[Wunsch] Wie gewonnen, so zerronnen...

  • Tut mir leid, aber dein Thema war so gut, dass ich mich nicht zurückhalten konnte und nun schon die Kurzgeschichte präsentiere :rolleyes


    Clark war ein gewöhnlicher Angestellter eines örtlichen Pfandhauses. Er stand täglich um sechs Uhr auf und aß sein Frischkäse- und Marmeladenbrötchen, während seine Frau von der Nachtschicht aus dem Krankenhaus kam. Er verabschiedete sich wie immer von ihr und fuhr die zehn Minuten mit seinem Auto zum Arbeitsplatz. Es war nicht so, dass er seinen Job nicht mögen würde, er hatte ja schließlich nicht viel zu tun und so könnte er sich seiner Leidenschaft dem Zeichnen hingeben, aber es war auch immer wieder ein Blick in die grausame Realität. Dessen war er sich jeden Tag auf´s Neue bewusst, da er immer damit konfrontiert wurde. Der Job war ihm wichtig, schließlich verdiente er sich so nicht nur sprichwörtlich seine Brötchen, aber es machte ihm auch zu schaffen.


    So saß er den ganzen Tag hinter diesem Panzerglas, dass ihn vor Überfällen schützen sollte und zeichnete ein Portrait von einem alten Mann. Er war heute hier gewesen und hatte eine alte goldene Armbanduhr abgegeben. Sie hatte damals schon wesentlich bessere Tage gesehen. Das Gold war verschlissen und das Glas wies einige große Kratzer auf. Jeder Makel schien eine eigene Geschichte zu erzählen und war ein Schatz voller schöner und auch manchmal trauriger Erinnerungen. Clark hatte dem Mann bloß einen Fünfziger geben können, da er angehalten war, nicht zu viel zu zahlen. Es war hart gewesen, aber er hätte seinen eigenen Job riskiert. So ging der alte Mann, sichtlich unzufrieden nach Hause, auch wenn er wusste, dass es keine andere Möglichkeit gegeben hätte, noch mehr Geld zu bekommen. Er würde knapp die Hälfte vom erhaltenem Geld dazuzahlen müssen, damit er seine Uhr wiederbekam. So aber verwahrte er sie vorerst. Würde der Mann in sechs Wochen nicht zurückgekommen sein, würde die Uhr versteigert werden und die Erinnerungen wären für immer verloren. Aber das wusste der Mann, Clark hatte es ihm vorher erzählt. Es war sein Job. Er tat es nicht gerne, aber er musste es tun.


    Er legte die Zeichnung vor sich auf das Pult. Das faltige Gesicht, dessen Betrübtheit durch den Bleistift auf Papier gebrannt wurde. Es war nur eines von vielen Bildern und das wusste Clark. Er öffnete die Schublade unter seinem Pult und er erblickte weitere Gesichter. Sie blickten ebenso traurig und verzweifelt wie das, welches er eben fertig gestellt hatte. Er zog das Bild des Mannes vom Block und holte ein paar andere Bilder raus, bevor er das Neue in die Schublade legte. Es waren Zeichnungen von Menschen, die bei ihm waren. Allesamt. Diese, welche in der Schublade lagen, zeigten jedoch Menschen, die erst diese Woche bei ihm waren. Die anderen hatte er in einem kleinen Aktenschrank aufbewahrt. Er betrachtete die Zeichnungen genauer.


    Das erste Bild zeigte eine Frau. Sie hatte ein kleines Kind dabei. Es war ein Mädchen von circa fünf Jahren. Die Frau war gekommen, um ihren Ehering einzutauschen, doch sie hatte nicht viel bekommen. Zumindest war es nicht angemessen genug fand Clark und so legte er noch einen Zwanziger aus eigener Tasche drauf. Das dankbare Gesicht der Frau, als er das Geld aus seinem eigenen Portemonnaie holte, würde er nie vergessen. Er hatte es auch gezeichnet. Es war das zweite Bild, das er in Händen hielt. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und lächelte. Er wusste, er hätte etwas Gutes getan. Er legte beide Zeichnungen zurück in die Schublade und betrachtete das nächste Das dritte Bild zeigte einen Mann, der schon öfter bei ihm war. Er hatte in letzter Zeit nicht mit ihm geredet, da dem Mann nicht nach Reden zumute war. Als er das erste mal zu ihm kam, hatte er noch viel mit Clark gesprochen. Ihm war es wohl damals peinlich gewesen, zum Pfandbüro zu müssen und so versuchte er sich zu rechtfertigen. Zu der Zeit war auch noch Clark neu im Geschäft gewesen und ihm war damals ebenso unwohl zumute, wie dem Mann. Der Mann hatte was aus seinem Leben gemacht gehabt. Er war damals Manager gewesen und hatte über große Geschäfte bestimmt, sodass er sich alles leisten konnte, was er zum Luxusleben brauchte. Nun kam der Mann fast jede zweite Woche her und versetzte alles, was er noch auftreiben konnte. Er schaute genau auf das Bild. Der Mann, den er gezeichnet hatte, war gebrochen, jeder Strich schrie nach Hilfe, jeder Blick darauf, war wie in die gepeinigte Seele eines Mannes zu schauen, der alles verloren hatte. Der Gesichtsausdruck, durch die tief im dunkeln liegenden Augen, bis zur Unkenntlichkeit verborgen, die schreckliche Anonymität nach außen kehrt. Man sah keinen Menschen in dem Bild. Es war nur eine leblose Hülle, geplagt und gescheitert, wie es jedem ergehen könnte. Clark legte das Bild beiseite. Er wünschte sich, er würde noch mal ein Bild von dem Mann zeichnen können. Er hoffte irgendwann wieder Bilder von ihm zu machen, wie sie am Anfang waren, wie die, die noch ein bisschen Zuversicht zeigen würden. Es war ihm aber auch eigentlich egal, wie die Zeichnungen aussehen würden. Auch wenn sie nur den gebrochenen Mann zeigen würden, denn wenn ihm eins klar war, dann dass, wenn er keine Bilder mehr von ihm würde machen können, es nie wieder ein Bild von diesem Mann gäbe. Das es diesen Mann nicht mehr gäbe. Als es achtzehn Uhr wurde, legte er alle Zeichnungen zurück, schloss das Pfandhaus ab und fuhr wieder nach Hause.


    Clark stand in seinem Schlafzimmer und sah, wie seine Frau im Bett lag. Er kroch unter die Decke, legte sich an den Rücken seiner Frau und umarmte sie, bis er einschlief. Er bedachte immer diese Augenblicke, da er wusste, dass sie unersetzlich und kostbar waren, denn er war sich bewusst, wie schnell alles vorbei sein könnte. Wie bei dem Mann auf dem Bild.




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