[Sonst] Rivic:Valkum

Die Insel Calmeaux war ein Teil Flondoirs, des größten Staates des Kontinentes
Rivic, und hatte die ungefähre Form eines Würstchens. Und tatsächlich fand man auf
Calmeaux viele Würstchen.Eines im Bauch des Bürgemeisters, eines vor der Hütte des
Hundes eines Bauern, eines im Rucksack eines Schuljungen und viele mehr.
Neben Würstchen aß man auf dieser Insel aber auch andere Dinge. Zum Beispiel Fisch.
An der Südostküste gab es einen Fisch, den es nur dort gab: der ''Schwarz-weiße
Haikarpfen''. Er war eine Delikatesse.
Genau so einen Fisch hatte Fecht- und Bogenmeister Hakaan Kroncarsson an diesem
Abend verzehrt. Er war ein älterer Mann, der bald seinen einundsechzigsten Geburtstag
feiern würde, doch sein Alter sah man ihm kaum an. Hier und da ein paar Falten um die
Augen herum und auf der Stirn, aber das ließ ihn nur langsam altern.
Die Haare aber hatten schon seit fast zwie Dekaden nicht mehr ihren jugendlichen Glanz.
Sie waren silber geworden, als Hakaan 43 Jahre alt gewesen war. Mittlerweile waren sie
weiß und wurden mit jedem Jahr lichter.
Hakaan fuhr sich durch die lichten weißen Haare und starrte in das Feuer im Kamin. Er
saß in seinem Schaukelstuhl und genoss die prickelnde Wärme, die sich in seiner kleinen
Hütte, die aus nur einem Zimmer bestand, ausbreitete.Er dachte an seine Familie, die vor
ein paar Jahren aufs Festland gezogenwar, weil die Stürme zu heftig und Deichbrüche zu
häufig geworden waren. Hakaan war nicht mit gegangen, da er sehr an seiner Heimat hing.
Er war auf Calmeaux aufgewachsen und er liebte die Insel.
Draußen trommelte etwas gegen das einzige Fenster. Hakaan schreckte aus seinen Gedanken
und sah zum Fenster. Das Geräusch stammte von einem Gemisch aus Hagelkörnern und
Schneeflocken, die vom böigen Orkanwind wie kleine Geschosse gegen die dünne Scheibe
schlugen. Diese zitterte und vibrierte so sehr, dass Hakaan fürchtete sie könnte zerspringen
oder aus der Verankerung fliegen.
Hakaan stand auf und ging zu einer Kiste in der hinteren Ecke der Hütte. Er öffnete sie und
nahm ein Brett, ein paar Nägel und einen Hammer heraus. Damit lief er zum heftig zitternden
Fenster um es zu verstärken. Er hielt das Brett schräg vor die Scheibe und schlug mit dem
Hammer die Nägel durch das Brett in die Wand. Dabei bemerkte er draußen vor dem Haus
eine Bewegung. Kurz darauf flog die morsche Holztür auf und Hakaan fuhr herum.

Durch die offenen Tür wehte der Wind Schneeflocken in den Raum und das Feuer im Kamin
flackerte. Eine Gestalt, gekleidet in einen zerschlissenen schwarzen Umhang, betrat die Hütte
und hinterließ eisige Fußabdrücke auf dem Bretterboden. Die Kapuze war zu tief heruntergezogen,
als dass Hakaan ein Gesicht hätte erkennen können. er schaute zur Kiste in der, in der sich auch
sein Degen befand, doch es war unmöglich sie zu erreichen. Der unheilvolle Fremde stand im Weg
und Hakaan glaubte nicht daran, dass er ihn durchlassen würde.
Die Gestalt kam auf ihn zu, blieb kurz vor ihm stehen und schlug ihm dann so schnell, dass Hakaan
nicht rechtzeitig reagieren konnte, die Faust ins Gesicht. Die Wucht des Schlages war so so groß,
dass Hakaans Kopf zurückflog und das Brett und die dahinterliegende Fenserscheibe durchbrach.
Ein Splitter bohrte sich ihm in den Nacken. Zwar nicht sehr tief, aber dafür schmerzhaft. Als der
Fremde bemerkte, dass Hakaan seinen Kopf hob, schlug er abermals zu. Hakaan hörte ein Knacken
und noch während er spürte, dass ihm etwas Warmes aus der Nase lief, verlor er das Bewusstsein.

Als er aufwachte, ließ er die Augen für einige Momente geschlossen um nicht sehen zu müssen, wo
er war. Er wusste auch so ,dass das worauf er lag nicht sein Bett war. Hakaan versuchte ruhig liegen
zu bleiben und sich vorzustellen, er wäre im Urlaub. Er wollte sich an der Nase kratzen, doch ein
schrecklicher Schmerz durchfuhr ihn bereits bei dem Versuch. Noch einmal berührte er vorsichtig
seine Nase. Sie fühlte sich an wie eine heiße Kartoffel und pulsierte leicht.
Sich an sein zugegebenermaßen sehr kurzen Kampf erinnernd, tastete Hakaan nun nach seinem Nacken.
Glücklicherweise spürte er nur einen kleinen Schnitt und der Splitter schien nicht in der Haut stecken
geblieben zu sein.
Hakaan verharrte lange auf der unbequem harten Matratze, bis die Neugier siegte und er die Augen
öffnete um sein Gefängnis zu begutachten.
Es war ein knapp acht Quadratmeter kleiner Raum, der von einer einzigen Fackel nur schwach
beleuchtet wurde. Der gesamte Raum war aus Stein gehauen und die Wände glänzten feucht. Dazu
passte auch das monotone Tropfen von der Decke, das jeden Anderen in den Wahnsinn getrieben
hätte, doch Hakaan hatte gelernt Geräusche auszublenden.
Auf dem Gang ertönten Schritte, die vor der Gittertür der Zelle haltmachten. Und da stand er wieder.
Der Mann in schwarz. Auch dieses Mal war die Kapuze tief über das Gesicht gezogen.
Die Gittertür wurde entriegelt und schwang quietschend auf. Der Mann trat ein und schritt auf Hakaan
zu. Dabei wirkte sein leicht gebückter Gang ziemlich düster.
Schnell richtete Hakaan sich auf und stellt sich sogar auf das rostige Bett. So fühlte er sich wenigstens
ein bisschen überlegen. Er stellte sich leicht seitlich und hielt den rechten Arm in Abwehrposition.
''Füge die keine unnötigen Schmerzen zu!'', ertönte eine tiefe Stimme unter der Kapuze, ''Wehre dich
nicht!'' Sich nicht wehren. Pah! Hakaan dachte gar nicht daran sich nicht zu wehren.
''Geh' aus dem Weg, Fremder! Du kannst mich hier nicht festhalten. Ich bin bin Fechtmeister! Sogar
fünffacher Rivic-Meister!'' Hakaan schrie beinahe, auch wenn der Mann nur wenige Schritte vor ihm
stand. Er war sich seines Sieges sicher. Er wusste, dass er in seiner Hütte nur überwältigt worden war,
weil er nicht damit gerechnet hatte nieder geschlagen zu werden.
Der Fremde lachte. ''Was nützen die Titel ohne deinen Degen? Ohne ihn bist du eine Null!''
Hakaan zog die Augenbrauen herunter. Er hatte einen Entschluss gefasst: die Offensive. Während
der Fremde gerade einen weiteren Schritt in seine Richtung machen wollte, stieß Hakaan sich ab und
flog mit ungeheurer Geschwindigkeit auf ihn zu. Der Mann machte keine Anstalten auszuweichen, sondern
packte Hakaans Arm um seinen Schwung zu vergrößern und seine Flugbahn abzulenken. Es gelang ihm
auch, sodass Hakaan mit voller Wucht gegen die feuchte Wand schlug. Der Aufprall ließ ihn kurz nach
Luft schnappen. Eine verlockende Schwärze machte sich in ihm breit. Während er dagegen ankämpfte,
fühlte er sich am Kopf gepackt und mehrmals gegen die Wand geschlagen.
''Ich bin eine Null. Ich bin eine Null...'', dachte Hakaan, als sein Bewusstsein, trotz aller Anstrengung,
zu schwinden begann, ''Er hatte Recht...''

Hakaan wachte hängend auf. Mit dem Kopf nach unten. Er fühlte sich miserabel. Sein Kopf dröhnte,
seine Nase pochte und sein Brustkorb schmerzte ungeheuerlich. Außerdem schnitt sich die Schlinge,
in der seine Füße hingen, unbarmherzig in sein Fleisch. Seine Schmerzen erst einmal ignorierend,
schaute Hakaan sich um.
Er befand sich in einem großen Saal, der ebenfalls aus feuchtem Gestein gehauen worden war.
Neben ihm, in Dreiecksformation aufgehängt, hingen ein Dutzend weitere Personen. Die meisten
hatte er schon einmal gesehen und einige, wie den Schmied Bertrand auf der gegenüberliegenden
Seite, kannte er sogar persönlich. Ein angestrengtes Stöhnen ließ Hakaan zu einem breitschultrigen,
ungefähr 40-jährigen Mann hinüber blicken. Dieser versuchte vergebens seine Füße aus der Schlinge
zu befreien. Hakaan schaute ihm eine Weile zu, doch als der Mann vor Erschöpfung sein Bewusstsein
verlor und wie ein Lappen von der Decke hing, wand er seinen Blick ab. Und da sah er es. Ein Messer
lag auf einem Tisch der einige Meter entfernt von Hakaans jetziger Position stand. Das brachte Hakaan
auf eine Idee. Er nahm all seine Kraft zusammen und begann an seinem Seil hin und her zu pendeln.
Nach einigen Sekunden zeichnete sich bereits der erste Triumph ab. Lose Gesteinsbrocken flogen
an Hakaan vorbei und an der Decke begann es zu knirschen. Dann löste sich die Verankerung komplett
aus dem Stein und Hakaan plumpste wie ein Stein zu Boden. Glücklicherweise hatte er nur einen knappen
Meter über dem Boden gehangen und konnte durch eine mehr oder weniger elegante Rolle fast den
gesamten überschüssigen Schwung aus seinem Aufprall heraus nehmen. Hakaan richtete sich mühsam
auf und hüpfte zu dem Tisch. Dort angekommen nahm er das Messer in die rechte Hand und zerschnitt
damit die Schlinge. Sofort fühlte er sich freier und sah durch die offene Tür sah er sogar eine
Fluchtmöglichkeit. Der Mann, den Hakaan in Gedanken ''Rhokkopan'' getauft hatte, was ''grausam''
bedeutete und faltasiarnisch war, musste ziemlich dumm sein. Sonst hätte er nicht sein Messer auf dem
Tisch liegen gelassen. Vielleicht war das ganze aber auch eine Falle. Oder Rhokkopan war sich seines
Sieges einfach zu sicher gewesen.
Vor der Tür schienen sich Schritte zu nähern und Hakaan befand es für besser in den Schatten zu entschwinden.
Kurz darauf trat Rhokkopan ein. Diesmal ohne Kapuze. Trotzdem wollte er wohl sein Gesicht nicht zeigen,
denn er trug eine Maske, die Hakaan sehr stark an die Zeichnungen faltasiarnischer Kriegsmasken,
die sein Großvater angefertigt hatte, erinnerte. Rhokkopan war also faltasiarnischer Krieger oder er hatte
die Maske auf dem Schwarzmarkt erbeutet.
Hakaan betrachtete den Mann genauer. Er hatte schulterlange, braune Haare, die in fettigen Strähnen herunter-
hingen. Vielmehr konnte Hakaan nicht sagen, da der Rest des Körpers verdeckt war.
Rhokkopan ging auf den Tisch zu, nahm das Messer in die Linke und begann einen Kreis um die
Hängenden in den Boden zu ritzen. Offenbar hatte er noch nicht bemerkt, dass eines seiner Opfer fehlte.
''Der ist wirklich nicht sehr hell'', dachte Hakaan und bemerkte dann das jetzt vielleicht der beste Moment
war um zu verschwinden. Er schlich durch die schützenden Schatten auf die Tür zu. Er huschte durch die
Öffnung und verschwand im dahinterliegenden Gang. Da Hakaan nicht wusste in welcher Richtung der Ausgang
lag, folgte er einfach seinem Bauchgefühl. Als der Gang begann leicht schräg nach oben zu führen, war
Hakaan sich beinahe sicher, den richtigen Weg gewählt zu haben.
An der nächsten Biegung begann er zu rennen, denn er wollte nicht länger in den stickigen, feuchten
Gängen bleiben und vor allem nicht wieder eingefangen werden. Er wollte frische Luft einatmen.
Frische Seeluft. Die Luft, die immer um seine Hütte herum wehte und ihm ein Gefühl von Geborgen-
heit gab.
Nach einigen weiteren Biegungen, bei denen Hakaan immer der Steigung folgte, lag plötzlich eine
Sackgasse vor ihm. Zumindest sah es im ersten Moment aus wie eine. Als Hakaan gerade enttäuscht
und verzweifelt umkehren wollte, entdeckte er die rostige, in der Wand verankerte Leiter, die zu einer
Luke an der Decke des Ganges führte. Er lächelte kurz. Das war ziemlich sicher der Ausgang. Um nicht
auf den letzten Metern noch aufgehalten zu werden, spurtete er los, griff nach der Leiter, stieg im Eiltempo
hinauf und drückte gegen die Luke. Sie war recht schwer und ziemlich feucht. Nach den ersten Zentimetern
tat der Wind den Rest. Eine Böe ergriff die Holzluke und riss sie regelrecht auf. Frische Luft wehte zu
Hakaan herein und als er den Kopf hinaus streckte, spritzte ihm Wasser ins Gesicht. Er befand sich auf
einer kleinen Insel, ungefähr eine halbe Meile von der Küste entfernt. Der Himmel war wolkenbehangen
und grau. Ebenso grau schlugen die Wellen gegen den improvisierten Wall aus Sandsäcken. Ab und
zu waren die Wellen zu groß und schwappten auf die Insel, sodass der Boden bereits matschig und
durchnässt war. Jetzt verstand Hakaan warum es in dem unterirdischen (oder ''untermeerischen'')
Labyrinth und all den dazugehörigen Räumen so feucht gewesen war.
Ungefähr zwei Schritte rechts von Hakaan lag ein kleines Ruderboot. Hakaan schloss die Luke, schob
mit Mühe den rostigen Riegel vor und hievte das Boot über den Sandsackwall. Es war, wie Hakaan
erwartet hatte, ein bisschen morsch, aber man konnte darin sitzen ohne, dass es auseinanderbrach.
Also setzte er sich hinein, nahm die Ruder fest in seine Hände und begann zu rudern.

Karakho stieg wütend die quietschende, rostige Leiter empor. Er drückte gegen die Luke über ihm.
Nichts geschah. ''Scheiße'', fluchte er und stieg die Leiter wieder herab, ''Erst entkommt mir dieser
Mistkerl und dann schließt er mich auch noch ein! Das wird den Valkum gar nicht gefallen. Die bringen
mich um!'' Wütend rannte Karakho zurück zum Opfersaal. Er würde das Ritual ohne den Fechtmeister
zu Ende bringen müssen. Auch wenn dann nur zwölf Valkum geboren werden würden.
Er konnte nicht länger warten. Die Dämonen wurden ungeduldig. Das zeigten sie ihm in seinen
von Rauschgift herbeigeführten Visionen immer wieder.
Karakho betrat den Saal, nahm das auf dem Boden liegengelassene Messer wieder in die Hand und
beendete den Kreis um die Hängenden. Dann wendete er sich dem vor ihm hängenden jungen Mann
zu. Dieser schaute entsetzt zu wie Karakho sein Messer an seine Kehle legte. Er versuchte dem Griff
des Gegenübers zu entkommen, doch Karakho lies nicht los. Als der Mann schreien wollte, war es
bereits zu spät. Seine Kehle und somit auch seine Stimmbänder waren durchtrennt. Blut quoll aus der
Wunde, lief über das Gesicht des Mannes, tränkte seine Haare und tropfte auf den Boden.
Karakho war bereits weiter gegangen und hatte drei weiteren Personen die Kehle aufgeschlitzt. Und
nun fuhr er fort bis er der einzige lebendige Mensch im Saal war. Als nächstes ging er in die
Mitte des in den Stein geritzten Kreises und setzte sich im Schneidersitz auf den kalten Boden.
Er hob die Arme und sprach den verfluchten Spruch, der Götterohren folterte und die Dämonen zum
Lachen bringen konnte: ''Curi ab Marhi! Shoddo ab Darti! Cereron fel Sinionte klamist Nutre i Moi!''
Aus den offenen Kehlen der Toten, drang dichter schwarzer Rauch, der jede Sekunde fester wurde.
Es bildeten sich Gestalten, die Menschenskeletten ähnlich sahen. Nur hatten die Valkum langgezogene,
raubtierartige Köpfe, in deren Augenhöhlen Feuer zu brennen schien. Lange Gewänder aus dunklem
Rauch legten sich um die schmalen Körper der Dämonenkreaturen.
Einer der Valkum schwebte auf Karakho zu. Dieser Stand hastig auf und verbeugte sich. ''Gebieter,
ich...'' ''Einer fehlt, Karakho. Es müssen dreizehn sein. Die Formation ist nicht komplett! Wieso fehlt
einer? Du hast uns die dreizehn besten Kämpfer der Insel versprochen!'' Die zischende Stimme klang so
bedrohlich, dass sogar Karakho zitterte und kein Wort herausbrachte. ''Sprich!'', forderte ihn der Valkum
auf. Karakho schluckte. Er verbeugte sich abermals. ''Ich...Ich habe ihn verloren,...Gebieter. Er ist mir...
entwischt.''

Thornos öffnete die Augen und gähnte. Die Vögel vor seinem Fenster sangen ihr morgendliches
Lied und die Sonne schien so hell durch den Vorhang als bestände er aus Glas. Das Sonnenlicht
brach sich tausenfach in dem etwa faustgroßen Pöckelstein auf Thornos' Nachttisch und warf auf
diese Weise Strahlen in allen Regenbogenfarben an die Wand. Thornos bewunderte seinen
Pöckelstein, den er zuerst für einen normalen Diamanten gehalten hatte. Er hatte magische Kräfte,
die laut Meister Tobus alle Vorstellungen übertrafen und selbst Dämonen zurück in die Hölle schicken
könnten. Das genau solche Kräfte bald gebraucht würden, wusste Thornos an diesem Morgen noch nicht.
''Thooornooos!'',schallte es aus dem Flur, ''Aufsteeeheeen! Du musst zur Akademie!'' Thornos rollte
mit den Augen. Dann rief er zurück: ''Weiß ich doch, Mama! Ich bin 17. Du brauchst nicht immer so tun als
könnte ich nicht alleine aufstehen!'' Leicht angenervt warf er die Decke zurück, setzte sich auf und warf sich
sein Gewand über. Dann stand er auf und wusch sich sein Gesicht und die Haare in der Wasserschüssel,
die seine Mutter ihm, wie jeden Morgen, hingestellt hatte.
Er betrat die Küche, als seine Mutter gerade den Tisch deckte. Thornos setzte sich und nahm sich eine
Scheibe Brot. Dann schnitt er sich ein paar Scheiben von der Wurst ab und belegte damit sein Brot.
Nachdem er aufgegessen hatte, machte sich vier weitere Brote und steckte diese dann in seinen
Rucksack. Als nächstes füllte er seinen Wasserschlauch und steckte diesen ebenfalls ein. Das
musste für den ganzen Tag auf der Akademie reichen.
Nach einer knappen halben Stunde in der er über die Wege geschlendert war, hatte Thornos die
''Akademie für Magiebegabte'' erreicht. Sie war ein mittelgroßes Haus, aus weißen Ziegeln gemauert
und einer großen Kuppel auf dem Dach. Darin fanden immer die Probekämpfe statt.
Thornos schritt durch das große offene Tor und setzte sich auf eines der Kissen im Hauptraum, der
zur Theorie genutzt wurde. Die meisten Schüler waren schon anwesend. Nur noch zwei Kissen waren
übrig, wovon eines für Meister Tobus, den ''Lehrer'', reserviert war. Nach ein paar Minuten waren alle
da und der Unterricht konnte beginnen.
Bis zum Mittag besprachen sie den richtigen Einsatz der Lähmungszauber und Nebelbeschwörungen und
und machten sich einige Notizen dazu. Desweiteren wurde eine Weile über Zauberkombinationen
diskutiert. Dann war endlich die nervtötende Theorie beendet und nach der Mittagspause ging es mit der
Praxis weiter. Das gefiel Thornos schon viel besser.
Die Schüler hatten ihre Aufzeichnungen vom Vormittag mit in die Kuppel genommen um sich alles
noch einmal durchlesen zu können, falls es Missverständnisse geben sollte.
Nach ungefähr einer Stunde, in der Nebelbeschwörungen geübt wurden, war es an der Zeit, dass jeder
Schüler einmal seine Fähigkeiten vorführen konnte.
Meister Tobus schaute Thornos an. ''Möchten sie beginnen, Mr. Kroncarsson?''

Hakaans Arme waren schwer wie Blei, als er an der Küste angekommen war und er fühlte schon einen
mächtigen Muskelkater herannahen. Als er zurück zu der kleinen Insel blickte, die von der Küsste kaum
zu erkennen war, sah er Rauch aufsteigen und wunderte sich. Versuchte ''Rhokkopan'' die Luke zu verbrennen?
War er wirklich so blöd nasses Holz verbrennen zu wollen? Hakaan zuckte mit den Achseln. Sollte ihm doch
egal sein. Der Mann konnte ohnehin nicht mehr weg, schließlich hatte er kein Boot mehr.
Hakaan wollte sich gerade umdrehen um nach Hause zu gehen, als er etwas Seltsames bemerkte. Bewegte
sich der Rauch auf ihn zu? Zuerst dacht Hakaan, sein Gewissen spielte ihm einen Streich, doch als der Rauch
immer näher kam, sah er, dass es tatsächlichso war. ''Dieser Kerl hat magische Fähigkeiten'', dachte
Hakaan und befand es für besser, möglichst schnell zu verschwinden.
Auf halber Strecke hatte der Rauch ihn eingeholt. Auch als Hakaan zu rennen begann konnte er sich nicht
befreien. Er war umgeben von einer dichten, schwarzen Wolke und hatte nach kurzer Zeit die Orientierung
verloren, da er nur ein paar Schritte weit sehen konnte. Immer wieder schienen skelettartige Hände aus
dem Dunkel nach ihm zu greifen, doch Hakaan glaubte zuerst an Einbildung. Erst als eine der Hände ihn
wirklich zu packen bekam, begriff er, dass es real war. Er riss sich los und rannte in die Richtung, in der
er seine Hütte vermutete. Nach nur fünf Schritten stieß er verwundert aus dem Rauch heraus und
konnte sein trautes Heim sogar sehen. Er rannte so schnell er konnte. Die Rauchwolke nahm die Verfolgung
auf. Er schaffte es sogar bis zu seiner Hütte. Dann wurde es wieder dunkel um ihn. Zum Glück kannte
er sein Mobiliar auswendig und konnte sich, da er ja das Meiste recht gut erkennen konnte, gut orientieren.
Er hastete zu der Kiste, aus der er auch schon seinen Hammer genommen hatte, öffnete sie und nahm seinen
Degen heraus. Als er hinter sich ein Knirschen hörte, drehte er sich blitzschnell um und stach zu.

Der Degen fuhr durch den Stoff eines dunklen Gewandes und stieß auf Knochen. Dabei bog sich die
Klinge und die Waffe wurde aus Hakaans Hand geprellt. Sie landete hinter der Albtraumkreatur, sodass
er nicht herankommen konnte. Es gab nur einen Ausweg. Hakaan stürmte auf das Wesen zu, täuschte
einen Schlag gegen den länglichen Kopf an und griff nach dessen Arm. Er ließ die erschreckend leichte
Kreatur über seinen Rücken rollen. Von dem fehlenden Aufprall auf den Boden hinter ihm ließ er sich nicht
irritieren und griff nach seinem Degen. Dass er sich dabei bücken musste, war großes Glück. Etwas zischte
an seinem Kopf vorbei und schlug stattdessen in die Wand neben ihm ein. Holz splitterte und ein Bild fiel
von der Wand. Hakaan drehte sich um und plötzlich waren sie überall. Von allen Seiten drangen Klingen aus
beißendem Rauch auf ihn ein. Nur weil er ein so guter Fechter war, schaffte er es die Meisten abzuwehren.
Doch einige der Kreaturen durchbrachen seine Deckung und ihre Waffen zogen heiße, dampfende Striemen
über seinen Körper. Bald war Hakaans Hemd völlig zerschnitten und hing in losen Fetzen von ihm herab.
Hakaan wusste nicht, wie lange er schon kämpfte, doch er wusste, dass er es nicht mehr lange aushalten würde.
Seine Bewegungen wurden mit jedem Schlag langsamer und die Schmerzen immer größer. Seine Gegner
schienen nie müde zu werden und als die Welt zu flimmern begann, sank Hakaan auf die Knie. Ein paar Mal
durchzuckte ihn noch ein heißer Schmerz, dann hörten auch seine Kontrahenten auf zu kämpfen.
Hakaan atmete schwer. Als er aufsah, trat eine der Kreaturen auf ihn zu und hockte sich vor ihm auf den
Boden. ''Wir sind die Valkum'', zischte es zwischen den Reißzähnen hervor, ''Was wir eben gesehen haben
und was uns Karakho erzählt hat, reicht uns vollkommen. Du wirst nicht geopfert werden, Mensch. Wir haben
eine bessere Aufgabe für dich.'' Die Kreatur sprach langsam und machte nach jedem Satz ein paar Sekunden
Pause. ''Was wollt ihr von mir, Dämonen?'', fragte Hakaan, wobei er das letzte Wort bewusst abfällig aussprach.
''Komm mit uns! Karakho und wir werden dir ein Angebot unterbreiten.'' Hakaan schaute den Valkum abschätzend
an und sagte: ''Wenn ihr was von mir wollt, dann können wir das auch jetzt und hier abhandeln. Ich gehe gewiss
nicht zurück in dieses stinkende Loch.'' Der Valkum machte ein Geräusch, das sich anhörte wie ein Seufzen.
''Du wirst mit uns kommen müssen. Denn wir brauchen Karakho, da er der Einzige ist, der den Fluch
sprechen kann'', zischte er, ''Oder hast du ihm etwa ein Boot da gelassen, damit er herkommen kann?''
''Widerlinge'', murmelte Hakaan und stand auf. Seine Beine zitterten, doch er konnte sich halten.
Der Valkum ließ seine gespaltene Zunge hervorschnellen und ein stinkender Lufthauch wehte in
Hakaans Gesicht. ''Das habe ich überhört'', zischte die Kreatur. Hakaan lächelte kurz. Über ein wenig
Humor schienen diese Biester wenigstens zu verfügen.

Hakaan rümpfte die Nase. Er hasste diese Gänge. Er hasste diesen feuchten Gestank. Und so langsam
hasste er auch die ständige Anwesenheit der Valkum. Sie versprühten so eine Kälte und ihre Gegenwart war
erdrückend. Hakaan schritt durch die Gänge ohne auf seine Begleiter zu achten. Was für eine Aufgabe würde
ihm wohl zugeteilt werden? Wieso musste ''Rhokkopan'', von dem er jetzt wusste, dass er Karakho hieß,
einen Fluch aussprechen? Und würde Hakaan seine Familie jemals wieder sehen? Seine Augen wurden feucht,
als er an seine Frau und seinen Sohn dachte.
Jemand stubste ihm in den Rücken. ''Nicht stehen bleiben!'', zischte es, ''Ausruhen kannst du später auch noch.''
Widerwillig setzte Hakaan sich wieder in Gang. Doch er konnte nicht aufhören an seinen Sohn zu denken, der
jetzt in der Akademie saß.
Die Gruppe trat hintereindander durch die Tür in den großen Saal in dem Hakaan vor wenigen Stunden noch
gehangen hatte. Der Anblick ließ ihn schlucken. Seine ehemaligen Mitgefangenen hingen allesamt mit aufgeschlitzten
Kehlen tot an der Decke. Getrocknetes Blut bedeckte den Boden und die Stellen, an denen es heruntergelaufen war.
Auf einmal nagten die Schuldgefühle an Hakaan. Er hätte sie alle befreien können. Gemeinsam hätten sie Karakho
vielleicht überwinden können, auch wenn einige bewusstlos gewesen waren. Doch in dem Moment war Hakaan zu
egoistisch gewesen und hatte nur an seine eigene Flucht gedacht.
In der Mitte der Formation lag ein lebloses Bündel, doch als er genauer hinsah, meinte er ein leiches Heben und Senken
des Brustkorbes zu erkennen. ''Ist das...?'' ''Karakho'', kam ihm der Valkum zuvor, ''Er hat uns enttäuscht!''
Hakaan konnte sich ein Grinsen nicht ganz verkneifen und sagte: ''Geschieht ihm Recht.'' Nach all dem Leid, das er
ihm und den Anderen zugefügt hatte.
''Weckt ihn!'', sagte der Valkum, der als einziger von ihnen zu sprechen schien, wobei seine Stimme kaum zischte.
Zwei der Valkum schwebten zu Karakho hinüber. Sie streckten ihre Arme in seine Richtung aus und ließen dann,
nach einigem Knistern, mehrere kleine Blitze auf Karakho los. Dieser zuckte und wachte keuchend auf.
''Was...Wo bin ich?'',fragte er leicht nuschelnd, ''Bin ich..t...tot?'' ''Der Tod ist unangenehmer als du ihn dir vorgestellt
hattest, nicht wahr?'',fragte Hakaan spöttisch. Karakhos Blick klärte sich. Er hatte Hakaans Stimme erkannt und schaute
ihn nun direkt an. ''Wie schön. Ich lebe noch'', meinte er mit sarkastischem Unterton. ''Ehrlich gesagt, tot wärst du mir lieber.
Weißt du? Ich halte nicht so viel von Mördern.'' ''Das ist kein Mord!'', rief er entrüstet, ''Das ist Opferung! Den Unterschied
sollte man in deinem Alter kennen.'' ''Pah, das lasse ich mir nicht bieten, du...'' ''Ruhe jetzt!'',schrie der Valkum und funkelte
die beiden Männer an, ''Ihr seid erwachsen! Zumindest, wenn man von eurer mickrigen Lebensspanne ausgeht!...Karakho!...
Zieh die Maske ab!'' Karakho zögerte und schaute dabei in Hakaans Richtung. Es schien ihm nicht zu gefallen, seine Identität
vor ihm zu offenbaren. Doch schließlich gehorchte er und ließ die Maske sinken. Zum Vorschein kam ein kaum älter als
dreißig-jähriger Mann mit Kinnbart. Er hatte das Kinn trotzig, wie ein kleines Kind, hervorgeschoben und seine schwarzen
Augen, die nur einen Spalt breit geöffnet waren, schauten wartend in die Runde. ''Darf ich ihn jetzt opfern?'', fragte er, als
niemand etwas sagte. Der Valkum atmete hörbar. ''Der wird nicht geopfert!'' ''Waaaas?'', rief Karakho ungläubig.
Der Valkum entgegnete: ''Ich denke es ist am besten, wenn wir ihn den Pakt aussprechen lassen. Dann können wir auch
unseren Fluch einsetzen.'' Karakho schaute Hakaan an und fragte: ''Weißt du was dich erwartet, alter Mann?'' ''Nein,
weiß er nicht'',kam der Valkum Hakaan zuvor, ''Erzähle es ihm! Er wird sich freuen.'' Karakho seufzte. ''Also... Du wirst
einen Pakt sprechen, der dich zu einem Mitglied des Valkum-Kultes macht. Dann belegen die Valkum dich mit einem
Fluch, der dich daran hindert, gegen uns zu kämpfen.'' ''Ausführlicher gesagt'', zischte der Valkum, ''wird sich ein Geflecht
aus Narben über deinen Körper ziehen. Wenn diese Narben zu jucken beginnen, was sie in regelmäßigen Abständen tun,
musst du einen Menschen umbringen. Kommst du aber auf die Idee, einen zu töten, der auf unserer Seite steht, dann
werden die Schmerzen stärker.'' ''Und wie kommt ihr darauf, dass ich dabei mitmache?'', fragte Hakaan, ''Da lasse ich mich
lieber opfern.'' ''Du musst es akzeptieren!'',antwortete Karakho, ''Sonst müssen die Valkum dich zwingen.'' Der Valkum kam
näher an Hakaan heran. ''So ist es'' sagte er und kam Hakaans Gesicht dabei so nahe, dass dieser dessen verbrannt riechenden
Atem an der Wange spürte. ''Welche Option wählst du, Mensch?'' Hakaan grunzte. ''Freiwilig mache ich gar nichts!'', meinte er
widerwillig. Karakho lachte. ''An deiner Stelle hätte ich anders geantwortet. Du kennst die Mittel derValkum nicht!''
''Meine Entscheidung ist entgültig! Ich gehe jetzt, wenn es euch nichts ausmacht.''

Der Valkum war in Hakaans Bewusstsein eingefahren und hatte dessen Körper kontrolliert. Es hatte sich angefühlt wie ein loderndes
Feuer in seinem Körper. Zuerst hatte er geschrien, dann hatte der Valkum seinen Körper komplett übernommen und Hakaans Schrei
erstickt. Dieser hatte nur zuschauen können, was mit ihm gemacht wurde.
Der Valkum hatte den Pakt gesprochen, war aus Hakaans Körper herausgefahren und hatte den noch leicht Benommenen verflucht.
Nun war Hakaans gesamter Körper von einem Netz aus Narben überzogen, die beim Anspannen der Muskeln leicht schmerzten. Auch
sein Gesicht war verunstaltet und fühlte sich geschwollen an.
Hakaan seufzte. Er fühlte sich müde und ausgelaugt. ''Wo finde ich hier ein Bett?'', fragte er. Karakho zog die Augenbrauen hoch.
''Du willst wirklich hier schlafen, alter Mann?'', fragte er sarkastisch, ''Ich hätte gewettet, dass du darauf bestehst in dein eigenes Bett
zu steigen.'' ''Ich habe nach einem Bett gefragt'', fauchte Hakaan. Der Jüngere nervte ihn. ''Die Tür gegenüber'', antwortete Karakho
und drehte sich um. ''Ruh dich aus'', zischte der Valkum, ''Wir brauchen dich bei Kräften.''
Hakaan nickte, verließ den Saal und öffnete die besagte Tür. Er fand sich in einem spärlich beleuchteten, karg eingerichten Raum
wieder. Er war ziemlich klein und das dreckige Bett sah nicht gerade einladend aus. Neben dem Bett stand ein kleiner Nachttisch
und ein kitschiger, bunter Flusenteppich bedeckte den mittleren Teil des Raumes.
Hakaan torkelte mehr über den Teppich, als dass er lief und ließ sich auf die quietschende Matratze fallen. Seine Narben kribbelten
ein wenig. Was wollten die Valkum von ihm? Wieso gerade er?

Thornos ließ sich ins Bett fallen. Er war zufrieden. Der Tag war anstrengend gewesen, aber hatte trotzdem
Spaß gemacht, da Thornos alle Beschwörungen und Zauber erfolgreich gemeistert hatte. Er fand immer mehr Gefallen
an seiner Begabung und hatte schon oft überlegt, eigene Zauberformeln zu erfinden. Doch Meister Tobus hatte ihm davon
abgeraten. Er wüsste noch nicht genug über das Immaterium der Magie und könnte bei unvorsichtigen Formulierungen
leicht hineingesogen werden. Thornos hatte versprochen, nichts Unbedachtes zu tun, doch es kribbelte trotzdem in seinen
Fingern. Wenn er nur einen kleinen Zauber versuchte? Wenn er nur Wörter benutzte, dessen Bedeutung er zu hundert
Prozent verstand? Ein kleiner Versuch konnte nicht schaden. Thornos setzte sich auf und spreizte seine Finger. Er wollte
versuchen seinen Schrank zu öffnen. Er hatte sich bereits die Wörter zurechtgelegt, doch er kam nicht mehr dazu sie anzuwenden.
Es wurde schlagartig dunkel im Raum und ein leichter Lufthauch wehte herein. Ein Schatten huschte vor Thornos Augen vorbei.
Er kam ihm bekannt vor, doch es war zu dunkel um ein Gesicht oder auch nur die Farbe der Kleidung zu erkennen. Gerade wollte
er seinen Lähmungszauber einsetzen, da war die Gestalt schon wieder im Schatten verschwunden.
Thornos kramte in seinem Gedächtnis nach einem geeigneten Zauber für die Situation. Dann sprach er die Formel und eine kleine
Lichtkugel erschien in seiner Hand. Sie leuchte nicht sehr weit -irgendwie verschluckte die Düsternis das Licht-, doch es
reichte um die Gestalt an ihm vorbei huschen zu sehen. Und jetzt konnte er auch das Gesicht erkennen.
''Vater'', rief er erstaunt. ''Was machst du da?'' Er drehte sich zu seinem Vater um. Dieser war nun stehen geblieben. Da
fiel Thornos auf, dass etwas anders war. Er ging näher heran und hielt seinem Vater die Lichtkugel vor das Gesicht. Es war
überzogen von dünnen, roten Narben und wirkte ein wenig traurig. ''Was ist geschehen?'', fragte der Sohn, ''Wie kommst du
hier her? Und wieso?'' Sein Vater seufzte. ''Das ist eine lange Geschichte. In der ich nicht immer der Gute bin.'' Er seufzte abermals
und begann flüsternd zu erzählen. Nach einer Weile stockte er und Thornos musste nachfragen, um die Erzählung weiter zu
bringen: ''Was wollten diese... Valkum denn nun von dir?''
''Sie wollten...'', erzählte Hakaan weiter, ''Sie wollten, dass ich die Pöckelsteine, die sich im Besitz von Magiern befinden, zu ihnen
bringe. Sie selber können die Steine nicht berühren und brauchen so einen, der diese Arbeit für sie übernimmt. Außerdem soll ich
noch weitere gute Kämpfer ausfindig machen, die dann ebenfalls in ihre Dienste gezwungen werden. Sie wollen sich eine Armee auf-
bauen und den Kontinent einnehmen.'' Thornos machte ein grimmiges Gesicht. ''Daran müssen wir sie hindern. Bleib' bei uns, Vater.
Wir beschützen dich vor...'' ''Du vergisst den Fluch, mein Sohn!'', fuhr im Hakaan dazwischen, ''Sie lassen meine Narben jucken und
ich muss töten. Tue ich das nicht, sterbe ich langsam und qualvoll an meinen Schmerzen. Sehr langsam. Außerdem wartet dann die
Hölle auf mich.'' Thornos schluckte. ''Ich kenne dich doch. Du würdest niemals töten.'' ''Das habe ich bereits getan!'' Hakaan
merkte, dass er laut geworden war und flüsterte wieder: ''Nicht nur einmal.'' Thornos trat angewidert zurück. ''Wieso hast du
dich nicht gewehrt?'' ''Verstehe es doch endlich! Ich habe keine Wahl.'' Hakaan drehte sich zum Fenster. ''Nutze die Informationen,
die ich dir gegeben habe, richtig, aber versuche nicht, mich von meiner Aufgabe abzuhalten! In deinem eigenen Interesse.'' Dann
sprang er aus dem offenen Fenster und verschwand in der Dunkelheit. Thornos stand noch eine Weile stumm da. Er fragte sich,
wie er die Informationen richtig nutzen sollte. Wenn er sie jedem erzählte, würden die Valkum davon erfahren und seinen Vater
bestrafen. Oder es glaubte ihm sowieso keiner. Am besten wäre es wohl, wenn er nur seine Mutter und Meister Tobus einweihte.
Tobus wüsste, was zu tun wäre und seiner Mutter konnte er es nicht vorenthalten.

Seine Mutter hatte im ersten Moment an einen Scherz geglaubt. Aber wirklich nur im ersten Moment. Dann hatte sie Thornos'
ernstes Gesicht gesehen und gewusst, dass er nicht scherzte. ''Los!'', meinte Thornos hektisch, ''Wir müssen so schnell wie
möglich zu Meister Tobus. Er kann uns helfen. Bestimmt.'' Seine Mutter rieb sich müde die Augen. ''Mitten in der Nacht?'' ''So
schnell wie möglich!'' Sie setzte sich auf und sagte: ''Wenn das, was du sagst, stimmt, dann ist das Ganze schon seit fast einem
Monat im Gange. Da können wir auch noch eine Nacht warten.'' Thornos schaute sie durchdringend an. ''Die Müdigkeit hindert
dich, klar zu denken. Ich gehe allein, wenn du nicht mitkommen willst!'' Statt einer Antwort ertönte ein lautes Schnarchen und
die eingefallene Sitzhaltung seiner Mutter ließ darauf schließen, dass sie wieder eingeschlafen war.
Thornos stand von der Bettkante auf und verließ den Raum. Im Flur nahm er seinen Mantel vom Haken, warf ihn sich über und
eilte in die dunkle Nacht hinaus.
Nach zehn Minuten Dauerlauf war er an der Akademie für Magiebegabte angekommen. Tobus wohnte im ersten Stockwerk,
direkt über dem Theorie-Zimmer. Thornos schaute sich nach einem Stein um. Er fand einen, hob ihn auf und warf ihn gegen
Meister Tobus' Fenster. Ein lautes Klirren. Die dünne Scheibe war zerbrochen. Einige Sekunden später tauchte eine hagere,
große Gestalt in der Öffnung auf und blickte verschlafen in die Nacht heraus. ''Wer da?'', rief er, da er Thornos nicht sehen
konnte.''Ich bin's!'', rief Thornos nach oben, ''Thornos Kroncarsson!'' Tobus erkannte ihn an der Stimme. ''Ich komme!''
Nach einiger Zeit schwang das große Tor auf und Thornos wurde eingelassen. Meister Tobus der eine Kerze in der Hand hielt,
fragte: ''Kann ich dir helfen, mein Junge?''

''Ja, leider, Meister Tobus'', antwortete Thornos, während sein Lehrer das Eingangstor schloss.
''Du darfst mich auch nur Tobus nennen'', meinte dieser, ''Wir sind ja nicht im Unterricht und
außerdem ist dein Vater ein guter Freund. Ich dutse Sie ja schließlich auch und nenne sie beim
Vornamen, Mister Kroncarsson.'' Er zwinkerte Thornos lächelnd zu. Dann wurde seine Miene wie-
der ernst. ''Tut mir leid, dass ich dich unterbrochen habe. Du hast ein Problem?'' Thornos seufzte.
''Das kann man so sagen. Aber es ist vielmehr mein Vater der ein Problem hat.'' ''Tatsächlich?''
Tobus fuhr sich durch den grauen, im Licht der Kerze rötlich schimmernden Vollbart.
''Komm, mein Junge. Wir gehen ins Wohnzimmer. Dann mache ich uns einen Tee und du kannst
mir alles in Ruhe erzählen.''Leicht humpelnden Schrittes ging der ältere Mann voran.
Das Wohnzimmer lag im ersten Stockwerk, so wie die gesamte Wohnung von Meister Tobus. Einige
Fließteppiche bedeckten den rauen Betonfußboden. Ein Sofa und zwei Sessel standen um einen
ebenholzfarbenen Tisch, auf dem eine Vase mit roten Rosen stand, herum. An der Wand gegen-
über von zwei hohen Fenstern stand ein großes Bücherregal, vollgestopft mit verstaubten, dicken
Wälzern über Magie und einigen Brettspielen, die aussahen als würden sie häufiger benutzt, denn
sie waren nicht staubig. ''Wer spielt denn mit ihnen... dir, Tobus?'', fragte Thornos, ''Du lebst doch
allein.'' Tobus, der gerade in den Raumkam, stellte sich nun neben Thornos und schaute ihn fragend
an. ''Spielen?'' Thornos nickte in Richtung des Regals. ''Achso'', sagte Tobus, ''Meine erwachsenen
Kinder besuchen mich oft. Dann spielen wir gern Brettspiele.'' Er deutete auf das Sofa. ''Setz dich!''
Mit diesen Worten entschwand er ins Nebenzimmer. Thornos tat wie geheißen und setzte sich auf das
weinrote Sofa. Es war weich und gemütlich, doch er konnte sich nicht entspannen. Er hatte das
Gefühl mit jeder verstrichenen Sekunde seinen Vater mehr zu verlieren. Es musste doch einen Aus-
weg geben. Diese Valkum mussten einen Schwachpunkt haben. Jeder hatte einen Schwachpunkt.
Nach ein paar Minuten, die Thornos wie Stunden vorkamen, kam Tobus mit zwei Tassen Tee zurück.
Er setzte sich auf den Sessel gegenüber des Sofas und stellte Thornos eine der Teetassen hin. Dann
sagte er: ''Gut, nun erzähle mir was los ist. Ach, und sei vorsichtig. Der Tee ist sehr heiß.''

''Ich finde, der bringt überhaupt nichts. Ein alter Narr, der in bisschen mit dem Degen umgehen
kann. Pah! Da pfeif' ich drauf!'' Karakho ging einen Schritt auf den Valkum zu. ''Wir sollten ihn
opfern. Ein neuer Valkum ist auf jeden Fall mehr wert als der Kerl.''
''Nichts da!'', fauchte der Valkum, ''Er ist sehr wichtig für uns. Er beschafft uns Granula und Soldaten
für die Armee.'' ''Granula? Wer oder was ist ein Granula?'' ''Ein Granulum ist ein Stein, der bei euch
Menschen ''Pöckelstein'' heißt. Ich hätte erwartet, dass du das weißt. Schließlich hast du doch die
Dunkle Offenbarung gelesen. Das steht da deutlich drin!'' Karakho räusperte sich. ''Natürlich
habe ich die Offenbarung gelesen, oh großer Valkum-Meister. Aber was hat es mit den Soldaten
für die Armee auf sich? Wäre eine reine Valkumarmee nicht tausendmal stärker?'' ''Ja, das wäre
sie'', zischte der Valkum, ''Allerdings wäre so eine Armee ein großer Magier-Magnet. Und
Magier sind nach den Granula die gefährlichsten Objekte auf Rivic. Das war schon einmal unser
Verhängnis. Dieses Mal soll keiner wissen, von wem diese Bedrohung ausgeht. Dann
können sie auch nicht konkret gegen uns vorgehen. Übrigens steht unsere große Niederlage und die
Lehren, die wir aus ihr zogen, auch in der Dunklen Offenbarung! Ich habe eine bessere Idee, welchen
unserer Diener wir opfern.'' ''Aber ihr habt doch nur zwei Diener!?''
''Schlaues Kerlchen.''