[SongKon]Elsi

  • Elsi


    Die Mutter führte ihre kleine Tochter Elsi durch die nächtlichen Straßen der Stadt. Es war noch finsterer wie sonst auf dem Nachtplaneten und sie verfluchte sich nicht ihr Pfefferspray mitgenommen zu haben. Überall waren diese grausigen Verbrecher und Meuchelmörder. Nun für sie und ihre kleine Elsi würde es das nicht mehr lange geben. Ihre Tochter wusste noch nichts von ihrem Beschluss, aber sie beide würden noch heute Nacht sterben. Plötzlich wurde es hell und sie sah etwas vor sich stehen. Sie erschrak sich und drückte die Hand ihrer Elsi kräftig. In ihrem kopf rasten die Gedanken. Waren sie in die Falle der Verbrecher gegangen? Warum hielt man sie bloß auf? Was hatte sie verbrochen? Sie wollte doch nur sich und ihre Tochter erretten vor dem Bösen! Was war daran so falsch?


    Nun erklang ein Motorengeräusch und der gerade noch geparkte Wagen fuhr los. Das Ganze hatte keine 2 Sekunden gedauert.


    „Mami, du tust mir weh!“


    Diese 4 Worte rissen die Mutter sofort zurück in die Realität. Sie war auf der Strasse und sie war gerade dabei die Hand ihrer geliebten Tochter zu zerquetschen! Sie ließ Elsis Hand sofort los und Elsi zog ihre Hand sofort weg.


    „Oh mein Gott, hab ich dir weh getan?“


    In ihrer Stimme klang die Bestürzung mit, die sie fühlte. Sie hatte ihrer Tochter weh getan. Das hatte sie nicht gewollt! So etwas würde sie nie absichtlich tun! Sie wollte nur das Allerbeste für ihre Tochter. Sie wollte, dass ihre Tochter herzensgut und schön war. Sie wollte, dass es Elsi von Grund auf gut ging.


    „Ja hast du. Es tut sehr, sehr weh.“


    In Elsis Augen sammelten sich die Tränen und ihre Mutter wusste, dass sie kurz davor war zu weinen.


    „Das tut mir leid, Elsi. Ich wollte dir nicht weh tun. Ich würde dir niemals absichtlich weh tun. Glaubst du mir das?“


    „Ja, Mama.“


    Die Stimmlage der kleinen Elsi war für ihre Mutter, die ihre Tochter stets hätschelte und auf den richtigen Weg zu bringen versuchte, nicht deutbar. Aber in ihr machte sich trotzdem Erleichterung breit. Ihre Tochter würde ihr dieses mal vergeben. Und wenn sie ihr dies vergab, so würde sie ihr auch das Folgende vergeben.


    Und so gingen die Beiden weiter. Nebeneinanderher gingen sie zu einem stillen See, etwas außerhalb der kleinen Stadt. Es war ein schöner, kleiner See, der inmitten eines Wäldchens lag. Es gab keine weiteren Unterbrechungen oder Überraschungen mehr und die Mutter war zutiefst dankbar dafür.


    Während sie gingen dachte die Mutter weiter nach. Wie sollte sie es anstellen? Konnte sie ihrer Tochter in die Augen blicken, während sie sie umbrachte? Nein. Das würde sie nicht fertig bringen! Es würde ihr das Herz brechen in den Augen ihrer Tochter ihren Schmerz und ihr Unverständnis zu sehen. Alleine schon der Gedanke an den Schmerz ihrer geliebten Elsi erschütterte sie zutiefst und ließ sie an ihrem eigenen Entschluss zweifeln. Aber sie hatte sich entschieden. Nun musste sie ihren sorgfältig gefassten Entschluss auch durchführen. Sie musste sich und ihre Tochter vor dem Bösen retten. Sie musste es und würde es auch. Und wenn das getan war, würde sie ihrer Tochter frohen Mutes folgen, um auf ewig mit ihr vereint sein zu können. Sie war sich sicher, dass der Himmel auf sie und ihre Elsi wartete. Genauso sicher war für sie, dass der Himmel ein schöner Ort war. Ein ort voller Freuden. Und schon sehr bald würde es soweit sein.


    „Mami, wohin gehen wir?“


    „Zu einem schönen Ort, mein Schatz.“


    „Und wie lange dauert es noch bis dahin?“


    „Nicht mehr sehr lange. Wir sind schon bald da.“


    Das stimmte. Sie waren im Wald und schon sehr bald würde der angesteuerte See vor ihnen liegen. Und so geschah es auch. Keine fünf Minuten später waren sie vor dem Seeufer. Es war ein schöner Ort. Es war ein romantischer Anblick und es war ein Wunder, dass der See so unbekannt war. Aber es war gut so, dass der See nicht im Interesse der Heerscharen von pubertierenden Romantikern lag. So bewahrte der See seinen Charme und seine Schönheit.


    „Mami, was wollen wir hier?“


    Diese Frage, in neugierigem Ton gestellt, ließ die Mutter verzweifeln. Was sollte sie sagen? Dass sie vorhatte erst Elsi und dann sich selbst zu töten? Nein, das konnte sie nicht sagen. Sollte sie sagen, dass die Reise noch weiterging? Nein. Auch das konnte sie nicht.


    „Ich dachte, ich sollte dir diesen See zeigen. Ist er nicht schön?“


    „Ja Mami, das ist er.“


    „Dann lass ihn uns noch etwas länger ansehen.“


    Die Mutter zögerte. Wie sollte sie es anstellen? Sollte sie es überhaupt noch tun? .... Ja sie musste es tun. Und es musste jetzt geschehen. Es musste sein. Sie musste doch ihre Tochter retten. Mit großem geistigen Aufwand überlegte sie sich wie sie es anstellen sollte und setzte es sogleich in die Tat um.


    „Elsi, mein Schatz. Ich habe noch ein Geschenk für dich. Würdest du bitte deine Augen schließen? Es soll ja eine Überraschung sein.“


    Die Stimme der Mutter war brüchig und schnappte fast über. Aber Elsi schien es nicht zu bemerken.


    „Okay, Mama.“


    „Und nicht schummeln, Elsi.“


    „Tu ich schon nicht, Mama.“


    Oh Gott, sie glaubte es. Sie hörte die Naivität und Ehrlichkeit aus der Stimme ihrer Tochter. Ganz langsam und vorsichtig holte sie einen stoffumwickelten Gegenstand aus ihrer Handtasche und wickelte ihn aus. Im Stoff verborgen war ein langes, äußerst scharfes Messer. Sie brachte es langsam vor Elsi in Position. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie musste weinen. Sie weinte, weil ihre Tochter, der Engel der sie war, den Tod, nein das Leben im Himmel nach dem Tod so sehr verdient hatte. Sie schluckte und dann stieß sie mit aller Kraft zu. Sie zielte auf das Herz ihrer Tochter, um ihr einen möglichst schnellen und schmerzlosen Tod zu gewähren. Sie könnte es sich nicht verzeihen, wenn ihr Engel leiden müsste.


    Doch soweit kam die Klinge nicht. Sie traf Elsi nicht. Keine fünf Zentimeter vor Elsis Körper war die Klinge in der Luft erstarrt. Sie ließ sich nicht bewegen. Weder vor noch zurück oder zu den Seiten. Die Mutter ließ das Messer los und die Klinge fiel nicht einmal zu Boden.


    „Aber, aber Mami, du hast mir doch beigebracht, dass wir nicht mit Messern spielen.“


    Die Stimme ihrer Tochter war belustigt, höhnisch und .... kalt. Kalt wie ein Grab. Nicht nur das. Die Augen der Mutter schienen nun verrückt zu spielen. Ihre Tochter wuchs. In beunruhigendem Tempo. Es wurde schneller. Sie wurde nicht nur größer, nein sie schien auch älter zu werden. Wo sie gerade noch ein Kind war, war sie nun scheinbar jugendlich und noch einen Moment später eine junge, wunderschöne Frau. Auch die Kleidung änderte sich. Sie wuchs mit Elsi mit und nahm eine andere Form und Farbe an. Sie war nun schwarz und körperbetonend knapp. Und dann hörte es so plötzlich auf wie es begonnen hatte. Die Mutter traute ihren Augen nicht.


    „Wa ... was ...“


    „Was gerade geschehen ist? Nun, du hast versucht mich zu töten. Und es ist dir nicht gelungen.“


    Sie lächelte. Aber das lächeln war falsch. Es war kalt und grausam. Die Mutter erschauerte. Was geschah hier mit ihrem Engel? So hatte sie ihre Tochter noch nicht erlebt und so sollte sie auch nicht sein!


    „Aber .....“

  • Die Mutter konnte keinen klaren Gedanken fassen, geschweige denn ihre Gedanken in Worte übertragen.


    „Gefalle ich dir etwa nicht? Dabei bin ich nur das, zu dem du mich erzogen hast.“


    „Du .... und das sein was ich ..... erzogen habe? Nein. NEIN! DAS KANN NICHT SEIN!“


    Die Mutter war nun außer Rand und Band und die Worte sprudelten. Die Letzten von ihnen schrie sie. Elsi hingegen blieb ruhig und gelassen vor ihr stehen.


    „O doch Mutter. Ich bin das Ergebnis deiner Erziehung. Du wolltest, dass ich immer lieb und nett bin. Du wolltest eine gute Tochter. Eine mustergültige Tochter! Du wolltest einen Traum! Du wolltest, dass ich etwas bin, dass ich niemals sein kann!“


    „Ja, das wollte ich! Und wie vergeltest du mir all meine Bemühungen? Meine Fürsorge? Du stehst hier vor mir und beschuldigst mich!“


    Die Mutter stand unter Schock. Solche Worte hatte sie beileibe nicht erwartet.


    „Fürsorge? Du wolltest mich gerade umbringen! Oder hast du Rabenmutter das etwa schon vergessen?“


    In den eisigen Worten Elsis schwang Niedertracht mit und die Worte verfehlten ihre Wirkung auf die Mutter nicht.


    „Rabenmutter ....?“


    Die Worte hingen wie Schwerter in der Luft. Die Mutter war am verzweifeln.


    „Ja, Rabenmutter. Immer hast du mich in eine Rolle zwängen wollen, die ich nie haben wollte. Und durch reinen Zufall habe ich einst etwas gefunden. Es ist ein schönes Kleinod. Nichts besonderes auf den ersten Blick, nur ein Anhänger. Ein schöner Anhänger. Ein machtvoller Anhänger. Er bot mir die Stärke die ich benötigte dich zu ertragen. Und was er verlangte war nicht viel. Und so habe ich eingewilligt.“


    „Eingewilligt? Wo eingewilligt? Wobei eingewilligt?“


    „Nun, wo soll ich schon eingewilligt haben? Bei einem Vertrag der die Erfüllung meiner Wünsche zum Preise meiner Dienstbarkeit regelt. Und ich bereue es nicht im geringsten diesen Vertrag eingegangen zu sein.“


    Elsi drehte sich um und ging ein paar Schritte.


    „Weißt du, ich habe diese Nacht hier lange geplant. Ich wusste, dass du versuchen würdest mich zu töten. Und so ist es geschehen. Und bevor ich nun endgültig gehe, will ich dass du noch etwas erfährst.“


    Die Mutter war geschockt. Sie wusste nichts mehr zu sagen. Die Welt drehte sich um sie. Sie war verwirrt und ihr Lebenswille so gut wie erloschen. Alles was sie von ihrer Elsi gedacht und sich von ihr erhofft hatte, es war alles in diesen wenigen Sekunden zerbrochen. Es war verpufft und nichts mehr außer falschen Erinnerungen war davon über. Egal was noch käme, es würde sie nicht mehr schocken. Sie schluckte.


    „Und ... was willst du mir noch sagen?“


    „Ich hasse dich, Mutter!“


    Und mit diesen Worten voller Abscheu ging Elsi fort, während ihre Mutter in sich zusammensackte. Das Messer, das die ganze Zeit vor ihr in der Nachtluft gehangen hatte fiel mit einem leisen Klirren auf den Boden. Ohne nachzudenken nahm die Mutter das Messer und rammte es sich kurzerhand ins Herz. Ihr Leben hatte keinen Sinn mehr. Ihr Kind hasste sie und sie hatte auf ganzer Linie versagt. Den stechenden Schmerz der Wunde und des Sterbens nahm sie nicht wahr und sie wahr froh, als alles um sie herum schwarz wurde und ihr Leben endete.


    -Ende-


    copyright Sebastian van Lück 2008