Oppenheimer
Zitat
Putin: Und was ist das hier? "Ich bin der Tod geworden, der Zerstörer der Welt."
Ramius: Das ist ein alter Hindu-Text. Zitiert von einem Amerikaner.
Putin (alarmiert): Einem Amerikaner?
Ramius: Ja. Er baute die Atombombe. (ironisch lachend) Später wurde er beschuldigt, er wäre ein Kommunist.
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Das ist natürlich kein Zitat aus Oppenheimer, sondern aus Jagd auf Roter Oktober. Mir kam dieser Wortwechsel sofort in den Sinn, als ich auf Oppenheimer aufmerksam wurde, und meine Annahme hat sich Bewahrheitet: Das ist Oppenheimer in the nutshell.
Selbstverständlich kommt das zitierte Zitat im Film vor, sogar zweimal. Darüber hinaus kann man die mehr als zweistündige Ausarbeitung eigentlich nur als dramatisches Kunstwerk im allerbesten Sinne bezeichnen. Die Handlung kann man Geschichtsbüchern nachlesen, man weiß, wie es ausgeht (oder kann es wissen), daher wird garnicht erst versucht, von dieser Seiter her Spannung aufzubauen. Statt dessen erzählt der Film aus drei ineinander geschachtelten Zeitebenen heraus, von denen der Werdegang J. Robert Oppenheimers vom Studium in Deutschland in den 20ern bis zu Abschluss des Manhatten-Projekts der innerste ist, allerdings als Rückblick im Rahmen der Aussagen Oppenheimers und weiterer Beteiligter des Manhatten-Projekts in seiner Anhöhrung zu vorgeblichen kommunistischen Verwicklungen (s.o.). Den äußersten Rahmen, bemerkenswerterweise in schwarzweiß, bildet die Senats-Anhöhrung von Lewis Strauss, Vorsitzender der Atomenergiebehörde, zwecks Bestätigung seines Amtes als Handelsminister. Der exakte Zusammenhang zwischen dieser Ebene und der zwei anderen wird erst gegen Ende klar, wenn die Ebenen sich einholen und ineinander laufen.
Kleines Datail mit interessanter Implikation: Strauss wird als nachtragen und rachsüchtig gegenüber Demütigungen und gefährlich, da geduldig beschrieben. Für das Amt wird er knapp abgelehnt, auch wegen seines Verhaltens gegenüber Oppenheimer. Ausschlaggebend dafür waren angeblich Stimmen um einen jungen Senator aus Massachusets: John F. Kennedy.
Im Verlauf des Films wird, zu Anfang recht häufig und in kurzen Sequenzen, zwischen den Ebenen gewechselt. Später, während es um das Manhatten-Projekt geht lässt das Tempo etwas nach. Es erfordert also konstante Aufmerksamkeit, der Erzählung zu folgen. Wer mit der ersten Staffel von The Witcher klargekommen ist, hat dafür schon mal gute Grundlagen. Denn ansonsten bietet der Film wenige direkte Hilfestellung zur Einordnung. Insgesamt taucht nur ein komplettes Datum auf, nämlich der 01.09.1939, in dem Hitler dem Durchbruch der Kernforscher die Titelseite klaut, sowie nur in Tagesdaten der Trinity-Test und die Abwürfe über Hiroshima und Nagasaki. Für alles weitere ist eine grobe Kenntnis der (US)-Geschichte der ersten Hälft des 20. Jahrhunderts von Vorteil, denn dann lässt sich viel Einordnung über Namen poltischer Beteiligter wie Trueman, Roosevelt, Eisenhower, Hoover, McCarthy gewinnen.
Von Vorteil sind auch einige Grundkenntnisse in Atom- und Quantenphysik, so dass man dem wissenschaftlichen Diskurs einigermaßen folgen kann. Armin Maiwald und Rangar Yogeshwar sein dank habe ich die. Viel wird, vor allem im Anfang, allerdings auch visuell und musikalische dargestellt, was eine gradezu synästetische Vorstellung Oppenheimers der Physik transportiert. Das hat mich sehr abgeholt, ebenso wie das zahlreiche Namedropping und Auftritte von Größen, die man aus dem Physikunterricht kennt, wie Niels Bohr, Enrico Fermi und selbstverständlich Albert Einstein. Und dabei springt sofort die absolute Idiotie des Antisemitismus ins Auge, der auch einen der Bedeutungsstränge bildet: ein Großteil dieser Wissenschaftler waren Juden. Deutschland trieb seine besten Köpfe in die Emigration, und nur deshalb waren die Amerikaner (zum Glück?) am Ende mit der Atombombe voraus.
Haupt-Thema ist allerdings die schwierige Persönlichkeit Oppenheimers. Wie authentisch sie dargestellte ist, kann ich nicht beurteilen. Aber auf jeden Fall ist sie glaubwürdig. Dabei werden verschiedenste zeitgeschichtlich, politische, gesellschaftliche und philosophische Themen angesprochen und in unterschiedlichem, aber stets für die Sache ausreichemdem Maße angesprochen.
- kommunistische Strömungen in Arbeiter- wie in akademischen Kreisen und deren Verfolgung
- Frauenrollen und Familie in Form von Oppenheimers Verhältnissen zu Ehefrau mit zwei Kindern und Geliebter
- Verantwortung der Wissenschaft (Mit Brechts Gallilei und Dürrenmatts Physikern im Hinterkopf), die Idee, eine Waffe zu erschaffen und die am Ende zerstörte Hoffnung, dass deren bloße Existenz genug Abschreckungspotential hat, dass sie nie eingesetzt werden muss.
Umgesetzt ist das ganze in einer durchgängig erstklassigen Visualisierung und Bildsprache, die teilweise ins surreale hereinreicht, wenn etwa Oppenheimer plötzlich nackt vor dem Ausschuss sitzt, während er über seine Affäre befragt wird oder er wie betäubt vor dem jubelnden Personal von Los Alamos nach den Abwürfen ein Rede halten soll, die Folgen der Bombe angedeutet auf sein Publikum visualisiert und beim herabsteigen vom Podium in eine verkohlte Leiche tritt.
Aber auch die konkreten, realen Abläufe sind hervoragend in Szene gesetzt. Rund um die Entwicklung der Bomb entsteht dadurch Spannung selbst wenn man weiß, dass der Test erfolgreich verlaufen wird. I-Tüpfelchen: Die Beobachter sehen die Kilometer entfernte Explosion aufglühen und es ist geradezu gespenstisch still. Dabei ist man aus Hollywood, wo es sogar im Weltraum knallt, doch ganz anderes gewöhnt. Ich hab mich dabei gefragt, wie viele Zuschauer das (zuerst) wohl gewundert hat oder es für ein Stilmittel gehalten haben, anstatt für realistisch dargestellte Physik.
Was bleibt noch zu sagen? Ja, die Leistung der Darstelller, bis in Nebenrollen großartig besetzt. Robert Downey Jr. gibt den nachtragenden Antagonisten auf Distanz Strauss treffend mit der bekannten Tony-Stark-Arroganz. Bei Cillian Murphy, der die Persönlichkeitsfacetten der Hauptfigur gradezu auslebt, sehe ich mindestens einen nächsten Oskar-Kandidaten. Matt Damon zeigt den am Manhatten-Projekt beteiligten General Leslie R. Groves routiniert. (Und wenn ich jetzt nichts über die weiblichen Darsteller sagen kann, dann liegt das daran, dass aus irgendeinem komischen Grund mir die einfach nicht im Bewusstsein bleiben - womit ich ihnen garantiert unrecht tue.)
Ja, das ist jetzt ein langer Text geworden und dabei hab ich noch nicht mal alles gesagt, was man über den Film sagen könnte. Dazu müsste ich ihn wahrscheinlich auch noch ein- oder zweimal sehen. Vermutlich wird das einer, den ich mir auch ins Regal stelle, neben Apollo 13 und Jagd auf Roter Oktober. Abseits von Unterhaltungs-Popcorn-Kino sind das nämlich die Filme, die mich am meisten abholen und die es in dieser Qualität selten gibt. Wobei Oppenheimer dabei der mit Abstand anspruchsvollste ist. Wer sich also diesem Anspruch stellen mag, dem ist dieser Film unbedingt zu empfehlen.