Kapitel 6
„Ich hatte nicht erwartet, dass der Nervösling euch tatsächlich findet“, gestand Athlan, während sie um eine Ecke bogen. Er konnte sehen, wie Dalaan kurz überlegte, was er meinte, bis ihm aufging, dass Athlan von dem gehetzten Meldegänger sprach. „Ach so“, erwiderte er schließlich, und mit einem verschwörerischen Lächeln fügte er hinzu: „Ja, also gefunden hat er uns schon, aber er hat uns nicht gesagt, dass es losgeht“ Athlan war noch nicht in der Stimmung für derartige Spielchen. Daher entgegnete er ungewohnt schroff: „Nicht jetzt, Dalaan. Woher wisst ihr dann Bescheid?“ „Der Kommissar hat’s uns geflüstert“ entgegnete sein Freund und setzte damit das Spiel ungerührt fort. Es war unglaublich. Musste er ihm denn alles aus der Nase ziehen?
Bevor er nachharken konnte, stellte der Leutnant jedoch fest, dass er sich an keinen Kommissar bei der Lagebesprechung erinnern konnte. Gerade bei der gegenwärtigen Situation hätte jemand mit dieser Position unmöglich fehlen können. Er hätte einfach nicht fehlen dürfen!
Auf dem nächsten Teil des Weges hüllte sich Athlan in Schweigen und hing seinen Gedanken nach. Die Reaktion Dalaans beschränkte sich auf ein knappes Schulterzucken. Anschließend ließ er sich nach hinten fallen und reihte sich zwischen Sergeant Godot und Rin ein, die heftig darüber diskutierten, wer denn, beim Thron, die Würfel in der Baracke hatte liegen lassen.
Indessen kam Athlan zu dem Schluss, dass er die Entwicklung, vor allem was den Kommissar betraf, beunruhigend finden sollte.
Weder wusste er, dass ein Agent des Kommissariats erfolgreich den Stützpunkt erreicht hatte, noch würde dieser einen Marschbefehl übermitteln. Sie bogen um die letzte Kurve und mit dem ersten Blick auf den Appellplatz wurde es Athlan schlagartig klar: Der Kommissar hatte den Befehl zum Aufbruch nicht übermittelt; er hatte ihn angeordnet…
Vor sich sah der Leutnant die 36 Soldaten mit drei zusätzlichen schweren Boltern, sowie den Rest seiner Kommandoabteilung. Sie alle verharrten in tadelloser Haltung und vermutlich wäre jeder cadianische Befehlshaber bei diesem Anblick von Stolz erfüllt. Das Armaplast war noch neu, tiefgrün und ohne einen Kratzer. Die Waffen funkelten, genau wie die Augen der Soldaten. Ein kräftiger Windstoß fegte über das Lager hinweg. In der Enge der schmalen Durchgänge zwischen den Baracken gewann er an Kraft und als er den Platz erreichte, trug er so viel Sand mit sich, dass es für einen Moment so schien, als würde sich die Kompanie auflösen. Die Tuniken hoben sich kaum noch von dem Sand in der Luft ab und nur die Rüstungen waren zu erkennen. Keiner der Soldaten erhob die Hand, um die Augen vor dem aufgewirbelten Staub zu schützen. Eiserne cadianische Disziplin.
Das einzige, was sich vehement weigerte im Wind zu verschwinden, war die schwarze Kommissarsuniform.
Kapitel 7
Severin war auf dem Rückweg vom Landungsboot. Lange Zeit hatten sie vergeblich versucht Kontakt zum Hauptquartier herzustellen. Vor einer halben Stunde war ihnen dies endlich gelungen. Laut der Weisung des Oberkommandos hätten sie sich unverzüglich zur Basis begeben müssen. Severin jedoch, der seit mehr als zwei Dekaden die F- Kompanie führte, hatte nicht vor, diesem Befehl ohne weiteres Folge zu leisten. Indem er mit seiner Kompanie, einen kleinen Bogen gen Norden schlug, würden sie den Punkt passieren, an dem später ihre Verteidigungsstellungen vorgesehen waren. Es war ihm ein Rätsel, warum man ihn nicht direkt dorthin schickte, sondern er zuvor zum Stützpunkt sollte. In einem Tag konnten sie im Zielbereich sein. Von da aus waren es wiederum ein bis zwei Tagesmärsche bis zum Lager.
Der Plan des Kommandos verzögerte das Einnehmen der Stellung um mindestens vier Tage. Fünf, wenn er den Umweg in Kauf nahm, um einen ersten Eindruck zu erhalten. Zwar würde er dafür von Oberst Solas gerügt werden, aber für ihn war das eher eine Formsache. Er und Solas standen sich nicht sonderlich nahe, doch respektierten sie einander aufgrund ihrer militärischen Fähigkeiten.
Außer ihm und seinem Stab hatten sich zwei Veteranentrupps, ein Sentinel, zwei Manticore, eine Chimäre und ein Leman Russ im Landungsboot befunden. Eigentlich hatte sich nur Infanterie an Bord befinden sollen. Doch aufgrund defekter Halterungen für die Fahrzeuge in ihrem eigentlichen Transporter, waren sie sporadisch auf andere Landungsboote umverteilt worden. Hinzu kamen noch zehn Gardisten, die jedoch keine Kasarkin waren. Ihr Korporal hatte von Anfang an jede Unterhaltung abgewiegelt. Obwohl er der Ranghöhere war, hatte Severin es dabei belassen. Die Gardisten waren ihm nicht unterstellt. Weswegen auch immer Oberst Solas sie hinzugezogen hat, Severin war froh, wenn er die Goldjungs wieder los war.
Während er die die wild zusammen gewürfelt Kolonne erreichte, beendeten die Soldaten und Fahrer ihre Marschvorbereitungen. Der Hauptmann gab einen einzelnen, kurzen Befehl und sie setzten sich in Bewegung. Nebenbei bemerkte er, dass sich die Gardisten wortlos ihrem Trupp angeschlossen hatten.
Mit langen Schritten stapfte der Läufer hinter den Infanteristen her. Um seinen Platz an der Spitze einzunehmen, ging Severin in einen leichten Trab über und lief an dem Sentinel vorbei. Im Lauf wendete er den Kopf und sah noch einmal zu dem Landungsboot zurück. Nein, sie hatten nichts zurückgelassen.
Er sah wieder nach vorne und hob den rechten Fuß, seinen Trab fortzusetzend. Sein Blick schweifte dabei über leeren Aufhängungen der Manticore; über die glatten, polierten Panzerplatten des Russ. Und verharrte. Was er sah, war sein eigenes Spiegelbild. Doch von seiner Position aus, konnte er sich unmöglich in dem spiegeln, schon gar nicht auf der matten Panzerung. Unvermittelt hatte er das Gefühl beobachtet zu werden. Severin betrachtete sein eigenes Gegenüber genauer. Zweifellos war er es. Er und noch etwas anderes, etwas Bedrohliches. Bisher hatte er es vermieden seinem Abbild in die Augen zu sehen. Was er dort fand, war ein Versprechen. Es gab in diesen Augen kein Weiß mehr. Sie waren von so vielen zerplatzten Adern durchzogen, dass das Spiegelbild aus ihnen zu bluten schien. Die sonst blaugraue Iris schimmerte grün, umflossen von purpurn.
Sein rechter Fuß setzte auf. Er hob vorsichtig die Lider und stapfte ohne Zögern weiter. Er hatte das Versprechen nicht vergessen. Die grünen Augen hatten es ihm geschworen. Er spürte, wie sie ihn fixierten. Severin wusste, was er zu tun hatte. Sie brauchten ihm nicht auf dem ganzen Weg folgen! Mit einem wütenden Blick drehte er sich um und sah zu dem Russ hinüber. Sein Spiegelbild war verschwunden.
Severin erreichte seinen Kommandotrupp. Noch immer fühlte er ihren Blick. Sie würden ihm folgen.
Bis zum Ende.