Hallo allezusammen,
offengestanden konnte ich mit Ny's Themengabe wenig bis gar nichts anfangen...so etwas liegt mir überhaupt nicht. Nachdem ich mir die letzten Tage den Kopf darüber zerbrochen habe, was ich schreiben könnte, hab ich mir heute gedacht, dass die besten Geschichten noch immer das Leben selbst schreibt. Die nachfolgende Kurzgeschichte ist also vollkommen wahr.
Vor mittlerweile 6 Jahren bin ich jeden Mittwoch nach der Schule mit der Straßenbahn zu meinem Vater gefahren; meine Eltern lebten seit Ewigkeiten getrennt. Damals war ich 13 Jahre alt, und auch wenn mich viele Dinge gewundert und interessiert haben, hatte ich damals noch nicht den "Mut" so etwas auch wirklich auszusprechen. Jedenfalls saß jeden Tag an einer bestimmten Kreuzung ein alter, weißhaariger Mann auf einer Parkbank. Das ist an sich nichts ungewöhnliches, doch ihn habe ich wirklich jedesmal gesehen wenn ich dort vorbeigefahren bin - egal um welche Uhrzeit. Natürlich habe ich mir meine Gedanken gemacht. Allerdings war es mir nie wichtig genug dem Nachzugehen...was interessiert einen Dreizehnjährigen schon ein merkwürdiger alter Mann auf einer Parkbank?
Die Monate gingen dahin, die Sonne verschwand und die Blätter fielen herab...doch der alte Mann saß immernoch da, selbst im schlimmsten Schneegestöber saß er mit einer Decke und einer Thermoskanne auf seiner Parkbank. Inzwischen war ich 14 und mir fiel auf, dass er immer nur an drei Tagen im Jahr Blumen mit hatte. Wie auch immer - wieder habe ich vor mir selbst eine Ausrede gefunden, diese Dinge nicht zu hinterfragen.
Danach zog mein Vater um und ich bin an dieser Stelle lange nicht vorbei gekommen. Kurz vor meinem 16. Geburtstag allerdings bin ich nocheinmal vorbeigefahren...und natürlich saß der alte Mann wieder da. Diesmal liefen ihm jedoch Tränen die Wangen herunter - und er schien dennoch, zum ersten Mal seit ich ihn gesehen habe, nicht traurig zu sein.
Auf dem Heimweg kam ich an der Stelle wieder vorbei, es war schon Dunkel. Allerdings war die Parkbank auf der er immer saß vom Blaulicht eines Rettungswagens erhellt und ich konnte aus der Straßenbahn sehen, wie ein Notarzt den alten Mann zu reanimieren versuchte. Das war das letzte Mal an dem ich ihn gesehen habe.
Zu Hause angekommen habe ich dann noch meinen Vater angerufen und nach über 2 Jahren endlich darauf angesprochen. Und ja - er hat den alten Mann gekannt. Zufälligerweise ist er ein Freund von meinem Großvater gewesen, den ich nie kennengelernt hatte. Der alte Mann hatte im Alter von 21 Jahren seine damalige Jugendliebe geheiratet - und sie war nur 3 Jahre später tödlich verunglückt, als sie von einem Auto angefahren wurde. Und an eben jener Kreuzung ist der Mann jede freie Minute seines Lebens gesessen und hat an ihrem Geburts-, Hochzeits- und Todestag Blumen mitgebracht.
Ich werde seinen Gesichtsausdruck nie vergessen als er geweint hat. Es wirkte beinahe wie Freudentränen...als hätte er gewusst dass er seine Frau wiedersehen wird. Ich kann nur raten, was er sich gedacht hat. Vielleicht war es auch nur ein ganz medizinischer Schutzmechanismus auf ein tödliches Ereignis...auf jedenfall waren es die Tränen eines sonst vollkommen unbewegten Menschen.
Wie die Tränen eines Steins.
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