Anton Kalen - Ewige Verdammnis - [Kapitel 6]

  • -Anton Kalen-

    Ewige Verdammnis




    Prolog

    Kapitel 1

    Kapitel 2

    Kapitel 3

    Kapitel 4

    Kapitel 5

    Kapitel 6

    Kapitel 7



    Kommentare sehr gerne hier!



    Da Schriftdeutsch nicht meine Muttersprache ist, ist Korrekturlesen für mich recht Aufwendig. Da es sich hier um ein nicht-kommerzielles Projekt handelt, werde ich diese auf ein Minimum begrenzen - es wäre für mich zu Zeitintensiv. Meine begrenzte Zeit nütze ich lieber dafür, die Geschichte weiterzuspinnen. Ich entschuldige mich schon jetzt für allfällige Fehler. Falls mir zufällig mal was auffällt, werde ich das natürlich nach und nach korrigieren. Allenfalls durch euch gemeldete Fehler werden ASAP korrigiert.


    Dieser Roman ist der 3. Band meiner Anton-Kalen-Serie - die anderen teile sind hier im Forum zu finden.


    Diese Fanfic wird in unregelmässigen Abständen neue Kapitel erhalten. Ein Release-Datum für Kapitel XY gibt es nicht nicht (und wird es nicht geben - it's done when it's done).

    Gerne nehme ich auch kritische Kommentare entgegen oder lasse mich auf Diskussionen über das Setting, die Charaktere, ihre Denkweise etc. ein; beziehungsweise würde mich das sogar freuen und motivieren, dranzubleiben :)


    Ich schreibe die Story in Word und verwende Taschenbuchformat; sprich mit einem Einzug bei jeder neuen Zeile usw.. Da das hier im Forum nicht Umsetzbar scheint, habe ich alle Einzüge durch Zeilenabstände ersetzt. Ich hoffe, es ist so leserlich genug!

  • Prolog


    Emanuel betrat das Zimmer ohne anzuklopfen. Im schwachen Licht einiger einsamer Kerzen, erkannte er seinen Freund. Anton sass mit den Rücken zu ihm auf einem vornehmen, gepolsterten Sessel aus feinstem Holz, handgefertigt, bezogen mit teurstem, dunkelpurpurnem Stoff.
    »Anton. Wir sind fast da«, sprach der Freihändler. Die gespengstige Gestalt auf dem Sessel zuckte zusammen, als sie seine Stimme vernahm.


    »Gut… Endlich…«, keuchte Anton nach kurzem zögern. Als Emanuel die erschöpfte Stimme seines Freundes hörte, vermutete er bereits, was sich nur einen Moment später bestätigen sollte. Neben dem Sessel angekommen, musterte er den traurigen Rest, der von Anton übrig geblieben war. Der Inquisitor sass in sich zusammengesunken da. Schweiss perlte auf seiner Stirn. In der Hand hielt er eine Spritze, mit der sich offensichtlich gerade das Lunaïn iniziiert hatte.


    »Anton. Du solltest damit aufhören«, sprach Emanuel mit ruhigem Ton. »Irgendwann trennen sich unsere Wege wieder. Wie gedenkst du, dich damit zu versorgen, wenn nicht aus meinem Vorrat?«


    Anton drehte Emanuel langsam den Kopf zu und starrte ihn mit leeren Augen an. »Wie… soll ich… das wissen?«. Seine Stimme war brüchig und schwach. »Du… hast mir das Zeug… verabreicht. Es… ist alles… was mir bleibt.«


    »Um dir dabei zu helfen, über deinen Verlust hinwegzukommen!«, antwortete der Freihändler forsch. »Nicht, damit du dich den Rest deines Lebens damit betäubst!«


    »Es… Es gibt mir etwas davon zurück«, wisperte Anton. »Vom… vom Warp. Es… fühlt sich an… als könnte ich… damit… wieder sehen…«


    Emanuel wusste nicht genau, was Anton damit meinte. Er selbst war kein Psioniker. Er verstand nicht viel vom Warp, verfügte höchstens über theoretisches Wissen der gefährlichen Dimension des Immateriums.


    Nicht so, wie Anton. Vor dem Zwischenfall hatte er die Fähigkeit, in den Warp zu blicken. Er hatte ein feinfühliges Gespür für die Seelen seiner Mitmenschen und veränderungen im Warp. Doch nach dem, was passiert war, hatte er alle seine psionischen Fähigkeiten verloren. Dieser Verlust belastete ihn zunehmend stärker – inzwischen weit mehr, als es der Verlust seines Armes es tat.


    »Eine Lüge. Das Lunaïn lässt sich in einer Lüge leben!«, gab Emanuel gereizt zurück. »Aber ich bin nicht hier, um dich zu tadeln. Ich bin hier, weil es an der Zeit ist. Wir haben soeben unser Ziel erreicht.«


    »Gut«, antwortete Anton und zog sich langsam vom Sessel hoch. Dann schleppte er sich durch das schlecht beleuchtete Zimmer. Der Boden der luxuriösen Unterkunft war mit samtweichem Teppisch bezogen. In Wandnischen standen wertvolle Kunstobjekte, die wohl für jeden gewöhnlichen Menschen äusserst inspirierend gewirkt hätten. Dennoch konnte die dekadente Schöhnheit des Quartiers nicht darüber hinwegtäuschen, dass es Anton alles andere als gut ging. Überall lagen leere Flaschen, schmutzige Gläser und gebrauchte Spritzen. Anton hatte darauf bestanden, nicht von Bediensteten gestörrt zu werden, hatte aber offenbar auch keinen Bedarf, selbst für Ordnung zu sorgen. So stapelten sich die Überbleibsel seiner eher weniger erfolgreichen Versuche, mit seinem Schicksal fertig zu werden, wohin das Auge blickte.


    Der Inquisitor hielt vor einem grossen metallenen Schrank, der mit vornehmen Messingbeschlägen und allerlei eingelassenen Edelsteinen verziert war. Er packte seinen Mantel, den er zuvor irgendwann derespektierlich über die halb offene Schranktüre geworfen hatte, und warf ihn über seine Schulter.


    »Gehen wir«, murmelte er kalt, während er sich kurz zu Emanuel umdrehte. Dann machten sich beide auf den Weg zur Landefähre.


    ***


    Unter ihnen lag Wolfsschlucht. Der einsame, verlassene Planet befand sich irgendwo am Rande des Imperiums und fand kaum beachtung. Vor einiger Zeit gab es eine kleine Kolonie der Menschen, die aber von Xenos verherrt wurde und seither dem Verfall überantwortet wurde. Die Landefähre durchbrach die finstere, graue Wolkendecke. In der Dunkelheit der Nacht war die von engen Tälern durchfurchtete Landschaft nur undeutlich zu erkennen.


    »Wir landen in Nadelhayn, der einzigen Siedlung auf dieser verfluchten Welt«, sprach Emanuel zu Anton und dem Landetrupp, der sich aus Hector, Jek und einigen Söldnern zusammensetzte. »Die Kolonie liegt in Ruinen, meine Handelspartner erklärten sich aber bereit, uns dort zu treffen…«


    Anton fiel auf, dass alle Söldner bis an die Zähne bewaffnet waren. Er dachte sich aber nichts dabei – seine eigene Sicherheit bedeutete ihm nicht mehr viel. Ausserdem war es kaum verwunderlich, dass Emanuel solche Sicherheitsmassnahmen traf, denn seine Kontakte waren meistes eher übler Natur.


    »Was erwartet uns dort?«, fragte Hector misstrauisch, dem die gut gerüstete Truppe ebenfalls aufgefallen sein musste.


    »Die Eldar sind arrogante Wesen, ihr Wort ist kaum verlässlich«, antwortete der Freihändler. »Normalerweise bringe ich Waren, an denen sie interessiert sind. Diesesmal habe ich mich als Bittsteller an sie gewandt. Auch wenn sie einem Treffen zugestimmt haben, weiss ich nicht, was uns erwartet…«


    »Könnte es sein, das die Lage eskaliert?«


    »Ich halte das für unwahrscheinlich. Sollte das trotzdem der Fall sein, werden wir uns natürlich verteidigen.«


    Während seine beiden Freunde noch taktische Details der Landezone besprachen, starrte Anton aus dem kleinen Sichtfenster nach draussen. Es regnete stark. Am Horizont tobte ein mächtiges Gewitter, wobei Blitze immer wieder die finstere Nacht erhellten und den Blick auf karge Gipfel und endlose Nadelwälder ermöglichte. „Was erwartet uns dort?“, hatte Hector gefragt. Natürlich hatte diese Frage für ihn eine andere Bedeutung. Hector fragte sich, welche Gefahren auf sie lauern könnten. Anton versuchte die Frage, die er sich selbst stellte – wenn auch mit einem anderen Kontext – zu verdrängen. Erfolglos. Konnten die Xenos ihm zurückgeben, was er verloren hatte? Den Arm mit sicherheit. Selbst im Imperium gab es Welten, die fast täuschend echte Bioniks herstellten. Die psionische Gabe wiederherzustellen würde sich als weitaus schwieriger herausstellen. Und Ashenya zurückzubringen… er konnte nicht daran Glauben. Würde er es hoffen, und würde diese Hoffnugn zerschlagen, würde er daran zerbrechen. Aber die Chance, dass dem so sein könnte, konnte er nicht einfach ignorieren. Laenryl hatten sie auch wiederhergestellt, obwohl das Leben ihren Körper verlassen hatte. Wenn auch zum Preis ihrer Seele.


    Anton würde diesen Preis niemals akzeptieren, doch wusste er, dass Emanuel wohl sogar bewusst gefordert hatte, dass ihr Verstand ausgelöscht wurde. Es war also vielleicht möglich, dass die Eldar zu mehr fähig waren, als sie bei Laenryl getan hatten.


    Während seine Gedanken sprunghaft zwischen Ashenya, Laenryl und dem erhabenen Gefühl des Lunaïns, das seit Wochen sein stetiger begleiter war, hinundher wechselten, verlor er jegliches Zeitgefühl. Erst der dumpfe Schlag der aufsetzenden Landefähre holte ihn zurück in die Realität.


    Sobald die Transportluke sich geöffnet hatte, schwärmten Emanuels Söldner aus und sicherten profesionell, gleich Gardisten der Imperialen Armee, die Umgebung. Emanuel musste seine besten Männer für diesen Einsatz mitgenommen haben. Hector trottete ihnen desinteressiert nach. Anton wusste aber, dass der ehemalige Soldat mindestens genauso auf der Hut war, wie die Söldner. Er hatte seinen Granatwerfer fest im griff und würde jedes Ziel in Sekundenschnelle vernichtet haben, sollte es zu einem Kampf kommen.


    Als die Männer ihre Positionen bezogen hatten, folgte ihnen Emanuel. Mit elegantem Schritt, den Rücken gerade und dem leicht erhobenen Kinn wirkte er auf dieser verlassenen, düsteren Welt, fast wie ein Ritter in glänzender Rüstung, der gekommen war, die Dunkelheit zu vertreiben. Nichts hätte weiter von der Wirklichkeit entfernt sein können.


    Anton folgte dem Freihändler nach. Jek kam mit zwei Bediensteten, die eine kleine Transportraupe, auf der eine Kyrokapsel befestigt war, nach.


    Es schmerzte Anton, Ashenya bei sich zu wissen, ohne sie sehen oder spüren zu können. Doche ohne die hermetisch versiegelte Kapsel hätte ihr Organismus wohl noch schlimmeren Schaden genommen und wäre inzwischen unweigerlich zerstört.


    Der Regen prasselte unermüdlich auf sie nieder und durchnässte Antons vornehme Kleidung, die Emanuel ihm zur verfügung gestellt hatte. Er blickte sich um.


    Die Siedlung lag in einem tiefen Tal, von zwei gewaltigen Gebirgszügen flankiert. Die nie endenden Tannenwälder wiptem heftig im stürmischen Wind, so das es in der Finsternis der Nacht so wirkte, als würden sich die Berge auf und ab bewegen. Die ganze Welt schien ein einziger, atmenter Organismus zu sein.


    Das Scheinwerferlicht der Ladefähre glitt über die trostlosen Reste der zerfallenen Gebäude, während unglaublich heftige Blitze immer wieder durch den Himmel zuckten und die Sicht auf die nicht minder bedrohlich wirkende Umgebung freigab.


    Vor ihnen lagen etwa ein dutzend flacher Gebäude aus Ferrobeton, die mit verrostenden Rohrsystemen verbunden waren. Eine unzählbare vielzahl an technischen Geräten säumten die Fassaden. Vox-Anlagen, Temperaturregler, Luftreiniger, Waffenlafetten – nutzlos, vom Rost zerfressen. Die Kolonie musste vor mindestens hundert Jahren aufgegeben worden sein. Dass alle Gerätschaften zurückgelassen wurden, war aber untypisch. Es wirkte, als ob die ganze Bevölkerung einfach verschwunden wäre, ohne Zeit gehabt zu haben, die Siedlung zu evakuieren. Antons Geist durchzuckten schmerzhafte Erinnerungen an Ysraal VI. Trotz all seiner Bemühungen konnte nur ein verschwindend kleiner Teil der Bevölkerung gerettet werden. Wäre die Welt nicht vernichtet worden, hätte es dort wohl eine ganze Menge solcher dem verfall ausgeliferten Geisterstädte gegeben.


    »Irgendetwas stimmt hier nicht«, brüllte Hector Emanuel zu. Er befand sich etwa zehn Meter weiter vorne in der Deckung einer Mauerrerste. Der Regen prasselte so heftig nieder, dass der ehgamalige Soldat kaum zu hören war. »Die Schatten… Bewegen sich?«
    Emanuel hob die Hand.


    »Nur mit der Ruhe«, erwiderte er gelassen. »Sie sind hier.«


    Fast schon, als hätte Emanuel seine Freunde mit diesen Worten beschworen, tauchte in der schwarzen Dunkelheit eine Gestalt vor ihnen auf.


    Es war eine grossgewachsene, schlanke Gestalt. Der Körper war von einer bedrohlichen Plattenrüstung geschützt. Eine vielzahl Stacheln, Dornen und Klingen erweckten den Eindruck, dass die tiefschwarze Rüstung mit smaragtgrünen Glanz, selbst eine Waffe war. Mit jeder Bewegung des Kriegers bewegten sich die lamellenartigen Segmente der Rüstung mit, als wären sie einen Teil seiner selbst.


    »Ich grüsse euch, Eldar«, sprach Emanuel und deutete eine höfliche Verbeugung an.


    Der Krieger kam näher. Anton musterte das Alien. Die Statur, die spitzen Ohren und die Mandelaugen liessen keinen Zweifel daran, dass es sich um einen Eldar handelte. Trotzdem schien dieser Xeno irgendwie anders als seine Brüder, mit denen Anton zuvor Kontakt hatte. Die Haut war leichenblass und wirkte fast schon kränklich. Ausserdem nahm Anton eine diffuse Aura wahr, die von dem Krieger ausging. Eine beunruihgende, schreckliche Aura des Schmerzens und Leidens.


    Der Xeno blieb einige Schritte vor Emanuel zu stehen. Auch wenn er die Söldner bemerkt haben musste, schenkte er ihnen kienerlei Aufmerksamkeit.


    »VilithCaihe1«


    Der Eldar spie die Worte so verächtlich aus, als würde ein stinkender Ghoul des Seuchenvaters vor ihm stehen. Hectors Griff umschloss den Granatwerfer fester.


    »Dein Eintreffen beschmutzt unsere Kabale. Du bist ein Stück Dreck, das nicht würdig ist, an den Stiefeln des Archons zu kleben. Ich werde die Azrushar von dir befreien!«


    Emanuel hob beide Hände. Nicht beschwichtigend, sondern so, um alle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.


    »Das ist meine Angelegenheit!«, donnerte seine Stimme mit solcher unwidersprechlicher Autorität, dass selbst Hector es nicht gewagte hätte, einzugreiffen. Selbst der Eldar schien einen kurzen Moment erstaunt über die Kraft und Überzeugung, die in den Worten des Freihändlers mitschwangen.


    Mit einer Schnelligkeit, die in keinerweise mehr als menschlich bezeichnet werden konnte, zogen sowohl der Eldar als auch Emanuel ihre Schwerter. Emanuel führte sein reich verziertes, elegantes Schwert, ein erbstück seiner Familie und Jahrtausend altes Artefakt von höchster Qualität. Der Dark Eldar schwang eine gekrümmte und gezackte Klinge, die zwar kurz, aber äusserst flink war. Obwohl sich der Xenos mit katzenhafter Anmut und der eleganz eines Fürsten bewegte, konterte Emanuel mit nicht weniger raffinierten Bewegungen. Anton fiel auf, dass sein Freund einen ihm völlig unbekannten Kampfstil anwandte, dem der des Eldars nicht unähnlich war.


    Die beiden Klingen prallten aufeinander. Finten, Konterangriffe und Paraden folgten in rassantem Tempo aufeinander. Für die Söldner und Hector war es genauso wie für Anton unmöglich, dem Duell zu folgen. Plötzlich hielten die beiden Duellanten inne, die Körper so nah beieinander, dass die stacheln und Klingen der Eldar-Rüstung Emanuels vornehmen Gewänder durchstiessen. Dem Freihändler war ein gewagter Angriff gelungen, mit dem er dem Xenos das Schwert mitten durch die Brust rammen konnte. Die Klinge hatte den Krieger vollständig durchbohrt und ragte blutgetränkt aus seinem Rücken heraus.


    »Die Azrushar hat persönlich dafür gesorgt, dass ich den euren ebenbürtig bin…«, flüsterte Emanuel mit derselben verächtlichkeit, die der Eldar ihm entgegengebracht hatte. Mit grosser Befriedigung drehte er dann sein Schwert mit einer bohrenden Bewegung, ehe er den Krieger abschätzig von seiner Klinge gleiten liess. Das schmerzerfüllte Gesicht seines Gegners liess ihn zufrieden grinsen.


    Als der besiegte Eldar tot zu Boden gesunken war, säuberte Emanuel sein Schwert lässig an seinem Mantel, ehe er es wieder zurück in die Scheide gleiten liess.


    Plötzlich flimmerte die Dunkleheit um den Freihändler und seine Leute herum. Als würden die Schatten selbst humanoide Formen annehmen, manifestierten sich etwa zwei dutzend Eldar-Krieger, jeder nicht minder düster, wie der, den Emanuel soeben von seinem irdischen Leben befreit hatte. Mit den Kriegern tauchte ebenso eine Art schwebendes Schiff mit elegenten, gezacktem Segel aus den Schatten aus.


    Sofort richteten Emanuels Männer ihre Waffen auf die Neuankömmlinge, die unverhofft aus den Schatten auftauchten. Die Eldar richteten ihre fremdartigen Waffen ebenso auf die Menschen. Eine dramatische Anspannung lag in der Luft und nur ein kleiner Fehler würde zu einem mehr als ungleichen Gefecht führen.


    Ein Eldar-Krieger trat hervor. An seinem Rücken war ein kleines Banner mit einer exotischen Rune angebracht, das heftig in den Sturmböen flatterte.


    Emanuel kniete ehrfürchtig nieder – eine Geste, die Anton ehrlich schockierte. Emanuel war keine Person, die kniete. Erst recht nicht vor einem Alien.


    »Ich grüsse euch, Sybarith«, sprach der Freihändler respektvoll, ehe er sich wieder erhob.


    Der Krieger nickte selbstgefällig, ehe er den Helm abnahm. Ein von unzähligen Narben völlig enstelltes Gesicht offenbarte sich. Der Eldar war schien uralt und der völlig haarlose Kopf war von furchen und falten übersäät.


    »Arhkei widersetzte sich den Befehlen der Azrushar«, begann der Eldar mit ruiher, ausgeglichener Stimme. »Er war der Meinung, euer Besuch sei eine Schande. Ich habe ihn gewähren lassen, damit ihr das Gegenteil beweisen könnt.«


    Der Bick des Sybarith schwenkte kurz zu der Leiche des Kriegers.


    »Verdammte Halbgeborene…«, murmelte er, ehe er wieder zu Emanuel blickte.


    Der Freihändler deutete eine dankbare verbeugung an, ehe er das Wort ergriff.


    »Ihr ehrt mich, Sybarith. Ich nehme an, die mächtige Azrushar hat meine Nachricht erhalten?«


    »Der Archon nimmt euer Angebot an, VilithCaihe.«


    »Ich werde sein Vertrauen mit grosser Zuwendung entgelten, Sybarith«, entgegnete Emanuel respektvoll.


    »Natürlich werdet ihr das«, erwiederte der Eldar mit einer unheimlichen gewissheit, die nichts Gutes ahnen liess.


    »Was geht hier vor?«, wandte sich Anton verwirrt an Emanuel.


    »Ich habe meinen ‚Freunden‘ bereits vor unserer Ankunft ein Angebot unterbreitet. Sie werden deinen Arm wiederherstellen, die Bezahlung übernehme ich. Als kleine Geste der Freundschaft.« Emanuels blick fiel auf den Kyrokapsel hinter ihnen. »Alles Weitere liegt bei dir.«


    »Was sollte dieser Angriff? Was ist hier los?«, insistierte Anton darauf, mehr über diese finsteren Eldar und ihre Beziehung zu Emanuel zu erfahren.


    »Der Sybarith ist meine Verbindungsperson zum Anführer dieser Eldar. Ihre Gesellschaft ist etwas kompliziert, daher halte ich mich ausschliesslich an jene, die echte Macht besitzen – hier auf Wolfschlucht ist das der Sybarith.«


    »Der Eldar hätte sich töten können!«, warf Anton ein.


    Emanuel lachte herzlich los.


    »Glaube mir Anton, das dachte dieser Krieger auch. Aber ich bin viel mehr, als es scheint!«


    Der Sybarith trat näher.


    »Lord Kalen?« sagte er ungeduldig und deutete auf Anton, wohl in keinerweise am Gespräch der beiden Interessiert. »Kommt er jetzt endlich?«


    »Nun, Anton, es ist nicht weise, diese Eldar zu verägern. Ihr müsst mit ihnen gehen… Vertraut mir. Meine Freundschaft ist ihrem Anführer zu nützlich, als dass dir etwas passieren könnte. Aber sei auf der Hut – höre auf Hector. Und halte Jek an der kurzen Leine.«


    »Du kommst nicht mit?«, fragte Anton unruhig. Furcht vergiftete seinen Verstand. Furcht, von Emanuel – vom Lunaïn – getrennt zu werden.


    »Ich habe andere Verpflichtungen, denen ich nachgehen muss. Wir werden uns wiedersehen, doch vorerst muss ich dich der Gastfreundschaft der Azrushar überantworten.«


    »Nein, das kannst du nicht tun!«, weigerte sich Anton, dessen Furcht sich in Panik wandelte.


    »Nun, ich hatte sowas bereits befürchtet…«, entgegnete Emanuel. »Hector?«, wandte er sich dann kurz den Soldaten, der sich unauffällig Anton genähert hatte und gleich hinter dem Inquisitor stand. Ohne zu zögern richtete er sich dann wieder an seinen Freund.


    »Tut mir Leid, Anton.«


    Ehe Anton reagieren konnte, spürte er einen stechenden Schmerz im Rücken. Als er sich umdrehte, sah er die leere Spritze in Hectors Hands. Dann verschwamm eine Sicht und er verlor das Bewusstsein.

  • I


    Anton wurde von unruhigen Träumen heimgesucht. Oder waren es Visionen? Schemenhafte Bilder zuckten durch seinen Verstand, verängstigend und bedrohlich zugleich. Immer und immer wieder suchten die unsäglichen Szenen ihn heim.


    Er sah Ashenya, inmitten eines tosenden psionischen Sturm. Immer und immer wieder verschmolz sie mit einer blasphemischen, sich windenden Masse aus fleischigen, glänzenden Tentakeln. Der Anblick der glitzernden Fangarme, die sich sanft und doch unweigerlich um Ashenya schlangen, dabei schleimige Spuren auf ihrer fremdartigen Haut hinterlassend, war zutiefst abstossend und faszinierend zugleich. Während sie sich mit dem Wesen zu einem unbeschreiblichen Ding vereinte, schien sie Anton etwas zuzurufen. Doch er konnte sie nicht hören, eine unsichtbare Wand schien die Worte davon abzuhalten, in seinen Geist einzudringen.


    Er musste zu ihr! Verzweifelt versuchte er immer wieder, zu seiner Liebsten zu gelangen. Egal, wie schnell er auf sie zuschritt, blieb sie aber immer unereichbar. Er musste zu Ashenya, ehe das fürchterliche Wesen sich entgültig mit ihr vereinte. Sie gehörte ihm, nicht diesem Ding! Er durfte nicht scheitern!


    Er würde jeden Preis zahlen, damit er sie wieder in seine Arme schliessen konnte. Doch irgendetwas hinderte ihn daran… Egal, was er versuchte, die unsichbare Wand blockierte seine Verbindung zu der Quarr’va und die Distanz dadurch unüberbrückbart.


    Irgendwann erwachte er schliesslich. Er spürrte, wie sein Körper bebte. Das Herz pochte mit unglaublicher Geschwindikeit, kalten Schweiss nässte seinen Körper. Er wollte sich aufsetzten, doch schien er gelähmt. Er konnte weder Arme noch Beine bewegen, ja, sogar nicht einmal die Augen schliessen. War er erneut in einem bösen Traum gefangen?


    Das unbändige Verlangen nach dem sanften Kuss des Lunaïns gab ihm schliesslich die Gewissheit, dass er sich in der Wirklichkeit befand. Wie eine lodernde Feuerwalze überollte ihn die Sucht und liess jeden Muskel zusammenzucken, der noch Fähig war, sich zu bewegen. Unglaubliche Schmerzen frassen sich durch seinen Körper und seinen verwirrten Geist. Gnadenlose Verzweiflung überkam ihn. Es war, als fehle ihm einen Teil seiner Seele. Eine tiefe Traurigkeit erfüllte seine Gedanken, während sein Körper brannte, als würde er bei lebendigem Leib geröstet. Er musste Weg! Er brauchte Lunaïn! Sein Körper fühlte sich an, als würde er zerbechen und in tausend Teile zersplittern, sollte er sich die Droge nicht bald injizieren können. Die Verzweiflung wandelte sich langsam in Angst. Was geschah, wenn er nicht bald eine Dosis bekommen würde? Wieviel Zeit ist seit der letzten Injektion vergangen? Jede Sekunde fühlte sich wie eine Ewigkeit an. Und mit jeder Sekunde stieg die Angst, dass sein Organismus den Entzug nicht länger aushalten würde – dass er sterben würde. Doch er lag da, unfähig, sich zu bewegen. Sein Körper drohte im Angesicht der gewaltigen Anspannung zu zerreisen, aber Anton wollte nicht einfach Aufgeben. Ihm war bekannt, dass der Lunaïn-Entzug schnell tödlich endete, aber er konnte nicht einfach gelähmt darniederliegen und auf seinen Tot warten.


    Gewöhnlicherweise wäre ein Mensch in seinem Zustand bereits ins Delirium gefallen. Auch wenn er das selbst nicht wusste, war er nur einen kleinen Schritt vom Tode entfernt, doch etwas hielt ihn am Leben – und bei Bewustsein.


    Bewegungsunfähig, versuchte Anton sich seiner Lage zu vergewissern. Sein Körper musste an einer metallenen Konstruktion festgeschnallt worden sein, den er spürrte, wie sein Körper gegen eiskalten Stahl gepresst wurde. Am ganzen Körper zitternd, untersuchte Anton seine Umgebung. Er hing inmitten eines grossen Raumes der von kaltem, diffusem Licht erfüllten wurde. Fremdartige Instrumente warfen blasse, düstere Schatten. Den Wänden entlang befanden sich blutverkrustete Tische aus schwarzem Metall, welche als Ablage für bedrohlich wirkende chirugische Werkzeuge, Gläser mit fragwürdigen, milchigen Flüssigkeiten und deformierten Stücken organischen Materials dienten.


    Neben den körperlichen Qualen des Lunaïn-Entzugs, löste der Anblick dieser fürchterlichen Kammer ein weit diskreteres, aber nicht minder schrecklicheres Gefühl aus.


    Er versuchte erneut, seinen Körper zu bewegen, musste aber feststellen, dass er wirklich vollkommen gelähmt war. Er spürte dafür aber eine Vielzahl von Kanülen, die offenbar in seinem Rücken steckten und durch die unbekannte Lösungen über verschiedene Infusionspumpen, die seitlich neben ihm an dem Gerüst, an dem er gefesselt war, montiert waren, in seinen Organismus gepumpt wurden. Dem gequälten Inquisitor war nicht klar, wie oder warum, aber es schien logisch, dass diese Medikamente wohl für seine Lähmung verantwortlich war. Und dafür, dass er trotz den unglaublichen Schmerzen bei vollem Bewusstsein blieb.


    Anton wusste nicht, wie lange er sich schon in dem Raum befand. Vielleicht nur Minuten, vielleicht auch Tage. Er hatte ausser den unendlichen Schmerzen und der immer stärker werdenden Verzweidlung beinnahe jedes Gefühl verloren. Irgendwann trat eine düstere Gestalt vor ihn. Schon alleine ihre Anwesenheit löste in Anton panische Angst aus. Dieses Wesen war etwas unglaublich altes, unglaublich boshaftes. Eine Aura von Schmerz und abgründiger Verachtung erfüllte den ganzen Raum.


    Die makabere Erscheinung schien ein groteskes Zerrbild der Eldar zu sein. Die langen, schlanken Gliedmassen hingen schlaff an seinem Körper hinunter, der von einer spinnenartigen, technischen Konstruktion getragen wurde. Der geschwärzte Stahl war fest mit dem Xenos verbunden und schien die Wirbelsäule zumindests teilweise zu ersetzten. Drei Paare unglaublich feiner, metallener Glieder, lugten unter dem schweren Mantel hervor, der den geschundenen Leib des Eldars grösstenteils verbarg. Sie dienten wohl als ersatz für die vertrockneten, leblosen Arme. Das blasse Gesicht wirkte völlig entseelt, während sich nicht die geringste Gefühlsregung darauf abzeichnete. Die vollständig geschwärzten Augäpfel starrten Anton leer an.


    In vollkomener Stille kam die furchteinflössende Gestalt näher. Dann begannen die sechs grazilen Gliedmassen sich mit grosser Geschwindikeit zu bewegen, während der Eldar mit Anton mit seiner ausdruckslosen Mine noch immer anstierte.


    Anton spürrte den Schmerz, als die dünnen Injektionsspitzen und Skalpelle, die anstelle von Finger das Ende der metallenen Arme zierten, in seinen Körper eindrangen. Unbekannte Chemikalien schossen durch seinen Körper und lösten weit schlimmere Schmerzen aus, als er es je für möglich gehalten hätte. Schlimmer noch als den Entzug des Lunaïns.


    Dennoch blieb er bei vollem Bewussstein. Dieses Geschöpft wusste genau, was es tat. Es ergötzte sich an seinem Leid. Es sorge willentlich dafür, dass er jeden Stich, jeden Schnitt und jede der fremdartigen Substanzen, die seine Organe zu zerfressen schienen, in vollem Ausmass spüren musste.


    Der grässliche Eldar führte seine Arme an Antons Schulter, dort wo er seinen Arm verloren hatte. Er spürte jede kleinste Bewegung der Klinge, als der Eldar seine Nervenbahnen freilegte und das inzwischen relativ gut verheilte Gewebe langsam abschabte, um den Knochen freizulegen.
    Anton wollte die Augen schliessen, doch verweigerte sein Körper noch immer den Gehorsam. Langsam übernahm der Wahnsinn seinen Verstand. Von unvorstellbaren Qualen gepeinigt, hörte er Ashenya rufen. Ihre Stimme war dumpf und unendlich weit entfernt. Doch Anton war sich sicher, dass sie ihn beruhigen wollte. Irgendetwas von ihr war noch immer bei ihm. Auch Ashenya vermochte nicht, sein Leiden zu lindern, doch irgendwie schaffte es ihr kaum hörbares flüstern, zu verhindern, dass der Schmerz seine Seele ausradierte. Wenn Ashenya bei ihm war, würde er jeden Schmerz ertragen können. Solange sie bei ihm war, würden all die Qualen, die er ertragen musste, ihn höchstens stärker werden lassen. Jede noch so schreckliche Erfahrung würde den steinigen Weg, den er zu gehen beschlossen hatte, etwas erleichtern.


    Nach einer gefühlten Unendlichkeit im fibrigem Wahn wandte sich der fahle Eldar von Anton ab und begab sich zu einem der schmutzigen, unaufgeräumten Tischen im hinteren Teil der Kammer. Nur einen kurzen Moment darauf kam er mit einer grünlichen, fleischigen Masse zurück, die er mit einem der metallenen Klauenarme wie ein kranker Kadaver vor sich her trug. Zu Antons entsetzen legte er die Masse direkt an den Armstumpf, an dem sich der Eldar vorher zu schaffen gemacht hatte. Als sei sie eine eigene Lebensform, frass sich einen Teil der Masse sofort in Antons Körper hinein. Er spürte, wie sich millionen kleinster Haken in sein Gewebe gruben und mit seinem Fleisch verschmolzen. Es fühlte sich an, als würde seine Schulter in Säure getaucht. Der Eldar injizierte dann eine gelbliche Flüssigkeit in die organische Masse, die begann, sich zu winden und umzuformen. Anton spürrte jede Bewegung dieses Etwas, als sei es schon immer einen Teil seines Körpers gewesen. Die Schmerzen, während sich die Substanz veränderte, waren für den menschlichen Verstand nicht mehr begreiffbar. Nur die Gewissheit, Ashenya bei sich zu wissen, hielt Anton davon ab, den Verstand zu verlieren.


    Dann endlich betätigte sein Peiniger einen Mechanismus, der die Zusammensetztung der Stoffe änderte, die in Antons Körper gepumpt wurden. Sein Körper wurde nicht mehr länger künstlich bei Bewusstein gehalten. Seine Sicht verschwamm angesicht all des Schmerzens. Endlich. Er wusste, dass seine Erlösung nah war. Dann fiel er ins Koma.


    Verworrene Visionen und böse Träume suchten Anton heim, während er an der Schwelle zwischen Leben und Tod stand. Erneut erblickte er Ashenya, umgarnt von schleimigen Fangarmen, die langsam mit ihrem Körper verschmolzen. Wieder rief sie ihm etwas zu, dass er nicht zu verstehen in der Lage war. Irgendwann verschwand der psionische Wirbelsturm, in dem Ashenya gefangen war, und Anton fand sich in einem unendlich langen Korridor wieder. Eine Gestalt mit einer schlichten, eisern glänzenden Servorüstung schritt auf ihn zu, in der Hand ein gewaltiges Richtschwert. Er musste fliehen, doch konnte er sich nicht bewegen. Er blickte an seinem Körper hinab und erkannte, dass die grünlich-schleimige Masse, die seinen Arm ersetzte, mit dem Boden verwachsen war. Die Gestalt trat näher.


    »Xenosphiler. Mutant. Verräter«, keuchte die Gestalt.


    Anton verfiel in Panik. Doch er konnte sich dem drohenden Schicksal nicht entwinden. Er war durch seinen Arm an Ort und Stelle gebunden und musste das Urteil über sich ergehen lassen.


    Als der Angreifer mit seinem Schwert zuschlug, tauchte ein alles erhellendes Licht auf. Es blendete Anton, so dass er nicht mehr als gleissendes Weiss sah. Eine ganze Weile schien er in dem Licht zu schweben, ehe eine riesige Getsalt erschien. Aus ihrem Rücken ragten mächtige Engelsschwingen, über seinem Kopf leuchtete ein flammender Strahlenkranz. Die langen, schwarzen Haare wallten in einem überirdischen Wind.


    Anton erkannte die Gestalt sofort. Der Imperator – oder zumindest das Bild, das die Ekklesiarchie für gewöhnlich von ihm beschwor. Die Erscheinung schwebte eine ganzen Moment lang vor ihm und schaute ihn mit durchdringendem, aber weichem und mitleidvollem Blick an. Er hatte bisher noch nie vom Imperator geträumt. Trotz allem, das Anton erlebt hatte – oder vielleicht gerade deswegen – glaubte er fest daran, dass der Imperator nichts weiter war, als eine Gallionsfigur, die der Menscheit ein Ziel gab, für das es sich zu leben lohnte. Anton erinnerte sich an Konstantijn, den er kurz zuvor erst kennengelernt hatte. Er war die Art Mensch, wieso Anton die Sache des Imperators immer unterstützt hatte: Alleine der Glaube an den Imperator, an das Gute, brachte Konstantijn dazu, das richtige zu tun. In einer Galaxie, in dem es kaum möglich war, richtig und falsch zu unterscheiden. Doch auf der anderern Seite war es auch der Glaube an den Imperator, den ihn in diese Lage gebracht hatte. Den Ashenya das Leben gekostet hatte.


    Trotz seiner herätischen Geisteshaltung war Anton dann aber ernsthaft entsetzt, als sein Traum-Ich die Gestalt vor ihm verächtlich anbrüllte.


    »Du hast mich verlassen! Du hast mir alles genommen!«, fuhr er die Gestalt an, ohne dass er Kontrolle über Verstand oder Körper hatte.


    Das Antlitz des Imperators reagierte nichteinmal darauf. Es schwebte einfach reglos vor Anton, die Augen auf ihn fixiert. Er spürrte etwas, eine Art Gefühl, das ihn beschlich. Alles war schrecklich aus dem Gleichgewicht geworfen worden. War ihm diese Imperator-Figur erschienen, um ihm mitzuteilen, dass er das, was geschehen war, hinter sich lassen sollte? Dass er neu anfangen sollte?


    »Jenseits des Meeres…«, hörte Anton eine Stimme flüstern. Dann, völlig unvorbereitet, gellte ein verzweifelter Schrei durch die Szenerie. Ein Schrei, den Antons Herz in Sekundenschnelle zeriss.


    »LASS MICH NICHT ALLEIN!«


    Anton schreckte auf. Noch nie hatte er Ashenyas Stimme mit solch panischer Angst hören müssen. Er war schlagartig aus seinen wahnhaften Träumen gerissen worden. Sein Herz schlug wild pochend und sein Atem war kaum mehr als ein kurzes, nervöses keuchen, als er sich seiner Umgebung bewusst wurde. Er fand sich auf einer harten Liege wieder, zugedeckt von einem hauchfeinen, dunkelvioletten Seidentuch. In dem Zimmer, das von einer Art Kristall in diffuses, blau-grünliches Licht getaucht war, befanden sich zwei andere Personen. Die Wände als auch die spartenischen Möbel bestanden aus einem fremdartig flimmernden Material, das einer Mischung aus Glas und Metall glich.


    Benommen richtete er seinen Blick auf die Gestalten neben ihm. Seine Augen brauchten einen Moment, ehe sie sich an die unnatürlichen Lichtverhältnisse angepasst hatten.


    »Endlich, du bist wach!«, vernahm Anton eine ihm vertraute Stimme. Hector. Also war er in Sicherheit.


    Antons treuer Gefolgsmann stand direkt neben dem Bett, ihm sorgevoll zugewandt.


    »Was… ist geschen… was ist mit den Eldar?«, keuchte Anton erschöpft. Er war völlig ausgelaugt und schläfrig, fühlte sich aber vergleichsweise gut. Der rechte Arm war etwas taub, als hätte er sich im Schlaf einen Nerv eingeklemmt. Sein Geist war klar. Das Gift, das seinen Verstand gemartert hatte, war aus ihm hinausgepresst worden. Weder spürrte er den verzehrrenden Hunger nach der erlösenden Liebkosung des Lunaïns, noch waren seine Gedanken durch die Droge vernebelt. Den Verlust Ashenyas und das Trauma, das er erlitten hatte, warteten für den Moment in seinem Inneren, um ein anderes Mal erneut mit unglaublichem Schrecken hervorzubrechen. Die jetzige Situation erforderte aber Antons ganze Aufmerksamkeit, so dass das dunkle Trübsal vorerst ruhig schlummerte.


    »Die Eldar?«, erklang eine sanfte, melodiöse Stimme, die Anton bisher unbekannt war. »Wenn du die Drukhari meinst; du bist noch immer ihr Gast.«


    Die angenehm weiche Stimme gehörte zu einem Eldar, der offenbar mit Hector an Antons Bett gewacht hatte. Der Xenos war wie die anderen seiner Art hochgewachsen und schlank, hatte jedoch eine dunklere und ungewöhnliche furchige, wettergegerbte Haut. Seine hellen blonden Haare wirkten beinnahe Weiss und seine orangen Augen strahlten grosse Weissheit aus. Er trug ein schlichtes Gewand aus grob gewebten Stoff, dass rissig und zerschlissen war.


    »Drukhari? Wer bist du?«, wandte sich Anton an den Xenos. Einerseits wusste er, dass Hector sie beide beschützen konnte, andererseits verunsicherte ihn, dass er nicht wusste, wo sie waren und in welcher Lage sie sich befanden.


    »Kayrel vom Stamme der MaerLir«, antwortete der Eldar. »Ich stamme von Ghenarys, einer Welt abseits eures Imperiums. Meine Vettern drangen in meine Heimat ein, um die Drachen zu bejagen. Das konnte unser Stamm nicht zulassen…«. Kayrel seufzte. »Jetzt bin ich hier, versklavt von meiner eigenen Art. Ohne Aussicht auf Erlösung.«


    »Die Eldar führen Krieg untereinander? Was hat das mit uns zu tun?!«, wollte Anton wissen. Normalerweise wäre er an der Geschichte des Aliens durchaus interessiert gewesen, doch musste er erst herausfinden, was passiert ist. Was Wirklichkeit und was Traum gewesen war. Hat ihm das Lunaïn vielleicht einfach den Verstand geraubt?


    Hector versuchte schliesslich, Anton über das wichtigste aufzuklären.


    »Emanuel hat einen Pakt mit den Eldar dieser Welt geschlossen«, begann er. »Sie nennen sich Drukhari. Es sind durch und durch abscheuliche Xenos, beim Imperator! Aber sie haben dich zurückgebracht… Kayrel wurde uns als eine Art Diener zugewiesen, weil er unsere Sprache spricht.«
    »Und weil ich als Eldar kaum eure Interessen teilen würde, solltet ihr euch gegen die Kabale wenden«, ergänzte Kayrel.


    Anton stellten sich hunderte Fragen. Ehe er aber auch nur eine davon stellen konnte, erinnerte er sich an die alptraumhafte Behandlung, der er ausgesetzt war. Er ertastete mit seiner Linken den anderen Arm, der sich noch immer etwas dumpf anfühlte. Mit erschrecken, erstaunen und erleichterung zugleich, fühlte er seinen zuvor verlorenen Arm. Er war vollständig wiederhergestellt. Seine Haut fühlte sich ungewöhnlich rau an, der Arm sah aber exakt so aus, wie ein ganz gewöhnlicher Arm aussehen sollte.


    »Du warst lange Zeit bewustlos, Anton«, sagte Hector beinnahe vorwurfsvoll.


    »Etwa sechs Tage in eurer Standardzeit«, ergänzte Kayrel.


    Anton spürte eine unangenehme, aufkommende Angst. Sechs Tage waren nicht allzulange, trotzdem konnte in diesen sechs Tagen alles Mögliche geschehen sein.


    »Wo ist Jek?«, fragte er, wissend, dass Emanuel den Metzger mit Sicherheit nicht bei sich behalten hatte.


    »Er ist im Zimmer nebenan. Bewacht Ashenya…«, antwortete Hector.


    Der Namen seiner Liebsten zu hören, zeriss Anton das Herz. Er hatte ihren Tod nie verarbeiten können, ist den quälenden Gedanken entflohen. Aber er wollte ihren Tod auch gar nicht verarbeiten. Sie war noch immer da, irgendwie. In seinen Träumen, in seiner Seele. Und diese Xenos hatten eindrücklich bewiesen, dass sie zu weit mehr Fähig sind, als selbst der Adeptus Biologis je sein könnte. Wenn auch zum Preis gnadenloser Schmerzen und unglaublicher Pein. Es war möglich, Ashenya zurückzuholen. Er würde sie zurückholen, egal, zu welchem Preis! Er konnte sie nicht den dämonischen Tentakeln überlassen, welche sie zu verzehren drohten.


    »Ich muss mit deinem Anführer sprechen, Eldar«, wandte sich Anton ungewollt herrisch an Kayrel.


    »Das ist nicht mein Anführer«, gab dieser zurück, ein gequältes Lächeln auf den Lippen. »Du hast keine Ahnung, mit wem du es zu tun hast. Du hast keine Ahnung von der Kultur der Drukhari. Du weisst rein gar nichts. Ich habe dich sechs Tage lang – zusammen mit Hector – bewacht und gepflegt. Und du denkst, du kannst einfach so Aufstehen und der Azrushar deine Forderungen vortragen?«


    »Ich…«, stotterte Anton, der sich eigentlich durchaus bewusst war, das sein Rang als Inquisitor hier keinerlei Bedeutung hatte.


    »Keine Sorge, Cresistauead«, erwiderte Kayrel sanftmütig. »Mein Stamm teilte die weiten Ebenen von Ghenarys mit besonders primitiven Mitglieder eurer Rasse. Ich bin es mir gewöhnt, mit eurer unflätigkeit Umzugehen. Ich verurteile dich nicht für das, was du bist. Aber beweise deine Würde, in dem du meinem Rat gehör schenkst. Und ihn zu Herzen nimmst.«


    Hector nickte bestimmt. »Der Xenos ist unser Freund. Verdammen soll mich der Imperator, aber er ist ein Freund, den wir zur Hölle nochmal brauchen können.«


    »Wieso hilfst du uns?«, fragte Anton den Eldar.


    »Wieso? Braucht es ein wieso?«, antwortete Kayrel. »Nun, einerseits, weil die Drukhari mich dazu zwingen. Andererseits – meine Seele ist für immer verloren. Sie haben meinen Seelenstein zerschmettert. Aber ihr Menschen könnt das nicht verstehen. Ich habe nichts mehr zu verlieren. Wieso sollte ich meine verbliebene Zeit dann nicht dafür geben, denen zu helfen, die noch Hoffnung haben?«


    Anton hörte genau zu. Er wusste aus den Archiven der Inquisition ein wenig über die Eldar. Und auf Emanuels Schiff hatte er begrenzt Kontakt zu zwei Vertreter ihrer Spezies. Doch dieser Xenos war anders. Er schien fast schon menschlich.


    »Erzähl mir von deinem Stamm. Er ist nicht so, wie die anderen Eldar, nicht wahr?«, fragte Anton nach.


    »Es schmerzt mich, an die MaerLir zu denken. Aber du hast Recht. Fast. Es sind die anderen Aeldari, die nicht sind, wie wir. Wir sind die wahren Erben unseres Volkes. Die Exoditen. Wir haben den Stolz und die Würde unserer Ahnen bewahrt, während sich die Drukhari der Dekadenz hingaben und die Aeldari der Weltenschiffe uns im Stich liessen.«


    Anton war fasziniert. In nur wenigen Sätzen hatte er mehr über die Eldar gelernt, als er aus den Xenologie-Büchern der Inquisition je hätte lernen können. Er verachtete die Ignoranz des Imperiums und bedauerte, dass er so lange treu dem Imperator gedient hatte. Hätte er sich früher vollständig von den strengen Dogmen abgewendet, würde Ashenya jetzt vielleicht noch leben. Sie würden gemeinsam für das Wohl der Menscheit kämpfen, vielleicht auf sich alleine gestellt, vielleicht mit Gleichgesinnten. Vielleicht sogar mit fremden Xenos. Aber der Hass und der Fanatismus, mit der die Galaxie von Terra aus regiert wurde, liessen dafür keinen Platz.


    Sie redeten noch eine ganze Weile weiter. Hector hatte nach ihrer Ankunft bald sein Misstrauen gegenüber Kayrel abgelegt, nachdem er gesehen hatte, mit was für Sorgfalt sich das Alien um Anton gekümmert hatte. Während die beiden über Anton gewacht hatten, schlossen sie sogar eine richtige Freundschaft. Ob dem so gewesen wäre, wäre Kayrel nicht „für immer verloren“ gewesen, konnte Anton nicht sagen, aber auf jeden Fall war es gut, sowohl Hector als auch den Eldar bei sich zu wissen.


    Die Situation, in der sie sich befanden, war weniger Erfreulich. Anton konnte nicht alles, was Kayrel sagte, genau einordnen, aber offenbar waren sie in Dalrailac, einem „Schattenreich“ nahe der Hauptstadt der Eldar, die sich Drukhari nannten. Sie waren eine Fraktion der Eldar, die sich nach einer gewaltigen Katastophe vor etlichen Jahrtausenden abgespalten hatten. Ihre Gesellschaft war von Hinterlist, Ausschweifung und Brutalität geprägt. Das Leben hatte für sie keinerlei Wert, dennoch verfügten sie über mächtige Technologien, die nahezu alle Grenzen der Natur problemlos durchbrechen konnten. Antons Arm war durch eine solche Technologie wiederhergestelt worden. Dalrailac wurde von einer Kabale beherrscht, einer verworrenen Gesellschaft die an eine Mischung aus Kriegerorden, mystischem Kult und Adelsgeschlecht erinnerte. Der Anführer der Kabale wurde die Azrushar genannt und war ein mächtiger Kriegherr, der offenbar aus dem ältesten Eldar-Adel stammte. Er war auch die Person, mit der Emanuel in Kontakt stand.


    Die Drukhari brachten den Menschen jedoch nur verachtung entgegen. Anton fragte sich, wie und warum Emanuel überhaupt Handelsbeziehungen mit dieser schrecklichen Abart der Eldar unterhalten konnte. Alleine in dem Palast, in dem Anton und seine Gefährten mehr Gefangene als Gäste waren, wurden unzählige Menschen als Sklaven gehalten und kaum besser als niedrige Tiere behandelt. Sie wurden einzig alleine zum Spass geschlagen, gedemütigt, gequält und sogar ermordet.


    Vielleicht hatte Emanuel diesen Ort nie selbst gesehen; vielleicht gab es eine Art Forum, in dem die Drukhari ihre Geschäfte abwickelten und wo sie ihre sadistische Natur verstecken konnten? Anton hoffte innig, dass dem so war. Hätte Emanuel um all diese Gräueltaten an unschuldigen Bürgern des Imperiums gewusst und sich trotzdem mit den Drukhari zusammengetan, wäre er unweigerlich ein Verräter gewesen. Nicht nur ein Verräter am Imperium, sondern an der Menscheit höchst selbst.


    Es würde schwierig werden, einen Handel mit den rücksichtslosen, sadistsischen Xenos zu schliessen. Aber er musste alles tun, was in seiner Macht stand, um seine Liebste zu retten. Sollte das gelingen – und es musste gelingen – konnte er sich noch immer Gedanken über seine Artgenossen machen. Vielleicht konnte er ja sogar zusammen mit Emanuel einen Weg finden, sie freizubekommen.


    Es widerstrebte Anton, sich als Bittsteller an die Azrushar zu wenden, doch war dies seine einzige Hoffnung, Ashenya zurückzuholen. Ohne Verbündete war er ohnehin nicht in der Lage, den bedauernswerten Seelen zu helfen, die von den Xenos versklavt worden waren. Er durfte Ashenya nicht noch einmal verlieren – nicht aufgrund naiver Ideale.

  • II


    Anton wachte schweissgebadet auf. Er hatte wieder von Ashenya geträumt. Und von der Unbeschreiblichkeit, die sie langsam verschlang.


    Aus einem Belüftungsschacht an der Zimmerwand zog ein kühler Luftzug durch den Raum. Die Kristalllampen brannten noch immer und tünchten ihn -wie am Abend zuvor - in seltsames, unnatürliches Licht.


    Obwohl Anton sechs ganze Tage bewustlos gewesen war, hatte sich sein Körper nur halbwegs von der qualvollen Behandlung durch die Drukhari erhohlen können. Schon kurz nach dem intensiven Gespräch mit Kayrel, war der Inquisitor wieder geschwächt in einen unruhigen, wenig erholsamen Schlaf gesunken. Ständig heimgesucht von den schrecklichen Visionen seiner Geliebten, deren Seele schutzlos den Dämonen des Warp ausgeliefert war.


    Anton richtete sich langsam auf und tastete seine Liege ab. Erst nach einigen Sekunden realisierte er, dass er instinktiv nach einer Lunaïn-Spritze oder wenigstens einer Flasche Hochprozentigem gesucht hatte.


    Von sich selbst angewidert stoppte er unverzüglich die ohnehin sinnlose Suche und schüttelte enttäuscht den Kopf. Die Drukhari hatten seine Abhängigkeit zwar kuriert, aber gewisse Gewohntheiten, die er sich in letzter Zeit angeeignet hatte, hielten sich offenbar hartnäckig.


    Er war erschöpft und müde. Sein Verstand funktionierte aber wieder wie vor dem Zwischenfall, frei vom Einfluss des Lunaïns. Leider bedeutete das auch, dass die schwarze Düsternis zurück war, die er mithilfe der Droge zu vertreiben versucht hatte. Ashenya war ermordet worden. Ermordet aufgrund der Gesetzte des Imperiums. Des Imperiums, dem er sein Leben lang gedient hatte. Als ob das nicht bereits genug war, hatte er dabei seine psionische Begabung verloren und wurde taub für die Dimension des Immateriums.


    Es machte im Grunde wenig Sinn, denn ohne psionsiche Fähigkeit war es unmöglich, in den Warp zu schauen. Ttrotzdem war Anton sich aber sicher, dass seine Träume eine Art letzte Verbindung zur der Welt jenseits der ihren, bildeten. Die Visionen von Ashenya deutete er als einen verzweifelten Hilferuf, der ihr äusserst feinfühliger Geist an ihn richtete – ihn, den weit mehr mit Ashenya verbunden hatte, als nur Freundschaft.


    Alleine dieser Gedanke schmerzte gewaltig. Ashenyas Tod war eine Tragödie. Dass ihre Seele aber offenbar schreckliche Qualen erleiden musste, war ungleich schrecklicher. Doch es waren auch diese düsteren Gedanken, die Anton dazu antrieben, alles zu geben, um Ashenya zurück zu holen. Ihre Seele war nicht verloren. Sie konnte zu ihm zurückkehren. Und die Drukhari waren wahschreinlich der Schlüssel dazu.


    Langsam erhob sich der Inquisitor von seinem Bett. Seine Augen hatten sich bald an das diffuse Licht gewöhnt und so fand er einen Stapel säuberlich zusammengelegter Kleider gleich neben seiner Liege. Es waren diesselben, die er bei ihrer Ankunft getragen hatte. Während sich Anton ankleidete, bemerkte er sofort einen intensiven Moschus-Geruch, der den edlen Stoffen anhaftete. Offenbar hatten seine Gastgeber die Kleider gewaschen, während er Bewustlos darnieder lag. Das Parfüm war für Antons Geschmakt viel zu stark und löste bei ihm eine leichte Übelkeit aus. Er hoffte, sich bald daran zu gewöhnen. Ansonsten würden die kommenden Tage noch schlimmer, als sie ohnehin waren.


    Auf einer anderen Pritsche an der gegenüberliegenden Wand schlief Hector. Er hatte sich wörtlich an seinem Granatwerfer festgekrallt, machte ansonsten aber einen ungewöhnlich friedlichen Eindruck. Der ehemalige Soldat hatte anonsten einen unruhigen Schlaf, der kaum mehr als einem leichten dösen entsprach.


    Anton entschied, seinen Freund nicht zu wecken und schlich sich förmlich zu der hohen Türe, die aus dem spärlich ausgestatteten Zimmer führte.


    Sie war nicht abgeschlossen und liess sich ohne viel Kraftaufwand öffnen. Dahinter befand sich ein weiter Korridor, der durch schwaches Licht erhellt wurde. Die Temperatur war niedrig, so dass Anton fröstelte. Der Korridor hatte kein Dach und ermöglichte, einen Blick auf den Himmel zu richten. Was der Inquisitor sah, liess ihn nachdenklich die Stirn runzeln. Er sah keine Sterne. In der schwarzen Dunkelheit, die sich über ihm ins unendliche erstreckte, glühte lediglich eine gigantische Sonne, die viel näher schien, als es physikalisch hätte möglich sein sollen.


    Anton trat in das fahle, blau-grüne Licht des bedrohlich wirkenden Himmelskörpers, spürte aber keine Wärme. Der Himmel über ihm war leblos, ausgestorben, als wäre dieser Ort der einzige im ganzen Universum. Trostlose Gedanken trübten seine ohnehin düstere Stimmung noch weiter.


    Er schritt planlos den Korrior entlang. Da es keine Fenster gab, konnte er nur den schwarzen Himmel und die blasse Sonne sehen. Gerne hätte er das Umland der Palastanlage gesehen und mehr über diesen merkwürdigen Ort erfahren, der der Bezeichnung Schattenreich alle Ehren machte.


    Nachdem er den Gang ein paar Mal einsam auf und ab geschritten war, entschied er sich, Jek zu besuchen. Seit ihrer Ankunft hatte er seinen Gefährten nicht mehr gesehen, doch hatte Hector erwähnt, dass er in der Kammer nebenan einquartiert worden war. Zusammen mit Ashenyas Sarg.


    Anton war unsicher, ob es eine gute Idee war, Jeks Zimmer zu betreten. Er wusste nicht, wie er reagieren würde, wenn er direkt mit Ashenyas Tod konfrontiert werden würde. Besonders jetzt, mit klarem, nüchternen Verstand.


    Trotz aller Bedenken begab er sich schliesslich zu dem Raum, in dem er Jek vermutete. Ehe er an die Türe klopfen konnte, wurde sie bereits von Innen her geöffnet. Gerötete Glubschaugen starrten ihn freudig an. In der Türe stand Jek, dessen fettleibiger, untersetzter Körper kaum in dem schmalen, hohen Eingang platz hatte. Speichel tropfte aus seinen Mundwinkeln.


    »Väterchen ist wieder da!«, grunzte er enzückt. »Ich habe deine Schritte gehört! Ja das hab ich!«


    Anton schmunzelte. Trotz seinem abstossenden Äusseren und seiner gestörrten Persönlichkeit, war Jek doch auf eine spezielle Art liebenswert.


    »Und wie willst du wissen, dass es meine Schritte waren?«, bemerkte Anton neckend.


    »Weisst du, Väterchen, die Spitzohren bewegen sich viel leichfüssiger… Haben weniger Gewicht… und die armen Vögelchen in Ketten, die haben einen schleppenden Trott.«


    Anton nickte. Natürlich erkannte Jek die Schritte. Trotz aller seiner Fehler und Unzulänglichkeiten hatte er ein hervorragendes Gehör und die Wahrnehmung eines voll gerüsteten Astartes-Krieger.


    »Die Menschen hier sind keine Vögelchen«, wies Anton seinen Freund zurecht. »Ich weiss nicht, was sie getan haben, aber sie haben nicht verdient, von den Xenos versklavt zu werden. Wir werden sie nicht singen lassen – hast du verstanden?«


    »Jaja, verstanden«, erwiderte Jek hörbar entäuscht. Dann murmelte er undeutlich etwas vor sich hin. »…aber sie sind in Ketten… Ketten… Nur böse Menschen legt man in Ketten…«


    Anton liess es dabei. Er kanne Jek gut genug, um zu wissen, dass er seine Anweisungen befolgen würde. Abgesehen davon war es völlig unmöglich, dem Foltermeister den Unterschied zwischen Gut und Böse zu erklären. Jek sah andere Lebewesen grundsätzlich nur als Spielzeug. Alles andere waren ihm eingetricherte Regeln, die er sich zwar merken konnte und die er meistens auch befolgte. Doch wirklich verstehen, konnte er sie nicht.


    »…kann ich hereinkommen?«, fragte Anton zögerlich. Erneut zweifelte er daran, ob er wirklich zu Ashenya wollte. Zu ihrem Sarg.


    Jek nickte wortlos und bat Anton mit einer Geste hinein.


    Die Kammer war ebenso wie Antons Zimmer mit einer Art Kristalllampe beleuchtet. Ein kleines Bett stand unbenutzt in der hinteren Hälfte. Jek hatte wohl wieder einmal am Boden genächtigt. Die Kyrokapsel, in der Ashenyas Körper aufbewahrt wurde, stand etwa mittig in der trostlosen Zelle.


    Anton schritt langsam darauf zu. Er wünschte sich, dass sich die Kapsel öffnen und Ashenya unbeschadet daraus emporsteigen würde. Als er vor dem Sarg angekommen war, legte er seine wiederhergestellte rechte Hand darauf und streichelte das kalte Metall.


    Seit er das letzte Mal mit Ashenya gesprochen hatte, hatte sich alles verändert. Durch ihrem Tod hatte er beschlossen, sich vom Imperium abzuwenden. Ausserhalb des Imperiums zu operieren – den Menschen zu helfen, so gut er konnte, auch wenn das bedeuten würde, das Imperiale Gesetzt zu brechen. Vielleicht konnte er wirklich etwas Neues schaffen. Etwas wahrhaft Gutes, Rechtschaffendes. Doch er brauchte dazu Unterstützung. Er brauchte Ashenya, damit er sich nicht selbst verlor. Auch ohne psionische Fähigkeiten war der Weg ausserhalb des Imperiums gefährlich, denn auch die Wesen des Realraums waren gewieft und gnadenlos. Ohne den Imperator brauchte Anton eine andere Stütze, um all die alptraumhaften Schrecken zu bekämpfen, die die Menscheit bedrohten und ihn selbst heimsuchten. Er konnte sich dafür absolut niemand Anderes vorstellen, denn Ashenya.


    Ein Schleier aus Traurigkeit legte sich um Antons Geist. Würde es nicht gelingen, Ashenya zurückzuholen… Was würde er dann tun? Was bliebe ihm dann noch übrig? Vielleicht ein Märtyrertod für das Imperium; aber diese Option erschin ihm noch unsinniger als je zuvor. Vielleicht konnte er Hilfe bei Konstantijn holen? Aber würde das noch eine Rolle spielen, wäre Ashenya für immer verloren?


    Jek hatte Antons Trübsaal sofort gespürt. Auch wenn er die Gefühle Anderer nicht richtig zuordnen konnte, saugte er sie förmlich in sich hinein.


    »Väterchen…«, sagte er, während er sich dem Inquisitor von hinten näherte. »Willst du einen Menschen singen lassen?«


    Anton wirbelte herum. Er war einen kurzen Moment so in Gedanken versunken, dass er Jek ganz vergessen hatte und dieser dadurch etwas verloren neben ihm stand.


    Ob er einen Menschen singen lassen wollte? Ein grimmiges Lächeln huschte über Antons Gesicht. Einerseits war er fast gerührt, dass Jek ihm helfen wollte. Andererseits war der Vorschlag so unpassend, wie er nur hätte sein können. Doch immerhin riss er Anton aus seiner Grübelei.
    »Lass gut sein, Jek«, antwortete dieser und machte eine kurze Pause. »Wie gefällt es dir hier?«, entschied er dann, das Thema zu wecheln. »Was hast du über unsere Gastgeber in Erfahrung bringen können?«


    Jek begann ehrlich zu lächeln, als sich Anton ihm zuwandte.


    »Gefallen… gefallen… Ja, es gefällt mir hier! Jek hört das Singen. Aus den Wänden… Hier wird viel gesungen, hier drinnen! Aber ich mag die Spitzohren nicht. Flink. Stark. Kaum mehr als Muskeln. Sehr gefährlich. Ich rieche viele fremde Substanzen, wenn sie an mir vorbei gehen.«


    Anton nickte anerkennend. Jek war ebenso zuverlässig wie verrückt. Ob Mensch oder Xenos – alles, was ihn vom spielen abhalten konnte, war eine potentielle Gefahr. Und entgegen seinem anders anmutenden Aussehen, war er nicht nur ein begnadeter Foltermeister, sondern ein ebenso tödlicher Agent.


    »Wie viele Eldar sind hier?«


    Jek grinste. »Habe alles ausgekundschaftet. Sie haben mich gar nicht gesehen, hehe. In der Kammer gegenüber schläft das Spitzohr, das mit Hector plaudert. Am Ende des Ganges befindet sich ein Durchgang, an dem jeweils zwei Spitzohren mit Xenos-Gewehre wache halten. Etwa Dreizehn-einhalb Stunden. Dann kommen andere. Die letzten Tage haben mindestens sechs verschiedene Aliens sich abgewechselt, den Schritten nach zu beurteilen.«


    »Gut gemacht, Jek«, lobte Anton seinen Gefährten aufrichtig. »Gibt es noch andere Zugänge?«


    »Neeeeein«, quiekte Jek, der begonnen hatte, an seinen entzündeten, schmutzigen Finger herum zu kauen. »Nur… nur von Oooben. Kein Dach, Väterchen, kein Dach! Das hast du sicher gsehen.«


    »Ja, ja, das habe ich gesehen«, gab Anton zurück. Der offene Korridor war durchaus ein Problem. Sollte es zu einem Zwischenfall kommen, wären sie ausschliesslich in ihren Zellen sicher. Wenigstens schienen sie den Trakt nicht teilen zu müssen, abgesehen mit Kayrel, der jedoch einen anständigen Eindruck machte. Die ständige Wache vor dem Ausgang wies dagegen darauf hin, dass Anton und seine Freunde wahrhaftig mehr Gefangene denn Gäste waren.


    »Jek, egal was passiert, bleibe bei Ashenya«, befahl Anton mit Nachdruck. »Schütze sie, wie du mich beschützen würdest.«


    Jek legte den Kopf schräg zur Seite. »Wenn es das ist, was Väterchen wünscht…«


    »Ja, das ist es…«


    Anton blieb noch eine Weile bei Jek. Immer wieder blickte er Gedankenversunken zur Kyrokapsel, während sie sich über Belanglosigkeiten unterhielt. Irgendwann hörten sie, wie jemand den Korridor entlang schritt und die Sektion, in der sie sich aufhielten verliess. Es musste Kayrel gewesen sein. Wenig später gesellte sich Hector zu ihnen, der ebenfalls aufgewacht war. Er wirkte unruhig und getrieben. Jetzt, wo Anton wieder bei ihnen war, wollte er nicht mehr länger warten und endlich ihre Mission fortsetzen. Nach einem kurzen Austausch über die verganenen Tage, trat Kayrel zu ihnen ins Zimmer.


    »Das Mahl für den heutigen Tag«, murmelte er und stellte ein Tablar auf Jeks Bett. Darauf befanden sich drei kleine Schüsseln mit einer exotischen Sorte Reis. Dazu ein kleiner Topf mit einer dickflüssigen, herrlich fruchtig duftenen Sauce und ein grosser Topf mit einer vielzahl fremdartigen Beeren und Früchten. Anton erinnerte sich, dass er zumindest ein paar davon schon bei Emanuel gesehen hatte.


    »Bleibe doch, und esse mit uns«, lud Anton den Eldar ein, der sich bereits wieder zurückziehen wollte. Seine Miene war leer und düster. Die Nacht schien ihm nicht wohl bekommen zu sein.


    »Nun… Wir Exoditen ziehen Mässigung einem derart erlesenen Mahl vor«, erklärte Kayrel mit monotoner Stimme. »Aber wenn du bereits ein solches freundliches Angebot vorbringst, nehme ich gerne ein Paar von diesen.«


    Er griff nach zwei zitronengelben Früchten mit rauer Haut und äusserst weichem Fruchtfleisch, die etwas an faulende Äpfel erinnerten.


    »MalNamoth. Mild im Geschmak und sehr Gesund«, kommentierte der Eldar schulterzuckend, als er Antons interessierten Blick bemerkte. Dann verschwand er in Richtung seines Zimmers.


    Der Inquisitor, Hector und Jek bedienten sich an den servierten Speisen. Letzterer sehr zurückhaltend - als würde er damit rechnen, vergiftet zu werden.


    Die Mahlzeit schmeckte überaus gut. Jedes der Nahrungsmittel hatte einen intensiven, vielseitigen Geschmack und ergänzte die anderen hervorragend. Anton fühlte sich ungewohnt lebendig. Die erquickende Würze, die sanften Bitterstoffe und die fruchtige Süsse waren unvergleichlichg mit dem, was gewöhnlicherweise im Imperium an Nahrung verfügbar war.


    Auch wenn es angesichts ihrer verächtlichen Art irgendwie befremdlich wirkte, hatten die Drukhari ihre Kochkunst wahrlich mehr als nur gemeistert.


    Nach dem die drei ihre Mahlzeit beendet hatten, liess Anton seine Kameraden zurück und begab sich zu Kayrels Kammer. Er klopfte ruhig an die Türe und wartete, bis der Exoditen-Eldar sie öffnete. Es dauerte einen Moment, bis das Gesicht des Xenos im Türrahmen erschien. Er sah deutlich erholter aus als zuvor.


    »Ich muss unbedingt mit der Azrushar sprechen«, wandte sich Anton an Kayrel. »Ich gehe davon aus, dass liesse sich einrichten?«


    Der Eldar nickte. »Was mich angeht, denke ich, dass sowas bereits geplant ist. Ansonsten hätten sich die Drukhari kaum Zeit genommen, euch Menschen zu beherbergen. Sie hätten euch bei der ersten Gelegenheit weggeschickt… oder schlimmeres.«


    »Sind sie wirklich so bösartig, die Drukhari?«, fragte Anton nach.


    »Bösartig? Nun, sie sind verkommen und degeneriert. Aber bösartig? Sie sehen keinen anderen Sinn in ihrem Leben, als der eigenen Genusssucht zu fröhnen. Und sie geniessen den Schmerz und das Leid anderer. Aber ob sie darum böse sind… ich denke nicht. Zumindest nicht alle, und nicht in dem Sinne, in dem die Yngir oder Quass böse sind.«


    »Yngir? Quass?«


    »Uralte Wesen, die Einen schrecklicher als die Anderen. Aber das ist nichts, was einen Menschen interessieren würde – nichts, dass ihr mit eurem Verstand erfassen könntet.«


    Anton dachte sofort an die Wesen, die Necrons genannt wurden. Auch wenn er sie auf Ysraal VI vernichtet hatten, behauptete der Weltenwanderer Margil, es gebe noch unzählige davon. Und er nannte sie den alten Feind.


    »Necrons«, bemerkte Anton trocken.


    Kayrel war sichtlich überrascht und brauchte einen Moment, Anton zu antworten.


    »Du weisst über den alten Feind bescheid?«


    Anton bejahte. »Ich habe sie auf einer Welt des Imperiums bekämpft. Sie sind mit dem ganzen Planeten untergegangen…«


    »Im Namen der Götter. Dann ist es also soweit…«, flüsterte der Eldar düster.


    »Was ist soweit? Was weisst du über diese Xenos?!«, wollte Anton wissen. Er hätte selbst nicht erwartet, an diesem Ort mehr über diese Necrons zu erfahren, aber wenn es sich so ergab, dankte er dem Schicksal dafür.


    »Ich bin kein Weiser. Ich kenne nur die Legenden. Geschichten aus ältester Zeit. Es wird erzählt, dass die Necrons eines Tages zurückkehren würden. Dass sie erneut die Galaxie heimsuchen würden.«


    »Aber was sind diese Necrons genau?«


    »Wie gesagt, ich kenne nur die Geschichten. Ein altes Volk, älter als die Aeldari selbst. Sie werden kommen und alles Leben vernichten… Irgendwann. Wenn sie wahrlich zurückgekehrt sind, hiesse das, die Legenden sind wahr«


    Anton seufzte etwas enttäuscht. Kayrel wusste nicht viel mehr, als er selbst bereits erfahren hatte.


    »Wie dem auch sei«, wechselte er das Thema. »Kannst mir mehr über die Azrushar sagen?«


    Kayrel zog eine finstere Grimasse. Offenbar wäre es ihm lieber, über schreckliche Eldar-Legenden zu sprechen, als über den Anführer dieser Drukhari. Alleine das sagte Anton schon einiges.


    »Er ist der Archon der Kabale der dürstenden Viper«, begann Kayrel seine Erläuterung. »Seine Familie beherrschte diesen Teil des Drukhari-Reiches schon seit dem Fall. Das Haus Azrushatora gehört zum alten Adel und ist damit zumindest etwas berechenbarer als die aufstrebenden Drukhari der anderen Kabalen. Wenn du mit ihm sprichst, erwäge, ihn wie einen Gott zu ehren. Das würde ihm gefallen.«


    »Kann ich mich darauf verlassen, dass er zu seinem Wort steht?«


    Kayrel lachte laut.


    »Vertraue niemals einem Drukhari, Chem-Pan-Sey. Ihr verdrehtes Verständniss von Ehre hat keinen Platz für deine Art. Hast du deinen Wert verloren, gibt es nichts, was du noch tun könntest.«


    Anton überlegte. So wie er die Situation einschätze, musste die Azrushar irgendetwas von ihm wollen. Ansonsten wäre er kaum hier. Zumindest wenn er Kayrels Worten glauben schenken konnte.


    »Und was für einen Wert habe ich?«


    Kayrel zuckte mit den Schultern.


    »Ich hab keine Ahnung«, erwiderte der Eldar. »Wieso sollst du mehr Wert sein, als die anderen Chem-Pan-Sey? Ich weiss es nicht, aber ich kann dir versichern, dass die Azrushar dies glaubt.«


    Dass Kayrel ihn quasi als Wertlos bezeichnete, ignorierte Anton gekonnt. Langsam hatte er sich daran gewöhnt, dass die Eldar ihn von Oben herab betrachteten. Sollten sie ihn Unterschätzen, konnte das vielleicht sogar zu seinem Vorteil sein.


    »Danke für deine Einschätzung«, bemerkte er dann doch ungewollt zynisch. Sofort runzelte sich Kayrels Stirn.


    Ohne ihm Zeit zu lassen, sich angegriffen zu fühlen, platzierte Anton mit ruhiger, freundlicher Stimme die finale Frage: »Kannst du der Aszrushar meine Bitte um eine Audienz überbreingen?«


    Der Eldar nickte. »Ich werde mich sofort darum Bemühen. Passe auf dich und deine Freunde auf…«

  • III

    Zum ersten Mal seit langem, fühlte sich Anton wieder etwas Wohler in seiner Haut. Kayrel hatte ihm eine grosse Schüssel klares Wasser und Seife gebracht, mit der er sich etwas frisch machen konnte. Er hatte das prupurnrote Wams wie eine Uniform streng bis oben Zugeknöpft. Mit dem weissen Seidenhemd darunter und der mitternachtsblauen Samthose wirkte er zwar eher wie ein Adeliger, denn als ein Inquisitor, aber zumindest war er anständig gekleidet. Die morgendliche Mahlzeit war erneut vorzüglich gewesen. Er war so bereit, wie er den Umständen entsprechend sein konnte.


    Am Tag zuvor hatte Kayrel in seinem Namen eine Audienz beim Anführer der Kabale erbaten. Die Azrushar kam seiner Bitte erstaunlich schnell nach, so dass er nun bald vor dem Archon stehen würde.


    Anton überlegte sich nocheinmal, was er zu sagen gedenkte. Seine Position für Verhandlungen war undenkbar schlecht, aber offenbar hatte die Azrushar interesse an ihm. Diese Tatsache musste er sich effektiv zu nutzen machen, ansonsten würden seine Pläne womöglich scheitern. Und ein Scheitern konnte er sich nicht leisten.


    Während er Inquisitor in Gedanken versunken war, betrat Kayrel das Zimmer.


    »Es ist so weit«, wandte er sich direkt an Anton, ehe er kurz Hector zunickte, der gelangweilt auf seinem Bett sass.


    Anton drehte sich zum Exoditen um und schaute ihn zuversichtlich an.


    »Dann lass uns gehen.«


    Kayrel schritt voraus und Anton folgte ihm. Eine ganze Weile gingen sie durch ein Labyrinth aus kalten, düsteren Gängen. Das fahle Licht aus den unnatürlichen Kristallampen erhellte den Palast nur unzureichend. Andererseits gab es nicht viel, dass sich gelohnt hätte zu beleuchten. Weit und breit schien alles ausgestorben, selbst Wachen waren keine zu sehen. Anton stellte fest, dass es weder Möbelstücke, noch Bilder oder Skulpturen gab. Ab und zu dachte er, blutige Spuren, die den Wänden entlang führten, zu sehen, wusste aber nicht, ob die tanzenden Schatten einfach nur seine Sinne betrügten.


    Nach einiger Zeit kamen sie vor ein kleines, unscheinbares Tor aus einem polierten, tiefschwarzen Metall.


    »Dieser Durchgang führt in die Räume der Kabale«, erklärte sein Begleiter. »Was du bisher gesehen hast, war lediglich der Sklaventrakt der Azrushar.«


    »Sklaventrakt? Wo waren die Sklaven? Die Aufseher?«, erwiderte Anton fragend.


    Kayrel lächelte müde. »Normalerweise ist es hier etwas lebhafter. Entweder soll das eine Art Ehrehrbietung sein, oder der Archon will dir zeigen, dass du nichteinmal Wert genug bist, seinen Sklaven gesellschaft zu leisten.« Er machte eine kurze Pause, ehe er fortfuhr. »In so manchen Angelegenheiten, verstehe auch ich die Kultur der Drukhari nicht. Sie sind mir fremd. Sie sind vom rechten Pfad abgekommen.«


    Anton wäre dem gerne auf den Grund gegangen, doch musste er wohl einfach Akzeptieren, dass auch Kayrel nicht mehr wusste.


    Der Exodit nahm eine Art kleines Szepter, das er am Gürtel trug, in die Hand. Anton war es bisher noch nie aufgefallen. Der Eldar schlug kräftig gegen die Türe, die sogleich einen langezogenen, äusserst harmonischen Klang von sich gab. Kurz darauf öffnete sich das metallene Tor.


    Was Anton auf der anderen Seite erblickte, machte ihn Sprachlos. Hinter der Türe lag eine riesige Halle mit unzähligen Plattformen, Gallerien und Balkone. Ähnlich einer Imperialen Kathedrale, war die Decke von solcher Höhe, dass sie kaum auszumachen war. Die Wände bestanden teils aus dem merkwürdig flimmernden Material, das er bereits aus dem Sklaventrakt kannte, teils aus geschwärztem, aber noch immer durchsichtigem Kristallglas. Das unheilvolle Licht der widernatürlichen Sonne fiel durch die gläsernen Sektionen und liess die fremdartige Bausubstanz mysteriös funkeln. Die unzähligen glizternden Punkte waren wie eine geheimnisvolle Imitation des Sternenhimmels. Anton war, als hätte er die Barriere zum Immaterium überquert und würde wahrhaft inmitten des Warp stehen, dessen von Seelen erfüllte, psionsichen Stürme, ein ebenso wunderschöner wie beunruhigender Anblick waren.


    Obwohl der Palastanlage eine finstere Aura anhaftete, war Anton ob der mystischen Schönheit der vor ihm liegenden Halle überwältigt. Wenn auch verworren und ohne erkennbares Konzept, ergänzten sich die elegant geschwungenen Formen der Terassen sowohl mit den boshaften, die Wände zierenden gezackten Runen, als auch mit den ineinander verwundenen Treppen und Rampen, die sich aufgebäumten, dämonischen Schlangen gleich, in die Höhe empor hoben.


    Es dauerte einen kurzen Moment, ehe Anton die beängstigenden Details bemerkte. Überall waren metallene Ketten an den Wänden angebracht, an denen kümmerliche Kreaturen festgemacht waren. Die meisten davon Menschen – der Inquisitor erkannte aber auch einige wenige Eldar und andere, weitaus fremdartigere Wesen.


    Nicht wenige der massiven Ketten, verfügten an den Enden über grosse Fleischerhaken, die durch die Körpoer der glücklosen Gefangenen getrieben waren. In dunklen Ecken und Nischen tanzten Schatten, die schwärzer zu sein schienen, als die ohnehin düsteren Schatten, die vom fahlen Licht der verkümmerten Sonne ausgingen.


    Während Anton noch daran war, die so eben gewonnenen Eindrücke zu ordnen, traten zwei Drukhari-Krieger auf ihn und Kayrel zu. Sie waren mit den Kriegern, mit denen sie auf Wolfsschlucht zusammentrafen, identisch. Ihre schwarzen Rüstungen hatten einen smaragdgrünen Glanz und waren derart mit Dornen und Stacheln übersäät, dass sie sich genauso als Waffe wie zum Schutz geeignet hätten. Beide Krieger hatten ihr Gesicht hinter einem hohen, klingenbewehrten Helm verborgen, der eine sadistisch grinsende Fratzte darstellte.


    »Ihr wisst, was zu tun ist«, sagte Kayrel niedergeschlagen in der Sprache der Eldar. Anton, der kein Wort verstand, schaute den Exoditen fragend an.


    »Sie bringen dich zu ihrem Herrn und Meister«, erklärte er dem Inquisitor, ohne zuviele Worte zu verlieren. Etwas stimme nicht mit dem Eldar. Er wirkte unsicher und nervös. Vielleicht sorgte er sich um ihn? War dem so, war Kayrel wirklich menschlicher als die meisten Beamten des Imperiums.


    Die beiden Soldaten richteten ihre Gewehre auf Anton und machten ihm mit einer abfälligen Bewegung deutlich, voranzugehen. Er folgte den ungesprochenen Anweisungen und trat in die faszinierende und bedrohliche Halle ein.


    »Viel Glück…«, flüsterte Kayrel leise, ehe er sich in das Sklavenquartier zurückzog.


    Anton fühlte sich inzwischen mehr als Gefangener denn zuvor. Zwar war er noch immer von der entzückenden und fürchterlichen Schönheit des Palastes fasziniert, doch langsam nahm die Anspannung überhand. Sein Herz pochte. Er befand sich inmitten eines Xeno-Palastes, war unbewaffnet und wurde von zwei Alien-Kriegern zum Anführer einer Drukhari-Kabale geleitet. Nur ein paar Tage zuvor hätte er jeden verspottet, der eine solche Situation auch nur zu beschreiben gewagt hätte.


    Während sie mit langsamem Schritt durch die Halle gingen, stellte Anton fest, dass sie neben den Gefangenen, die kaum mehr bei Bewusstsein waren, offenbar alleine waren. Obwohl sich mehere reich gedeckte Tafeln und verschiedene Sitzmöbel in der tempelartigen Anlage befanden, fehlte von den Drukhari jede Spur. Antons Instinkt sagte ihm, dass die Azrushar das Treffen verbergen wollte, was ihm besser gefiel, als die Option, die Kayrel zuletzt bezüglich den Sklaven geäussert hatte.


    Hin und wieder sah er in der Entfernung ein paar voll gerüstete Krieger, die offenbar Wache hielten. Manchmal dünkte es ihn auch, dass die schwarzen Schatten in einigen entlegenen Winkel der Halle sich bewegten. Von irgendwoher drangen klagende Töne zu ihm herüber, die von einem ihm unbekannten Streichinstrument stammen mussten. Nach einer quälenden Ewigkeit erreichten sie ein Tor, dass offenbar in eine Art Thronsaal führte. Die mächtigen Türflügel waren aus irisierendem Kristall, der mit massiven schwarzen Metallbeschlägen eingefasst war. Die perfekt auf hochglanz polierten Beschläge waren mit einer vielzahl Runen beschrieben, über deren Bedeutung Anton nur mutmassen konnte. Langsam schwang das Tor zu Seite und gab den Blick auf die Räumlichkeit dahinter frei.


    Hinter dem absonderlichen Tor erblickte der Inquisitor eine weitere, in die länge gezogene Halle. Das diffuse Licht der sterbenden Sonne, die am schwarzen Himmel hing, drang durch das hier vollständig gläserne Dach und liess die Szenerie in noch bedrohlicherem Glanz funkeln. Ein Teppich aus willkürlich zusammengenähten, verdorrten Hautfetzen reichte zu einem Podest, auf dem ein riesieger Thron aus Kristall stand. In dessen Innerem pulsierte ein roter Schein, der wie ein gefangenes Tier hin und her bewegte.


    Anton überkam ein ungutes Gefühl. Trotzdem war sein Geist mit ehrfurcht erfüllt. Er war womöglich der erste Mensch überhaupt, der so tief in dieses Heiligtum der Drukhari vorgedrungen war. Mit dem, was er bereits erfahren hatte und mit dem, was er wohl noch erfahren würde, konnte er das im Imperium vorherrschende Bild der Eldar mit nie zuvor gekannter Präzision neu malen.


    Langsam schritt Anton über den makaberen Teppich, noch immer von seinen bisher stummen Wachen begleitet. Links und Rechts von ihm ragten grosse eiserne Hände aus dem Boden. Ihre dünnen, nach oben gerichteten Finger liefen an den Spitzen zusammen. In dem so entstehenden Hohlraum brennten matte, grünliche Feuer, die Anton an den Anblick der menschlichen Seele, wie er sie einst im Warpraum wahrnahm, erinnerte. Trotzdem, wie faszinierend der völlig fremdartige Tempel dieser Kabale auch war, war jeder Winkel des Palastes von einer Aura des unsagbaren Leids erfüllt.


    Endlich war er vor dem Thron angekommen. Zu seinem erstaunen war niemand darauf zu erkennen. Zumindest im ersten Moment.


    Dort, wo Anton den Archon sitzen vermutete, war eine unnatürliche, flimmernde Schwärze. Das Licht der fahlen Sonne hätte den Thron eigentlich genug erhellen müssen, damit Anton die Azrushar genau hätte erkennen können, doch schien ein fremdartiges Kraftfeld alles Licht zu verschlingen. Er konzentrierte sich und nahm in der sinisteren Finsternis eine Bewegung wahr. Ehe er seine Wahrnehmung an das verbergende Energiefeld angewöhnen und das Antlitz des Herrschers der Kabale zu erblicken konnte, schlug einer seiner Bewacher ihm mit dem Gewehrkolben gegen den Rücken.


    Die unzähligen kleinen Klingen und Haken, die am Kolben angebracht waren, zerissen sein Wams. Er spürrte, wie die Haut darunter in feinen Streiffen abgezogen wurde. Überrascht von dem unverhofften Hieb und von schrecklichen Schmerzen übermannt, viel er vor dem Podest auf die Knie. Es war eine Illusion gewesen, mit diesen Xenos auf gleicher Ebene zu verhandeln. Anton verstand aber schnell. Er hatte vor der Azrushar zu knien. Den Blick bewusst gesenkt, erinnerte er sich an das, was Kayrel ihm erzählt hatte. Erwäge, ihn wie einen Gott zu ehren …


    Auch wenn er sich bisher niemals vor einem Xenos freiwillig erniedrigt hatte, war nun nicht der Moment, sich an dem letzten Rest seiner Selbstachtung festzuklammern. Er würde dem Rat des Exoditen folgen und der Azrushar zu verstehen geben, dass er als Bittsteller gekommen war.


    Sein verletzter Rücken brannte fürchterlich, als er im Augenwinkel sah, wie sich eine buckelige Gestalt auf ihn zu bewegte. Sie stoppte gleich neben ihn. Ein bleicher, haarloser Kopf tauchte neben dem seinen auf. Die Augen waren herausgerissen worden. Schreckliche Narben hatten das Gesicht völlig entstellt, so dass Anton nicht mehr feststellen konnte, ob die arme Kreatur einst Mensch oder Xenos war.


    »Die Azrushar fordert dein Gehorsam«, hörte er eine brüchige Stimme flüstern. »Dann wird die Azrushar deine Dienste belohnen.«


    »Wer bist du?«, antwortete Anton.


    »Ich bin niemand«, antwortete der Blinde. »Ich leihe meine Zunge der Azrushar, um mit den niederen Wesen zu sprechen.«


    Die Worte erzürnte Anton. Ihm war klar gewesen, dass der Anführer dieser Kabale – zumindest auf der Welt der Drukhari – deutlich über ihm stand. Dass er aber einen verstümmelten Sklaven sandte, um mit ihm zu sprechen, war übler, als Anton je sich hätte vorstellen können. Was dachten sich diese Eldar? Sollte er sich etwa glücklich schätzen, alleine in der Nähe des Archons zu sein? Eine solche herablassende Arroganz hätte er nicht einmal den verkommensten imperialen Adelshäusern zugemutet. Dennoch musste er sich zusammenreissen, um hier Erfolg zu haben.


    »Ich will mit der grossen Azrushar einen Handel schliessen…«, begann Anton, ehe er aprupt unterbrochen wurde. Das verstümmelte Wesen schüttelte panisch seinen Kopf.


    »Die Azrushar hat eine Forderung gestellt!«, brabbelte der Sklave hysterisch. »Du musst diese Forderung erfüllen, oder sie…« Der Sklave verstummte.


    Anton war nicht erfreut. Auch ohne dass die glücklose Seele ihren Satz beendet hatte, konnte sich der Inquisitor vorstellen, was seine Alternativen waren. Die ganze Sache war gerade einiges komplizierter geworden. Er war bereit, sein eigenes Leben gegen Ashenyas zu tauschen, wenn es nicht anders ginge. Würde er sich widersetzten, wären sie wohl beide verloren. Mit einem unguten Gefühl entschied er, vorerst mitzuspielen.


    »Sag der grossen Azrushar, ich willige ein«, wandte er sich an den Sklaven.


    Dieser nickte eifrig. Dann wante er sich dem Thron zu und sprach etwas in der Sprache der Eldar. Anton hätte gerne die Reaktion des Archons beobachtet und dessen Körpersprache gelesen. Er wollte aber auf keinen Fall die Verhandlungen sabotieren und hielt sowohl Kopf als auch Blick weiterhin gesenkt.


    Ein boshaftes, verzerrtes Zischen peitschte durch die Halle. Die fremdartige Bausubstanz des Palastes warf die unmenschliche Stimme vollständig zurück, so dass sie von überall zu gleich zu kommen schien. Die Azrushar sprach etwa dreissig Sekunden, ehe die zischende Stimme wieder verstummte. Nach einem Moment der Stille bewegte der Sklave zurück zu Anton zu und flüsterte ihm direkt ins Ohr.


    »Du wirst ein Geschenk sein«, keuchte der Blinde. Anton hörte genau zu, sich jedes Wort verinnerlichend. Wissend, dass er seine Anweisungen wohl nur dieses eine Mal bekommen würde.


    »Du wirst ihr gehören. Du wirst kämpfen müssen. Du tust wie dir geheissen. Du wirst ein guter Sklave sein. Du wirst Privilegien erhalten. Du wirst bei ihr sein. Du wirst sie töten. Wenn nicht, werden die, die mit dir gekommen, sterben. Das ist die Forderung der grossen Azrushar. Das ist nun deine Bestimmung.«


    Kalter Schweiss lief Anton über die Stirn. Er war bereit, für Ashenya zu sterben. Aber er hatte nicht damit gerechnet, dass Jek und Hector in die Sache mithineingezogen würden. Wenn er es richtig verstanden hatte, würde er in den nächsten Tagen ein Sklave werden. Als solcher musste er das Vertrauen seines ‚Meisters‘ gewinnen, um ihn dann zu töten. Im grunde eine einfache Aufgabe, doch Anton war sich sicher, dass es dabei mehr Hürden zu überwinden gab, als es den Anschein hatte.


    Dies war keinesfalls eine Audienz. Die Azrushar hatte ihm einfach befohlen. Nicht mehr und nicht weniger. Sie war gar nie an einer Einigung interessiert.


    Andererseits hatte der Archon erwähnt, dass seine Dienste belohnt werden würde. Plötzlich wurde Anton klar, dass es eine Prüfung war. Hatte nicht Konstantijn ähnliches erzählt? Dass man sich den Eldar als würdig erweisen musste?


    »Mitkommen, Chem-Pan-Sey!«, riss die herablassende, fauchende Stimme einer der Wachen Anton aus seinen Gedanken. Gleichzeitig zerrten sie und der andere Krieger, den Inquisitor an seinen Oberarmen hoch. Ihr Griff war unglaublich hart. Wenigstens wusste Anton jetzt, dass sie doch nicht vollkommen Stumm waren. Und dass sie zumindest rudimentär Gotisch sprachen.


    Er hielt seinen Blick weiter gesenkt und wartete, bis die Drukhari-Krieger ihn einige Schritte weggezerrt hatten. Auf eine unangenehme Art und Weise hatte er sein Ziel erfüllt. Er hatte mit dem Anführer dieser Kabale einen Handel geschlossen. Oder er war zumindest den ersten Schritt dazu gegangen. Er hatte eine Chance bekommen, sich zu beweisen. Und alles was er dazu tun musste, war eines der Xenos zu töten. Dieses Ziel schien ihm durchaus erreichbar. Die Aufgabe seines Ordo war die Vernichtung der Xenos. Er war jahrelang zu nichts anderem ausgebildet worden.


    Auf dem Weg zurück durch die riesige, tempelartige Halle, stolptere er einige Male. Die Wachen mussten ihn zuletzt beinnahe zurückschleifen. Die Verletzung an seinem Rücken schmerzte erst fürchterlich, doch irgendwie gelang es ihm, sie schliesslich zu ignorieren. Er schien sich an die andauernden Schmerzen zu gewöhnen. Es waren Schmerzen, die dazu dienten, Ashenya zurückzubringen. Dafür war kein Schmerz zu gross. Und sowieso, solch triviale Verletzungen waren nichts verglichen mit dem seelischen Leid, das seinen Verstand gemartert hatte und noch immer marterte.


    Bei den Sklavenquartieren wartete Kayrel auf Antons Rückkehr. Er wechselte ein paar Eldar-Worte mit den Kriegern, die ihm dann den Inquisitor überantworteten.


    »Ruhig. Du hast es geschafft. Ich bringe dich zurück.«


    Kayrels beruhigende Stimme weckte in Anton ein schwaches Gefühl der Geborgenheit. Der Exodit stütze ihn ab und zusammen machten sie sich auf den Weg zu Antons Schlafquartier.


    »Es tut mir Leid«, sprach Kayrel mit ehrlichem mitgefühl. »Ich hätte dich davor warnen müssen...«


    »Davor warnen?«, fragte Anton mit gedämpfter Stimme, die Gedanken darauf fokusiert, seine Verletzungen zu ignorieren.


    »Die Azrushar ist grausam«, antwortete der Eldar. »Wie wichtig deine Aufgabe auch sein mag, du wirst hier nichts anderes finden, als deinen Tod.«


    Anton stiess einen Seufzer aus.


    »Die Azrushar benötigt meine Hilfe – zumindest glaube ich das. Ich verstehe nicht, warum, aber ich habe eine Chance, zu bekommen, was es mir verlangt.«


    »Sei kein Narr. Deine Spezies hat hier keinen Wert. Die Azrushar wird dich Hintergehen. Ihr Wort hat keine Bedeutung.«


    »Und doch herrscht sie hier… Und doch hören alle auf ihren Befehl«, entgegene Anton.


    »Aus Respekt vor den alten Traditionen. Oder vielleicht auch eher aus purer Angst. Ich hoffte wirklich, dass du bekommen würdest, was du gewollt hast. Doch nun bin ich mir sicher, dass du hier genauso Gefangener bist, wie ich selbst. Es gibt keine Zukunft mehr… Dalrailac ist unser beider Ende.«


    Antion schiweg. Er spürte die trauer Kayrels. Seine Enttäuschung. Der Exodit hatte sich wahrscheinlich wirklich erhofft, anstatt seiner selbst, Anton, Hector und Jek retten zu können. Es schien als hatte er nun auch diese Hoffnugn verloren. Auf eine finstere Art und Weise machte sich in Anton das Gefühl breit, dass Kayrel womöglich Recht hatte.

  • IV


    Anton sass auf seiner Pritsche. Seine Verletzungen hatte er von Kayrel unauffälig verbinden lassen. Er wollte seine Freunde nicht zu sehr verunsichern. Hector war schon länger in ihrem Zimmer, lehnte sich an die Wand an und trommelte schon eine gefühlte Ewigkeit mit den Fingerspitzen ungeduldig auf seinem Granatwerfer herum. Jek hatte sich eben gerade zu ihnen gesellt. Nun war der Moment gekommen, das weitere Vorgehen zu besprechen.


    »Die Lage ist schwierig«, begann Anton. »Aber wir müssen stark sein. Dann können wir Ashenya zurückholen. Der Anführer dieser Eldar benötigt meine Dienste.«


    Er konnte nicht genauer auf die Forderung des Archons eingehen. Zumindest Hector würde den Plan, dass Anton sich freiwillig in die Sklaverei begab, niemals gutheissen.


    »Ich werde diese Prüfung alleine durchstehen müssen. Ihr werdet solange hier blieben«


    Jek war ruhig. Anton hatte befürchtet, dass dieser ihn hätte durchschauen können. Sein Foltermeister erkannte jede Lüge. Es war eigentlich unmöglich, Jek zu täuschen. Dass Anton eine ganze Reihe wichtiger Tatsachen vorenthielt und der Metzger keinen verdacht schöpfte, grenzte an ein Wunder.


    »Was soll das?«, fragte Hector entnervt. »Wir sind ein Team. Wir halten zusammen. Wie wir es schon immer getan haben. Ausserdem, was sollen wir deiner Meinung nach tun, während du den Xenos mit was auch immer hilfst? Einfach nur abwarten?«


    »Hector, ich weiss…«, entgegene Anton beschwichtrigend. »Aber das ist die einzige Möglichkeit. Mehr konnte ich beim Archon nicht erreichen.«


    »…Väterchen kann nichts erreichen…«, murmelte Jek undeutlich, während er seinen Kopf zu einer nicht-existerneden Musik hin und her wippte.


    Anton verkrampfte. Hatte Jek seine Lüge gewittert? Würde er dahinter kommen, wusste Anton nicht, was passieren würde. Er beschloss, Jek vorerst zu ignorieren. Alles andere würde womöglich das gesääte Misstrauen nur noch verstärken.


    »Und dieser Archon kann Ashenya wirklich zurückholen?!«


    Hector zweifelte offenbar daran.


    »Ja. Er wird sie retten«, sprach Anton mit stoischer Überzeugung. »Bleibt hier, haltet die Stellung. Ich erledige den Rest. Sollte der Eldar sein Wort nicht halten, werden wir ihn zur Rechenschaft ziehen!«



    ***



    Der Archon hatte Anton etwa zwei Tage warten lassen. Dann, endlich, kam Kayrel mit der entscheidenden Nachricht zu ihnen.


    Die Azrushar wünschte ihre Anwesenheit. Anton war sich sicher, dass dies nur der Beginn eines erneuten Märytriums war, doch er war bereit, sich für Ashenya aufzuopfern. Seine beiden Begleiter dagegen würden in Geiselhaft genommen werden, ein Schicksal, dass Anton ihnen lieber ersparrt hätte. Er fühlte sich schrecklich, sie auszulierfern, ohne mit ihnen darüber gesprochen zu haben. Es war aber ein vergleichweise kleines Opfer, das seine Kameraden erbringen mussten. Anton war sich sicher, dass dies der beste Weg war. Er konnte nicht riskieren, dass Hectors Sturrheit oder Jeks Wahnsinn den Handel, den er mit dem Archon geschlossen hatte, gefährdeten.


    Nur kurze Zeit nach dem Kayrel ihnen die Nachricht zukommen liess, waren vier Kabelenkrieger erschienen, um sie zur Azrushar zu geleiten. Anton hatte Hector überzeugt, seinen Granatenwerfer zurückzulassen, was gar nicht so einfach gewesen war. Alles musste genau so funktionieren, wie der Archon es gewünscht hatte – oder Ashenya würde im Warp gefangen bleiben und langsam von den dämonsichen Wesen des Immateriums verschlungen werden.


    Diesesmal waren die Sklavenquartiere mit mehr Leben erfüllt. Durch die immerwährende Finsternis und die fahle Sonne, die regungslos am Himmel stand, hatte Anton jegliches Zeitgefühl verloren, doch vermutete er, im Gegensatz zum letzten Mal, dass es nun wohl Tag sein musste.


    Der Anblick der Sklaven, die emsig mit gesenktem Blick durch die trostlosen Gänge liefen, ängstigen Anton in anbetracht der Tatsache, dass er vielleicht bald einer der ihren war. Ebenso erfüllte es ihn mit rechtschaffendem Zorn, dass Bürger des Imperiums zu solch niederen Existenz gezwungen wurden.


    Die allermeisten waren bis auf die Knochen abgemagert und nur in ausgebleichte Lumpen gehüllt. Nicht wenige waren mit rostigen, blutverkrusteten Eisengestänge versehen, die offenbar mit sadistischer Brutalität direkt an ihre Knochen geschraubt wurden, um spezifische Bewegungen zu erschweren. Ein junger Erwachsener humpelte an ihnen vorbei, dessen Bein auf diese schreckliche Art fixiert worden war, dass er es kaum mehr bewegen konnte. Andere hatten ihre Arme oder auch Köpfe auf diese unmenschliche Weise geschient. Anton sah, dass Hector fast unmerklich den Kopf schüttelte. Es war auch ohne Worte eindeutig, dass er die Xenos für ihre Taten aufs schlimmste missachtete. Anton dachte angesichts dieser armen Seelen ähnlich, doch war es trotz all dem erforderlich, mit den Drukhari zusammenzuarbeiten.


    In der grossen Palasthalle angekommen, war selbst Anton erstaunt. Auch wenn er bereits ein zweites Mal hier war, wirkte es noch immer, als würde man sich in eine andere Dimension begeben. Anders als zuvor, befanden sich aber hunderte Drukhari vor ihnen. Sie unterhielten sich, feierten, assen und tranken. Eine ausgelassene Stimmung, die überhaupt nicht zum düsteren Wesen dieser Xenos-Kathedrale passen wollte.


    Die Eldar trugen zwar fast aussschliesslich dunkle, aber denoch durchaus bunte Kleider. Viele hatten ihre weiten Gewänder mit bedrohlichen Rüstungsteilen ergänzt, die aber ganz offensichtlich nicht zur Verteidigung, sondern einzig alleine der Optik wegen getragen wurden. Auch weibliche Eldar waren einige mitdabei. Während viele sich ähnlich den Männern kleideten, hatte es darunter einige, deren Kleidung als freizügig zu bezeichnen, absolut untertrieben war. Ihre auch für das menschliche Auge makellose Körper, präsentierten sie mit selbstgefälliger Eitelkeit.


    Auch hier waren überall Sklaven, welche ihre Herren mit allen Arten ausschweifenden Genusses versorgten. Mit Schrecken stellte Anton fest, dass einige der Drukhari ihre Bediensteten mit freudig erregten Gesichtern und in aller öffentlichkeit, wörtlich in Stücke zu schneiden schienen. Als Dank dafür, dass die Sklaven das taten, was verlang wurde, wurden ihnen Finger, Stücke ihres Fleisch oder ganze Gliedmassen abgetrennt. Andere Sklaven wurden getreten oder auf andere perverse Arten misshandelt.


    »Diese verdammten Xenos sind Böse. Wir sollten nicht hier sein…«, bemerkte Hector angeeckelt.


    Anton gab keine Antwort. Sein Freund hatte Recht. In jeder Beziehung. Und doch waren es diese lebensverachtenden Xenos, die ihm das wiedergeben konnten, was ihm am wichtigsten war.


    Die Eldar-Krieger geleiteten den Inquisitor und seine beiden Freunde durch die unbeschreibliche Orgie aus Gewalt, Lust und Ausschweifung. Bald kamen sie vor der kristallene Tor zum Heiligtum dieser blasphemischen Kathedrale. Diesemal waren die beiden Torflügel bereits weit geöffnet. Die an Perversion kaum zu übertreffende Orgie der Drukhari wurde hier noch intensiver gefeiert. Eine unzählbare Menge an Sklaven stand bereit, um sofort alle wünsche der Anwesenden zu erfüllen. Und um jene der ihren zu ersetzen, die den unmenschlichen Freuden der Xenos zum opfer vielen.


    »Senkt den Blick«, flüsterte Anton seinen Begleitern zu. Die Azrushar musste von seiner Ergebenheit überzeugt sein.


    Während Jek, ein wirres Grinsen auf dem Gesicht, ohne zu zögern der Anweisung folgte, blickte Hector, Anton misstrauisch an, ehe er ihm gleich tat. Langsam schritten sie dem Thron des Archons entgegen. Dann wurden sie von ihren Bewachern angewiesen, stehen zu bleiben.

    Um sie herum wurde es Still. Die feiernden Eldar verstummten und richteten ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Menschen, die das Privileg erhalten hatten, vor ihren Anführer zu treten.


    Wie zu erwarten hallte die zischende Stimme des Archons, die Anton bereits von seinem letzten Zusammentreffen bekannt war, durch die Halle. Natürlich war es ihm unmöglich, auch nur ein Wort zu verstehen. Die Azrushar schien eine kleine Ansprache zu halten. Nach dem sie einige Sätze gesprochen hatte, jubelten die anderen Drukhari ihr zu und wiederholten etwas, das wie „AthTuisich Azrushar“ klang. Da Anton den Namen des Archons heraushören konnte, war er sich sicher, dass es sich dabei um eine Lobpreisung handeln musste.


    Als die jubelnde Menge wieder verstummt war, erklang die Stimme einer weiblichen Drukhari. Sie sprach mit einer Mischung aus absoluter Verachtung und Respekt zugleich. Anton hob seinen Kopf ein kleines Stück und versuchte die Sprecherin zu erblicken. Einige Meter neben dem Thron stand eine Eldar, die sich offenbar dem Archon zugewandt hatte. Ihre blass-weisse Haut war von solchen reinheit und glätte, dass es in dem unheimlich glitzerden Licht des toten Sternes fast wirkte, als würde sie aus Spiegelglas bestehen. Ihr wie düsteres Eis, in dunklem Blau schimmerndes Haar, war in einer komplexen Hochsteckfrisur kunstvoll hergerichtet. Ein eng anliegendes Gewand aus grün-blauen Schuppen war wie eine zweite Haut um ihren Körper gewickelt, während ein mit gold und juwelen Verziertes Brustgeschirr ihre üppige Oberweite mehr als offensichtlich betonte.


    Als sie fertig gesprochen hatte, jubelten die anwesenden Edlar erneut, wenn auch weit weniger enthusiastisch als zuvor.


    Anton war klar, dass er wohl eben verschenkt worden war. Die Azrushar hatte erwähnt, dass er ihr gehören würde. Wie es schien, war diese Eldar-Frau die Person, auf die sich der Archon bezogen hatte. Ohne zu wissen, wie er sich nun verhalten sollte, entschied er sich, vorerst einfach abzuwarten. Einen kurzen Moment später – die Drukhari hatten ihre widerwertige Orgie wieder fortgesetzt – kam eine weitere Xenos auf sie zu. Sie trug dieselbe geschwärzte Rüstung wie die anderen Krieger, jedoch keinen Helm. Ihr Blick war voller abgründigem Hass und purer Verachtung. Der Schädel zur hälfte abrasiert, trug sie die übrigen ihrer schneeweissen Haare zur Seite gekämmt, so dass die Stirnfransen ihr linkes Auge verbargen. Anton spürrte deutlich eine abstossende, boshafte Energie, die von der Xenos ausging. Ohne die unheilvolle Aura genau einordnen zu können, fühlte er sich sofort an die Unberührbaren erinnert, die bei normalen Menschen Unwohlsein und Abneigung auslösten, bei Psionikern sogar zu schweren Schmerzen und Tod.


    »Du gehörst nun der Herrin«, schnauzte die Kriegerin Anton in makellosem Hochgotisch an.


    Zeitgleich näherten sich die vier Bewacher und richteten ihre Waffen auf Jek und Hector.


    »Was ist hier los? Was soll das bedeuten?«, fauchte letzterer gehässig. »Anton, was soll das?«


    Wissend, dass die Antwort seinem Freund nicht gefallen würde, blieb Anton nur, auf seine Vergebung zu hoffen.


    »Ich werde mich den Xenos anschliessen. Das ist die einzige Chance, Ashenya zu retten. Euch beiden wird aber…«


    »Das ist Verrat!«, unterbrach ihn Hector mit Zorn in seinen Augen. »Das ist Wahnsinn!«


    Anton schloss seine Augen. Er war in diesem Moment froh, dass er nicht in den Warp blicken konnte. Den Anblick all des Hasses, der Wut und der Enttäuschung in Hectors Seele, hätte er kaum ertragen. Im Grunde hatte Hector Recht. Er hatte seine Freunde verraten. Gleichzeitig würde ihr Leben geschont. Es gab keinen anderen Weg. Eigentlich hätten sie Anton dankbar sein müssen, denn am Ende war er es, der sich für ihre Freundin aufopferte. Dennoch war ihm auch bewusst, dass seine Gefährten – vor allem Hector – dies in just diesem Moment nicht verstehen konnten.


    »Es tut mir Leid, Hector«, entschuldigte er sich ehrlich. Als Antwort spuckte sein freund aber nur verächtlich aus. Ein unappetitlicher Klumpen Speichel verfehlte knapp Antons Stiefel und blieb neben ihm auf dem morbiden Hautteppich kleben. Egal, was Anton sagen würde, Hector würde vorerst toben. Ohne weiter Worte zu verlieren, wandte sich der Inquisitor an Jek.


    »Jek, ich werde eine Weile weg sein… Höre auf Hector. Tu, was er sagt!«


    Jek grinste teuflisch und zeigte seine schiefen, ungepflegten Zähne.


    »Ja-ja, Väterchen ist ein Lügner… Ja-ja…«, flüsterte er dann abwesend, den Blick gedankenverloren auf Anton gerichtet.


    Die Art wie er ginste; wie er Sprach – Anton schauderte. Er erkannte darin weder Erstaunen noch Enttäuschung oder Zorn. Jek wirkte völlig ausgeglichen, als ob endlich ein lang gehegter Traum in Erfüllung ging. Was das auch immer zu bedeuten hatte, Anton musste auf der Hut sein.


    »Los jetzt!«, fuht ihn die Kriegerin an und gab Anton zu verstehen, ihr zu folgen. Die Krieger, die sie hier hin geleitet hatten, trieben derweil seine Freunde mit gezogener Waffe zurück in Richtung der Sklavenquartiere.


    Schwermütig, dass seine Kameraden noch nicht verstehen konnten, dass dieser Weg die einzige Rettung für Ashenya war, und beunruhigt über das Martyrium, dass ihn nun wohl erwartete, schritt er langsam und mit pochendem Herz der Drukhari-Kriegerin nach.

  • V


    Anton wurde von der Drukhari-Kriegerin zu einer unscheinbaren Türe geführt, die sich seitlich im Thronraum befand. Er hoffte, dass der Archon sein Wort hielt und seine Gefährten verschont bleiben würden. Es war nicht schwer zu erkennen, dass die Azrushar den Mord an der Drukhari-Frau verschleiern wollte. Ansonsten wäre eine Vereinbarung mit Anton wohl gar nie erst in Frage gekommen. Das Wissen um diese Intrige diente ihm ein Stück weit als Garantie für Hector und Jek, denn Anton konnte das Mordkomplott sofort auffliegen lassen, sollten seine Freunde verletzt werden. Er war sich sicher, dass das auch der Archon wusste. Andererseits brauchte er die Unterstützung des Archons zwingend, um Ashenya zurückzubringen. Selbst wenn die Azrushar also ihr Wort brechen würde, konnte Anton sich nicht einfach auf die Seite seiner Zielperson schlagen.


    »Los, weiter«, fauchte die Drukhari-Kriegerin vor ihm und riss dadurch den Inquisitor aus seinen Gedanken. Sein Kopf schmerzte. All die Entscheidungen, die er treffen musste, all die seelischen Schmerzen, die er erleiden musste, zerrten an seinem Verstand. Sie betraten einen schlichten Korridor, der den Durchgängen im Sklavenquartier stark ähnelte. Im Gegensatz zu jenen war der Flur aber pendantisch gesäubert und durch fremdartige Kristallleuchten gut belichtet.


    »Wo bringst du mich hin?«, fragte Anton, ohne eine Antwort zu erwarten.


    Die Kriegerin schnaubte verachtend, antwortete dann aber zu Antons verwunderung trotzdem.


    »Die Quartiere der Herrin«, sagte sie kurz und ohne sich dem Inquisitor zuzuwenden.


    »Wer ist die Herrin? Was will sie von mir?«, forschte er weiter nach.


    Die Kriegerin hielt inne und blieb stehen. Anton schloss zu ihr auf. Sobald er kurz hinter der Drukhari stand, drehte sie sich zu ihm um. Ihre Augen brannten vor Hass. Dann schlug sie ihm mit der flachen Hand ins Gesicht. Anton war völlig unvorbereitet und hatte keine Chance, dem Schlag auszuweichen und wurde fast zu Boden geschleudert. Er fühlte sich, als hätte ein Ogryn auf ihn eingedroschen. Vom Angriff überrascht und vom Schmerz fast übermannt, taumelte er einige Schritte zurück.


    »Du dreckige Kreatur wagst es, von der Herrin zu sprechen?«, schrie die Kriegerin Anton aufgebracht an. »Ich sollte dir die Zunge herausschneiden!«


    »Aber ich will ihn mit seiner Zunge, Nalaryss«, erklang eine Stimme hinter ihnen, noch ehe Anton eine Antwort geben konnte. Der Inquisitor erkannte sie sofort wieder. Sie gehörte der Xenos-Frau, die nach dem Archon gesprochen hatte. Der „Herrin“. Die Person, die er ermorden musste, um Ashenya zurückzugewinnen.


    Es war ihm nicht entgangen, dass sie Hochgotisch gesprochen hatte, obwohl sie sich an die Drukhari-Kriegerin richtete. Sie musste ganz bewusst gewollt haben, dass Anton verstand, dass ihm keine direkte Gefahr drohte. Auch wenn er froh war, nicht dem unermässlichen Hass dieser Kriegerin ausgeliefert zu sein, konnte er sich das Verhalten der Herrin nicht erklären. Es war, gemessen an seinen bisherigen Erfahrungen mit den Druklhari, mehr als nur ungewöhnlich.


    Die Kriegerin, die offenbar auf den Namen Nalaryss hörte, zuckte sichtlich erschrocken zusammen und bezeugte ihre Ergebenheit mit einer kurzen Kniebeuge. Dann antworte sie in ihrer eigenen Sprache. Anton verstand kein Wort, spürte aber, dass es sich um eine Art Entschuldigung oder Erklärung handeln musste.


    Die Herrin nickte abweisend. Dann sschritt sie mit graziösen, katzenhaften Bewegungen auf Anton zu. Sowohl ihr dunkles Haar als auch ihre Haut glitzernde mit jeder Bewegung und wirkten dadurch dermassen unecht, dass ein gewöhnlicher Mensch wohl gezweifelt hätte, ob die Person vor ihm wirklich real sei. Die schmalen, Augen der Drukhari hatten Anton mit unheimlicher beharrlichkeit Fixiert.


    »Du bist also das Geschenk meines Onkels…«, sprach sie Anton direkt an, während sie sich näherte. »Ein Fürst der Chem-Pay-Sey, der sich Freiwillig der Azrushar hergibt, entäuscht und desillusioniert vom König seines Volkes? Zumindest hat das Onkel behauptet.«


    Sie trat vor Anton, jeglichen für menschliche Verhältnisse angebrachte Distanz missachtend. Ihre beiden Körper berührten sich nahezu, ehe die Drukhari innehielt. Mit ihren Augen musterte sie den Inquisitor wertend, als würde sie ein Stück Fleisch auf dessen Qualität prüfen. Anton fiel auf, dass in ihren dunkelroten Augen keinerlei Leben lag. Sie waren von schauerhafter Kälte erfüllt und erinnerten den Inquisitor unangenehm an die Necrons, die er auf Ysraal VI bekämpfte. Es schien, als ob diese Frau schon seit vielen Jahhunderten nichts mehr fühlen würde.


    Die Drukhari musterte ihn einen kurzen Moment. Dann packte sie ihn am Kinn und hob seinen Kopf an, dass sie ihm direkt in die Augen schauen konnte.


    »Du bist wirklich ein interessantes Etwas«, flüsterte sie, ehe sie Anton losliess und mit einer windigen Bewegung an ihm vorbeischritt.


    Dann befahl sie Nalaryss in ihrer fremden Xenos-Sprache etwas und schritt voraus. Die Drukhari-Kriegerin gab Anton mit einer abschätzigen Kopfbewegung zu verstehen, dass er seiner Herrin folgen solle.


    Einen Moment lang gingen Anton und die beiden Drukhari schweigend den Korridor entlang. Nach kurzer Zeit erreichten sie eine grosse, kunstvoll gearbeitete Türe. Die Nichte des Archons öffnete sie, in dem sie mit einem ihrer Finger, eine Rune auf ein archaisch aussehendes Bedienfeld zeichnete, dass sich gleich neben dem Durchgang befand. Als sich die Türe geöffnet hatte, schritt sie noch immer schweigend hindurch und liess Anton mit der Kriegerin alleine zurück.


    Anton zögerte einen kurzen Moment, bevor er der Herrin nachfolgte. Als er durch die mächtige Pforte schritt, wurde ihm klar, dass dies wohl die Privatgemächer der Herrin sein mussten. Vor ihm fand er eine grosse Halle mit Kreuzgewölbe, welche sofort an die Sakralbauten des Imperiums erinnerte. Doch ganz anders als die Imperialen Tempel, war dieses Gewölbe voller dekandenter Schönheit. Unzählige exotische Pflanzen wuchsen aus flachen, runenförmigen Gefässen, die in den Boden eingelassen waren. Ein künstlicher Fluss durchzog den labyrinthartigen Garten aus in allen Farben wuchernden Gewächse. Durch die dichte und trotzdem systematisch geordnete Bepflanzung erkannte Anton etliche samtige Sitzkissen, die in kleinen Gruppen angeordnet waren, aber auch immer wieder grösserre, verschwenderisch kunstvolle Möbel aus Kristall, Smaragdglas und anderen nicht minder edlen Materialien. Ein Paradies, das selbst verglichen mit den Gartenwelten des Imperiums von herausragender Schönheit war. Die fremdartigkeit der Pflanzen und die aussergewöhnlichen Formen des Interieurs verliehen dem Ort eine noch fantastischere, nahezu mystische, Atmosphäre.


    Während Anton über die Schönheit der Anlage staunte, stiess ihn Nalaryss nach vorne. Er geriet kurz ins straucheln und blickte entnervt zu der nachkommenden Kriegerin. Mit einer unfreundlichen Kopfbewegung wies sie ihn an, weiter zu gehen.


    Schliesslich hielt seine neue Herrin in einem kleinen Pavillon mit zwei Diwanen und einigen grossen Sitzkissen an. Sie legte sich Graziös auf eine der Liegen und wies Anton an, sich zu setzten. Nalaryss platzierte sich missmutig neben dem Inquisitor und verschrenkte die Hände hinter dem Rücken. Sie wartete offenbar nur darauf, dass Anton einen Fehler machen würde, um ihn dann mit billigung der Herrin, niederstrecken zu können.


    »Ich habe dir schon gesagt, was ich über dich weiss«, begann die Drukhari-Adelige, deren Namen noch immer nicht errfahren hatte, mit weicher, aber dennoch feindseeliger Stimme. »Zumindest, was Onkel mir erzählt hat. Da er ein ehrloser Verräter ist, dem ich nicht zutraue, mir aus reiner Liebe ein Geschenk zu machen, will ich es aus deinem kleinen Mund hören.«


    Anton war Nervös. Seine Aufgabe wurde offenbar immer schwieriger. Es reichte nicht, dass er die Nichte der Azrushar ermorden sollte, sondern sie wusste unbestreitbar auch bereits, dass ihr Onkel einen Anschlag plante. Nalaryss als durchaus gehässige, wohl aber ebenso fähige Leibwächterin, erschwerte das Attentat zusätzlich. Die Schmerzen in Antons Kopf verstärkten sich zunehmend. Was auch immer er sagte, musste absolut überzeugen. Er hatte keine Ahnung, wie die Position der Herrin innerhalb der Kabale war. Vielleicht kannte sie Emanual, vielleicht hatte sie auch die möglichkeit, Hector, Jek oder Kayrel zu befragen. Anton musste so aufrichtig wie möglich sein, damit er sich nicht in Lügen verstrickte.


    »Die grosse Azrushar liegt richtig«, begann Anton, sich respektvoll zu erklären. »Ich habe dem Imperator entsagt. Ich habe dem Imperium den Rücken zugekehrt und mich der Azrushar zur Verfügung gestellt. Es war sein Wille, euch zu dienen. Ich weiss nicht, wieso ich euch dienen soll, werde diesem Willen aber entsprechen.«


    »Und du wurdest nicht geschickt, um mich zu vergiften? Mir meine Geheimnisse zu entlocken?«


    Die Drukhari-Frau lachte amüsiert, jedoch ohne Freude oder Fröhlichkeit.


    »Du hattest eine wichtige Position bei den Chem-Pay-Sey. Entweder bist du völlig Wahnsinnig, oder noch dümmer als der Rest deiner erbärmlichen Spezies. Was auch immer du zu suchen gedenkst, in Dalrailac wirst du es nicht finden. Was auch immer Onkel bezwecken will, in dem er dich zu mir schickt, er wird damit scheitern. Trotzdem bist du bereits jetzt in gewisser weise eine Attraktion – der erste Inquisitor, der sich Freiwillig einer Kabale unterordnet. Dadurch hast du unserem Haus, sowohl Onkel als auch mir, durchaus einen Gefallen getan. Du wirst uns besser Unterhalten, als es diese lachhaften Sklaven tun. Und ganz nebenbei beweist du unsere Überlegenheit dadurch, dass wir dich nichteinmal dazu zwingen müssen. Du wirst mir also sowieso nützlich sein, egal, was kommt.«


    Anton war verunsichert und fürchtete, dass die Drukhari den Archon im grunde bereits durchschaut hatte. Dennoch liess er sich nichts anmerken und zwang sich, seine Rolle weiterhin zu spielen. Er müsse Kämpfen und Vertrauen gewinnen – so hatte es der Archon ihm aufgetragen. Wahrscheinlich wusste die Azrushar genau, dass sich seine Nichte nicht so einfach ermorden liess.


    »Ich werde tun, was Ihr verlangt, Herrin«, versuchte er, die Drukhari zu beschwichtigen.


    Sie nickte knapp, ein verächtliches Lächeln im Gesicht.


    »Nalaryss wird dich vorbereiten«, beendete sie das Gespräch, ehe sie ihrer Leibwächterin mit einer abschäzigen Geste befahl, Anton wegzuschaffen. Die Kriegerin nickte ergeben und packte den Inquisitor sogleich an seinen Armen, um ihn hochzuziehen. Obwohl Anton bereits ohne Zwang begonnen hatte, sich zu erheben, griff die Drukhari unnötig fest zu. Ohne ein Wort zu sagen, machte sie dann in den hinteren Teil der Halle auf und zerrte Anton grob mit sich.


    Sie verliessen das exotische Paradies durch eine kleine Türe, die tiefer ins inneren dieser Anlage führte. Nach dem sie einige kurze Korridore hinter sich gelassen hatten, kamen sie schliesslich zu einer Treppe, die auf eine tiefere Ebene führte. Unten angekommen, öffnete Nalaryss die Türe zu einer Kammer und stiess Anton hinein, bevor sie ihn selbst betrat.


    Auch wenn die Kammer schon alleine aufgrund ihrer Lage einer Gefägnisszelle glich, liess sich die Einrichtugn auch hier sehen. Wenn auch nicht ansatzweise so verschwenderisch wie die Gartenanlage weiter oben, hatte es hier doch alles, was man für ein überdurchschnittlich konfortables Leben brauchte. Samtig aussehende Sitzkissen und Diwane boten auch hier mehr als genug Gelegenheit, sich bequem zu setzen. Mehrere Kommoden und Schränke aus gläsern wirkendem, tiefschwarzem Stahl, waren so platziert, dass der Raum sich in mehrere Bereichte teilte, ohne dabei klein oder überfüllt zu wirken.


    Die Wände waren mit einem stählernen Gitter überzogen, an denen eine grosse Auswahl an Ketten und boshaften Haken angebracht war, die eine bedrohliche Atmosphäre schufen und überhaupt nicht zu der ansonsten einladenden Ausstattung passte. Der Anblick des blutverkrusteten Metalls liess Anton erschaudern. Weiter hinten im Raum befand sich eine knapp anderthalb Meter tiefe Grube, die offenbar für Übungs- oder Arenakämpfe genutz wurde.


    Nalaryss drückte Anton mit gewalt gegen das Gitter, welches an der Wand festgemacht war und legte ihm einen an einer Kette befestigten Ring um den Hals. Anton fühlte sich entwürdigt, gleich einem ungeliebten Haustier, wusste aber, dass er sich gerade jetzt nichts anmerken lassen durfte, um das Misstrauen der Drukhari nicht weiter zu schüren.


    »Du wirst im Namen der Herrin kämpfen«, schnauzte die Drukhari-Kriegerin Anton an. »Bis es so weit ist, wirst du hier bleiben. Verlässt du diese Kammer, werde ich dich töten.«


    Anton nickte bestimmt. Selbst ohne Halsfessel hätte er nicht vorgehabt, dieses Gefängnis zu verlassen. Daraufhin verliess Nalaryss Stumm das Zimmer und liess den Inquisitor zurück. Als sie die Türe hinter sich schloss, sank Anton zu Boden. Die Kette reichte nur gerade knapp dazu, dass er sich setzten konnte. Sich hinzulegen war unmöglich, genau so wie sowohl Kissen als auch Diwane ausserhalb seiner eingeschränkten Bewegungsreichweite lagen.


    Alleine, ankettet und jeglicher Freiheit beraubt, begannen ihn seine Gedanken zu quälen.


    Was war nur aus ihm geworden? Er hatte sich von dem Imperium abgewand, seine Freunde diesen Xenos ausgeliefert und sich freiwillig in Sklaverei begeben. Wie konnte es so weit kommen? Was hatte er sich dabei gedacht? War es das Wert?


    Tränen begannen, seine Wangen herunterzurinnen. Asheyna zählte auf ihn. Er war ihre letzte Hoffnung. Er konnte sie nicht einfach im Stich lassen, nicht nach all dem, was sie füreinander getan hatten. Was sie füreinander empfunden hatten. Dennoch kamen ihm Zweifel. War Ashenyas Tod nicht auch seine Schuld gewesen? Er war es, der dem Imperium vertraut hatte. Er hatte sein Leben in den Dienst des Imperiums gestellt. Wäre er nicht gewesen, wäre Ashenya niemals in die Fänge dieses bösartigen Inquisitors geraten. Nicht nur Ashenya. Auch Ysraal VI. Er war es, der befahl, die Welt zu vernichten. Wäre er nicht gewesen, hätten die Imperiale Armee und die Space Marines, die Xenos womöglich zurückschlagen können. Sein ganzes Handeln führte scheinbar nur zu Tod und Vernichtung. Sein ganzes Leben bestand aus Leid. Leid, dass durch sein handeln, anderen zugefügt wurde.


    Vielleicht sollte er einfach aufhören, an das Gute zu glauben. Um dann, eingesperrt in der Finsternis dieser Xenos-Welt, langsam zu sterben.


    Alleine beim Gedanken, sich erneut eine Dosis zu verabreichen, verkrampfte sich sein ganzer Körper, doch wünschte er sich in diesem Moment trotzdem sehnlichst eine Spritze Lunaïn. Oder zumindest etwas Hochprozentiges. Irgendetwas, das seinen geschundenen Geist betäuben würde. Das ihn vergessen lassen würde, was er getan hatte. Was er erlebt hatte.


    Apathisch, leise schluchztend, übermannte Anton irgendwann die Müdigkeit, so dass er in einen unruhigen Schlaf fiel.


    Doch auch im Schlaf fand er keine Erlösung. Wieder erblickte er Ashenya, die langsam von den Kreaturen des Warp verschlungen wurde. Er sah, wie sie ihn verurteilend Anblickte. Sie war noch immer bei ihm. Sie konnte seine Gedanken lesen. Anton war kurz davor gewesen, aufzugeben. Sie wusste, dass er daran dachte, sie im Stich zu lassen. Anton hatte sie enttäsucht. Er war ihre einzige Hoffnung, wie konnte er es dann wagen, an seinem einsamen Kampf zu zweifeln? Er durfte nicht Aufgeben. Er würde Ashenya wissentlich dem Warp übereignen und ihre Seele auf immer verdammen.


    Nein. Er konnte nicht Aufgeben. Er musste weiterkämpfen. Egal zu welchem Preis.


    Anton wünschte sich, ihre Stimme zu hören. Ihre Lippen bewegten sich, aber Anton war ihrem Flüstern gegenüber taub. Er hatte seine Verbindung zum Warp verloren. Sie konnte ihn nicht mehr erreichen.


    Alles was ihm blieb, war ihr seelendurchdringender Blick. Ihre Augen, die voller Leidenschaft und voller Lust auf Leben glühten. Und Anton spürrte, wie sie ihn mit genau so unbändiger Energie dafür verurteilte, an seiner Sache gezweifelt zu haben. Er drufte nicht mehr Zweifeln. Er musste sie retten.


    Irgendwann erwachte Anton. Auch wenn er sich müde und ausgelaugt fühlte, hatten ihn die schmerzlichen Visionen von Ashenya bestärkt, weiter seinen Weg zu gehen. Er durfte nicht mehr wanken. Und er durfte sich erst recht nicht durch Selbstzweifel davon abbringen, sein Ziel zu erreichen.


    Ohne Zeitgefühl hockte Anton benommen da, bis sich irgendwann die Türe zu seinem Gefängniss öffnete.


    Nalaryss trat ein und warf ihm sogleich ein Stück Fleisch zu.


    »Iss. Ich würde dich am Liebsten verotten lassen, aber der Herrin würdest du dann nichts mehr nützen können«, erklärte sie feindseelig.


    Anton war zu erschöpft, um zu Antworten. Einen Moment lang blickte er auf das grosse Stück Fleisch vor ihm. Es war maximal knapp angebraten worden und ganz offensichtlich grösstenteils roh. Dennoch hatte Nalaryss im Grunde genommen recht. Tod würde er niemandem mehr nützen. Nicht der Herrin und - was noch viel wichtiger war - nicht mehr Ashenya. Stumm griff er nach dem Stück und begann das saftige Fleisch zu verschlingen. Vielleicht lag es daran, dass Anton ausgezerrt und überaus hungrig war, aber es schmeckte hervorragend, trotz des nicht besonders appetitlichen Aussehens. In einem kurzen Moment der Normalität dachte Anton an Emanuel und daran, dass diesem die Kost der Drukhari mit sicherheit besonders schmeckte.


    Während Anton ass, streifte Nalaryss rastlos im Zimmer umher, ihre tiefblauen Augen wie ein Raubtier auf Antron fixiert.


    »Steh auf!«, befahl sie, als Anton sein Mahl beendet hatte. Er folgte mit der Gewissheit, dass jeder Ungehorsam auch seinen eigenen Zielen zuwiderlaufen würde.


    Die Drukhari-Kriegerin trat näher und öffnete Antons Halsfessel. Dann packte sie seinen Arm und zog Anton grob in den hinteren Teil des Zimmers, wo sie vor der Kampfgrube stehen blieb. Anton nutze die Pause, um seinen Hals zu massieren. Es war nicht nötig, ihn so violent anzugehen, doch konnte der Inquisitor, dem Xenos das brutale Vorgehen eigentlich nicht verübeln.


    Die Drukhari drückte ihm wortlos einen metallenen Becher in die Hand und füllte ihn aus einer schmucklosen Karaffe, die auf einer der unzähligen Ablagen gestanden hatte.


    Anton nahm vorsichtig einen Schluck. Er atmete beinahe laut auf, als er feststellte, dass es sich um Wasser handelte. Es schmeckte abgestanden und hatte eine seltsame, süssliche Note, schien aber dennoch normales Wasser zu sein. Nalaryss wartete, bis er den Becher ausgetrunken hatte, und füllte ihn erneut auf.


    Nachdem Anton auch den zweiten Becher zügig getrunken hatte, wies sie ihn mit einer Kopfbewegung an, das Gefäss hinzustellen. Sobald er getan, wie ihm geheissen, stiess sie ihn überaschend mit grosser Kraft in die Kampfgrube hinab, an derer Rand sie sich befunden hatten. Anton fiel hinunter und landete auf allen Vieren. Glücklicherweise war die Grube nicht allzutief und der der Boden mit Sand bedeckt, so dass er unverletzt blieb. Nalaryss schwang sich mit einer unglaublich schwunghaften, agilen Bewegung zu Anton hinunter und warf ihm ein einfaches, stark verwitteres Kettenschwert zu. Anton konnte sich nicht erinnern, dass sie es bereits bei sich trug, als sie das Zimmer betreten hatte. Sie musste es also irgendwo hier aufbewahrt haben. Anton war sich nicht sicher, ob die Drukhari nachlässig oder einfach nur überheblich war, aber es schien für ihn befremdlich, Waffen im selben Raum wie Gefangene zu lagern.


    Er nahm das Kettenschwert, stellte dann aber fest, dass es wohl schon vor langer Zeit aufgehört hatte, zu funktionieren. Das Chassis war korrodiert und die Kettenzähne grösstenteils abgerissen. Der Motor liess sich nicht einmal ansatzweise starten.


    »Du wirst im Namen der Herrin kämpfen, Chem-Pay-Sey«, begann Nalaryss ruhig zu erklären. »Würdest du zu schnell sterben, würde das ein schlechtes Licht auf sie werfen. Verteidige dich!«


    Dann zog sie in einem Sekundenbruchteil ihre kurze, gezackte Klinge und griff Anton an, der viel zu überrascht war, um rechtzeitig zu reagieren. Er spürrte, wie die Klinge in sein Fleisch schnitt. Doch die Kriegerin nahm im letzten Moment alle Kraft aus ihrer Bewegung, so dass die Klinge Anton nur einen winzigen, oberflächlichen Schnitt zufügte.


    »Ich weiss nicht, gegen wen du kämpfen wirst«, schnauzte ihn Nalaryss an, »aber gegen uns Drukhari bist du Chancenlos! Trainiere deine Reflexe – vertraue deiner Intuition.«


    Ein erneuter Angriff folgte. Anton spürte das Adrenalin. Er war vielleicht nicht der beste Kämpfer, hatte aber eine hervorragende Ausbildung genossen. Sein Kampfgeist erwachte. Wieder spürte er, wie die Klinge in seine Haut schnitt. Dem dritten Angriff konnte er dann beinahe ausweichen, auch wenn er das Gefühl hatte, dass Nalaryss sich enorm zurückhielt und nur mit einem kleinen Teil ihrer Fähgikeit kämpfte.


    Noch eine ganze Weile trainierte das ungleiche Paar stumm. Die Drukhari schien aber eine hervorragende Ausbildnerin zu sein, denn sie passte sich sowohl Antons Ausdauerleistung als auch seinen immer weiter erwachenden Instinkten an, um ihm genau die richtige Herausforderung zu bieten, damit er seine Fähigkeiten verbessern konnte.


    Irgendwann stoppte Nalaryss Anton, in dem sie ihn mit einem völlig unvorsehbaren Hieb entwaffnete und gleichzeitig mit einem heftigen Tritt in die Magengrube zu Boden sinken liess.


    Das defekte Kettenschwert nahm sie vom Boden auf und warf es achtlos zur Seite. Mit einem geschickten Sprung verliess sie die Kampfgrube und wandte sich Anton zu.


    »Steh auf, Chem-Pan-Sey!«


    Anton erhob sich und machte sich daran, die Grube hochzuziehen. Nalaryss beobachtete ihn dabei die ganze Zeit kritisch. Sie musste keine Befehle mehr erteilen. Anton wusste bereits, was als nächstes kommen würde. Stumm folgte er der Drukhari zurück zu der Halsfessel und liess sich widerstandslos anketten. Er fühlte sich schmutzig. Sein Schweiss brannte in den unzähligen offenen Wunden, die Nalaryss ihm während seines Trainings zugefügt hatte und Anton war sich sicher, dass einige davon sich schrecklich entzünden würden.


    Trotzdem hatte er das Gefühl, seinem Ziel näher gekommen zu sein. Er konnte es schaffen. Irgendwann schlief er entkräftet wieder ein.


    Trotz seines langsamen vorankommens, riefen seine Träume ihm dennoch qualvoll in Erinnerung, dass die Zeit drängte. Ashenya lief die Zeit davon.


    Er wusste nicht, wie viele Nächte er noch Ashenyas vorwurfsvollen Blick ertragen konnte. Und wieviele Nächte Ashenya noch blieben, ehe die gierigen Tentakel ihren Körper vollständig verschlangen hatten.

  • VI

    Hätten die Xenos nicht ihre Waffen driekt auf ihn und Jek gerichtet, hätte Hector zweifelsfrei widerstand geleistet. Der Hass loderte in ihm, aber er war nicht dumm. Die Eldar hätten ihn ohne zu zögern niedergeschossen.


    Er konnte nicht fassen, was Anton getan hatte. Nach all dem, was sie zusammen durchgestanden hatten, war ein Verrat das Allerletzte, das Hector erwartet hatte. Ashenya war auch seine Freundin gewesen, doch selbst wenn diese Xenos sie wiederbeleben konnten, hätte er niemals Anton dafür verraten. Selbst Jek, der im Grunde genommen nur eine tickende Zeitbombe war, hätte er nicht diesen Bestien ausgeliefert. Loyalität und Zusammenhalt war der Grund, wieso sie bisher Überlebt hatten. Sie waren eine Familie. Dass Anton offenbar bereitwillig seine Freunde gegen die Quar’va einzutauschen bereit war, liess Hector an alldem Zweifeln. War es das Lunaïn? War es die selbstgerechte Arroganz Emanuels, die abgefärbt hatte? War Anton schon immer ein illoyaler Bastard gewesen und hatte ihn mit seinem grossartigen Gerede von Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit geblendet?


    Wer auch immer die Person war, die sich in dieser blasphemischen Halle den widerwertigen Xenos unterworfen hatte, es war nicht der Anton, den Hector gekannt hatte. Er fragte sich sogar, ob Claudius nicht doch Recht hatte. Ob die Xenos – Ashenya – nicht ihren Verstand vergifteten. Der Glaube an die Menscheit war Garant ihrer gegenseitigen Loyalität. Wer sich aber mit den Xenos einliess… Auf Ysraal VI hatte er gesehen, zu was sie fähig waren. Er hatte Emanuel erlebt, dessen Dekadenz wohl auf den Einfluss der Xenos zurückzuführen war. Er hatte Anton erlebt, der unter Einfluss der Xenos seine engsten Freunde verriet. Vielleicht lag im Imperialen Glaube weit mehr Wahrheit, als ihm bisher bewusst gewesen war. Er, der dem Xenos zu leben erleubt, teilt sein Verbrechen der Existenz. Ein Credo, das Hector langsam zu begann, zu verstehen.


    Obwohl sie von den Aliens unter vorgehaltener Waffe abgeführt wurden, schien Jek zufrieden zu lächeln. Hector erschauderte beim Versuch, die Gedanken des sabbernden Foltermeisters zu ergründen. Es würde Blut fliessen. Auf besonders grausame Art und weise.


    Ohne es genau zu wissen, war sich Hector sicher, dass Jek sich nicht einsperren lassen würde. Welcher Gedanke auch immer in seinem verkommenen Verstand keimte, würde früher oder später in einer Welle der Gewalt hervorbrechen, die wohl selbst für diese Xenos unvorstellbar sein mochte. Hector hoffte, dass Anton nicht Teil dessen werden würde, trotz des Hasses und der Verachtung, die er nun für seinen Freund empfand.


    Nachdem sie die Halle hinter sich gelassen hatten, merkte Hector, dass sie nicht in ihre vorherigen Quartiere zu Kayrel gebracht wurden. Sollten sie ihn widersehen, würde Hector ihn eingebig Befragen, ob er etwas über Antons wahnwitzigen Plan wusste.


    Die Eldar führten ihn zusammen mit Jek eine ganze Zeit lang durch klaustrophobische, dunkle Tunnel. Sie mussten sich schliesslich irgendwo tief unter dem Xeno-Palast befinden, denn es gab weder Fenster noch erreichte das fahle Licht des toten Sternes diese Hölle aus schwarzem, gläsernen Stahl und noch schwärzeren, finstersten Schatten. Nur einige wenige Kristallleuchten erhellten die Dunkelheit mit ihrem schwachen, kränklichen Schimmern, während eine dicke Schmutzschicht am Boden des Gewölbes auch das letzte Licht in sich aufzusaugen schien.


    Nicht weniger ausgezerrt und kränklich wirkten die abgemagerten, ghoulhaften Männer und Frauen, die durch die dunklen Gänge schlichen und sich schüchtern an Hector, Jek und ihren Häschern vorbeidrängten. Sie alle hatten ihren Blick gesenkt. Was auch immer die Xenos ihnen angetan hatten, musste fürchterlich gewesen sein.


    Vor einer kleinen metallenen Türe, hielten ihre Bewacher an und zischten etwas in der fremden Eldar-Sprache, das weder Hector noch Jek verstehen konnte. Der Tonfall und die überdeutliche Gestik eines der Krieger waren aber eindeutig. Sie beide sollten sich in den Raum hinter der Türe begeben. Diese finstere Kammer des Siechtums und des Leids sollte augenscheinlich ihr Gefängnis werden.


    Ohne eine Möglichkeit, effektiv Widerstand zu leisten entschieden sie, der Anweisung fürs erste zu Folgen. Die übrigen Sklaven schienen sich ohnehin frei in den Tunneln bewegen zu können. Sollte Hector und Jek ein ähnliches Schicksal blühen, wären ihre Fluchtchancen zu einem späteren Zeitpunkt deutlich günstiger als jetzt, während die Xenos ihre Waffen auf sie gerichtet hatten und nur darauf warteten, abdrücken zu können.


    Missutig trat Hector als erster ein. Jek folgte stumm, mit noch immer demselben diabolischen Grinsen im Gesicht nach. Hinter der kleinen Türe befand sich jedoch entgegen ihren Erwartungen keine kleine, enge Kammer, sondern eine grosse, gegen oben noch grösser werdende Halle. In die schräg nach oben ragenden Mauern waren unzählige kleine Nischen geschlagen, in denen Gespengstern gleich, entkräftete menschliche Sklaven lagen. Es musste sich um jene handeln, die gerade keine Aufgabe hatten – oder zu schwach waren, ihre eigentlichen Aufgaben zu erfüllen. Hector erkannte sofort den süsslichen Verwesungsgeruch, der ihm entgegenwehte und wusste, dass in manchen Nischen nur noch verrotende Kadaver liegen würden.


    »Hehe, ein neues Zuhause für Jek!«, lachte Antons Foltermeister, als er die Halle erblickte.


    Hector verzog sein Gesicht. Offenbar freute sich Jek, ein Gefangener der Xenos zu sein. Vielleicht erinnerte ihn diese unterirdische Behausung an seine Heimatwelt, Necromunda, doch selbst in diesem Fall schien sein irrer Gefährte etwas zu enthusiastisch.


    »Fühlst dich zuhause?«, bemerkte Hector trocken.


    Jek schaute ihn mit seinen geweiteten Glubschaugen an. »So viele Vögelchen. So viel Schatten. So viel Leid. Väterchen ist ganz nett…«


    »Anton hat uns verraten, Jek. Er ist weg. Er hat uns im Stich gelassen!«


    »Väterchen ist ganz nett…«, wiederholte Jek abwesend und begann, sich tiefer in das Sklavenquartier hineinzubewegen. Hector entschied, ihn erstmal gewähren zu lassen. Er konnte den Metzger ohnehin kaum unter Kontrolle halten. Mit seinem widerwertigen Äusseren und seinem befremdlichen, hopsenden Gang, würde er ihn sowieso einfach wiederfinden. Es blieb lediglich zu Hoffen, dass Jek sich lange genug zusammenreissen konnte, um kein Massaker unter den Sklaven anzurichten. Etwas, dass für ihn leider immer schwieriger werden würde, umso länger er hier eingesperrt war.


    »Der Imperator hat euch verlassen«, ertönte eine dumpfe, leblose Stimme neben Hector. Sofort drehte sich der Veteran um. Ein Mann stand neben ihm. Er hatte sich fast geräuschlos durch die Dunkelheit genähert, so dass Hector seine Anwesenheit erst bemerkte, als er von ihm angesprochen wurde. Hector trat einen Schritt zurück und musterte die Gestalt vor ihm.


    Ähnlich den im Palast lebenden Eldar war die Haut des Mannes von ungesunder Blässe. Das Gesicht war aber im Gegensatz zu den Xenos so stark eingefallen, dass die Haut wie ein dünnes, knittriges Papier wirkte, dass über seinen nackten Schädel gespannt worden war. Die dünnen, schulterlangen Haare waren unfrisiert. Fettige Strähnen hingen wie schmierige Fangarme vor seinem Gesicht.


    »Und du bist…?«, fragte Hector den verwahrlosten Sklaven.


    »Jakub Sanz«, antwortete er mit gleichbleibend gefühlsloser Stimme. »Sprecher dieser Gemeinde.«


    »Gemeinde?«, erwiderte Hector. »Du meinst die Sklaven?«


    »Diese Xenos – Eldar – sehen und als Sklaven. Wir sind aber alle Bürger des Imperiums. Ich meine unsere Gemeinschaft.«


    »…und die Xenos haben dir die Führung über diese Gemeinde überlassen? Du bist also eine Art Kontaktmann?«


    Jakub lachte freudlos.


    »Die Xenos kümmern sich einen Dreck um uns. Ich wurde von den Menschen hier gewählt. Ich trage dazu Sorge, dass wir Überleben können… einige von uns. Ich verhindere, dass wir uns gegenseitig zerreissen. Aber sprich. Welche Sünde hat dich hierhin gebracht? Die Art, wie du mit mir sprichst… Die Art, wie du hier hereingekommen bist. Dein Gang. Du bist kein einfacher Gefangener der Eldar, nicht wahr?«


    Hector musste zugeben, dass er von Jakubs scharfsinniger Analyse etwas überrascht war. Andererseits machte es durchaus Sinn, denn in dieser Hölle zu Überleben, forderte wohl einen äusserst gerissenen Verstand. Ausserdem wäre er kaum der Anführer dieser Sklaven, würde er über keinerlei aussergewöhnliche Fähigkeiten verfügen.


    »Von einem Freund verraten…«, flüstere Hector bitter. »Wir waren wohl Gäste des Xenos-Anführers, bis dieser Bastard uns verkaufte.«


    »Wenn du Gast des Archons warst, hast du den Imperator beleidigt«, erklärte Jakub monoton. »Darum hat er dich verlassen. Darum bist du hier.«


    Hector spuckte auf den Boden und zündete sich ein Loh-Stäbchen an. Ein Murmeln durchzog die Dunkelheit, ehe ihm bewusst wurde, dass die Menschen hier unten wohl schon für eine winzige Dosis Loh töten würden. Aber was hatte er zu befürchten? Diese ausgehungerten Wesen waren keine Gegner für ihn. Er nahm einen Zug und bliess Jakub den Qualm ins Gesicht.


    »Verschon mich mit deiner Predigt. Der Imperator hat sich schon seit langem von mir Abgewandt!«


    »Dann wirst du hier deinen Tot finden«, antwortete Jakub, offenbar durch Hectors kaltschnäuziges Auftreten in keiner Weise beeindruckt. »Aber der Tot wartet auf uns alle.«


    Als er fertig gesprochen hatte, verschwand Jakub so leise, wie er gekommen war. Er hatte etwas durch und durch gespengstiges an sich. Hector fühlte weder Angst noch Anspannung, doch hatte der Mann bei ihm ein ungutes Gefühl ausgelöst. Mehr noch, als er aufgrund seiner Lage sowieso ein ungutes Gefühl hatte. Alles würde schrecklich schief gehen. Früher oder später.


    Er machte sich Vorsichtig auf die Suche nach Jek und erspähte ihn weit hinten in einem der dunkleren Ecken der kavernenartigen Halle. Trotz allem war ihm in der Gesellschaft des Metzgers wohler, als die Gesellschaft einem bemitleidenswerten und doch äusserst zwielichtigen Sklaven wie Jakub.


    »Hector«, grunzte Jek leise, als er sich ihm näherte. »Das Bleichgesicht ist der Anführer. Die anderen Vögelchen haben Angst vor ihm. Viele folgen ihm nur deshalb. Links von uns viele Leichen. Hehe. Da werden wir wohnen. Ein neues Zuu-hauuuu-seee!«


    Hector schüttelte resigniert den Kopf. Jek hatte wieder einmal bewiesen, dass Wahnsinn und Genie sehr nahe beieinander lagen. Einerseits hatte er ihre Situation sofort erkannt und sich ein Bild der Lage gemacht, andererseits schlug er ebenfalls vor, neben verwesenden Körpern zu liegen und nannte das dann „Zuhause“. Dennoch musste Hector, Jek in gewissen Punkten zustimmen. Er würde eine Anslammlung von Nischen, in denen hauptsächlich Tote lagen, niemals sein Zuhause nennen, vor allem nicht mit solchem Enthusiasmus. Doch Jek vertraute Jakub unverkennbar ebenso wenig, wie Hector es tat. Es war besser, wenn sie alleine bleiben würden. Jede Nische, in der ein Toter lag, war eine Nische, in der kein Lebender lag. Die Logik dahinter war so einfach wie bizarr.


    Zusammen begaben sie sich zu der Stelle, die Jek ausgesucht hatte und fanden sogar zwei Nischen, die gleich beieinander lagen. Der Verwesungsgeruch war dort zwar ausgeprägter, als im Rest der Halle, doch Stank es sowieso so fürchterlich, dass es kaum ein Unterschied machte.


    Sie einigten sich, abwechselnd zu schlafen, während der andere jeweils Wache hielt. Da aber beide noch nicht Müde waren, entschied Hector, die Umgebung auszukundschaften. Als sie von den Xenos hier hin geleiet wurden, kamen ihnen immer wieder Sklaven entgegen, die sich offenbar frei bewegen konnten. Auch hatte Hector nicht gehört, dass die Türe abgeschlossen wurde, nachdem die Xenos sie hier abgesetzt hatten.


    Während er sich aufmachte, die nahen Tunnel zu erkunden, blieb Jek zurück und beobachtete die anderen Sklaven, um möglichst viel über ihre Hierarchie und Gesellschaftsstruktur zu erfahren. Der Metzger fühlte sich in seiner Rolle offenbar äusserst Wohl. Sein Leben auf Necromunda musste ähnlich Schrecklich gewesen sein, denn die Situation schien ihm wohl vertraut.


    Die düsteren Tunnel waren ein wahres Labyrinth. Hector stellte fest, dass die finsteren Gänge grundsätzlich in zwei Richtungen führten. Einerseits dahin, wo sie hergekommen waren, andererseits tiefer nach Unten. Da er sich sicher war, dass er spätestens beim Zugang zur Palastanlage von Xenos-Wachen aufgehalten werden würde, entschied er sich, den Bereich zu erkunden, der, so wie er vermutete, tief im Fundament des Palastes lag. Vielleicht auch unter der Planetenoberfläche dieser sonderbaren Welt. Umso weiter er sich von dem riesigen Sklavenquartier entfernte, umso bedrohlicher fühlte sich die Umgebung an. Erst passirte er eine grässlich stinkende Halle, deren Boden aus einem verrosteten Metallgitter bestand. Darunter floss ein unterirdischer Fluss, der von Schmutz und Unrat eine braun-gelbe Färbung angenommen hatte. Den Spuren auf dem Gitter zu urteilen, diente diese Stelle den Sklaven als Abort. Der trostlose Anblick und die gewaltigen Ausmasse des Gestanks liessen Hector schaudern. Auch im Imperium gab es Welten, auf denen die Bewohner dazu gezwungen waren, ein kaum zu ertragendes Leben zu führen. Die Geschichten, die er von einigen Makropolen gehört hatte, waren oft mehr als nur befremdlich, aber in diesem Moment war er sich sicher, das die Sklaven dieser Aliens, ein noch viel schlimmeres Los hatten. Die Menschen waren in den Augen der Xenos wahrlich nur Tiere. Wenn überhaupt. Sie waren keine echten Sklaven, keine Ressorcen, die einen Zweck hatten, sie waren lediglich ein dahinvegetierendes Etwas, an dem sich die Eldar bespassen konnten, wenn ihnen danach war.


    Er durchquerte die Halle und folgte den Tunneln, die weiter in die Tiefe führten. Inzwischen war kein einziger Sklave mehr anzutreffen. Irgendwann wurden die glatten Wände aus dem fremdartigen Material durch rohen Fels abgelöst. Immer wieder schritt er an Nischen und grösseren Höhlen vorbei, erkannte aber in der absoluten Dunkelheit nahezu nichts. Er musste sich an den Wänden entlang tasten, um überhaupt vorwärts zu kommen. Wo auch immer dieses Labyrinth enden würde – eine Flucht war unmöglich, zumindest ohne künstliche Lichtquelle. Immer wieder vernahm er ein entferntes Schmatzen und Knurren, tat es aber als Einbildung ab. Es viel Hector schwer, sich einzugestehen, dass er es langsam mit der Angst zu tun bekam. Er fühlte kalte, unmenschliche Blicke, die ihn verfolgten. Die Temperatur sank drastisch, als er noch Tiefer in das Höhlensystem eindrang. Schliesslich musste er seine Niederlage eingestehen und kehrte um. Hier war kein Platz für ihn. Hier gab es nichts, dass ihm irgendwie zur Flucht verhelfen konnte. Mit zügigem Schritt begab er sich zurück zu der stinkenden Halle, stehts begleitet von dem Gefühl, beobachtet zu werden.


    In der entgegengesetzten Richtung, die er nun eingeschlagen hatte, nahm die Anzahl der herumeilenden Sklaven immer weiter zu, umso näher er den oberen Bereichen dieser Anlage kam. Die Menschen waren allesamt völlig verwahrlost und apathisch. Wenn es jemanden gab, der noch auf einen Ausweg aus dieser Hölle hoffte, so verstecke er dieses kleine bisschen Hoffnung hervorragend. Es war niederschmetternd zu sehen, wie die Sklaven sich einfach ihrem Schicksal hingaben. Auf dem Weg zu den oberen Gewölben erblickte Hector mehere Zugänge, die in weite, leere Räume führten, deren Funktion ihm völlig unbekannt war. An anderen Stellen versperrten massive Gitter oder metallene, mit unheilkündenden Runen versehene Türen die vielen Seitenstollen, die links und rechts von dem etwas grösseren Hauptgang wegführten. Etwa dreissig Standardminuten von der grossen, als Unterkunft dienenden Halle entfernt, erblickte er das erste Mal einen Xenos-Wachposten. Zwei Eldar-Krieger in ihren gefährlich anmutenden Rüstungen standen neben einem etwa doppelt so grossen Schlagenwesen mit vier massiven, muskulösen Armen. Als er sich näherte, richteten die Wachen sofort ihre Waffen auf Hetor.


    »Du nicht«, zischte die Xenos-Schlange ihm undeutlich entgegen, als er noch gut zehn Meter entfernt war. Hector hatte Mühe, ihre Worte zu verstehen. Unüberhörbar bereitete die gotische Sprache ihr grossen Mühen, auch wenn sie einfache Sätze sprechen konnte.
    Hector musste es nicht darauf ankommen lassen. Nicht jetzt. Er entschied sich, umzudrehen. Der einzige Weg, der vielleicht hier herausführte, war durch die bedrohliche Dunkelheit der tiefergelegenen Tunnel. Sowohl sein Verstand als auch seine Intuition stimmten aber damit überein, dass der Versuch, sich durch die unbekannte Finsternis zu schlagen, eine äusserst dumme Idee war. Um hier wegzukommen, musste er sich seinen Weg wohl oder Übel mit Gewalt freikämpfen. Er musste zu Jek. Sie brauchten Verbündete.


    Die Sklaven, die ihm auf dem Rückweg entgegenschlenderden, waren ein solch erbärmlicher Anblick, dass Hector dagegen ankämfen musste, nicht auch alle Hoffnung zu verlieren. Die allgegenwärtige Negativität, welche die Tunnel wie unsichtbare, giftige Nebelschwaden erfüllte, begann selbst den hartgesottenen Veteranen zu zermürben.


    Jek war noch immer dort, wo Hector ihn zurückgelassen hatte. Der Soldat erläuterte dem Metzger, dessen Gesichtsmuskulatur unkrontrolliert zuckte, was er entdeckt hatte. Jeks gerötete Glubschaugen starrten Hector mit irrem Blick an, während dieser seine neu gewonnen Erkentnisse teilte. Trotzdem, so war sich Hector sicher, hörte der Foltermeister genau zu und begann bereits, das neue Wissen in seine Pläne zu integrieren.


    »Schwierig, schwierig«, stellte der Metzger fest. »Wir brauchen Waffen – kein Problem. Jek weiss, wo es welche gibt. Die Vögelchen müssen uns gehorchen – viel schwerer.«


    »…aber du hast einen Plan?«, fragte Hector nach.


    »Keinen Plan… zu wenig Informationen für einen Plan… Aber ich habe beobachtet. Dieses da«, Jek zeigte auf einen Sklaven am anderen Ende der Halle, »und dieses und dieses. Ich bin mir sicher, sie singen besonders schöne Lieder.«


    Hector wusste nicht recht, was er von Jek halten sollte. Er empfand sein Äussers absolut widerlich. Sein Geist war nicht unbedingt in besserem Zustand und es fühlte sich falsch an, ihn auf diese grundsätzlich unschuldigen Sklaven loszulassen. Hector selbst war Ratlos und konnte nur mutmassen, was Jek sich davon versprach, einen der von ihm ausgesuchten Sklaven auszuquetschen. Hector musste aber auch zugeben, dass es wertvoll sein konnte, was diese Männer, die schon viel länger hier gefangengehalten wurden, zu sagen hatten. Er hätte es allerdings vorgezogen, wenn Anton die Befragung hätte durchführen können. Jeks Methoden waren sehr extrem und sie brauchten Verbündete, keine Feinde.


    Doch Anton hatte sie verraten. Im Stich gelassen. Plötzlich wurde Hector klar, dass diese Sklaven keinen Deut besser waren. In dem sie ihr Los akzeptierten, machten sie sich genauso schuldig wie Anton. Er, der dem Xenos zu leben erleubt, teilt sein Verbrechen der Existenz. War das nichts-tun, das nicht-kämpfen gegen die Xenos nicht bereits ein Verbrechen? Diese Sklaven hätten sich bereits viel früher gegen ihre Herren stellen können. Sie haben ihre Seite gewählt – die Seite der Xenos. Wenn der Tod eines dieser Sklaven, ihnen dabei helfen würde, zu fliehen, wäre das im Grunde genommen sogar wünschenswert.


    »Lass sie singen«, befahl Hecor düster. Jek begann zu grinsen, während sich Schaum vor seinem geifernden Maul bildete.


    »Anton sagte, hör auf Hector. Das werde ich tun! Ich hör auf Hector!«


    ***


    Der Sklaven sass am Boden. Jek hatte aus der Kleidung einer der unzähligen Leichen in der Schlafhalle, einen grossen, schmutzigen Stofflappen mitgenommen und den kränklichen Mann geknebelt, nachdem dieser alleine durch die Gänge wanderte, um den Abort aufzusuchen. Ihn dann in einen der leeren Räume zu zerren, war ein leichtes.


    Wähend Hector etwas weiter hinten wache hielt und stumm in die finsteren Korridore blickt, kauerte Jek vor der glücklosen Seele. Er trug ein kleines Chirurgenmesser, das er in seinem Hosenbund versteckt hatte und fuchtelte damit, mit gierigem Blick, vor dem Gesicht seines Gefangenen herum. Dann löste er den festen Knoten, mit dem er den Lappen befestigt hatte und ermöglichte so dem Sklaven, wieder zu sprechen.


    »Du gehörst mir, Vögelchen!«, quiekte Jek freudig. »Mir alleine! Sing für mich! Sag mir alles, was du weisst!«


    Alleine der Ablick des gestörten, messerschwingenden Psychopathen war genug, dass der verängstigte Mann zu reden begann. Wiederstand zu leisten oder um Hilfe zu rufen, zog er nichteinmal in Betracht.


    »Ich heisse Marcus, ich lebte auf…«


    Jek rammte ihm das Messer in die Schulter, worauf der Mann einen kurzen, leisen Schmerzensschrei ausstiess und zusammenzuckte.


    »Du bist mir egal, Vögelchen«, flüsterte der Foltermeister und weckte in seinem Opfer dadurch die Hoffnung, dass er möglicherweise von ihm ablassen würde, sobald er erfuhr, was er wisse wollte. »Wieso dient ihr den Xenos?«


    »Wir… haben keine Wahl«, keuchte der Mann. »Unten, in den Schatten. Etwas Dunkles, Bösartiges. Es verschwinden Menschen, die dann nie wieder auftauchen. Sie werden von eisigen Schatten in die Tiefe dieser Tunnel gezerrt. Wenn wir den Xenos dienen, können wir nach oben. Solange wir nützlich sind. Besser sterben wir dort im halbschatten dieser verdammten Sonne, als von irgendwelchen Wesen geschlachtet zu werden. Solange die Xenos es erlauben, können wir in der grossen Halle leben. Dort kommen die eisigen Schatten nicht hin.«


    »Und wer ist euer Anfüher? Du? Ich habe dich beobachtet, du singst vielen der anderen Vögelchen deine Lieder.«


    »Ich bin nur einer der Vollstrecker! Jakub! Jakub ist der Anführer! Bevor er kam, war alles noch schlimmer! Wir haben uns gegenseitig getöten. Assen unser Fleisch. Jakub hat uns die Wahrheit gezeigt. Der Imperator hat uns verlassen, doch wenn wir lange genug Leiden, wird er uns vergeben!«


    »…und wer ist dieser Jakub? Weisst du etwas über ihn?«


    »Er sagst, er hätte mit Space Marines gekämpft. Dass diese ihm gesagt hätten, der Imperator sei tot. Dass er Schreckliches getan hätte. Doch irgendwann geriet er diesen Spitzohren in die Hände. Dann wurde er erleuchtet und der Imperator hat zu ihm gesprochen. Der Imperator! Er hat jenen, die ihm nicht gehorchten, die Haut abgezogen. Er hat sie verstümmelt, schrecklicher als es die Xenos tun. Er hat die, welche die Grossartigkeit unserer Spezies verkannten und den Glauben an den Imperator verneinten, getilgt. Er hat uns von Mördern und Kannibalen errettet. Nur durch seine schreckliche Führung können wir lange genug Überleben, um uns im Namen des Imperators wieder reinzuwaschen! Wir müssen als Menschen zusammenhalten, nur dann können wir genug Leid erfahren, um vom Imperator Vergebung zu erfahren.«


    Hector, der alles mitgehört hatte, war inzwischen zu Jek hinübergekommen. Er Empfand keinerlei Mitleid mehr für diese Kreatur. Der Imperator hilft den Menschen nicht. Der Imperator hatte auch Hectors Familie nicht geholfen. Und er sprach erst recht nicht mit Menschen, insbesonders nicht mit solchen, die ihn verdammt hatten. Nicht nur das, der Sklave ordnete sich den Xenos unter. Er tat es sogar auf Geheiss eines gebrechlichen Fanatikers. Das Ausmass an Willensschwäche, das der Mann zeigte, widerte Hector an. Doch er wusste dafür, was zu tun war, um „Verbündete“ zu gewinnen. Und er würde dabei keinerlei Skrupel kennen.


    »Jek«, richtete er sich mit emotionsloser Stimme an den Metzger. Er legte eine kurze, ungewollt dramatische Pause ein.


    »Geniesse es…«, waren seine Worte, ehe er den Raum verliess.

  • Stahl-Opa

    Hat den Titel des Themas von „Anton Kalen - Ewige Verdammnis - [Kapitel 5]“ zu „Anton Kalen - Ewige Verdammnis - [Kapitel 6]“ geändert.
  • VII


    Anton wusch sich das Gesicht mit einem wassergetränken Lappen, der zuvor zusammen mit einem kleinen Bottich in seine Kammer gebracht wurde. Mit jedem vergangenen Tag, in dem er in fast völliger Stille mit Nalaryss den Kampf gegen die Drukhari übte, wurden ihm mehr Freiheiten zugestanden. Anton schätze, dass er sich bereits vier Tage in Gefangenschaft befand. Ohne Chronometer, eingesperrt und völlig isoliert, war es jedoch unmöglich, genau festzustellen, wieviel Zeit bereits vergangen war. Die sich wiederholenden Trainingseinheiten gaben ihm jedoch eine gewisse Struktur, die ihm half, bei Verstand zu bleiben. Dadurch, dass er sich den Befehlen der Drukhari bedingunglos beugte, schien das Misstrauen ihm gegenüber langsam zu schwinden. Er durfte sich frei in seiner Kammer bewegen und bekam die möglichkeit, sich zumindest Bedingt frisch zu machen. Natürlich hatte er bei der ersten Gelegenheit, bei der er frei von Ketten und für sich alleine war, den ganzen Raum durchsucht, doch fand er nichts, was die Situation merklich verändert hätte. Neben alten, schrottreifen Waffen und jeder Menge leerer Gefässe und Schalen, fand er nur noch einige moderigen Lumpen, aus denen er immerhin einen einfachen Rock schnüren konnte, um seine Kleider während des Trainings nicht weiter zu zerschleissen. Obwohl die Gewänder, die ihm Emanuel zu Beginn dieser Tortur gegeben hatte, bereits übel zugerichtet waren, erinnerten sie Anton doch an die Zeit vor seinem Märtyrium. Sie hatten inzwischen einen sentimentaln Wert weswegen er verhindern wollte, dass sie weitere Schäden davontrugen.


    Das Training belebte zwar sowohl Körper als auch Geist, doch mangelte es Anton an Schlaf und Erholung. Er hatte mehr als genug Zeit, sich zwischen den Übungskämpfen mit Nalaryss auszuruhen, aber beim Nichtstun vergifteten düstere Gedanken seinen Verstand und im Schlaf quälten ihn die schrecklichen Visionen von Ashenya. Er hatte begonnen, Gebete, Gesetzte und Texte, die er auswendig kannte, zu rezitieren. Nicht um derer Inhalt willen – vieles davon schien im gerade in seiner jetzigen Situation unglaublich banal – sonder lediglich zur Ablenkung und Beschäftigung.


    Immer wieder fragte er sich, wie lange er noch hier festsitzen würde. Wie lange es gehen würde, bis er die Gelegenheit bekam, seine neue Herrin zu töten.


    Als er gerade einige besonders geschmackslose Passagen aus dem Lectitio Divinitatus vor sich her murmelte, betrat Nalaryss sein Gefängniss. Anton hörte sofort damit auf und fokusierte seinen Verstand auf das jetzt. Etwas stimmte nicht. Es konnten kaum mehr als eine halbe Stunde vergangen sein, seit er sein Training beendet hatte und die Drukhari ihn wieder alleine zurückgelassen hatte. Das sie nun wiedergekehrt war, war durchaus ungewöhnlich.


    »Mach dich bereit«, sagte Nalaryss noch während sie zielstrebig auf Anton zuschritt. »Heute wirst du deinen Wert unter beweis stellen«


    ***


    Maelarah blickte hinab in die Arena ihres Hauses. Sie lag zwischen dem Palast der Azrushar und den Refugien ihrer Getreuen. Die grosse Kristallkuppel, die sich über den hexagonalen Bau wölbte, verunmöglichte sowohl Flucht als auch Eindringen, liess aber die schwachen Strahlen der sterbenden Sonne ihr Licht auf die weissen, marmorähnlichen Platten strahlen, die den Boden der Arena bedeckten.


    Die Drukhari liess ihren Blick über die nur zur Hälfte gefüllten Zuschauerränge schweifen. Das Haus Azrushatora hatte wahrlich schon bessere Zeiten erlebt. Auch wenn die grosse Ära des alten Adels schon seit Äonen vorbei war, hatte ihr Vater doch immer Wert auf die alten Traditionen gelegt und zum Ruhme ihrer Dynastie ausschweifende Festspiele veranstaltet. Nach dem sein Bruder ihn ermordet und seinen Platz eingenommen hatte, verkam Dalrailac zu einem erbärmlichen Hort Ausgestossener, in dem diejenigen Zuflucht fanden, welche in Commorragh selbst keine Zukunft hatten. In den grossen Logen waren kaum mehr Mitglieder der alten Familien anzutreffen. Kaum mehr reinblütige Fleischgeborene, sondern Bastarde und Abkömmlinge niederer Drukhari. Alleine der Gedanken an diese in Brutkapseln gezüchteten Abscheulichkeiten ekelte Maelarah. Zumindest hatte der heutige Kampf potential, etwas mehr Vergnügen zu bereiten als die geistlosen Sklavenkämpfe, mit denen ihr Onkel seine Anhänger ruhigstellte.


    Auch wenn der Chem-Pan-Sey, der in ihrem Namen kämpfen würde, ein Geschenk ihres schandhaften Onkels war, würde es ein spezielles Spektakel werden. Der Mensch hatte sich Freiwillig in die Hand der Drukhari begeben – ein besonders niederträchtiger Verrat an seinem Volk. Doch wie weit würde er dabei gehen? Der Schmerz und die Scham, die er fühlen würde, wenn er die unverdorbensten seiner Spezies niederstreckte, würden besonders delikat sein.


    Maelarah hörte das leise Zischen des Sslyth, der in ihrer Loge wache hielt und wusste, dass er ihre Besucher gewittert hatte. Sie freute sich, den bevorstehenden Kampf mit einer alte Freundin geniesse zu können, deren Abstammung ebenso rein wie die ihre war.


    Die schweren, smaragdgrünen Brokatvorhänge der Loge wurden auseinandergezogen. Eine schlanke, hochgewachsene Drukhari-Frau betrat den Raum. Die arroganten Züge ihres blassen Gesichts wiesen auf eine noble Abstammung hin. Ihre langen, weißblonden Haare waren mit einer silbernen Nadel auf dem Scheitel hochgesteckt und zu einem strengen Zopf geflochten, der bis auf den Boden reichte, am Ende zusammengehalten von einer mehrgliedrigen, goldenen Spange in Form eines Schlangenkopfes. Silbernen Ketten hingen über ihren Hüften, daran wie Edelsteine winzige Phiolen mit purpurnen Flüssigkeiten. Dieser Schuck ließ sie als eine Tochter des Shaimesh erkennen, eine Anhängerin des Kultes der Lhamea.


    Die Farben ihrer Kleidung wiesen jedoch noch auf eine andere Zugehörigkeit hin. Über einem eleganten Kleid mit langen Handschuhärmeln und weitem Dekolletee aus schimmernder, blauvioletter Seide trug sie ein Mieder und einen hohen Kragen aus schwarz glänzenden Chitinplatten, an deren Kanten sich das gedämpfte Licht in irisierendem Grün und Orange brach. Sie trug die Farbe des Hauses DorchaKerun, jene, die für sich in Anspruch nahmen, Nachkommen des Kurnous zu sein.


    Unmittelbar nach der Frau traten drei weitere Drukhari ein, wahre Hünen unter ihresgleichen. Die Krieger trugen Plattenrüstungen wie aus glänzender Jade. Ihre Gesichter verbargen sich hinter schwarzen Masken, die Helme waren von messingfarbenen Hörnern gekrönt. Die Schärpen und Bänder an ihren Rüstungen waren nicht aus Stoff, sondern aus bleicher Haut. Ein jeder präsentierte auf den gebogenen, mit Dornen gesäumten Trophäenstangen an seinem Rücken, Schmuckstücke von erschlagenen Feinden. Auf der Brust jedes Kriegers schimmerte ein Seelenstein ihrer verachteten Vettern, der Asuryani, in Gold gefasst, tiefblutrot und zersplittert, einem ausgerissenen Herzen gleich. In Hände hielten sie breite, beidhändige Klingen aus schwarzglänzendem Obsidian.


    Nachdem der Vorhang hinter ihnen zugefallen war, blieben die Krieger stehen und rührten sich nicht mehr, als wären sie Statuen aus grünem Edelstein. Dennoch ging eine Bedrohung von ihnen aus, die jeden mit voller Härte treffen würde, der der jungen Frau zu nahem kam. Der Sslyth war angesichts solch mächtiger Elitekämpfer sichtlich nervös. Er bewegte unruhig seinen Körper auf und ab, wagte es aber nicht, die Neuankömmlinge anzusprechen.


    Die Lhamea blieb kurz stehen und schaute das vierarmige Schlangenwesen verächtlich an. Dann legte sie mit einem arroganten lächelnd den Kopf zur Seite und schritt auf Maelarah zu.


    »Deine Incubbi verängstigen meinen Sslyth«, sagte Maelarah zu der nach vorne tretenden Drukhari. »Es freut mich zu sehen, dass das Haus DorchaKerun noch immer so vorzügliche Krieger in seinen Diensten hat.« In ihrer Stimme lag unverblümt Neid und Verbitterung. Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte sie sich sogleich direkt an den Sslyth.


    »Verschwinde. Deine Dienste werden nicht mehr benötigt.«


    Sie wartete, bis das Alien die Loge verlassen hatte. Er dann liess sie ihren Blick von der eindrucksvollen Kreatur ab.


    »Viel besser«, flüsterte sie leise, ehe sie sich wieder der wohl gekleideten Drukhari-Adeligen zudrehte. Sie selbst war mit einem eleganten, transparenten Gewand gekleidet, unter dem eine kaum als solche zu bezeichnende Rüstung aus smaragdbesetzter Echsenhaut, nur die intimsten Körperstellen verdeckte. Sie wirkte eher wie eine Hekatari als eine angehörige des Adels. Ironischerweise war ihr Gast die Tochter einer Succubus, während sie selbst keinerlei direkten Bezug zu den Hagashîn-Kulten der Drukhari hatte.


    »Mein Onkel hat ihn bezahlt«, erklärte sie. »Es ist gut, dass du mit deinen eigenen Kriegern hergekommen bist. Es wäre eine Schande, wenn Llvayarzh von meinen Plänen erfahren hätte.«


    »Quisar hat darauf bestanden, sonst hätte er mich nicht alleine gehen lassen. Die Inccubi vom Orden der Gehörnten Jadeviper stehen im Dienst unseres Vaters, um meinen Bruder unter Kontrolle zu halten – oder zumindest glaubt der alte Mann dies.« Sirqa lachte verächtlich.

    »Ich freue mich sehr, dass du meiner Einladung gefolgt bist, liebste Sirqa.«


    »Es ist mir immer wieder eine Freude, deine Gastfreundschaft zu genießen, Maelarah.«


    Sirqa ließ ihren Blick über die Arena schweifen. Sie musste sich eingestehen, dass der sechseckige Bau beeindruckend war, wenn auch keinem Vergleich standhielt zu dem großartigen Theater ihrer Mutter. Schon als kleines Mädchen hatte sie dort bis auf den höchsten Ebenen der gewaltigen Fassade der Skene ihre Gegner mit Schnelligkeit und Gewandtheit zu Fall gebracht und hinunter in das Rund der Orchestra stützen lassen – wo der schwarze Fließsand sie in die Tiefen der Erde zog. Gelegentlich vermisste sie diese Zeit.


    »Dann hoffe ich, dir gefällt der Kampf, meine liebe Freundin«, antwortete Maelarah. »Ich bin zuversichtlich, dass es ein vorzügliches Spektakel sein wird. Auch wenn es natürlich nicht das Theater des Kultes der Dunklen Mutter ist. Aber ich versichere dir, auch wir haben ein unterhaltsames Programm zu bieten.«


    »Ich erwarte nichts geringeres, Maelarah. Die Schauspiele des Hauses Azrushatora haben einen ausgezeichneten Ruf.«


    »Uns es liegt an mir, dass dieser Ruf auch weiterhin bestehen bleibt. Die exquisiten Spektakel sind selten geworden. Mein Onkel zieht es vor, sich der Jagd hinzugeben oder sich in seinem Palast huldigen zu lassen. Ohne meinen vorzüglichen Geschmack gäbe es kaum mehr als simpelste Sklavenkämpfe, die höchstens den niederen Pöbel amüsieren könnten. Natürlich können aber auch meine besten Kämpfer, in der Arena nicht mit deiner anmutigen Eleganz konkurrieren.«


    »Wahrlich eine Schande, dass dein Vater sich nicht behaupten konnte.«, stimmte Sirqa eher beiläufig zu. Die Mealarahs Familienfehde interessierte sie nicht. Dass ihre Freundin aber Sirqas vorzügliche Kampffähigkeiten erwähnte, sprach für ihren guten Geschmack. Mealarah lud ihren Gast mit einer Handbewegung ein, Platz zu nehmen. Der massive Sessel glich einem kristallenen Thron und war mit samtweichem Fell bezogen, das eine absonderliche, orange-graue Musterung aufwies. Als Sirqa sich gesetzt hatte, nahm Maelarah eine Karaffe mit blassgoldener Seelenessenz und füllte zwei dünne, hohe Gläser auf, welche auf einem aufwendig gefertigten Kristalltischchen standen, dessen Oberfläche mit komplex gewundenen Reliefs verziert war. Die meisten davon zeigten exotische Wesen, von denen wohl alle bereits seit langer Zeit ausgestorben waren.


    Der Kampfansager erhob gleichzeitig seine durch abscheuliche Chirurgie verstärkte Stimme, als die beiden Drukhari-Prinzessinnen auf ihr Wohl anstießen.


    »Jubelt und ehrt das große Haus Azrushatora«, brüllte er, wobei sein Echo von der Kristallkuppel zurückgeworfen wurde, und die ganze Arena erfüllte. »Die grossartige Azrushar, unser glorreicher Herr und Gebieter, präsentiert eine besonders entzückende Auswahl an Sklaven. Seine uns allen bekannte Nichte, Maelarah aus dem Hause Azrushatora, präsentiert einen Fürsten der Chem-pan-sey, den sie vor nicht allzu langer Zeit als Geschenk unseres angebeteten Archons erhalten hat.«


    Maelarah spuckte voller Verachtung auf den Boden, als der Ansager ihren Onkel erwähnte.


    »Dieser Bastard ist eine Beleidigung«, zischte sie wie eine boshafte Schlange, den Rest der Kampfansage ignorierend. »Hätte er nicht eine Armee halbgeborenen Abschaums um sich geschart, würden nicht einmal die erbärmlichsten Sklaven ihm Ehre erbieten. Diese Arena gehört noch immer meinem Bruder!«


    Sirqa setzte ein unbestimmtes Lächeln auf. Rivalitäten innerhalb der hohen Familie waren Alltag in Commorragh. Im Haus DorchaKerun waren sie fester Teil der Kultur der Dynastie. Immerhin trug ihr Vater nach wie vor den blanken Schädel seines älteren Bruders auf seiner Rüstung. Der Verbleib ihres Großvaters war nie wirklich geklärt worden. Gerüchteweise hatte ihre Mutter, zu jener Zeit noch Unter-Succubus im Kult der Schwarzen Mutter, dabei eine Rolle gespielt. Und auch die Zahl ihrer und Quisars Halbgeschwister schwankte ständig. In dieser Beziehung waren die Azrushar und ihr Bruder nicht allzu verschieden. Auch Quisar war sich dazu nicht zu schade, die Hilfe jener in Anspruch zu nehmen, auf die ihr Vater nur herabsah. Bei allem Standesbewusstsein mangelte es ihm nicht an Pragmatismus.


    Anton wusste nicht, was ihn erwarten würde. Er wusste nur, dass es nun endlich so weit war. Er würde kämpfen müssen. Er würde einen ruhmvollen Kampf bieten und sich den Respekt der Drukhari verdienen. Er würde Ashenya aus den Klauen des Warps retten.


    Nalaryss stand vor ihm und blickte ihm direkt in die Augen. Sie sagte nichts, aber Anton verstand sie trotzdem. Die Übungskämpfe hatten ihm nicht nur einen Einblick in die Kampfweise der Eldar gegeben, sondern auch in die Persönlichkeit der Drukhari-Kriegerin. Sie würde ihn zweifelslos töten, würde er versagen. Doch Anton würde nicht versagen. Ein Versagen würde bedeuten, Ashenya für immer zu verlieren. Sie zu einem unendlichen Märtyrium in den Seelenfeuer des Immateriums zu verdammen.


    Der Inquisitor nickte zustimmend. Sie würde verstehen Sie würde wissen, dass er bis zum Äußersten gehen würde. Er ergriff also das Schwert, dass Nalaryss ihm entgegenstreckte. Die Klinge war von höchster Qualität, hatte aber ein gewaltiges Gewicht, so dass er sie nur beidhändig schwingen können würde. Ein stilisiertes Ultima-Symbol zierte die Parierstange und ein Aquila den Knauf. Es fühlte sich völlig falsch an, dieses Relikt des Adepta Astartes zu ergreifen, um damit im Namen einer Xenos-Herrin zu kämpfen. Aber hatte er eine Wahl? Wem auch immer diese Klinge gehörte, hatte sie wohl ebenso wenig freiwillig hiergelassen. Der Gedanke, dass ein Space Marine in dieser Arena sein Leben ließ, beunruhigte Anton zutiefst. Doch er musste standhaft bleiben. Er musste sich auf den Kampf fokussieren. Auf Ashenya.


    Die Stimme eines Eldar donnerte durch die Arena. Offenbar war es bald so weit. Anton begab sich zu dem vergitterten Zugang, der in den offenen Kampfplatz der imposanten Anlage führte. Nur Sekunden später öffnete sich das Fallgatter mit einer gleichmäßigen, sanften Bewegungm, in dem es lautlos nach oben gezogen wurde. Anton spürte wie Nalaryss’ Blick ihn von hinten durchbohrte, als er langsam seinem Schicksal entgegenschritt.


    Die Menge johlte, als der Inquisitor vor seine Zuschauer trat. Es war eine abnorme Mischung aus verächtlichem Gelächter, verletzenden Beleidigungen und belustigtem Hohn. Doch Anton war das egal. Diese Xenos würden bald erfahren, zu was er fähig war. Er Schritt über die Marmorplatten in die Mitte der sechseckigen Arena, bereit, sich seinem Feind entgegenzustellen.


    »Weisst du, die ganzen Sklavenkämpfe langweilen mich«, erklärte Maelarah. »Daher habe ich den heutigen Kampf etwas spannender gestaltet.«


    Eine Gruppe junger Frauen in zerfetzten Lumpen betraten die Kampfarena. Sie hatten alle schneeweißen, kinnlangen Haare mit kerzengerader Schnittkante an der Kopfvorderseite. Angeführt wurde die Gruppe von einer etwas älteren Frau mit derselben Frisur. Sie trug als einzige ein Kettenschwert, während der Rest unbewaffnet war.


    »Diese Weibchen sollen zu den reinsten und unschuldigsten Wesen ihrer Spezies gehören. Der Chem-Pan-Sey wollte sich mir freiwillig unterordnen. Sie abzuschlachten, sollte seine Seele derart zerrütten, dass die dabei freigesetzte Agonie köstlicher sein wird als der verzweifelte Überlebenskampf gewöhnlicher Cresistauead.«


    »Eine originelle Idee«, stimmte Sirqa zu. »Den Tierhetzen, die Quisar so liebt, mangelt es zuweilen an der psychologischen Komponente. Allerdings - habe ich dir je von den beiden Asuryani erzählt, die wir gefangen hatten?«


    »Nicht, dass ich mich erinnern könnte.«


    Sirqa lehnte sich zurück und griff nach ihrem Glas.


    »Erinnere mich nach dem Kampf daran, dies nachzuholen. Es wird dir gefallen.«


    Anton hatte eine Alienbestie oder einen Drukhari-Krieger erwartet, doch mit Sicherheit keine Schwestern der Adepta Sororitas. Er zählte neun Schwestern, acht davon waren kaum sechzehn Jahre jung, während Eine wohl mittleren Alters war. Sie war es auch, die die Gruppe anführte und als einzige mit einem imperialen Standard-Kettenschwert bewaffnet war. Die Roben der Sorotitas waren zerfetzt und auch beim besten Willen kaum mehr als Lumpen. Anton wandte instinktiv seinen Blick von der entwürdigend entblößten Weiblichkeit der Mädchen ab. Die Schwestern der Adepta Sororitas so vorzuführen war schon blasphemische Häresie, nicht nur gegen den Imperator, sondern gegen alles Menschliche. Verlangten die Drukhari wirklich, dass er Kinder töten sollte? Waisenkinder, wie er selbst eines war? Waisenkinder, deren Seele dem Imperator gehörten, wie keine Seele es sonst tat?


    Nur der Gedanke daran war so absurd, dass Anton glaubte, zu phantasieren. Doch so sehr er es sich wünschte, er konnte nicht leugnen, dass er in der Arena stand. Und neun Sororitas-Schwestern vor ihm.


    Sein Geist kollabierte. Er konnte das nicht. Er konnte keine Kinder ermorden. Natürlich starben in der Vergangenheit auch Kinder – durch seine Befehle, nicht nur auf Ysraal VI, das sich schmerzlich in seine Erinnerung zurückkämpfte, sondern auch viele Male zuvor. Aber trotz all dem war es etwas völlig anderes, unschuldige Kinder mit dem Schwert zu richten. Aber was war mit Ashenya? Um jeden Preis... Um jeden Preis musste er sie retten. Um jeden Preis? Auch wenn das hieß, unbewaffnete Kinder abzuschlachten?


    Ashenya bedeute ihm alles. Inzwischen mehr, als es das Imperium je tat. Aber würde er nun seine Waffe gegen diese Sorotitas erheben, würde er sich selbst zu ewiger Schuld verdammen. Er träumte davon, den Menschen zu helfen. Zusammen mit Ashenya, mit Hector, mit Jek. Aber würde dieser Traum nicht hinfällig, wenn er selbst zu einem der Monster wurde, von dem er die Menschen beschützen wollte?


    Anton war auf die Knie gefallen. Tränen liefen seine Wangen hinab. Er konnte sich nicht mehr bewegen, sein ganzer Körper fühlte sich taub an. Alles, was er bisher erreicht hatte, alle Opfer, die er gebracht hatte, wurden in Anbetracht dieses unmenschlichen Dilemmas nichtig. Dann wurde ihm unverhofft die Entscheidung, die er niemals hätte treffen können, abgenommen.


    »Verräter!« brüllte die Schwester mit dem Kettenschwert, ihre Schützlinge wie ein Regiment Gardisten hinter sich sammelnd. Sie kannte den Mann nicht, doch sie hatte die anderen Sklaven flüstern hören. Ein gefallener Inquisitor hatte sich den Xenos unterworfen. Hatte aus freien Stücken das Imperium verraten. Den Gottimperator auf blasphemischste Art beleidigt. Eine solche Sünde wog unendlich schwer. Diese Last zwang ihn nun auf die Knie. Der Mann vor ihr war zu gut genährt, zu gepflegt, um ein gewöhnlicher Sklave zu sein. Es musste sich um diesen Inquisitor handeln. Sie spürte, dass es so war. War es der Imperator, der ihr den Weg wies? Was auch immer es war, die Schuld dieses wankelmütigen Mannes war mehr als bewiesen. Das Urteil stand außer Frage.


    »Der Imperator ist ein Fels, der meinen Händen den Krieg gelehrt hat! Meinen Fingern den Kampf!«, begann die Schwester eine der kraftvollen Liturgien der Ekklesiarchie zu rezitieren.


    Die jugendlichen Novizen wiederholten die Worte, den Kopf gen Himmel gerichtet, als ob der Gottimperator jeden Moment innerhalb der sterbenden Sonne erscheinen würde, während ihre Obere auf den erbärmlichen Ketzer zu stürmte.Auch wenn Anton sich in einem katatonischen Zustand befand, gewannen seine Jahrzehnte lang geschulten Instinkte im Angesicht des Todes die Oberhand. Gerade im letzten Moment warf er sich zur Seite, so dass der kraftvolle, aber plumpe Angriff sein Ziel verfehlte. Anstatt dass das Kettenschwert seinen Schädel spaltete, streifte es Antons Arm und riss das Fleisch bis auf die Knochen ab. Er war kaum mehr bei Bewusstsein und hatte keine Kontrolle über sein Handeln, als sein Körper sich wie von selbst bewegte und eines der tausendfach eingeübten Kampfmanövern vollzog. In einem tödlichen Gegenangriff sprang er direkt auf die Schwester zu, die sich gerade im selben Moment, seiner Ausweichbewegung folgend, ihm zudrehte. Warmes Blut schoss ihm entgegen. Er roch verbranntes Fleisch. Erst jetzt gab sein Überlebensinstinkt die Kontrolle wieder an seinen Verstand ab und Anton merkte, dass er der angreifenden Sororita, das mächtige Energieschwert direkt in den Bauch gerammt hatte. Erschöpft liess er sich auf die Knie sinken. Die Verletzung an seinem Arm schmerzte fürchterlich, doch als er den Blick auf die grässliche Fleischwunde senkte, wandte er ihn sofort angeekelt wieder ab, Was auch immer die Drukhari mit seinem Arm gemacht hatten, als sie ihn vor Tagen ersetzt hatten, es war widerwertig und blasphemisch. Das Fleisch war aufgequollen und zog schleimige Fäden, während sich die Wunde von selbst zu verschließen begann. Mit Entsetzen wurde Anton bewusst, dass das nicht sein Arm war. Es war ein außerirdisches Etwas, dass sich an seinem Körper festgekrallt hatte. Die Xenos hatten ihn getäuscht.


    Sein Blick fiel wieder auf die Schwester, leblos vor ihm auf dem Boden lag.


    Ich habe sie getötet! dachte Anton. Aber ich musste es tun... ich hatte keine Wahl...


    »Amüsant, dieser Chem-Pay-Sey«, merkte Maelarah an, als Anton auf seine Knie sank, von seiner Tat selbst erschrocken und verstört. »Er hat sich freiwillig unserem Haus unterworfen. Doch trotzdem bereitet es ihm solche Pein, seine eigene Art zu töten.«


    »Dem kann ich nicht wiedersprechen«, pflichtete Sirqa bei. »Wie schade, dass es ihnen an der Kunstfertigkeit mangelt. Diese Kreaturen bewegen sich so plump, wenn sie aufeinander losgelassen werden. Aber mehr darf man wohl von Chem-Pan-Sey nicht erwarten.«


    Der seelische Schmerz des närrischen Inquisitors war purer Genuss für die Drukhari, die dem Kampf in der Arena beiwohnten. Der Schmerz, das Leid und die Verzweiflung ihrer Opfer hatten eine belebende, fast schon berauschende Wirkung, denn das Wesen der Xenos war durch Jahrhunderte der exzessiven Dekadenz immer weiter abgestumpft, so dass nur die drastischen Eindrücke in der Lage waren, ihr Gemüt zu erquicken.


    Bestialische Schreie aus acht zornerfüllten Kehlen rissen Anton aus seinen marternden Gedanken. Die Novizinnen der von ihm ermordeten Schwester rannten wutentbrannt auf ihn zu. Rechtschaffender Zorn brannte rachsüchtig in ihren Augen, Sie wollten Blut. Sein Blut.


    Mit vor Leid schmerzverzerrtem Gesicht richtete Anton sich auf. Er wollte nicht mehr kämpfen. Sollen diese jungen Schwestern ihn bei lebendigem Leib zerreißen. Vielleicht wäre es besser so? Aber war es nicht ein legitimes Ziel, Ashenya zu retten? Sie war mindestens so unschuldig wie diese Mädchen. Sie hatte nie jemandem Leid zugefügt. Und war es nicht das Imperium, das zum größten Anteil ihren Tod verschulden hat? War es nicht der Imperator selbst – seine vom Hass erfüllten Gesetze – die Ashenya in den Tod getrieben hatten? War es aufgrund dessen nicht fair, wenn diese Novizinnen, die den Imperator mehr als alle anderen als Gott verehrten, Verantwortung übernahmen und ihren Anteil darangaben, das geschehene Unrecht zu tilgen? In Antons Verstand tobte ein Sturm aus Schmerz, Verzweiflung und Selbstgerechtigkeit.


    Die ersten der jungen Sororitas erreichten Anton und gingen mangels anderer Waffen mit blossen Händen auf ihn los. Die schlugen auf ihn ein und bohrten ihre durch die Gefangenschaft verrotteten Fingernägel tief in sein Fleisch. Zuerst leistete der Inquisitor keine Gegenwehr. Es war sich nicht mehr sicher, was richtig und was falsch war. Er war zu schwach, eine Entscheidung zu treffen. Er konnte nicht länger Leben gegeneinander abwägen.War Ashenyas Schicksal besiegelt? Anton musste auch an Jek und Hector denken. Was würde mit ihnen passieren? War er nicht auch für seine Freunde verantwortlich?


    Eine Unzahl an Gedanken schossen ihm innerhalb weniger Sekunden durch den Kopf.


    Es war seine Schuld, dass alles so weit gekommen war. Er war immer viel zu schwach gewesen. Er war zu schwach, um die Menschen auf Ysraal VI zu retten. Er war zu schwach, sich gegen die barbarischen Dogmen des Imperiums zu stellen. Er war zu schwach, sich gegen Claudius durchzusetzen. Er war zu schwach gewesen, seine Forderungen gegenüber diesen Drukhari durchzusetzen.


    Sollte er nun erneut schwach sein? Zu schwach, um eine Entscheidung zu treffen? Zu schwach sich zwischen diesen Kindern und seinen Freunden zu entscheiden?


    Nein. Er hatte sich geschworen, seine Freunde niemals im Stich zu lassen. Ashenya um jeden Preis zu retten. Selbst wenn er sich gegen das Imperium stellen musste. Was war das Leben dieser Fanatikerinnen im Vergleich zu Ashenya? Im Vergleich dazu, was er zusammen mit Ashenya alles bewirken konnte? Im Vergleich zu den Abermillionen Leben, die sie zusammen schützen konnten, denen sie ermöglichen konnten, ein besseres Leben zu führen?


    Es war närrisch, Schwäche so viel Raum zu geben. Er war Inquisitor. Er hatte schon tausendmal schwerere Entscheidungen getroffen. Er hatte immer mit großer Weisheit und unter Anbetracht aller Möglichkeiten gehandelt. War es sein Fehler, wenn zufällige Faktoren seine ehrenhaften Absichten zunichtemachten? War er dafür verantwortlich? Nein. Er war nicht schwach. Er würde mit Leichtigkeit seine Entscheidung treffen. Er würde sie nicht bereuen. Seine Ziele waren Nobel, und er durfte sich nicht von zermürbenden Gedanken davon abbringen lassen. Er war im Recht, und die Zukunft würde den Beweis dafür liefern.


    Durch sein zögern hatte er den Novizinnen des Adeptus Sororitas genug Zeit gelassen, ihm einige schmerzhafte Verletzungen zuzufügen. Durch den Mangel an Waffen jedoch keine, die eine ernsthafte Gefahr dargestellt hätten.


    Anton richtete sich auf. Dann zog er das Schwert aus dem dampfenden Körper seiner niedergestreckten Widersacherin und stürzte sich auf die jungen Mädchen, die in wildem Fanatismus auf ihn einschlugen.


    Obwohl sie weder echte Freude noch tiefere Befriedigung empfand, lächelte Mealarah doch beim Anblick ihres Chem-Pan-Seys, der so mit sich selbst gerungen hatte, um am Ende trotz allem, wie ein hungriger Yr'ghul über diese Mädchen herzufallen.


    »Solche vergnügsamen Darbietungen sind einfach immer so kurzlebig... «, sagte sie, ehe sie die beiden Gläser mit der wabernden Seelenessenz auffüllte, die durch komplexe Verfahren in diese geschmacksvolle flüssige Form umgewandelt worden war.


    »Ich werde mein Geburtsrecht zurückholen«, wechselte sie dann abrupt und ohne Umschweife das Thema auf den eigentlichen Grund, wieso sie Sirqa eingeladen hatte. Sie nahm einen kleinen Schluck der Seelenessenz und fuhr dann fort: »Onkel ist schwach. Er hat Angst. Ich weiss, dass er mich sofort ermorden würde, aber ich habe an seinem Hof viele Verbündete. Er kann mir im Moment nichts antun, ohne seine eigene Machtposition zu gefährden. Aber mit jedem Tag wird er stärker... Darum brauche ich dich. Darum brauche ich das Haus DorchaKerun.«


    »Ach meine Liebe, und wieso sollte sich unser Haus in deine Familienangelegenheiten einmischen?« antworte Sirqa wenig überrascht.


    »Du weisst, dass dein Vater solche Geschwüre hasst, die sich zum Drukhari-Adel zählen und dabei vergessen, was für Blut durch ihre Adern fliesst. Er würde dir – und Quisar – einen Gefallen schulden, würdest du dabei helfen, ein solches Geschwür aus dem Drukhari-Adel zu entfernen.«


    »Unser Vater hält sich wohlweislich aus den Angelegenheiten der anderen Häuser heraus, solange sie seine eigenen nicht tangieren. Zudem, Quisar und ich, wir haben unsere eigenen Pläne. Und denen würde es nicht entgegenkommen, wenn er seine Aufmerksamkeit auf unser Tun richtet, weil wir entgegen seiner Agenda handeln und uns an den inneren Konflikten anderer Kabalen beteiligen.«


    »Von dem Bündnis, dass ich euch anbiete, könntet ihr auch für eure Pläne profitieren. Das Haus Azrushatora würde diesmal nicht einfach ein verbündeter des Hauses DorchaKerun sein. Ich würde persönlich dafür Sorge tragen, dass es dein Verbündeter ist. Für welche Unternehmung auch immer, meine Krieger würden dir zur Verfügung stehen.«


    Sirqa lachte. »Und was nützen uns deine Krieger, wenn wir sie für unsere Pläne nicht gebrauchen könne? Wir haben Verbündete unter jenen, mit denen du dich nicht gemein machen würdest. Auch unser Vater weiß das. Doch solange er seinen Blick darauf richtet, wie sein einziger überlebender Sohn und Erbe sich mit dem abgibt, was sowohl er als auch du Abschaum nennt, sieht Vater nicht, was - wir abgesehen davon - direkt unter seinen Augen vorbereiten. Und unsere Mutter steht mit ihrem Kult hinter uns. Das Bündnis mit einer anderen Kabale würde ihn zum Handeln gegen uns veranlassen.«


    »Ich verlange gar nicht, dass eine Streitmacht deines vorzüglichen Hauses in Dalrailac einmarschiert und überall den grünen Halbmond hisst«, versuchte Maelarah einzulenken. »In einigen Tagen feiert Onkel ein großes Gelage mit allen seinen wichtigsten Unterstützer. Auch wenn der Palast dann gut vereidigt sein wird, ist es die optimale Gelegenheit, diesen Bastard und alle, die ihm ergeben sind, umzubringen. Sobald Llvayarzh tot ist, werden sich die Fleischgeborenen unter seinen Krieger auf meine Seite schlagen und all jene, die sich mir nicht unterwerfen, umbringen. Ausnahmslos. Doch er wäre niemals so einfältig, mich in seine Nähe zu lassen. Daher brauche ich deine Krieger. Es gibt ein Tunnelsystem unter dem Palast, durch dass sie ohne einen direkten Angriff durchführen zu müssen, in den Palast eindringen könnten. Llvavarzh dann zu ermorden, dürfte keine Schwierigkeit mehr sein.«


    Verständnislos sah Sirqa Maelarah an. »Von Intrigen verstehst du in der Tat nicht viel, meine Liebe. Was denkst du, zieht so ein Vorgehen als Konsequenzen nach sich? Wer würde dich als Archon ernstnehmen, wenn du nicht einmal aus eigener Kraft imstande warst, dir diesen Titel zu nehmen?«


    Mealarah lachte amüsiert. »Und du verstehts offenbar nicht viel von Politik, Sirqa. Natürlich, ein Archon muss stark sein. Aber ich habe noch nie gehört, dass jemand eigenhändig die Hälfte einer Kabale massakriert und den Archon getötet hat, um die Macht so an sich zu reißen. Nein. Jeder benötigt eine Gefolgschaft. Abschaum, Söldner, machthungrige Krieger... Solche, die entweder dafür bezahlt werden, oder sich einen Vorteil davon versprechen, den Prätendenten zu unterstützen. Bei diesen zwingenden Voraussetzungen - wer besitzt größeres Ansehen: Jemand, der ein paar Söldner um sich geschart hat, oder jemand, dem ein mächtiges und ehrwürdiges Haus zur Seite steht?«


    »Jemand, der in der Lage ist, der Schlange das Haupt abzuschlagen, unerwartet und unberechenbar. Du bist dir sicher, dass die Krieger deines Hauses dir folgen werden, wenn du ihnen den Kopf der Azrushar präsentierst?«


    Maelarah sah Sirqa irritiert an. »Du meinst das wörtlich?«


    Sirqua lächelte vieldeutig. »Selbstverständlich.« Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: »Was für ein Mann ist dein Onkel?«


    »Ein Primat, verglichen mit meinen ruhmreichen Vorfahren. Er legt keinerlei Wert auf die alten Traditionen und Bräuche, welche unser Haus einst als eines der Edelsten auszeichnete. Die Privilegien der Fleischgeborenen verachtet er, was zugleich seine Stärke, als auch seine Schwäche ist. Die alten Familien verabscheuen Onkel, doch hat er sich einen Hofstaat aus niederem Gesindel aufgebaut, der zu ihm hält. Im Moment herrscht eine zerbrechliche Balance zwischen diesen Bastarden und den wahren Anhänger der Azrushar. Eine Balance, die sich schleichend zu meinen Ungunsten entwickelt.«


    »Nur weiter, erzähle mir alles. Ich will alles über ihn wissen«, forderte Sirqa, deren Interesse langsam erwacht ward.


    »Er ist kein Krieger«, fuhr Maelarah fort, »lässt sich aber dennoch als gewieften Meister des Kampfes feiern. Gewöhnlicherweise frönt er ausschweifenden Gelagen oder inszenierten Jagdausflüge, bei denen seine Schergen ihm zujubeln können. Seine schwächliche Physis verbirgt er mit arkaner Technologie, Masken und vornehmsten Gewändern. Und doch, trotz allen seiner Unzulänglichkeiten ist er keineswegs dumm. Seine Geduld ist außergewöhnlich und seine meist langfristigen Pläne äußerst durchtrieben. Außerdem wird er sich immer mehrere Möglichkeiten offenhalten und sich nicht davor scheuen, mehrere Wege gleichzeitig zu beschreiten.«Sirqa nippte an ihrem Glas. »Das klingt nach einer Herausforderung...«


    »Dann sind wir uns einig?!«, fragte Maelarah nach, wenngleich es eher mit durchaus feststellendem Ton. Ein boshaftes, erzwungenes Lächeln huschte über ihr plastisches, makelloses Gesicht. Der Gedanke, das zu bekommen, was ihr seid jeher Zustand, löste das allzu seltenes Gefühl echter Zufriedenheit aus.


    »Ich denke, das sind wir«, entgegnete Sirqa mit unheilvoller Bestimmtheit.