1) Ketzerei?
Als das grelle Licht eingeschaltet wurde, musste Damien die Augen zukneifen, um nicht allzu sehr geblendet zu werden. Seine Arme waren eng an den stählernen, kalten Stuhl geschnallt, ebenso wie seine Beine. Bewegungsfreiheit gab es quasi nicht. Langsam öffnete er seine Augen, während er hörte, wie schwere Schritte durch den kleinen Raum auf ihn zukamen. Er musste grinsen.
"Es ist mir eine Ehre, Großinquisitor" begann er die Unterhaltung, von der er wusste, dass sie nicht so freundlich bleiben würde, wie er sie eingeleitet hatte.
"Ich wünschte ich könnte sie auch noch als Inquisitor begrüßen, Damien, doch sie machen es mir schwer" Der Mann vor ihm setzte sich auf den Stuhl, der Damien gegenüber stand. Seine schwere Rüstung klirrte leicht und ein Geruch von teurem Amasec ging von ihm aus. " Sie können mich sehen, nicht wahr?" fragte er gelassen.
Damien nickte lächelnd. Er war blind und beinahe sein ganzen Gesicht war seit einem tragischen Unfall von Bandagen bedeckt, doch nicht nur seine körperlichen Sinne waren seitdem besser geworden, auch sein psionisches Gespür hatte sich so weit verschärft, dass es ihm ein klares Bild seiner Umgebung zeigen konnte. Er war farbenblind, sah alles in leicht melancholischen Schwarz und Weiß, aber ja, er konnte sehen.
"Sagen sie mir, was sie über die Corathrophs wissen und ich kann sie hier rausholen. Wo befinden sie sich, Damien?"
Damien schüttelte den Kopf. "Sie wissen so gut wie ich, dass ich ihnen dies nicht sagen kann." Antwortete er mit fester Stimme.
"Doch das können sie. Erzählen sie mir von ihnen. Jede Information kann uns nutzen, mein Freund."
Damien schüttelte nur den Kopf. Sie würden ihn töten, wenn er nicht kooperieren würde. Er kannte die Praktiken der Inquisition gut genug. Jende Praktiken, die er selbst unendlich oft angewandt hatte, bevor er sie getroffen hatte. Es war ihm egal, was mit ihm passieren würde, denn er hatte mit sich selbst seit dem Moment abgeschlossen, in dem er seinen ehemaligen Kollegen in die Hände gefallen war. Eigentlich dürfte er nichts zu befürchten haben, denn sein Herz und seine Seele schlugen noch immer für den Imperator, doch manchmal... - Damien musste erneut lächeln, als er sich an die Worte des Mannes erinnerte, den er mehr als jeden anderen schätze und respektierte - "Manchmal ist es nicht so einfach..."
"Damien!" schrie ihn sein gegenüber an, doch die Beruhigungsmittel, die man ihm verabreicht hatte, übernahmen erneut die Kontrolle über seinen stark geschwächten Körper. Langsam schweiften Damien Gedanken ab und führten ihn in einen Traum. Nein, in eine Erinnerung. Zu seinem ersten gemeinsamen Einsatz mit den Corathrophs.
Keuchend rannte Damien die schier endlosen Stufen zur Spitze des Astronomieturms des Gouvernourssitz empor. Durch die verzierten gothischen Fenster sah er das Schlachtfeld. Es war ein grauenvoller Anblick. Der Himmel und die Erde waren blutrot gefärbt, die Leichen der Rebellen stapelten sich zu meterhohen Türmen. Es war einer der grauenerregendesten Orte, an denen Damien in seiner Laufbahn als Inquisitor je gewesen war. Als junger Haereticus Vertreter hatte er es nicht oft mit den Mächten des Chaos zu tun, erst recht nicht in solch ausgebreiteter Form wie an diesem Tag. Der ganze Planet, auf dem er sich gerade befand, betete den Blutgott an, weshalb die Space Marines, die er begleitete, ihren Vernichtungsfeldzug nicht nur gegen militärische Streitkräfte, sondern auch gegen Zivilisten richten mussten.
Keiner durfte die Saat der Verderbnis weitertragen.
Keiner durfte überleben.
Damien schluckte. Bisher hatte er einen Genozid dieser Größenordnung nur aus dem All miterlebt. Wenn man auf einer Schiffsbrücke stand und die Virusbomben langsam auf den Planeten regneten, dann war alles irgendwie rein theoretisch. Selbst wenn die Atmosphäre von undurchdringbarem Feuer verschlungen wurde, war es nur eine runde Kugel, die verbrannte. Man sah nicht die Leichen. Man hörte nicht die Schreie der Sterbenden. Man fühlte nicht den Tod an jeder Ecke...Unten sah er wie einige Marines die Toten mit schweren Flammenwerfern verbrannten, während er selbst sich zur Spitze des Turms vorarbeitete. Dort oben wartete ein Marines auf ihn, der Verbandsführer der Corathrophs, Schattensergeant Vidar. Dort oben sollten sie den Gouvernour dieses Planetens töten. Dies war der Grund, warum man am Boden kämpfte, denn dieser Mann musste mit Sicherheit getötet werden. Danach würde der Exterminatus den Rest übernehmen.
Schnaufend erklomm Damien die letzten Stufen und betrat die kreisförmige Kuppel. Er achtete wenig auf die reich verzierten Räumlichkeiten, sondern realisierte sofort mit einem Lächeln, dass der Gouvernour tot am Boden lag. "Gut gemacht, Sergeant!" rief er außer Atem. "Hervorragend!" Die Mission schien ein voller Erfolg zu sein.
"Was genau erachten sie in diesem Raum als hervorragend, Inquisitor?" fragte ihn der Marine mit tiefer Stimme.
Verwundert verlangsamte Damien seine Schritte. Was meinte er? Als er auf die Leiche zuging, bemerkte er, dass Vidar beinahe traurig auf den Mann herabsah, der durch seine Hellebarde sein Leben ausgehaucht hatte. Aus der Stirn des Mannes wuchsen zwei kleine Hörner, doch sein sterbendes Antlitz wirkte beinahe friedlich.
"Ist diese Mission nicht auch für sie ein Erfolg?" fragte Damien den Koloss neben sich vorsichtig, ohne den Blick vom Gouvernour abzuwenden. "Wir haben das Herz dieser Ketzerei zerschlagen. Die Wurzel dieses Übels, welches versucht, das Imperium von innen zu vernichten" Rechtschaffener Eifer beflügelte Damiens Worte, doch er merkte, dass sie bei seinem Gegenüber auf taube Ohren stiessen.
"Ketzerei..." wiederholte der Marine bedächtig. "Ein schweres Wort mit fataler Bedeutung..." Vidar drehte sich um und ging in die Mitte des Raumes, wobei ihm Damien vorsichtig folgte. "Sagen sie, Inquisitor, ist jede Zuwendung zum Chaos ein Verrat am Imperium?" Zum ersten Mal sah ihm der Mann mit der fahlen, weissen Haut und den schwarzen Augen nun direkt in die Augen. Damien schluckte. Obwohl er den Sinn dieser Frage nicht verstand, so wusste er, als sie mehr bedeutete, als es den Anschein hatte.
"Wie kann man dem Imperator noch dienen, wenn man sein Leben dunklen Mächten widmet?" fragte er vorsichtig zurück.
"Sehen sie sich um, Inquisitor, die Fenster hier werden ihnen ihre Antwort liefern"
Damien wandte seinen Kopf zum ersten Fenster rechts neben dem Eingang und musste zu seiner Überraschung feststellen, dass die Buntglasfenster - zumindest vermutete er, sie seien bunt - die Geschichte dieses Planeten zu erzählen schienen.
"Ein Idyllischer Planet am Rande des Imperiums" erläuterte Vidar das erste Bild, welches eine Stadt unter einer strahlenden Sonne zeigte. Davor gab es Felder und einige glücklich wirkende Menschen waren abgebildet.
Die Szenerie wechselte drastisch auf dem zweiten Bild. Riesige Meteoriten stürzten auf die Stadt herab, aus welchen im dritten Bild fremdartige Wesen hervorkrochen. Hinter ihnen zog sich eine Schneise der Verwüstung her, während sie auf ihrem Weg zur Stadt waren.
"Sie sind grün, wissen sie?" bemerkte Vidar, der um Damiens Sehschwäche wusste.
"Orks..." hauchte der Inquisitor leise.
Vidar nickte. "Eine gewaltige Invasion, etwa vor 40 Jahren. Alle Behörden im Sektor waren in Aufruhr, denn es schien, als könnte nichts in seinem Weg den Waaagh aufhalten. Zudem war kein Space Marine Orden in verfügbarer Nähe. Der Krieg dauerte fast 14 Jahre"
"Unfassbar... Wie haben sie es so lange gegen die Xenos ausgehalten?" fragte Damien schockiert.
"Sehen sie selbst" Vidar deutete auf die nächsten Bilder.
Das nächste zeigte den Kampf um die Stadt, deren Befestigungen jahrelang gegen den Ansturm anhielten. Die PVS waren stark, es waren zudem auch Panzer abgebildet, wobei Damien meinte mindestens einen Baneblade zu erkennen, doch dies allein würde nicht genügen.
Auf dem fünften Bild war es schliesslich soweit. Die Mauern gaben nach und die Orks überrannten die Stadt. Das Bild zeigte, wie sie gnadenlos Frauen und Kinder niedermetzelten, einfach nur um ihre tierischen Triebe zu befriedigen. Vor seinem Inneren Auge schien das Feuer lebendig zu werden und er meinte die hilflosen Opfer schreien zu hören.
Warum war so etwas in diesem Imperium immer noch möglich? Bei all ihrem Bemühungen, warum reichte es nicht aus? Warum waren sie immer noch zu wenige...?
"Es ist noch nicht vorbei" drängte Vidars Stimme ihn und er sah sich das nächste Bild an. Abgebildet war ein Mann, der deutliche Ähnlichkeit zu dem toten Gouverneur hinter ihm aufwies. Damien schluckte. Über dem Mann, der auf einem Bein kniete, brach eine blutrote Gestalt aus dem Himmel, die ihm ein gewaltiges, brennendes Schwert überreichte.
"Das kann doch nicht..." stammelte Damien.
"Der Blutgott" stimmte ihm Vidar zu, und während er auf das siebte Bildnis deutete. "Er gab ihnen die Kraft die Orks zu besiegen, als sie nichts mehr als den Tod zu erwarten hatten"
Damien schüttelte verzweifelt den Kopf. Das konnte nicht sein, so etwas konnte nicht sein! Wer sich dem Chaos zuwandte war von Grund auf verdorben! Diese Geschichte... Dies alles hier widersprach allem, was er je gelernt hatte! Man wandte sich aus Egoismus, aus Trieblust, aus Gier oder Machthunger an die finsteren Mächte, aber nicht...
"Dieser Mann wollte sich nie vom Imperium abwenden. Er hatte nie die Absicht der Menschheit den Rücken zu kehren. Er wollte nichts, als sein Volk zu retten..." unterbrach Vidar seinen Gedankengang. Der Marine drehte sich von ihm weg und ging zur Treppe.
"Aber..." Damien schüttelte den Kopf, er konnte noch immer nicht glauben was dieser Mann versuchte ihm zu erklären.
"Gehen sie zurück aufs Schiff, Inquisitor, denn hier finden sie nichts Hervorragendes. Hier finden sie nur Leid und Tod."
"Aber der Imperator beschützt jene, die an ihn glauben!" schrie er dem gerüsteten Krieger hinterher, wobei all sein religiöser Eifer, den er über die Jahre erworben hatte, in die Worte hineinfloss. Ja, so war es. Der Imperator beschützte jene, die fest an ihn glaubten und ihm ihr Leben widmeten. So war es und so musste es für ewig sein.
Vidar drehte sich nicht noch einmal zu ihm um, als er die letzten Worte sprach, die Damien an diesem Tag von ihm hören sollte. Worte, die schwer vor Trauer waren.
"Manchmal ist es nicht so einfach..."