Tasha war hundemüde.
Völlig erschöpft schleifte sie ihre schweren Füße durch Korridore des Schlachtkreuzers. Jeden Schritt musste sie sich mit einem unangenehmen Druck auf die Fersen erkaufen. Ihr Arme hingen völlig schlaff von ihren Schultern herunter, wurden nur durch ihre Schritte dazu angeregt, sich überhaupt noch zu bewegen. Ihr gesamter Oberkörper war eine schwere Masse, die sich mit Mühe transportieren ließ, ihren Kopf konnte sie gerade so noch aufrechterhalten.
Ich könnte das vielleicht noch ertragen, wären nur diese Flure nicht auch so furchtbar kalt.
Die Gänge bestanden zum größten Teil aus Plaststahlplatten, kahl und ohne Anstrich. Die einzige Verzierung bestand aus einem Wirrwarr von Leitungsrohren, Ventilen, einer Luke hier und da, vielleicht noch einer imperiale Ikone, wenn die Schrauber beim Bau damals gute Laune gehabt hatten. Beleuchtet von den Schiffslumen in einem kühlen Weiß schimmerten die Wände um sie in einem schwachen Stahlblau. Pragmatisch, wie es von der Imperialen Armee erwartet wird, aber es hätte nicht geschadet, hin und wieder etwas Abwechslung reinzubringen; wenigstens damit man sich nicht so leicht verlaufen konnte. Immerhin war Sie allein unterwegs. Niemand in ihrer Nähe, der ihr auf den Senkel gehen konnte.
Sie fuhr mit ihren Fingern über eines der inaktiven Heizungsrohre, während sie langsam den Flur entlang ging. Wieviel Zeit war tatsächlich vergangen? 10 Stunden, 15 etwa? Ihre gesamte Schicht hatte Tasha in ihrem Hangar verbracht, nicht einen Millimeter außerhalb des Wartungsbereichs. Sie wusste, dass sie mindestens eine Essensausgabe verpasst hatte und die tägliche Besprechung des leitenden Maschinenpersonals, aber sie konnte einfach nicht mit ihrer Arbeit aufhören. Wenn sie sich einmal an einer Herausforderung verbissen hatte, dann wollte sie auch nicht mehr loslassen, und der Maschinengeist von Barber Six-Four’s Leitsentinel wollte partout nicht aufhören zu schreien.
Hartnäckiger, kleiner Karker. Ließ sich überhaupt nicht zum Schweigen bringen, aber wenn es etwas gibt, was noch sturer ist als ein ungezähmter Antriebsmotor, dann ist es deine eigene Versessenheit.
Seit ihrem Beginn bei Outcomes verfolgte Tasha nur ein einziges Mantra: Kein Fahrzeug verlässt deinen Hangar, bevor es nicht schnurrt, wie eine cordanische Katze.
Es brauchte unzählige Ölwechsel und mindestens genauso viele Predigten an den Omnissiah des Maschinenkults, bevor der Maschinengeist überhaupt Anzeichen eines Fortschrittes von sich gab, aber der Aufwand hatte sich letzten Endes doch noch gelohnt.
Als sie endlich fertig mit ihrer Arbeit war und Major Lintov um einen Testlauf bat, konnte sie sein breites Grinsen selbst 2 Meter unter seinem Sentinel noch sehen. Nie zuvor habe er seinen Läufer so geschmeidig lenken können; nach seiner Aussage. Er war zufrieden, aber was noch wichtiger war, Tasha war mit sich selbst im Reinen.
Zumindest bis zu dem Zeitpunkt, bevor sie sich auf den Weg zu ihrer Kajüte begab.
Jetzt war ihr nur noch nach umfallen zumute: ihr Magen war absolut leer, ihre Blase bis zum Rand voll, die Haare mit Öl verschmiert und sie konnte schwören, dass sie sich mindestens zweimal die Schenkel an einem Plasmaventil verbrannt hatte, als sie sich kurz hatte setzen wollen. Alles, wonach sie sich sehnte, war eine angenehme Dusche und die molligen Laken ihrer Pritsche.
Vergiss die Dusche, die wird morgen auch noch für dich zur Verfügung stehen. Ein kurzer Besuch der Latrine und wenn du es schaffst, nicht auf der Schüssel einzuschlafen, ab in die Koje!
Sie machte an der T-Kreuzung vor ihr eine Wendung nach rechts und war schon auf halben Weg zu ihrer Kabine, als sie Schritte im Gang hinter sich vernahm.
„Hey, Dancer …“
Sie erkannte die Stimme sofort. Ein lebhafter Schwung, gemischt mit einer Prise Sarkasmus. Nur Adrian Crenshaw war in der Lage, mit so wenig Worten Emotionen in einer Person hervorrufen, und obwohl seine Stimmung fröhlich klang, hatte Tasha eine völlig andere:
Angepisst.
Sie blieb im Gang stehen, drehte sich aber nicht zu ihm um. Tasha hatte nicht das Bedürfnis, sein Gesicht zu sehen, denn sie wusste bereits, was auf sie zukommen würde. Er war die Sorte Mensch, die es fertigbrachte, einen verkrüppelten Soldaten zu ermutigen, Klimmzüge mit den bloßen Zähnen zu vollziehen. Seine Gabe zur Motivation war übermäßig; jetzt aber nervtötend.
Sicherlich würde er sie gleich fragen wollen, wo sie die gesamte Zeit über gesteckt hatte. In welcher Ecke sie sich verkrochen hatte, um in Ruhe gelassen zu werden. Würde er ihr verschwitztes, abgehungertes Gesicht sehen, er würde sofort schmunzeln, sie bei den Schultern packen und zur Kombüse zerren, wo er garantiert noch etwas Warmes zu Essen für sie auftreiben würde.
Das wollte Tasha um jeden Preis vermeiden.
„Was?! Hat das auch später Zeit? Ich bin geschafft für Heute“ klagte sie. Tasha war sich nicht sicher, ob sie die Worte noch in einer gesitteten Tonlage von sich gab, oder Adrian bereits entgegenraunzte.
Es war nicht so, dass sie ihn nicht leiden konnte. Schließlich war er es gewesen, der sie aus der Arrestzelle rausgeholt und ihr eine neue Stelle in dieser Privatarmee angeboten hatte. Eine weitaus bessere Alternative, als Straflegion oder das Exekutionskommando, und sie hatte keine Zeit vergeudet zu beweisen, dass sie die Investition ihrer Freilassung wert gewesen war.
In diesem Moment jedoch war ihr überhaupt nicht nach guter Laune zumute. Ihr war kalt, sie war erschöpft und stank nach einer Mischung aus Öl, Plasma und Schweiß.
„Ich wollte dir nur Bescheid geben, dass der Alte wieder zurück ist“, sagte er mit einem leicht amüsierten Ton.
Der Alte. Er sprach von Colonel MacAllistor, einer der Gründungsväter von Ex-O. Sie hatte die Geschichten von ihm gehört; wie er jahrzehntelang dem Imperium treu gedient und dann aus eigenem Antrieb mit einer Handvoll seiner besten Truppen den hiesigen Schlachtkreuzer an sich nahm, nur um eine private Söldnerarmee ins Leben zu rufen hatte. Diese Söldnerarmee, die ihr ein weiteres Leben ermöglicht hatte.
Etwas regte sich in ihr.
Ihre Haltung wurde sofort aufrecht, ihr Kopf auf einmal federleicht. Tasha drehte sich auf ihrer eigenen Achse mit einem wiederkehrenden Elan um, wie sie es für heute nicht mehr für möglich gehalten hatte. Das Stechen in ihren Zehen ignorierte sie gekonnt, und sie begann mit großen Schritten auf ihn zuzulaufen, ungeachtet der schweren Stiefel, die bis vor wenigen Sekunden noch sich wie Betonklötze angefühlthatten.
All ihre leiblichen Beschwerden waren auf einmal wie weggefegt. Ihre Glücksgefühle hatten die Kontrolle übernommen.
Du glorreicher Bastard, dachte sie. Du findest immer die passenden Worte, die einen aufbauen können.
Sie wollte sich sofort bei ihm für ihre Tonlage entschuldigen, aber sie sah anhand seiner Haltung, dass er ihr keinen Groll gegen sie hegte: Er stand in der T-Kreuzung, ein breites Grinsen auf dem Gesicht, die rechte Hand an seiner Hüfte, die Linke mit dem Daumen herauszeigend den Korridor entlang. Er wusste sehr genau, was seine Aussage für sie bedeutete. Tasha lächelte ihn an. Selbst ohne diese Geste war ihr sofort klar, in welche Richtung sie laufen musste.
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Tasha sprintete die Gänge der Quartiere entlang. Ein paar Türen waren geöffnet, andere wiederum verschlossen. Sie erkannte viele der alten Gesichter wieder, zwischendrin aber auch ein paar Frischlinge, die wohl vor Kurzem erst angeheuert worden sein mussten.
Einer der Neuen pfiff ihr hinterher. Ihr war nicht bewusst, was oder wen er meinte. Erst als ein großes Raunen von der Menge folgte, war klar, was angedeutet war.
Fegger.
An jedem anderen Tag hätte sie eine sofortige Kehrtwendung eingelegt und wäre dem Karker mit den Füßen zuerst ins Gesicht gesprungen. Jetzt aber hatte sie keine Zeit für solche Spielchen. Einer der Alteingesessenen wird ihn schon früh genug zurechtstutzen und deutlich machen, was bei Outcomes geht, und was nicht. Für Außenstehende mochte Exterminus zwar eine etwas lockere Haltung was Disziplin angeht, aufweisen, aber Respektlosigkeit untereinander wurde selbst auf der untersten Soldstufe nicht toleriert. Keiner von ihnen war zu irgendeinem Zeitpunkt gezwungen worden, der Firma beizutreten, und sie alle hatten bei ihrer Auswahl bereits gezeigt, was sie draufhatten. Willig und fähig, mehr brauchte es nicht, um Söldner bei Exterminus Outcomes zu werden.
Tasha hatte den Vorfall schon bei der nächsten Abzweigung wieder vergessen. Sie konnte es gar nicht abwarten, ihr Ziel zu erreichen.
Tavish MacAllistor war die letzten Wochen auf einer Säuberungsaktion im Lycos System unterwegs gewesen. Eine unbekannte Anzahl von Aufständischen hatte dort den planetaren Oberhäuptern Kopfzerbrechen bereitet. Die lokalen Streitkräfte waren überfordert und die imperiale Armee selbst hatte noch nicht auf Anfragen für Unterstützung geantwortet. Also wurde Exterminus Outcomes als dienstleistende Kampfkraft engagiert. Jedenfalls so ähnlich wurde das innerhalb der Runde durchgereicht. Wenn sie ehrlich war, hatte Tasha bei dem Briefing nur mit halbem Ohr zugehört. Sie wurde ja nicht für die Mission mitbestimmt, also ging ihr das ganze Drumherum herzlichst am Arsch vorbei.
Was jedoch nicht an ihr vorbei ging, war die Tatsache, wer alles an dem Auftrag teilnahm.
Die nächste Kreuzung rechts und du bist am Ziel.
Es war nicht so, dass Misha, Torg und Brik zum ersten Mal allein, ohne ihre Unterstützung, in den Kampf zogen. Fegg, sie hatten Schlachten geschlagen, lange bevor sie sich überhaupt zum ersten Mal über den Weg gelaufen waren. Die Ogryns waren kampferprobt und konnten sich mit jedem messen, der ihnen offen im Weg stand. Das war jedoch auch zu einer Zeit gewesen, als sie allesamt noch Teil der imperialen Armee gewesen waren. Das Regiment verfügte damals über eingeweihte Kommissare, die genau wussten, wie sie die mentale Differenz der Abhumanen zu behandeln hatten. Wie sie ihre Schlichtheit zu einem Vorteil verwandeln konnten, ohne dass dabei die Disziplin vor die Hunde ging.
Jetzt war das alles nicht mehr so einfach. Tasha konnte nicht so ohne Weiteres die Zuständigkeit der Ogryns an andere weitergeben. Als sie effektiv Fahnenflucht beging, konnte sie die drei davon überzeugen, ihr zu folgen. Damals glaubte sie, dass sie ihnen damit einen Gefallen tun würde. Das war jedoch, bevor ihr einfiel, dass womöglich keiner in dieser Söldnerfirma wirklich Erfahrung mit Ogryns hatte, oder schlimmer noch, ihre Naivität voll ausnutzen würde.
Ohne dass sie es wirklich beabsichtigt hatte, und ohne echtes Training, übernahm sie die Verantwortung für die Kampfkolosse, sorgte dafür, dass sie nicht unfair behandelt oder negativ aus der Reihe tanzen würden. Im Gegenzug hatten sie immer dafür gesorgt, dass Tasha ungestört von allen ihre Arbeit vollziehen konnte, wenn sie danach fragte. Der Trick war es, sich auf ihre simple Natur einzulassen. Selbst mit einem Bone’ead-Implantat war die Mentalität eines Ogryns nicht viel anders als die eines heranwachsenden Kindes. Befehle, komplexer als ein „Bewach‘ diesen Eingang und lass‘ keinen Fremden rein!“ sollte man einem Ogryn besser nicht geben. Es würde sie nur verwirren und zu unvorhersehbaren Konsequenzen führen.
Nachdem Tasha dies verstaen hatte, fiel es ihr leicht, ihre drei Schützlinge im Zaun zu halten. Obwohl sie nicht ihr eigenes Blut waren, befolgten sie jedes ihrer Worte, manchmal sogar wortwörtlich, und nicht selten kam es dazu, dass dies auch zu durchaus ulkigen Ergebnissen führte. Sie erinnerte sich immer wieder gerne an den Moment, als sie Torg eine Kiste voll Granaten in die Hände gedrückt hatte und befahl, sie anstürmenden Orks entgegenzuwerfen. Er tat genau das, was ich ihm gesagt hatte. Er hielt die Kiste in seinen riesigen Patschehände, nahm einen gewaltigen Anlauf und warf die Kiste mit voller Wucht direkt an den Kopf des größten Flash Git, den er in der Menge finden konnte. Die darauffolgende Kettenexplosion hatte noch Stunden in ihren Ohren geklingelt. Momente wie dieser waren der Grund, weshalb sie die Gesellschaft der Ogryns so liebte. Der Imperator selbst musste seinen Schutz über sie gelegt haben, um sich an ihren Spirenzchen zu ergötzen. Eine andere Erklärung konnte es einfach nicht geben.
Dieses Mal jedoch war ihre technische Expertise außerhalb des Schlachtfeldes benötigt worden, und der Auftrag war ohne die Stärke der Ogryns nicht zu bewältigen. Colonel MacAllistor bestand darauf, dass Brik und seine Artgenossen mit dabei waren. Alles, was sie also tun konnte, war zuzusehen, wie ihre Freunde ohne sie loszogen, und zum goldenen Thron beten, dass der Alte nicht die falschen Befehle gab.
Offensichtlich hatte er das nicht, dachte sich Tasha, und wenn Adrian ihr die Info mit einem Lächeln im Gesicht überbrachte, dass er zurück war, bedeutete dies, dass auch ihre Kumpels wieder bei ihr waren. Noch während sie über all dies nachdachte, bog sie in den Gang ein, in dem ihre drei Klopse untergebracht waren. Wegen ihrer enormen Größe passten sie in keine der herkömmlichen Kajüten. Ein Lagerraum hatte für sie angepasst werden müssen. Sie brauchte noch ein paar Schritte, bevor sie vor der Luke stand, konnte aber schon durch die verschlossene Tür eine größere Aufregung vernehmen. Sie nahm die Griffe der Schleuse in ihre Hände und schob sie zum Entriegeln des Schließmechanismus nach unten. Dann drückte sie sich mit ihrem ganzen Gewicht in die Tür, um sie öffnen zu können. Normalerweise eine Leichtigkeit für sie; in diesem Moment fiel ihr jedoch wieder auf, wie sehr sie eigentlich geschafft war.
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Warmes Licht schien ihr entgegen. Die Lumen in dem Lagerraum waren ausgewechselt und mit mehr Energie versorgt worden. Eine Vorsichtsmaßnahme, um den Raum heller und größer erscheinen zu lassen. Ogryns haben eine abgrundtiefe Platzangst. Wenn sich auch nur einer dieser Kolosse in die Enge gedrängt fühlt, dann Imperator schütze uns, ist das gesamte Schiff in Gefahr, gab sie unmissverständlich an die Offiziere von Ex-O weiter.
Der Raum selbst war sehr karg. Abgesehen von mehreren Pritschen, die zu großen Betten zusammengestellt waren, gab es nur noch drei große Schränke, ein jeder für den gesamten Besitz ihrer Freunde. Das alles war entlang der Wände aufgestellt. An den Plaststahlplatten klebten ein paar Propagandaplakate des Imperiums. Ansonsten war jeder freie Millimeter übersät mit Kratzereien der Ogryns.
Brik stand links vom Eingang. Er stützte sich mit einer Hand an der Wand ab, mit der anderen hielt er einen Promethiumkanister, der als Wasserflasche umfunktioniert war. Er beobachtete die beiden anderen vor sich. In der Mitte des Lagerraums stand eine riesige Transportkiste aus Holz, versehen mit Nummern und Insignien der imperialen Armee. Auf ihr saß Torg, die Beine baumelnd, wie ein aufgeregtes Kind. Misha stand rechts davon und versuchte verzweifelt den Deckel der Kiste mit einem Messer aufzuhebeln.
Als Tasha die Tür öffnete und im Eingang stand, wandten sich alle Blicke auf sie.
„Boss Tascha“, schallte es ihr freudig im Chor entgegen. Würden ihre Ohren nicht schon von dem heutigen Maschinenlärm klingeln, sie täten es jetzt garantiert. Sie musste darüber kichern. Sie vermisste diesen Enthusiasmus, der ihr entgegengeworfen wurde.
„Hey, ihre Großen. Was habt ihr da für einen Klotz in eurem Raum platziert?“ wollte Sie wissen. Soweit sie sich erinnern konnte, stand sie jedenfalls noch nicht hier.
„Extra Rationen“, gab Torg mit einem strahlenden Gesicht ihr zur Antwort. Seine baumelnden Gliedmaßen nahmen an Bewegung zu als er dies aussprach. „Big Boss Makalistah sagt, Ogryns haben ordentlich Glatsköppe verdroschen und Belohnung verdient.“
Die Aussage kam von Brik, noch immer lehnend an der Wand. „Glatzköpfe? Ein Kult etwa?“ fragte Tasha bedenklich. Brik zuckte leicht mit den Schultern, während er einen Schluck aus seiner improvisierten Wasserflasche nahm. „Jo, scho' möglich. War'n echt komische Kerle. N' paar von denen hatten nich' mal die richtige Menge an Armen. Hat trotzdem nichts genutzt.“
Er trug seine Maske nicht. Sie hörte die Worte, die er von sich gab, unverhüllt. Eine Seltenheit, wie ihr auffiel. Sein Gesicht war übersät mit Narben, der Unterkiefer ragte nach vorn, ein paar spitze Zähne lugten über seine Lippen hinaus. Vor Jahren hatte ein Neuling mal behauptet, dass ihm nur ein grüner Anstrich fehlen würde und er wäre imstande gewesen, als Boss-Nob in einem Ork Klan unterzukommen. Das kränkte Brik natürlich sehr. Soweit sich Tasha noch daran erinnern wollte, war das Nächste, was sie von dem Rekruten vernahm, ein kurzer Aufschrei, dicht gefolgt von einem Geräusch, was sich so ähnlich wie das Zerdrücken einer Melone anhörte. Armer Bastard, aber er hatte nicht viel Anderes verdient. Es war nicht die Belustigung selbst am Aussehen Briks, die ihm dieses Schicksal eingebrockt hatte. Nein, vielmehr die Tatsache, dass er ihn mit einem Xenos verglichen hatte. Abhuman oder nicht, Brik war noch immer Teil der Menschheit und damit weit über diesem Alien-Abschaum hinweggestellt.
„Willste was abhaben, wenn de Box auf is‘?“ fragte Torg aufgeregt, noch immer auf der Kiste sitzend. Tasha blickte zuerst ihn an, dann neigte sie ihren Kopf leicht, um die aufgedruckten Schriftzüge besser lesen zu können: Soylent Veridian. Corpse Starches. Ihr wurde ein wenig mulmig bei dem Gedanken. Sie hatte zwar ziemlich großen Hunger, konnte sich für heute aber eine bessere Mahlzeit vorstellen. In den Regimentern war die Gerüchteküche um die „geheime“ Zutat der Rationen nie vollkommen abgeklungen. Der fade Geschmack von dem Zeug tat sein Übriges.
Sie verlegte ihren Blick zurück auf ihn. „Ich weiß nicht. Immerhin ist das hier eure Belohnung. Ihr habt es euch verdient und ich kenne doch euren Appetit. Von dem ganzen Zeug wird sehr schnell nichts mehr übrigbleiben“, wollte sie sich rausreden. Sie rief sich in Gedanken, dass es im Gegensatz zu ihr einen Ogryn überhaupt nicht stört, wenn sein Essen nach gar nichts schmeckt. Er musste nur genug davon abbekommen. Es gab keinen größeren Fehler, als sich zwischen einem Ogryn und einer deftigen Mahlzeit zu stellen.
„Ah, Quatsch! Bist doch Boss Tasha. Wirst uns schon nichts wegfuttern“, konterte Torg. Misha lächelte sie mit seinem angestrengten Gesicht leicht an, während er weiterhin neben der Kiste kniete. Ihre Augen schwangen über auf Brik, der mit einem kurzen Nicken zu Verstehen gab, dass er mit dem Vorschlag einverstanden war. Tasha war erstaunt. Sie wusste, dass sie dieses Angebot nicht ablehnen konnte. Ein Ogryn, der freiwillig etwas von seinem Essen abgab, und sei es nur ein winziger Krümel, zollte damit die für ihn höchste Form von Respekt.
„Okay, aber sagt nachher nicht, ich hätte euch nicht vorgewarnt“, gab sie grinsend in die Runde zurück. Die drei Ogryns fingen an zu lachen. Selbst durchnässt und in voller Kampfmontur wog sie nicht einmal ein Zehntel von dem, was einer ihrer Kumpels aufbranchte. Nein, sie stellte keine 'Gefahr' für ihren Rationsberg dar.
Während ihrer Unterhaltung versuchte Misha weiterhin, die Kiste aufzubrechen. Der Deckel wollte sich trotz seiner rohen Kraft keinen einzigen Millimeter bewegen. Dass ihm Torg durch seinen breiten Arsch oberndrauf das erschwerte, wollte ihm nicht so recht auffallen.
Tasha fand dieses Schauspiel urkomisch.
Sie war im Begriff, Torg darauf anzusprechen, als Misha selbst das Wort ergriff.
„Ey, Kumpel, kannst'e ma' runterkommen un‘ mit anpacken? Die Box hier will nich aufgeh‘n.“ Tasha musste sich zusammenreißen, nicht lauthals loszulachen. Ihr fiel noch rechtzeitig wieder ein, dass sie seit Stunden gewaltig pissen musste. Ein unkontrolliertes Gelächter jetzt würde nur eine unangenehme Sauerei in ihrer Stoffhose verursachen.
"Ok." Torg schwang sich von der Kiste herunter. Mit einem kräftigen Wusch entfernte er seine gesamte Masse von dem Deckel, ein dumpfer Aufschlag folgte ihm zum Fußboden. In dem Moment, als sein Gewicht nicht mehr blockierte, nahm Misha einen weiteren Anlauf. Der Deckel sprang mit einem lauten Knacken sofort auf und flog im hohen Bogen in die Luft. Misha hingegen verschlug es in eine völlig andere Richtung. Durch den fehlenden Widerstand gab es nichts mehr, was seiner Gewalt entgegenhielt. Mit einem ungebremsten Schwung landete der Ogryn, Gesicht zuerst, auf den Bodenplatten ihrer Kabine. Tasha konnte fast sich nicht mehr halten.
„Oi, hast's ja doch allene g’schaft, Kumpel“, gab Brik amüsiert von sich. „Bin halt doch der Stärkste 'ier“ antwortete Misha, das Gesicht noch immer auf den Boden gerichtet. Torg wiederum wandte sich freudig der Kiste entgegen, nahm eine der Dosen in die Hand und begann, den Metaldeckel abzuziehen. „Oh, lecker! Futter!“
Tasha stand noch immer im Eingang der Kabine, während sie dem Spektakel zusah. Sie musste ihre Beine ineinander verkreuzen und sämtliche Reserven aus sich herausholen, um sich nicht versehentlich vor lauter Lachen auch noch einzupinkeln. Mit einer verkrampften Haltung drehte sie sich um, in der Hoffnung, dass ihr der Anblick von Mishas eingequetschtem Gesicht nicht auch den Rest geben würde. „Entschuldigt mich, Leute. Ich muss kurz verduften“. Sie wollte so sehr diesem Schauspiel weiterhin Zeugin sein. Es war schon eine ganze Weile, dass sie so unbekümmert lachen konnte, doch der Ruf der Natur war einfach viel zu groß geworden. Eilig blickte sie die Gänge auf und ab, suchend nach einem Hinweis auf das nächstgelegene Klosett. Als sie das rettende Schild sah, begann sie mit großen, hastigen Schritten darauf zuzurennen. Sie bekam noch mit, wie ihr Brik hinterherrief. „Oi, Boss! Wo willst'e denn hin?!“ Sie hörte die Sorge in seinen Worten. „Keine Panik, ich bin gleich wieder zurück. Lasst mir einfach 'nen Happen übrig“, johlte Sie in seine Richtung. „Ok, Boss, aber mach nich' so lang! Misha will um de halbe Kiste armdrücken!“
Keine Sorge, Großer. Das Spektakel will ich mir nicht entgehen lassen.