Jek jedoch perfektioniert hatte. Ab und zu ließen sie die Attentäter, die von Jakub regelmäßig geschickt wurden, um sie umzubringen, frei, nachdem sich Jek um sie gekümmert hatte. Dadurch blieb denen, die sie gefangen nehmen konnten, ein kleines bisschen Hoffnung zu überleben, wenn sie redeten.


    Jakub, der selbsternannte Sprecher der “Gemeinschaft”, herrschte mit brutalem Terror. Alle, die sich ihm nicht unterwarfen, wurden auf grausamste Art hingerichtet und ihre Leichen geschändet. Zwar führte dies innerhalb der Sklavenpopulation zu einer gewissen Stabilität und sicherte den Glauben an den Imperator, beides jedoch nur durch Gewalt erzwungen. Nachdem Hector und Jek sich seiner Autorität entzogen hatten, geriet Jakubs Herrschaft ins Wanken. Jeks eigene Grausamkeit war dabei eine Sprache, die von allen verstanden wurde. Einige Sklaven liefen schließlich sogar offen zu den beiden Gefährten über - nur um dann von Jakubs Lakaien hinterrücks ermordet zu werden.


    Doch der Widerstand gegen Jakub wuchs, bot dieser doch lediglich die Erlösung im Angesicht des Imperators, während Hector von Freiheit und Rache sprach. Die Attentatsversuche auf Hector und Jek nahmen zuletzt etwas ab und auch wenn es niemand auszusprechen wagte, gab es einige, die einen Führungswechsel unterstützen würden. Alles lief nach Plan.


    »Jek. Schön dich zu sehen«, bemerkte Hector und blickte den Metzger an. Es war alles andere als schön, diese widerwärtige Gestalt zu sehen, aber die beiden waren aufeinander angewiesen. Hector war trotz allem dankbar, dass er Jek hatte. Jek würde sein Leben für Hector geben und Hector ebenso für Jek. Etwas anderes blieb ihnen auch gar nicht übrig, wenn sie überleben wollten.


    »Eh-hehe«, lachte der Foltermeister vor sich hin, während Speichel aus seinem Mund tropfte. »Keine Freunde hier, ja Chef? Gut soooo.... Hehe... Mehr Vögelchen, die singen. Mehr Gesang für Jek. Jek mag Gesang!«


    »Wie läuft es mit den Waffen?«, fragte Hector nach, die Bemerkungen des Metzgers gekonnt ignorierend.


    »Seeeeehr gut. Seeeehr schön! Willst du mal sehen? Komm, Chef, komm mit Jek!«


    Noch einige Woche zuvor, hätte es Hector einen Schauer eingejagt, wenn Jek ihn dazu aufgefordert hätte, ihm zu folgen. Doch seither hat sich verdammt viel geändert.


    »Guter Junge. Zeig mir, was du hast.«


    Die beiden gingen zur Leichenhalle, wie sie den Bereich nannten, in dem sie ihr Lager aufgeschlagen hatten. Jek führte Hector zu drei der Schlafnischen, wo sie ihre Waffen lagerte. Hector staunte nicht schlecht, als er das Ergebnis der letzten Tage sah. Jek war äußerst fleißig. Vor ihm lagen etwa drei Dutzend Messer, Dolche und Keulen. Primitiv, aber besser als gar keine Waffe. Wenn Hectors Plan aufgehen sollte, mussten sie ausreichend Sklaven bewaffnen können, um überhaupt eine Chance zu haben.


    Schon ab dem ersten Tag hatte Jek angefangen, sie zu fertigen. Er zerstückelte die herumliegenden Kadaver und benutzte ihre Knochen, die er mit seinem Skalpell bearbeitete, bis sie sowohl gut in der Hand lagen als auch genügend scharfe Kanten und gefährliche Spitzen aufwiesen, um als effektive Nahkampfwaffen zu dienen.

    Bald würden die Drukhari ernten, was sie gesät hatten.

  • Stahl-Opa

    Hat den Titel des Themas von „Anton Kalen - Ewige Verdammnis - [Kapitel 8]“ zu „Anton Kalen - Ewige Verdammnis - [Kapitel 9]“ geändert.
  • X


    ***WARNUNG: Dieses Kapitel enthält eine Beschreibung von sexuellem Missbrauch. Sensible Personen und/oder Personen, die möglicherweise oder effektiv ein entsprechendes traumatisches Erlebnis durchlebt haben, rate ich eindringlich davon ab, den nachfolgenden Text zu lesen! Des Weiteren handelt es sich vollkommen um Fiktion, es besteht keinerlei Zusammenhang mit real existierenden Personen oder echten Ereignissen.***


    Es waren Tage vergangen, seit Mealarah sich in ihre Privatkammern zurückgezogen hatte. Obwohl es von Anfang an ein Teil des Planes war, dass sich Sirqa mit ihrem Chem-Pan-Sey duellieren sollte, um so die Aufmerksamkeit der Azrushar zu gewinnen, war Maelarah mit dem Ergebnis alles andere als zufrieden. Sie hatte die alten Gesetzte ihres Hauses nicht vergessen, ihnen aber keine Beachtung geschenkt. Sowieso hatten sie kaum eine Bedeutung. Dass sich gerade ihr niederträchtiger Onkel sich auf sie stütze, war ebenso zynisch wie genial. Er hatte Mealarah mit ihren eigenen Waffen geschlagen, war sie es doch, die ihren Anspruch auf Dalrailac immer auf alte Traditionen und längst vergangenes Brauchtum begründete.


    Ihre Anhänger waren ebenso selbstsüchtig wie wankelmütig. Nach einer solchen Demütigung konnte sie nicht mehr darauf zählen, dass auch nur einer von ihnen sich auf ihre Seite stellen würde. Zumindest nicht, solange die Azrushar am Leben war. Was Sirqa anging, nun, vielleicht kannte sie die Gesetze der Azrushatora einfach nicht. Vielleicht waren sie ihr bekannt und sie hatte denselben Fehler gemacht, wie Mealarah selbst. Oder sie hat genau gewusst, was passieren konnte, und erfreute sich nun daran. Sollte dem so sein, würde Mealarah diese Kränkung vergelten – irgendwann. Aber immerhin kannten sich die beiden Prinzessinnen lange genug, dass Maelarah wusste, dass Sirqa insgesamt Wort halten und ihr helfen würde, ihren Onkel zu beseitigen.


    Inzwischen, nachdem sich Maelarahs unendlicher Hass abgekühlt und in eisige, verächtliche Gleichgültigkeit verwandelt hatte, betrat sie seit jenem Duell zum ersten Mal wieder die Gartenanlage ihrer Gemächer. Sie verschlang den Anblick der farbenfrohen Gewächse förmlich und gab sich gierig ihren exotischen Düften hin. Was in einem Nicht-Drukhari vielleicht überwältigende Gefühle erregt hätte, war für die Prinzessin nur eine kleine Nichtigkeit. Nur schwache Eindrücke, die von der schwarzen Leere in ihrer Seele sofort aufgesogen wurden, während sie nur einen kurzen Augenblick deren Finsternis aufhellen konnten.


    »Ihr seid wieder zurück, Herrin«, bemerkte Nalaryss trocken, während sie Maelarah entgegenschritt. Sie hatte darauf gewartet, dass die Prinzessin aus ihrer selbst gewählten Isolation zurückkehrte. Bald würde vollendet sein, was begonnen wurde.


    »Du nutzloses Ding«, zischte Maelarah sie feindselig an. Die Prinzessin wusste zwar, dass ihr menschlicher Sklave niemals je eine Chance gegen Sirqa gehabt hatte. Ebenso, dass es gar nicht möglich war, einen Chem-Pan-Sey nur annährend so zu trainieren, dass er einer Drukhari ebenbürtig wäre. Nalaryss war in keiner Form dafür verantwortlich, dass er besiegt wurde. Trotzdem war die Kriegerin ähnlich wertlos wie der Chem-Pan-Sey. Sie war sicherlich von größerem Nutzen, hatte aber ihren einst angesehen Rang schon lange verloren. Maelarah fand es völlig angebracht, ihr die etwas unglückliche Entwicklung der Lage anzulasten. Und wenn sie es für angebracht hielt, war es dann auch das Einzige, was an diesem Ort von Belang war.


    Ohne zu zögern, schlug sie der Kriegerin mit der flachen Hand ins Gesicht.


    »Deinetwegen konnte mich die Azrushar derart demütigen. Deinen Zweck erfüllst du kaum mehr, eine Schande für unser Haus! Erst lässt du meinen Vater sterben, dann bringst du mich um meinen rechtmäßigen Platz in der Halle der Azrushatora?!«


    »Ich gehöre dir, Herrin. Deine Verachtung soll meine Nahrung sein.« Für einen kleinen Moment zeichnete sich ein grimmiges Lächeln auf Nalaryss’ Gesicht ab. »Du wirst erfreut sein, wenn ich dich wissen lasse, dass ich meine Herkunft weiter befleckt habe, indem ich mich in deiner Abwesenheit weiter um den Chem-Pan-Sey gekümmert habe.«


    »Wie befohlen«, gab Maelarah selbstzufrieden zurück. »Gehorsam wie ein erbärmlicher Sklave. Gut so. Nun denn, ich sollte diesem elenden Wesen meinen Dank ausrichten.«


    »Der Chem-Pan-Sey ist in seiner Kammer, Herrin. Ich geleite euch zu ihm.«


    Maelarah nickt und folgte ihrer Drukhari-Sklavin. Zufrieden genoss sie den Gedanken an die Genugtuung, die Nalaryss Tod ihr geben würde. Hätte die Kriegerin ihre Pläne gekannt, wäre sie niemals so willig ihren Anweisungen gefolgt. Nalaryss Naivität war äußerst belustigend.


    ***


    Anton lag zusammengekrümmt auf dem Boden. Das diffuse Licht, das seine Kammer nur spärlich ausleuchtete, ließ die Schatten tanzen. Sein Schädel pochte, als hätte ein besonders grobschlächtiger Abhumaner versucht, eine Mauer einzureißen, in dem er Antons Kopf immer wieder dagegen schlug. Sein Magen brannte, als hätte er von den verseuchten Abwässer Necromundas getrunken.


    Die vergangenen Tage forderten stetig zunehmend ihren Tribut. Nalaryss hatte ihn immer wieder mit kleinen Mengen Seelenessenz gefüttert, mit derer Hilfe Anton in den Warp blicken konnte. Trotzdem hatte er Ashenya bislang nicht befreien können. Auch wenn sich ihre wunderbare Erscheinung immer tiefer in seinem Verstand einbrannte, wurde das Band, dass er unter Einsatz seiner geistigen Gesundheit zwischen ihnen zu schmieden versuchte, jedes Mal von neuem wieder zerrissen. Zurück blieb nur eine verzerrende Leere, die mit jedem Mal schlimmer wurde.


    Bald reichten die exotischen Alkohole und fremdartigen Speisen der Drukhari nicht mehr aus, um die zurückbleibende Leere zu füllen. Bevor die Verzweiflung sein Herz vergiften konnte, fand er auf seiner Tafel unverhofft reich verzierte, gläserne Spritzen. Die Injektionen der verschiedenen, unbekannten Xenos-Drogen halfen ihm, weiter um Ashenya kämpfen zu können. Sein Geist blieb fokussiert genug, um die Kräfte des Warps herauszufordern, wenn auch sein Körper mit rasender Geschwindigkeit ausglühte.


    Der gefallene Inquisitor zuckte kurz zusammen, als die Türe zu seiner Kammer geöffnet wurde. Obwohl er völlig entkräftet war, setzte er sich, in der Hoffnung, erneut eine Dosis Seelenessenz zu bekommen, sofort auf. Doch dieses Mal stand nicht Nalaryss allein vor ihm, wie es bisher immer gewesen war. Dieses Mal folgte der Kriegerin Maelarah, ihrer beider Herrin. Für Nalaryss das Objekt ihrer ultimativen Rache, für Anton eines der Hindernisse, dass zwischen ihm und Ashenya stand.


    »Ekelhaft. Er nimmt deinen Gestank ebenso an, wie du den seinen«, bemerkte die Prinzessin verächtlich. »Geh zu ihm, Nalaryss. Wo du hingehörst. Bring ihn mir.«


    Die Kriegerin gehorchte und bewegte sich langsam auf Anton zu. Nachdem Nalaryss einige Schritte in die Kammer hinein gegangen war, wandte sich Maelarah direkt an den Inquisitor.


    »Widerlicher Chem-Pan-Sey. Allein deine Anwesenheit entehrt mich. Ich dachte, du könntest von Nutzen sein. Ein Fehler, den ich nicht erneut begehen werde. Dich aber einfach zu töten, wäre verglichen zu dem, was ich vorhabe, schlicht zu banal.«


    Nalaryss hatte noch immer keinen Verdacht geschöpft. Sie war endlich neben dem Menschen angekommen und konnte ihrer Meisterin nicht mehr gefährlich werden. Maelarah würde jeden Tag genießen, in dem Nalaryss eingepfercht mit einem Chem-Pan-Sey auf ihr Ende warten musste.


    Mit einem boshaften grinsen auf ihrem sonst völlig emotionslosen Gesicht wandte Maelarah sich äußerst entschlossen und zügig, aber ebenso elegant und anmutig ab, verließ die Kammer und schloss die Türe hinter sich, ohne auch nur einen Augenblick zu zögern. Anton realisierte erst einen Moment später, dass sich der schwere kristallene Mechanismus, der die Türe verschloss, aktiviert hatte. Er war wieder eingesperrt. Und mit ihm Nalaryss. Die Kriegerin hatte jedoch keine Anstalten gemacht, ihre Herrin aufzuhalten. Es schien, als wolle sie mit ihm eingesperrt sein.


    »Du fragts dich, wieso ich mich einfach so einsperren lasse«, bemerkte die Drukhari trocken. »Alles so, wie der Meister es vorausgesagt hatte. Bald erfüllt sich dein Schicksal, Chem-Pan-Sey. Und meines ebenso.«


    »Was... was meinst du damit?«, stammelte Anton, der am ganzen Körper zitterte. Nalaryss Ankunft hatte das verzehrende Verlangen seiner Seele genährt, Ashenya nah zu sein. Als nun deutlich wurde, dass Nalaryss nicht gekommen war, um ihn mit Seelenessenz zu versorgen, beschwor dieses schmerzliche Verlangen eine düstere Verzweiflung herbei, die Antons Verstand wie ätzender Nebel einhüllte.


    Nalaryss blieb stumm, doch zeigte ihr Gesicht eine seltsame Mischung aus Ekel, Freude und Wut. Dann blieb sie vor Anton stehen und griff nach seinem Hals. Erst jetzt bemerkte der gefallene Inquisitor, dass die Drukhari eine unscheinbare, kleine Nadel in der Hand hielt. Ehe er reagieren konnte, spürte er, wie Nalaryss die Nadel direkt in seine Halsschlagader stieß. Das Gift wirkte sofort. Schmerzen zuckten durch seinen Körper und er brach zusammen. Obwohl er bei vollem Bewusstsein und Herr seiner Sinne war, konnte er seine Gliedmaßen nicht mehr bewegen. Sein Körper schien einfach nicht mehr seinen Gedanken zu folgen. Wie ein lebloses Stück Fleisch schlug er mit einem dumpfen Schlag auf dem harten Steinboden auf.


    Noch mehr Schmerzen. Waren vielleicht sogar einige seiner Knochen gebrochen? Anton konnte es nicht mit Sicherheit sagen. Doch wenigstens reinigten die Schmerzen seinen Geist und vertrieben die finsteren Schwaden, die seinen Verstand nach den Exzessen der letzten Tage wie unheilige Fesseln zu lähmen begonnen hatten.


    Nalaryss trat ein paar Schritte zurück und blieb gelassen stehen. Ihre Augen schienen Anton förmlich zu durchbohren.


    »Wir haben keine Zeit mehr. Maelarah wird uns beide töten. Nur durch die ultimative Entweihung meiner selbst kann ich die Stärke erlangen, diesen Ort hinter mir zu lassen. Nur durch die ultimative Entweihung meiner selbst, kann ich Ihr, die Dürstet, für immer entfliehen. Und nur dann kann ich Rache nehmen.«


    Nachdem sie fertig gesprochen hatte, löste sie die Bänder, die ihre Armschienen festhielten. Ihre Bewegungen waren sanft und unglaublich elegant, fast so, als würde sie ein heiliges Ritual vollziehen. Als die Drukhari ihre Rüstteile abstreifte, sah Anton unzählige kleine, metallene Haken, die mit kurzen Ketten an den Panzerplatten angebracht waren und sich wie gierige Raubtiere im Fleisch der Kriegerin festkrallten. Nalaryss machte keine Anstalten, sie vorsichtig zu entfernen, sondern bewegte sich scheinbar absichtlich so, um maximale Schmerzen zu erfahren. Blut strömte, als die Haken langsam durch ihren schrecklich vernarbten Arm schnitten, ehe das Fleisch nachgab und die gebogenen Fanghaken heraussprangen.


    Ebenso entfernte sie darauf ihre Beinpanzerung. Auch diese war auf grausame Art und Weise direkt mit Nalaryss’ Körper verbunden. Die Drukhari lächelte Anton ruhig an, während der Inquisitor, noch immer unfähig, sich zu bewegen oder zu sprechen, den äußerst schmerzvollen Anblick erdulden musste.


    Schließlich befreite sich die Kriegerin von ihrer Brustplatte. Mehrere dutzend Haken und Nägel rissen ihren nackten, mit hunderten Narben übersäten Körper auf und hinterließen eine Vielzahl schrecklicher Verletzungen, aus denen ihr Lebenssaft herausfloss und altes, auf merkwürdige Art kristallisiertesBlut langsam abspülte. Das ölige Drukhari-Blut verlieh Nalaryss geschändeter Haut einen perversen Glanz, der die entblößte Kriegerin zu einem Kunstwerk blasphemischer Ästhetik machte.


    Anton erschrak über sich selbst, als er bemerkte, wie sein durch dekadente Exzesse geschädigter Geist gefallen an dem Anblick fand. Auch wenn alle Vernunft, die ihm geblieben war, dagegen ankämpfte, wollte etwas anderes, das in ihm innezuwohnen schien, jeden Zentimeter der überaus attraktiven Xenos gierig beäugen.


    Mit schwungvoller Bewegung trat die Drukhari vor Anton und präsentierte ihre von Wunden geschundene Weiblichkeit auf äußerst verdorbene Art und Weise. Langsam ging sie neben Anton in die Knie und beugte sich über ihn.


    »Ich werde mein Fleisch für immer beschmutzen. Und deines ebenso. Wir werden zusammen im Hass versinken und dem Meister dienen. Nur die niedersten der Ausgestoßenen sind es Wert, seiner Stimme zu lauschen. Hörst du schon? Er ruft auch nach dir!«


    Anton versuchte sich zu wehren. Doch sein Körper gehorchte nicht. Er wollte schreien, fluchen, beten. Doch seine Stimmbänder waren erschlafft. Er spürte, wie Nalaryss mit ihrer Zunge über seine Wange leckte, während sie die dreckige Robe, die seinen Körper bedeckte, in Fetzen riss.


    Der Inquisitor hoffte, das Bewusstsein zu verlieren. Doch nichts dergleichen geschah. Das Gift, das seine Peinigerin ihm verabreicht hatte, war in seiner Wirkung ebenso bösartig wie perfide.


    In kranker, ekstatischer Selbstverachtung rieb Nalaryss ihren blutenden Körper an Anton, dessen Verstand panisch nach einer Möglichkeit suchte, dem zu entfliehen, was noch kommen würde. Doch es gab kein Entrinnen. Unendlicher Ekel vermischte sich mit reiner, vollkommener Angst und einer blasphemischen Lust, die der Inquisitor unwissentlich in sich erweckt hatte, als er sich viel zu tief in den Warp hereingewagt hatte, um in den vergangenen Tagen nach Ashenyas Nähe zu suchen.


    Schließlich bestieg ihn die Drukhari und vereinte sich gewaltsam mit ihm. Angewidert und gierig zugleich bewegte sich Nalaryss, während Antons Verstand kollabierte. Wie konnte es so weit kommen? War nicht sogar er selbst derjenige, der ihn zu dieser Unaussprechlichkeit getrieben hatte? Er hatte sich willentlich bereit erklärt, alles zu opfern. Nun wurde eben dieses Opfer gefordert. Erst jetzt wurde ihm klar, dass er nie bereit gewesen war, alles zu opfern. Natürlich hätte er, ohne zu zögern, sein Leben für Ashenya gegeben. Er war sich immer sicher, dass dieses das Wertvollste war, das er besaß.


    Doch nun wurde er eines Besseren belehrt. Seine Gedanken hatten immer nur der Menschheit, der Liebe, sowie Moral und Pflicht gegolten. Selbstachtung, Würde und Stolz waren nur schemenhafte Worte, die der imperiale Propagandaapparat schon lange aus seinem bewussten Denken verbannt hatte. Bis jetzt. Bis jetzt, wo diese Drukhari im Begriff war, sie vollständig zu zertrümmern. Was war ein Leben ohne Würde? Was war er für Ashenya wert, wenn diese Drukhari ihm das nahm, was eigentlich ihr gehören sollte?


    Alle seine Gedanken wurden innerhalb eines Augenblickes von unergründlichem Selbsthass hinweggefegt. Er war nichts mehr Wert. Er hatte sich entweihen lassen und noch schlimmer, einen Teil seines verkommenen Selbst fand Gefallen daran. Er würde Ashenya niemals wieder in die Augen schauen können. Er war völlig wertlos geworden.


    Die unkontrollierte Wucht seiner Emotionen warfen seine Seele in den Warp. Er sah sich und Nalaryss, doch schienen sie weit, weit weg. Schleimige, blasphemische Tentakel umwanden das Paar, welches sich dort in einem purpurnen, mit glitzernden Sternen geschwängerten Nebel vergnügte. Wo die dämonischen Greifarme aber Nalaryss unwirkliche Seele berührten, verdorrten sie sofort und verwandelten sich in ausgetrocknete, schwarze Peitschen, die ihre zerschmetterte Seele malträtierten und Stück für Stück auseinanderrissen, nur um die Scherben nur Augenblicke später wieder zusammenzufügen.


    »Anton!«, hörte er einen Chor von Stimmen schreien. »Komm zu mir! Umarme mich, Liebster!«


    Sein Blick suchte nach dem Ursprung der sehnsüchtigen Stimmen. Instinktiv fixierte er den Wirbel, in dem Ashenya gefangen gehalten wurde. Er lag noch immer dort, wo er ihn schon die ganze Zeit über gesehen hatte. Ewig weit entfernt und doch unglaublich nah. Und dort erblickte er sie, Ashenya, klarer als je zuvor. Ihr Körper war von unglaublicher Schönheit. Die einstmals schuppige Haut schien aus poliertem Gold. Körperschmuck aus unwirklich erscheinenden Smaragden verzierte ihren entblößten Busen, während abstoßende Tentakel, die aus ihrem Rücken wuchsen, sich verspielt um ein zusätzliches paar Scherenhänden windeten, das mit edelsteinbesetzten Ketten verziert war. Dann breitete die riesige Gestalt ihre golden geschuppten Schwingen aus, worauf ihre Präsenz den ganzen Warp einzunehmen schien.


    »Komm Liebster! Du hast es geschafft! Ich bin hier!«, donnerte der Chor lustvoller Schmerzensschreie.


    Doch Anton reagierte nicht. Diese Kreatur war nicht Ashenya. Diese Kreatur war eine widerwärtige Ausgeburt des Chaos. Er hatte sich getäuscht. Die ganze Zeit über. Und doch schien er sich diesem Wesen anzunähern. Schneller, immer schneller näherte er sich den ausgestreckten Armen des Dämons. Was war er im Inbegriff zu tun? Er spürte, wie ein Teil seines Selbst sich ohne zu zögern dem Wesen hingeben wollte. All die freudige Befriedigung, die auf ihn warten würde! All das Glück wäre als Belohnung für seine erlittenen Qualen mehr als verdient gewesen wäre!


    Die Tentakel der Kreatur wanden sich um ihn herum. Dann setzten sie zu einer entzückenden Umarmung an... und verkümmerten. Sein Geist wurde heftig durch den Warp geschleudert. Als die stürmischen Psiwinde sich beruhigten, fand er sich vor Nalaryss’ geschändeter Seele wieder, die in einem ekstatischen Tanz der Selbstverachtung über der seinen tobte. Irgendwo hinter tobenden Feuern unheiligster Natur, erblickte er den Dämon, der zuvor seine widerlichen Tentakel nach seiner Seele ausgestreckt hatte. Und er entdeckte entgegen jeder Vernunft seine eigene Seele. Erst jetzt wurde ihm klar, dass er sich sowohl bei Nalaryss als auch in der Umarmung des Dämons befand. Sein Wille war gespalten und ein Teil davon hatte sich bereitwillig dem Warp-Wesen, dass er für Ashenya gehalten hatte, genähert.


    Mit dieser Einsicht aber veränderte sich etwas. Inmitten der dämonischen Umarmung tobte ein schrecklicher Sturm. Die in tausend Stücke zerrissene Kugel, die Teil seines Verstandes hätte sein sollen, widerstand den lustvollen Berührungen der Tentakel, die sie umschlangen. Unwirkliche Blitze aus finsterer psionischer Energie zuckten durch die blasphemischen Sturmwolken, die seine Seele umhüllte. Die Sturmwolken schien all die glänzenden Farben, welche von dem Dämon ausgehend in den Warp strahlten, aufzusaugen, so dass alles in einem sich selbst widersprechendem Schwarz-Weiß zurückblieb.


    Anton wusste, dass er Zeuge von etwas war, dass nie ein Sterblicher hätte erblicken sollen. Der Warp barg mehr Geheimnisse, als der Inquisition bekannt war. Es gab Dinge, deren Macht ebenso groß war, wie die Macht der Chaosgötter. Mit diesen Dingen konnte er bekommen, nach was es ihm dürstete. Ashenya war verloren – wahrscheinlich war sie schon immer verloren gewesen. Anton war getäuscht worden. Doch wenn er Ashenya nicht besitzen konnte, so würde er an jenen Rache nehmen, die sie ihm entrissen hatten. Das Werkzeug dieser Rache wartete auf ihn. Es war gierig darauf, ihm zu dienen. Ein Angebot, dass Anton nicht ausschlagen würde.


    Mit diesem letzten Gedanken wurde er aus dem Warp geschleudert. Etwas war nun ein Teil von ihm. Etwas so abstoßendes, dass selbst Slaaneshs gierige Tentakel nicht danach greifen konnten. Die abscheuliche Sturmwolke würde seinem zersplitterten Verstand eine neue Heimat sein.


    Antons war wieder in Dalrailac. Er wusste nicht, wieviel Zeit vergangen war, doch er war noch immer in seiner Kammer. Nalaryss lag bewusstlos auf ihm. Anton hasste sie zutiefst, fand an ihrer Anwesenheit aber dennoch gefallen. Sie hatte sich an ihm festgekrallt und sich in einen unergründlichen Abgrund hinuntergeworfen. Und in diesem Abgrund fand Anton nicht nur die Wahrheit, sondern auch seine Bestimmung. Ashenya war tot. Der Imperator war machtlos. Das Chaos hatte bereits seine Fänge nach ihm ausgestreckt.


    Angesichts dieser Wahrheit gab es nur etwas, das verhindern konnte, dass Antons verwundete Seele dem Warp erlag. Rache. Ein endloser Vernichtungskrieg.


    Schwach dröhnte ein wimmerndes Flüstern durch Antons Kopf.


    »Anton... nicht... Ich... Vergiss... mich... nicht... Anton... Anton...!«


    Er erkannte Ashenyas Stimme. Sie wirkte völlig entkräftet. Doch er durfte nicht auf sie hören. Ashenya war tot. Er würde den Dämonen des Warp, die Ashenyas einst so liebevolle Stimme für ihre Lügen missbrauchten, kein Gehör mehr schenken.


    Inzwischen war auch Nalaryss wieder zu sich gekommen. Anton spürte, wie sie erschöpft ihren Körper von dem seinen löste und sich zur Seite rollte.


    »Es hat begonnen...«, keuchte sie, einen verstörenden Ausdruck völligen Wahnsinns auf dem Gesicht. Dann erhob sie sich langsam.


    ***


    Hector keuchte angestrengt, während er seinem Widersacher durch die finsteren Korridore nachhechtete. Bald musste er die Verfolgung erschöpft aufgeben. Die Sicht betrug kaum mehr als zehn, zwanzig Schritte und die beißende Kälte machte jeden Atemzug zu einem schmerzvollen unterfangen. Die feuchte Luft ließ den schwarzen, erdrückenden Felsen der labyrinthartigen Sklavenquartiere mystisch funkeln, doch Hector ließ sich nicht von der unwirklichen Szenerie ablenken. Sein rechtschaffender Zorn würde ihm helfen, seine Ziele zu erreichen. Zumindest solange sein ausgemergelter Körper noch seinem Willen zu gehorchen vermochte.


    Die vergangenen Tage waren hart. Und jede Stunde, die er in dieser finsteren Hölle verbrachte, zerrten weiter an seinen Kräften. Die erbärmlichen Speisereste, mit denen die Dark Eldar ihre menschlichen Sklaven fütterten, reichten mitnichten zum Überleben. Jek konnte immerhin genug davon auftreiben, damit sie beide vom Hunger verschonte geblieben waren. Die Hoffnungslosigkeit derer, die weniger rücksichtslos waren, zwang sie zu unaussprechlichen Grausamkeiten, an die Hector kaum zu denken wagte. Waren die Vorräte wieder besonders knapp, hörte man sie an den Knochen ihrer Brüder und Schwestern nagen. Wie wilde, bestialische Tiere.


    Hector hatte schon viel gesehen. Das Imperium kämpfte für das Überleben der Menschheit, nicht zu ihrem Wohlergehen. Es gab viele Missstände und unzählige Grausamkeiten, die es im Namen des Imperators zu erdulden galt. Die Zustände in diesem Abgrund aber, die einzig und allein die Dark Eldar zu verantworten hatten, übertrafen all die Schrecken des Imperiums bei weitem.


    Jakub vertrat diesbezüglich eine andere Ansicht. Er hatte sich schon vor langer Zeit entschlossen, die Verdammnis zu umarmen und predigte sie als gerechte Strafe. Als Test des Glaubens. Erst hatte Hector angenommen, diese Überzeugung sei für den Sklavenführer eine notwendige Annahme, um den Verstand nicht zu verlieren. Erst später stellte er fest, dass Jakub all die Qualen und den Schmerz zu genießen schien. Nicht, dass das für Hector von Belang gewesen wäre, denn Jakubs Tod war schlicht und einfach eine Notwendigkeit, völlig egal, wie verkommen seine Seele auch sein mochte.


    Es machte die Sache für Hector dennoch angenehmer. Sein Plan zu fliehen wurde dadurch zu einem rechtschaffenden Kampf gegen die Schrecken, die Jakub und seine Xenos-Herren den armseligen Sklaven aufgezwungen hatten.


    Vor Hector lag eine Wegkreuzung. Gerade im letzten Moment hatte er gesehen, wie Jakub nach rechts abgebogen war. Nachdem er seinem Gegner gefolgt war, und merkte, dass Jakub in eine Sackgasse geflohen war, erhöhte sich sein eigener Puls unangenehm. Er spürte, wie sein Körper mit Adrenalin vollgepumpt wurde. Die blasse, totenähnliche Gestalt des selbsternannten “Sprecher” der Sklavenbewohner stand nur einige wenige Schritte vor ihm.


    »Dann ist die Zeit nun endlich gekommen«, hauchte Jakub mit dünner Stimme.


    »Deine Schreckensherrschaft ist beendet, Jakub«, antwortete ihm Hector. »Du hast diese Menschen missbraucht. Du hast sie dazu gebracht, aufzugeben. Du hast sie gebrochen. Du hast sie diesen Xenos ausgeliefert!«


    Jakub lachte bitter.


    »Du sprichts von Schrecken, ohne zu wissen, was wahre Schrecken sind. Ich habe meinen Brüdern und Schwestern etwas gegeben, dass ihre Seele besänftigt. Ihnen das unausweichliche Schicksal erträglich gemacht. Ich habe die Ordnung aufrechterhalten, verhindert, dass sie sich in noch verkommenere Schatten wandeln. Du bringst ihnen Schmerz und Tod, wo ich ihnen Gleichgültigkeit gebracht habe.«


    »Deine selbstgerechten Lügen schrecken mich nicht!« fauchte Hector.


    »Meine Niederlage ist vollkommen«, flüsterte Jakub. »Möge der Imperator mit vergeben.«


    Hector näherte sich, den knöchernen Dolch fest umschlossen. Ein gezielter Stich mitten ins Herz würde reichen, um die Ketten zu sprengen, die die unzähligen Menschen in dieser Hölle dazu zwangen, sich widerstandslos den Launen der Xenos auszuliefern.


    Er hob den Dolch, um Jakub zu beseitigen. Doch er hatte einen entscheidenden Fehler begangen. Der Sprecher hatte nur scheinbar aufgegeben. Trotz seiner gebrechlichen Gestalt waren seine Reflexe die eines wahrhaftigen Kriegers. Er wich flink zur Seite aus und schlug Hector die Waffe aus der Hand. Mit einem starken Tritt gegen das Schienbein brauchte er den Veteranen ins Straucheln, wenn auch Hector verhindern konnte, zu Boden zu gehen.


    »Ich war Soldat, oder hast du das schon vergessen?« zischte Jakub düster. »Ich werde bis zum letzten Atemzug kämpfen. Ich weiß, was mit denen passiert, die in Gefangenschaft geraten. Ich habe es selbst getan. Immer wieder. Ich werde mich niemals ergeben!«


    Hector merkte, wie alles Leben aus Jakubs Augen gewichen war. Er kannte den leeren Blick. Er hatte ihn schon oft gesehen. Es war der Blick eines Soldaten, der längst vergangene Schlachten kämpfte. Dieser Kampf hatte nichts ehrenhaftes an sich. Hector musste Jakub töten, so oder so. Und Jakub schien sich dermaßen vor der Gefangenschaft zu fürchten, dass ihm jedes Mittel recht war, um sich Hectors gerechtem Zorn zu entziehen.


    Ehe der Veteran seine Gedanken ordnen konnte, stürmte Jakub auf ihn zu. Gemeinsam gingen sie zu Boden. Schmerzhaft schlug Hector auf den kalten, feuchten Felsen auf. Gerade im letzten Moment konnte er seinen Kopf mit seiner rechten Hand genug schützen, damit sein Schädel nicht zerbarst.


    Jakub saß auf seiner Brust und drosch mit seinen Fäusten auf ihn ein. Nach mehreren äußerst schmerzhaften Schlägen gelang es ihm jedoch, den Alten abzuwerfen und die Plätze zu tauschen. Sich am Boden windend, wie raufende Barbaren einer der unzivilisierten Urzeitwelten, rangen die zwei Männer um den Sieg. Jakub rammte seine fauligen Zähne in Hectors Hals, der den wilden Angriff mit einem kraftvollen Hieb seines Ellenbogens vergalt. Ein paar Faustschläge später fand sich Jakub in einem Hebelgriff wieder. Hector zögerte keinen Moment und brach die durch Mangelernährung geschwächten Knochen seines Gegners. Nun hatte sich das Blatt endgültig gewendet. Er lockerte seinen Griff, um den zuvor verlorenen Dolch zu ergreifen, der gleich neben ihm am Boden lag. Einen Augenblick später bohrte sich der angespitzte Knochen mitten in die fahle, haarlose Brust Jakubs, dessen Lumpenkleider im Kampf derart zerfetzt wurden, dass sie ihren Zweck nicht mehr länger erfüllten. Gleich neben der tödlichen Verletzung – direkt über dem Herzen - erkannte Hector sodann eine verblasste Tätowierung: Cadia steht! 523. Regiment!


    Für einen Moment empfand Hector Mitleid. Wie er selbst, war Jakub ein Soldat, der wohl erst durch das, was ihm widerfahren war, zu dem geworden war, was er war. Sein Mitleid legte sich aber sofort, als er erkannte, dass der Imperiale Adler, der oberhalb des Schriftzuges lag, mit einem anderen Symbol überstochen worden war. Er kannte dessen Herkunft nicht, dass der boshaft grinsende Schädel mit blutroten Fledermausschwingen aber über dem Zeichen des Imperiums gestochen wurde, zeugte eindeutig von Verrat. Ganz egal, ob er in dieser Hölle seinen Glauben wiedergefunden hatte oder nicht, als Deserteur war er nichts weiter als ein ehrloses Schwein.


    Mit Genugtuung lauschte er dem qualvollen Gurgeln, als Jakub langsam am eigenen Blut erstickte.


    »Eeee-hehe«, grunzte Jek, der endlich zu Hector aufgeschlossen hatte und aus der Dunkelheit den zur Sackgasse werdenden Korridor betrat. »Du hast das gute Vögelchen gar nicht singen gehört! Wie schade!«


    Hector blickte den Metzger finster an. »Wieso hat das so lange gedauert, Jek? Du hast Glück, hat mich dieser Hurensohn nicht umgebracht!«


    »Hehe, nein, nein. Jek hört gut. Jek hört alles. Jek hätte gehört, wenn das Vögelchen die Oberhand gewonnen hätte. Ich wäre dir ganz, ganz schnell zur Hilfe geeilt. Ich lasse den Chef doch nicht einfach so sterben... nein, nein, nein!«


    Das Jek ihm nicht zur Hilfe gekommen war, stimmte Hector ärgerlich. Er versuchte aber, seinen Unmut zu verdrängen. Hier unten waren sie beide aufeinander angewiesen und Jek hatte schon mehrfach gezeigt, dass man auf ihn zählen konnte. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als dem Metzger zu vertrauen – darauf, dass er den Ausgang des Kampfes irgendwie vorausgesehen hatte.


    Der untersetzte Schlächter schritt auf Hector zu und blieb gleich neben ihm stehen. Ungewohnt kameradschaftlich klopfe er ihm auf die Schulter.


    »Nun beginnt der wahre Spass«, murmelte Jek, während zähflüssige Speichelfäden aus seinem Maul tropften. Ohne einen weiteren Gedanken zu verschwenden, ging er an sein grausiges Werk. Gierig vor Leidenschaft, aber dennoch mit vorsichtiger Eleganz, machte er einen langen Schnitt rings um Jakubs Brust. Dann stülpte er die Haut vorsichtig hoch und schob seine klobigen Händchen darunter, um das Werk zu vollenden. Jeks erregtes Schnauben ergänzte das unangenehme Schaben und Schneiden seiner Klinge und erschuf eine widerwertige Symphonie der Abartigkeit. Nach mehreren grausigen Minuten, die Hector wohl nur durch ähnlich traumatische Ereignisse ohne jeglichen Ekel durchstehen konnte, hatte Jek sein Tun vollendet. Er hatte Jakubs Kopf abgetrennt, ohne die darüber liegende Haut zu verletzten. Ein Teil der Wirbelsäule war vollständig von Fleisch befreit und diente als widerwärtiges Griffstück. Der selbsternannte Sprecher der Sklaven hatte sich in eine groteske, übergroße Handpuppe verwandelt.


    Hector wollte nicht daran denken, was er selbst noch zu tun gedachte. Doch die sowohl seelisch als auch körperlich gebrochenen Sklaven waren von Jakub mit großem Erfolg auf Schrecken konditioniert worden. Sie würden ihm nur Gehör schenken, wenn sie sahen, dass er zu ähnlichen Scheußlichkeiten bereit war.


    »Lass uns gehen«, sprach er zu Jek, der zufrieden grinsend sein Werk bestaunte. »Es ist Zeit, dass wir hier verschwinden.«


    Ein paar dutzend Schritte vor dem Zugang zur großen Kammer im Herz des Sklavenquartiers, hielt das ungleiche Paar inne. Hector schaute wenig begeistert auf den hautbehangenen, blutverschmierten Kopf Jakubs, den Jek wie ein altes Leinenbündel hinter sich herzog. Der Metzger hatte ein breites Grinsen im Gesicht, wissend, was kommen würde.


    »Dann schauen wir mal, ob unser Freund seinen Zweck erfüllt«, flüsterte Hector sarkastisch, um seine Laune etwas zu heben. Dann schritt er zu Jek hinüber und hielt ihm fordernd seine Rechte hin. Der Metzger nickte enthusiastisch und zog Jakubs leblosen Kopf hoch.


    »Ich will ihn behalten, wenn wir hier fertig sind!«


    »Du kannst damit machen, was immer du willst«, gab Hector zurück und griff unter die blutenden Hautfetzen. Hector zuckte kurz zusammen, als er den feuchten, schleimigen Knochen zu fassen bekam. Er hatte keine Probleme mehr damit, Jek bei seinem grausamen Handwerk zu beobachten, doch würde er sich nie an das Gefühl gewöhnen, dass ihn überkam, wenn er menschliche Überreste selbst anfassen musste. Nachdem er den ihn überkommenden Ekel abgeschüttelt hatte, hob Hector die grausige Handpuppe wie ein Szepter hoch. Die Sklaven sollen eindeutig sehen, wer nun das Sagen hatte. Langsam schritt er in die Halle, während Jek wie ein tollgewordener Kultist um ihn herum hüpfte und ihm zujubelte. Hector war nicht sicher, ob der Metzger die nahende Befreiung feierte, oder aber den abgetrennten Kopf als widerlichen Götzen-Fetisch verehrte.


    Der ebenso groteske wie schreckliche Auftritt zeige aber auf jeden Fall volle Wirkung. Jene Sklaven, die sowieso genug von Jakubs selbstzerstörerischem Regime hatten, formten sofort eine kleine Traube in Hector und johlten ihm zu. Die anderen waren etwas vorsichtiger, während die wenigen, die Jakubs Schreckensherrschaft und seine ketzerische Philosophie unterstützen, sich furchtsam in den dunkelsten Winkeln der riesigen Kammer versteckten. Um sicherzugehen, dass möglichst viele Sklaven hören würden, was er zu verkünden gedachte, durchquerte Hector die Halle einmal im Kreis, ehe er auf einen aus der Decke gebrochenen Felsbrocken kletterte, von dem er gut über die paar hundert ausgemergelten Sklaven blicken konnten, die sich versammelt hatten.


    »Bürger des Imperiums!« begann er mit lauter, mächtiger Stimme.


    »Euer Sprecher ist tot. Jakub ist nicht mehr. Er hat euch die ganze Zeit über belogen, weswegen ich seinem Leben ein Ende setzen musste. Er hatte euch glauben lassen, die Gefangenschaft unter diesen schändlichen Xenos sei eine Prüfung des Glaubens. Doch ich sage euch, zur Hölle mit dem Glauben! Wir werden an unseren Narben gemessen, nicht an unserem Glauben. Unsere Narben sind es, die unseren Wert bestimmen. Es sind die Narben, die uns im Kampf gegen die Feinde der Menschheit geschlagen wurden, nicht aber solche, die wir, versunken in Resignation, uns freiwillig haben schlagen lassen. Brüder und Schwestern! Denk daran, was diese Xenos euch angetan haben. Dieses Schicksal fordern sie ebenso für alle anderen der unseren - für eure Eltern, Geschwister, Kinder. Für alle Mitglieder unserer ruhmreichen Spezies! In dem ihr euch dem Schmerz hingebt und das Xenos-Joch akzeptiert, unterstütz ihr den Feind in seinen perfiden Plänen. Dies muss hier und jetzt ein Ende haben! Ich bin ein einfacher Soldat, kein Kommissar. Ich fordere nicht, dass ihr irgendeine Pflicht gegenüber dem Imperium erfüllt. Ich fordere, dass ihr die Pflicht gegenüber euren Mitmenschen und euch selbst erfüllt! Folgt nicht mir, sondern der Freiheit! Lasst dieses Gemäuer unter unseren hasserfüllten Schritten erzittern und die Eldar den Zorn der Menschheit spüren!«


    Während Hector zu der Menge sprach, schlich Jek durch die Ränge und verteilte die von ihm improvisierten Waffen. Natürlich waren die aus Knochen geschnitzten Dolche und Klingen nicht viel Wert, aber sie reichten allemal, um ein paar Kehlen aufzuschlitzen.


    Nach dem Ende der Ansprache wurden erste bejahende Zurufe laut. Vergeltung und Freiheit waren Worte, die schon lange niemand mehr zu hören gewagt hatte. Jakubs Herrschaft der Sühne und stiller Duldung war endgültig vorbei. Eine unaufhaltsame Dynamik verwandelte die erschöpfte Menge langsam in eine hasserfüllte Flutwelle, die das Blut ihrer Herren forderten.


    Hector warf Jakubs Überreste achtlos zu Boden und schritt einem Feldherrn gleich durch die aufgebrachte Menge verlorener Seelen, die begierig darauf warteten, jemandem folgen zu können. Einige jubelten ihm zu, andere murmelten düstere Litaneien des Mordes und wieder andere folgten nur apathisch der todesverachtenden Prozession, die sich hinter ihm zu bilden begann. Zielstrebig schritt er aus der Halle und folgte dem Gewölbe in die Richtung, die zum Palast der Dark Eldar führte. Jek folgte ihm einige Schritte entfernt und wirkte wie ein bösartiger Schatten, der seinen Herrn geleitet.


    Schließlich kamen sie langsam zu dem bewachten Tor, dass sie in die Freiheit führen konnte – oder in einen äußerst schmerzlichen Tod.

  • Stahl-Opa

    Hat den Titel des Themas von „Anton Kalen - Ewige Verdammnis - [Kapitel 9]“ zu „Anton Kalen - Ewige Verdammnis - [Kapitel 10]“ geändert.