Das Büro war gar nicht so schlimm, wie es in den Filmen immer aussah. Kein kleiner enger Raum, keine Schreibtischlampe die einem ins Gesicht strahlte. Keine zwei Männer, die guter Bulle – böser Bulle spielten. Obwohl, das musste sich Holly eingestehen, dies ja eigentlich kein Verhör sondern eine Zeugenaussage war. Die junge Frau saß vor dem großen Schreibtisch, und wartete darauf, dass der Mann, der auf der anderen Seite saß, wieder mit ihr sprach.
„Also Miss Miller. Ihr Vorname ist Holly, sie sind 22 und sie arbeiten zur Zeit neben dem Jurastudium in Arthurs Diner. An der Bellstreet. Richtig?“ Der Mann sah auf und fixierte Holly. Diese nickte nur knapp. „Gut, dann erzählen Sie mir bitte noch einmal, was genau passiert ist.“
„Alles noch einmal von Anfang an?“
„Ja, alles bitte.“
„Gut. Ich hab meine Samstagsschicht ganz normal angefangen. Das Diner war eigentlich fast leer. Die Robinsons, ein älteres Ehepaar, sind Stammgäste. Budd ist Fernfahrer, und kommt jeden Mittag für einen Kaffee. Und dann war da dieser Typ.“
Eine dritte Stimme unterbrach sie. Ein etwas kleinerer Mann, der sich als Detectiv Goldstein vorgestellt hatte. Bisher hatte er nur auf dem kleinen Sofa, am anderen Ende des Raumes, gesessen und geschwiegen. „Der Verdächtige?“
Die junge Kellnerin drehte sich kurz zu ihm und nickte „Ja.“
„Bitte erzählen Sie uns kurz von ihm.“
Sie blinzelte überrascht und fühlte sich fast ein wenig ertappt. „Er.. er sah recht gut aus. Gepflegt. Ein südländischer Typ. Vielleicht ein Italiener oder so.“ diesmal stockte sie von selbst. Superintendent McCoy, der Mann der ihre Aussage in den PC tippte seufzte „Miss Miller, Sie haben vor einer halben Stunde ein sehr detailliertes Bild mit dem Phantombildzeichner erstellt...“
Holly wurde tatsächlich rot, und sah verlegen auf ihre Turnschuhe „Er war hübsch, wirklich toll. Wie ein Model. Und ich wollte ihn um dein Date bitten. Zufrieden?!“ Verschämt und wütend zugleich funkelte sie den Beamten vor sich an. Doch dieser tippte, ohne sie anzusehen.
„Bitte fahren sie fort Miss Miller.“ Goldstein schien amüsiert, blieb aber noch freundlich. Seufzend sank die junge Studentin auf ihren Stuhl zurück.
„Also schön. Der Typ hat da gesessen und Chilli gegessen, bis der Kerl mit der Waffe ins Diner kam. Er hat mit der Pistole herumgefuchtelt, gesagt, dass das ein Überfall sei und niemand verletzt werden würde, wenn wir tun was er sagt.“
„Haben wir eine Beschreibung?“
„Ja. Aber auch den Täter.“
„Wir haben den Täter?“
„Er ist tot Jim.“
„Warum ist der Täter tot?“
„Weil er keinen Kopf mehr hat.“
Das unablässige Klicken der Tastatur setzte aus. Der Superintendent hob den Kopf und sah seinen Kollegen an. „Was soll das heißen, er hat keinen Kopf mehr?“
Der Detectiv auf dem Sofa hob die Schultern „Das was ich sagte Jim. Aber wenn du Miss Miller zu ende berichten lässt, weißt du warum. Bitte meine Liebe, erzählen Sie was passiert ist.“
Fasziniert hatte sie den kurzen Schlagabtausch verfolgt. Der Mann hinter dem Schreibtisch sah aus, als wollte man ihn für dumm verkaufen. Holly selbst hätte es auch nicht geglaubt, wenn sie nicht dabei gewesen wäre.
„Wir haben die Hände gehoben und uns ganz ruhig verhalten. Niemand hat gewagt etwas zu sagen. Der Mann ging zu Tony, dem Koch, an die Kasse, und hat das Geld verlangt.“
„Haben wir die Aussage des Kochs?“
„Ja Jim haben wir. Bitte weiter Miss Miller.“
„Dieser Südländer saß etwa zwei Plätze neben der Kasse, und aß in Ruhe sein Chilli weiter. Als wäre gar nichts passiert. Und das hat den Räuber offenbar wütend gemacht.“
Wieder wurde sie unterbrochen „Was genau meinen Sie mit wütend?“ Holly rollte mit den Augen. Ihr lag eine scharfe Antwort auf der Zunge. Würde dieser Mann sie einfach erzählen lassen, müsste er nicht ständig fragen. Doch sie traute sich nicht und antwortete „Er hat den Südländer angeschrien. Er soll die Hände heben. Das hat er aber nicht. Er hat nicht mal reagiert. Dann ist der Typ mit der Waffe zu ihm rüber, hat ihn an der Schulter gepackt und herum gedreht. Der Südländer hat ihn.. naja irgendwie ein bisschen teilnahmslos angesehen.“
Diesmal unterbrach sie Goldstein. „Meinen Sie mit teilnahmslos apathisch? War er weggetreten?“
Holly schüttelte den Kopf „Nein... ehrlich gesagt wirkte er gelangweilt.“
Der Detectiv nickte langsam und forderte sie mit einer Handbewegung auf weiter zu erzählen.
„Das schien den Räuber noch wütender zu machen. Er riss die Waffe hoch und schoss ihm drei mal in die Brust.“
„Haben wir die Tatwaffe?“
„Ja Jim, wir haben sogar die Geschosse.“
„Du meinst was im Magazin war?“
„In der Trommel. Es ist ein Revolver. Und nein, ich meine die Geschosse, die in Mister Handsome eingeschlagen sind.“
„Ich dachte er ist verschwunden?“
„Ist er auch, aber die Projektile lagen am Boden.“
„Durchschüsse?“
„Möglich, die Labore arbeiten dran. Miss Miller?“
Der Kellnerin runzelte mit der Stirn. Man hatte die Kugeln also gefunden? „Naja, es gab kurz Geschrei, Mrs Robinson ist in Ohnmacht gefallen. Der Typ hat mit der Waffe gewedelt, und das Geld verlangt. Tony war starr vor Schreck und ich wollte mich verstecken. Aber hab mich nicht getraut. Der Kerl war total wütend, hat Tony die Waffe vor die Nase gehalten. Tja.. und dann ist der andere wieder aufgestanden.“
„Sie meinen den hübschen Südländer?“
„Ja Sir.“
„Nach drei Schüssen aus nächster Nähe in die Brust. Sie meinen, er hat versucht sich.. ich weiß nicht.. an der Theke hoch zu ziehen?“
„Nein Sir, er ist aufgestanden als sei nichts gewesen. Ich weiß, dass das unglaublich klingt.“
Schräg hinter ihr schnalzte Goldstein mit der Zunge und schüttelte den Kopf. „Badesalz.“ Holly sah ihn verwirrt an.
„Eine neue Droge, die zur Zeit in Umlauf ist. Besser gesagt ein Drogenkomplex aus Mephedron und Methylendioxypyrovaleron, so wie ähnlichen Stoffen. Sie wären überrascht Miss Miller. Wir haben Leute erlebt, die bis unter den Scheitel mit Badesalz zugedröhnt waren, vor ein fahrendes Auto gelaufen sind und danach einfach wieder aufgestanden sind. Badesalz verhindert dass das Zentralnervensystem den Schmerz überhaupt wahr nimmt. Völlig egal ob die Knochen regelrecht zertrümmert sind. Wahnvorstellungen, Selbstüberschätzung, Aggressionsschübe... die Auswirkungen sind weitreichend.“
Das würde zumindest einiges erklären. Sogar das, was danach passierte.
„Der Räuber war völlig überrascht, dass der Südländer plötzlich wieder aufgestanden war. Und ehe der etwas tun konnte, packte der Angeschossene ihn mit einer Hand am Hals und... brach ihm das Genick.“ Nie im Leben würde sie das hässliche Geräusch vergessen.
„Sie meinen er hat den Kopf gepackt, und mit einem Ruck herum gedreht.“
„Nein Jim, wir haben die Würgemale an der Leiche untersucht.“
„Du willst mir sagen, dass der Kerl ihm einhändig den Hals gebrochen hat?
„Ja Jim. Und Patricks sagte, jemand der einem so den Hals bricht, muss nicht nur stark genug, sondern auch wahnsinnig genug sein. Sie sagte, sie hätte noch nie gesehen, dass sogar die Wirbelsäule verdreht wurde.“
„Und dann hat er ihm den Kopf abgerissen, oder wie?“
„Nein. Laut Patricks waren Muskeln und Sehnen so weit beschädigt, dass der Kopf nur noch an ein paar Fetzen hing... entschuldigen Sie Miss Miller.“
Die Studentin würgte und kämpfte dagegen an, sich nicht zu übergeben.
„Und dann?“
Holly brauchte einen Augenblick, riss sich zusammen und fuhr mit einem seltsamen Gefühl im Magen fort. „Er hat sich für das Chilli bedankt, hat bezahlt und ist gegangen. Und.. dann irgendwann hat Tony als erster wieder denken können, und hat die Polizei gerufen.“
„Und Sie meinen, ich soll das jetzt so in meinen Bericht schreiben?“
„...ja Sir.“
„Nein.“
„Nein?“
„Nein. Weil wenn ich das tun würde, würde mich Commissioner Hemming fragen ob ich betrunken sei, und mich vom Dienst suspendieren.“
„Jim, wir haben die Leiche. Der Kopf ist ab. Wir haben die Zeugenaussagen des Kochs, des Fernfahrers und des alten Ehepaars. Sie sind alle identisch.
„Und was zum Teufel war das für ein Kerl? Du kannst mir nicht erzählen, dass er mit irgend einem Scheiß zugedröhnt war, drei Kugeln überlebt, sein Essen bezahlt und dann seelenruhig aus dem Diner marschiert.“
„So sieht es aber nun mal aus Jim.“
Der Superintendent schloss die Augen und massierte sich mit Zeigefinger und Daumen den Nasenrücken. „Findet mir den Kerl. Krankenhäuser, Notaufnahmen, Hinterhofärzte. Irgendwo muss der Kerl in Behandlung sein, wenn er nicht schon längst verreckt ist!“
[mehr folgt]