AM SCHEIDEWEG
Die Stimme des Schiffsmeisters zerriss die Stille der Brücke.
„Ankunft in T minus fünf!“
Wobei es bei einer Warpreise niemals
vollständig still war, wie sich Thorsten ins Gedächtnis rief.
Ständige Geräusche im Hintergrundwaren unvermeidbar. Das
allgegenwärtige Surren des Gellertfeldgenerators oder das im Kopf
stattfindende Gemurmel aus dem Immaterium, mit dem jeder
zurechtkommen musste, sind nur zwei Beispiele.
„T minus vier!“
Viele kamen gut damit zurecht, sie
konnten es ausblenden. So wie ihr Kommandeur, an dem sich ein
Beispiel genommen wurde. Andere drehten einfach durch. Bei Warpreisen
kam es häufiger zu Schlägereien oder schwerwiegenderen Verbrechen.
Die Auswirkungen waren gänzlich unterschiedlich.
„T minus drei!“
Einige verloren sogar komplett den
Verstand und mussten aus dem Dienst entfernt werden. Vor allem die
Neuen, die haben die meißten Probleme, mit der ihnen unbekannten
Situation zurechtzukommen. Ängste werden geschürt oder Hass
verstärkt. Aus Kampfbrüdern konnten die ärgsten Feinde werden. Bei
jedem baut sich Stress auf und dieser muss kompensiert werden. Die
Kommissare hatten immer alle Hände voll zu tun.
„T minus zwei!“
Kommissare...immer wenn er an die
schwarz gekleideten Verfechter des Imperialen Gesetzes denkt,
erscheint ihm das Bild seines Bruders vor Augen. Ein hartes Gesicht
mit aristokratischen Zügen, jedoch niemals herablassend. Jeden Tag
sauber rasiert. Unerbittliche, stahlblaue Augen. Obwohl es nun schon
Monate her war, dass er das Gesicht Hennings gesehen hat, war es
unauslöschbar in seinen Gedanken verankert. Was auch nicht
verwundert, er sieht es jeden Tag im Spiegel, es ist sein eigenes.
Thorsten und sein 'älterer' Bruder sind eineiige Zwillinge, die sich
äußerlich nur in wenigen Punkten unterschieden. So trug Thorsten
einen Dreitagebart und hatte mehr Narben im Gesicht, die alle von
Jahren härtester Kämpfe an vorderster Front zeugten. Ansonsten
waren Beide kaum zu unterscheiden.
„T minus eins!“
Sein hochgelobter Bruder, ehrenhaft,
vorbildlich, Kommandeur des 13. Teutonia, dem Schwesterregiment
seines eigenen Regiments, dem 113., den Höllenadlern. Das 13.
war die Kommissarschmiede seines Heimatplaneten, Henning stand im
Rang des Kommissar-Oberst, ein seltener Dienstgrad, der die Aufgaben
eines Kommissars mit denen eines Regimentskommandeurs verband, um den
frisch ausgebildeten Junior-Kommissaren, die die ersten
Truppenerfahrung sammelten, Beurteilung, Vorbild und Führung
zugleich zu sein. Thorsten selbst war Oberstleutnant...nein, er war
nur Oberstleutnant. Obwohl er hart gearbeitet hat, seinen Mut
und Können als Gardist und Führungskraft hunderte Male bewiesen
hat, stand er im Rang unter seinem Bruder. Eine Imperiale
Ungerechtigkeit...und sein Bruder? Dem alles in den Schoß zu fallen
schien? Er gönnte es ihm...zuerst, doch im Laufe der Jahre war es
nicht zu übersehen: Sein Bruder wurde bevorteilt...bei allem...und
er selbst?
„Halt.“ flüsterte Thorsten zu sich
selbst. Er durfte seine Gedanken nicht dermaßen freien Lauf lassen.
Genau das ist das, was das Immaterium macht, es sucht nach einem
Körnchen Unzufriedenheit und lässt ihn zu Hass, Neid und Missgunst
auswachsen. Das ist das, was Warpreisen so tückisch macht. Das ist
das, was es unbedingt zu vermeiden gilt. Das ist das, was die
Kriminalitätsrate in Regimentern der Imperialen Armee in die Höhe
schnellen lässt. Er durfte sich diesen Anfängerfehler nicht
leisten. Er muss stark sein, für seine Männer, für seinen Bruder,
für seine Familie.
„Ankunft am Sammelort...jetzt!“
Im schwarz des Universums bildete sich
ein Riss, der immer weiter wuchs. An einem kritischen Punkt brach der
Riss auf, als ob dem All eine klaffende Wunde zugefügt worden wäre.
Aus der Wunde blutete Licht in allen erdenklichen (und
unerdenklichen) Farben. Wilde Blitze zuckten tief in den Realraum.
Aus der Wunde schossen Pfeilen gleich mehrere Kreuzer der Imperialen
Flotte. Trotz der geballten Macht der ankommenden Schiffe, die ein
ganzes System hätte befrieden können, verblasste sie angesichts der
Flotte, die bereits auf sie wartete. Es waren hunderte Schiffe,
Kreuzer, Transporter Eskortschiffe, sogar dutzende Schlachtkreuzer.
Allesamt waren sie waffenstarrende Kathedralenstädte die ihren
angestammten Plätzen auf der Erde entschwunden schienen, um sich als
Behemote den schwerelosen Weiten des Universums zuzuwenden. Und sie
warteten auf das Eintreffen ihrer Brüder, um den Feinden der
Menschheit den unerbittlichen Zorn des Imperiums spüren zu lassen.
Doch noch war die Kreuzzugsflotte noch nicht vollständig. Dutzende
Schiffe waren noch auf dem Weg zum Sammelpunkt.
Thorsten riss sich aus seinen Gedanken
und betrachtete die zu neuem Leben erweckte Brücke des leichten
Kreuzers. Er sah das geschäftige Treiben der Schiffsoffiziere vor ihm, Meldungen und
Befehle wurden durch den Raum geschrien, Auspexdaten ausgewertet,
Kurskorrekturen vorgenommen, Picts auf unzähligen Bildschirmen
aktualisiert, analysiert oder verbessert. Er sah Servitoren, die an
ihren Maschinen hingen und stumpf ihrer eingespeicherten Arbeit oder
neuen Befehlen nachgingen, während Imperiale Prediger und
Maschinenseher Loblieder anstimmten und die ordnungsgemäße Funktion
von Mensch und Maschine überwachten. Links neben Thorsten saß
erhöht auf seinem Thron Schiffsmeister Sinarius. Sein künstliches
rechtes Auge surrte, als er die Daten aller eingehenden, vor ihm
projizierten Informationen verarbeitete und ebenfalls Befehle zum
geordneten Stimmenchaos der Brücke beisteuerte.
Nach wenigen Minuten richtete Sinarius seinen Blick auf Thorsten, ohne das
seine Hände aufhörten auf den, in seinem Thronarmlehnen eingebauten
Konsolen hin und her zu huschen.
„Eingehendes Voxsignal des Kriegsherren für sie, Herr Oberstleutnant.“
„Ich werde es im Strategium entgegennehmen. Irgendein Signal vom
Schlachtkreuzer Imperiales Credo?“
„Nein, es scheint, dass es noch nicht zur Flotte gestoßen ist.“
„Meinen Dank, Schiffsmeister.“
Thorsten verließ das geschäftige Treiben der Brücke und schritt eilig zum
Strategium. Dort angekommen erwarteten ihn bereits die Offiziere und
Kommissare seines Regiments, die wie immer die Befehle ihres
Kommandeurs vorausahnten. Auch der seiner Einheit zugeteilte
Primaris-Psioniker war anwesend, wenngleich er sich bedeckt hielt und
abseits stand.
„Meine Herren.“ begrüßte Thorsten von Branitz die versammelten
Führungskräfte.
„Herr Oberstleutnant!“ kam die prompte, einstimmige Antwort aller
Anwesenden.
„Warum mache ich mir Gedanken Befehle zu formulieren, wenn Sie eh schon
wissen, wann und wo ich Sie brauche? Sie wollen mich arbeitslos
machen, oder?“ Unterdrücktes Lachen antwortet ihm.
„Gut, widmen wir uns wieder dem Ernst des Lebens. Der Kriegsherr möchte
das Wort an uns persönlich richten. Sie dürfen sich geehrt fühlen,
und das ist ein Befehl!“ Erneutes Lachen. Thorsten war ein
geborener Anführer. Streng, direkt und unerbittlich, aber auch zu
Späßen bereit. Eben dieses Charisma begründete die
unerschütterliche Treue seiner Untergebenen ihrem Kommandeur
gegenüber.
„Langenscheid, wenn Sie mir die Ehre erweisen würden.“, richtete Thorsten das
Wort an seinen Voxoffizier mit einem Nicken. Dieser machte sich an
der Apparatur in der Mitte des Raumes zu schaffen. Sekunden später
hüllte grünes Licht die Anwesenden ein und das Hologramm des
Kreuzzugsmeisters baute sich auf.
„Oberstleutnant von Branitz,“ tönte blechern die Stimme Generalfeldmarschall
Kossolewskis durch den Raum, „schön, dass Sie und ihre Männer
wohlbehalten den Weg zu uns gefunden haben.“
„Ich grüße Sie, Herr Kriegsmeister. Vielen Dank, doch Sie erteilen mir
die Ehre einer persönlichen Übertragung nicht nur um mich
Willkommen zu heißen.“
„Direkt wie immer, so Lob ich mir meine Regimentsoffiziere. Gut, ich will
direkt zur Sache kommen: Wir hinken dem Zeitplan des Kreuzzugs
bereits hinterher und noch immer sind nicht alle Truppenteile
eingetroffen. Dieser verfluchte Warp widersetzt sich dem göttlichen
Willen des Imperators. Zudem erreichen uns Nachrichten unserer
Flankenwelten, die besorgniserregend sind. Oder sollt ich besser
sagen, uns erreichen keine Nachrichten von einer Flankenwelt.“
„Herr Kriegsmeister?“ Thorsten hob leicht eine Augenbraue, um verstehen
zu geben, dass er nicht verstünde.
„Die Manufakturwelt Anoch V ist seit Wochen stumm. Wir empfangen keinerlei
Signale von dem Planeten. Wie Sie aus den Vorbefehlen wissen, ist sie
wichtig, um den Nachschub der Kreuzzugsflotte sicherzustellen. Ich
muss wissen, was da vor sich geht. Dazu befehle ich Ihnen der Sache
auf den Grund zu gehen und den Kontakt wiederherzustellen. Ihr auf
urbane Luft-Landeoperationen spezialisiertes Regiment scheint mir
prädestiniert dafür zu sein, sollte es zu Kampfhandlungen auf der
Fabrikwelt kommen. Zu Ihrer Unterstürzung werden Ihnen einige
Panzereinheiten unterstellt werden. Sichern Sie die Fabriken und den
Nachschub von diesen für den Kreuzzug.“
„Kontaktaufnahme und gegebenenfalls Säuberung.“ bestätigte Thorsten den Befehl
„Verstanden, Herr Generalfeldmarschall“
„Ausgezeichnet, ich verlasse mich auf Sie, enttäuschen Sie mich nicht! Der Imperator
beschützt.“, mit diesen Worten endete die Übertragung und der Raum verdunkelte sich wieder.
Thorsten richtete sich an seine Männer. „Ihr habt den Wunsch alle
vernommen. Unterrichten Sie ihre Männer, dass wir vermutlich die
ersten sein werden, die den Xenos in ihren Blechhintern treten
dürfen. Weitere Befehle folgen zeitnah, aber das ahnten Sie
vermutlich schon.“ Erneutes Gelächter. „Meine Herren,
Wegtreten!“
„HURRA!“ entgegnete ihm Einstimmig und zeugte von Stolz und Vorfreude der Anwesenden.