[Sonst] Kalt und dunkel (Fantasystory)

  • Hi,
    diese story habe ich für meine eltern zu weihnachten geschrieben. Ürsprünglich war hier einfach geplant aufzuhören und das ende offen zu lassen, aber meinen eltern hat es gefallen und meinten ich soll weiterschreiben, also ist das nur das erste kapitel einer längeren story.
    ich hoffe es gefällt euch.
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    Kalt und dunkel


    Friedrich, der Kobold, ging die verschneite Straße entlang. Die Kapuze hatte er tief in das runzelige Gesicht gezogen. Er war auf dem Weg zum Weihnachtsmann, der ihn zu sich gerufen hatte. Wahrscheinlich gab es ein Problem. Das hatte der alte Mann bereits angedeutet.
    Die Eichentür öffnete sich quietschend. Ein Windstoß fegte einige Papiere durch den großen Raum. „Holla“, kam es aus dem Inneren, „Lass doch die Tür nicht so lange auf, mein Guter!“ „Verzeihung, Herr Weihnachtsmann.“ Friedrich trat ein und schob die schwere Tür schnaufend zu. „Setz' dich! Der Sessel ist frei.“ Friedrich tat wie geheißen und hievte seinen kleinen Körper auf den weichen Sessel. „Warum hat denn Herr Weihnachtsmann gerufen?“, fragte Friedrich neugierig, „Probleme? Ist es schlimm?“ Der Weihnachtsmann, der dem kleinen Kobold gegenüber saß, seufzte. „Das liegt daran, wie Sie es auslegen, mein lieber Friedrich. Ich könnte mir vorstellen, dass es Ihnen schlimm vorkommt, wo Sie doch auch bei einem einzigen vergessenen Geschenk schon fast vor Verzweiflung versinken.“ Er lachte kurz. „Es ist so: Hier ganz in der Nähe, im Weißgipfelgebirge, hat sich eine Bande junger Kobolde verirrt. Sie waren für den Transport der letzten Geschenke verantwortlich. Aus Berichten weiß ich, dass sie in Graupelheim gestartet sind, doch hier ist niemand angekommen. So, Friedrich, Ihre Aufgabe ist ganz einfach. Suchen Sie sich ein paar Freunde und suchen Sie die Jungen. Die Transportroute wird Ihnen bekannt sein, nehme ich an.“ Friedrich sank in sich zusammen. „Immer ich“, seufzte er, „Immer ich. Die undankbaren Aufgaben heben Sie sich wohl allein für mich auf...“ Der Weihnachtsmann lachte wieder. „Köpfchen hoch, mein Guter. Ziehen Sie sich warm, es kann ja nichts passieren.“ „Wie ist es mit Zauberpulver?“,fragte der Kobold, „Das beschleunigt die Suche sicher ungemein.“ Nein, nein, hören Sie doch auf. Sie wissen, doch, dass das Zauberpulver den Rentieren vorenthalten bleibt. Wie soll ich denn sonst zu Weihnachten die ganze Welt bereisen?“ Friedrich ließ sich grummelnd von seinem Sessel gleiten. „Jaja, Herr Weihnachtsmann. Mach ich doch gern. Mach ich doch gern.“
    Die Straße war leer. Nur hin und wieder hüpfte ein Kobold umher. Friedrich war nicht nach Hüpfen zumute. Der Tag war verdorben, wahrscheinlich die ganze nächste Woche. „Jaja, mach ich doch gern. Mit mir lässt's sich ja machen.“ Friedrich hieb seine Faust in eine Schneewehe. „Pah!“
    Noch ein paar Häuser, dann hieß es Gruppe zusammenstellen und Sachen packen. Kalt würde es werden. Zu kalt. Die Kälte hier auf der Straße war ja schon kaum auszuhalten. Wie sollte es erst in den Bergen werden. Noch kälter. Friedrich würde erfrieren. Elendig erfrieren würde er. Es hieß, es wäre in den Bergen so kalt, dass der Atem sofort zu Eis gefror. Wenn Friedrich das so betrachtete, glaubte er nicht, dass die Kobolde noch lebten. Also war seine Mission sowieso umsonst. Da konnte er genauso gut zu Hause bleiben, wo es warm war.


    Zitternd hing Friedrich seinen Umhang an den Haken und zog die Stiefel aus, um den Schneematsch nicht im ganzen Haus zu verteilen. „Ah, Friedrich der Große ist zurück.“,kam es von Friedrichs Bruder Holger, der gerade aus der Küche schlurfte, „Was wollte der alte Herr denn?“ „Nichts Gutes“, antwortete Friedrich, „Es geht in die Berge. Du kannst schon mal deine Sachen packen. Du kommst mit!“ Holger zog die Augenbrauen hoch. „Hast Du mir etwa zu sagen, was ich machen soll?Das wär' ja was Neues... Ich komme nicht mit!“ Er wollte gerade in die Küche zurück schlurfen, als Friedrich ihm hinterherwarf: „Denk doch nur an deinen Ruhm! Du magst es doch, bewundert zu werden. Und die Anerkennung beim Weihnachtsmann. Denk doch mal drüber nach!“
    Holger blieb im Türrahmen stehen. Dann drehte er sein Gesicht langsam seinem Bruder zu. Seine Stirn war gerunzelt. „Du meinst wirklich, dass man mich bewundern wird?“, fragte er zögernd, „Ich steh' dann im Mittelpunkt?“ „Sicher doch“, meinte Friedrich ohne sich seine Belustigung ansehen zu lassen. Sein Bruder benahm sich wie ein kleines Kind. „Du stehst im Mittelpunkt. Vielleicht bekommst du auch ein goldenes Ehrenmedaillon.“ Holgers Miene hellte sich auf. „Okay, ich komme mit. Wann soll es losgehen?“ Friedrich verzog triumphierend die Mundwinkel. So überredete man seinen Bruder zum Mitkommen. „Du hast noch eine Stunde, um deine Sachen zu packen“, erzählte er, „Pack warme Kleidung ein! In den Bergen ist es kalt.“ Holger verschwand. Er würde seine Sachen packen gehen.


    Die Gruppe stapfte durch den tiefen Schnee. Vorne Friedrich, der sich eine Karte des Weißgipfelgebirges vors Gesicht hielt, und sein Bruder Holger. Gleich dahinter Torge, ein stämmiger Kobold, der als Schmied für den Weihnachtsmann arbeitete. Er war stets grimmig und sehr wortkarg.
    In einigen Metern Entfernung kämpfte sich Michael, dick eingepackt und trotzdem frierend, durch die klirrende Kälte. Er war Friedrichs bester Freund und ziemlich kälteempfindlich.
    Noch ein Stück weiter hinten Petra und ihr Bruder Markus. Die beiden waren unzertrennlich und noch sehr jung. Wenig älter als dreißig und gut zu Fuß.
    Friedrich ließ die Karte sinken und schaute sich um. Viel war in dem Schneegestöber nicht zu erkennen. Die Berge zeichneten sich als graue Schatten zu allen Seiten ab, direkt vor der kleinen Gruppe begann ein schmaler Steg und führte von dort über eine Schlucht um sich schließlich eine Berg hinaufzuwinden.
    Ein erster Schritt verriet Friedrich, dass der Steg stabil war. Es bildeten sich keine Risse, kein verräterisches Knacken war zu hören. Nur glatt war es.
    „Vorsicht!“, rief Friedrich, „Hier wird es glatt!“ Der Wind verschluckte sein Echo. Er hoffte, dass die Anderen ihn trotzdem gehört hatten.
    Langsam setzte er einen Fuß vor den Anderen. Er durfte sich keinen Fehler erlauben. Der Steg war zu schmal. Ein Ausrutscher würde den Tod bedeuten. Hinter sich hörte Friedrich einen kurzen Aufschrei. Ein Blick zurück zeigte ihm, dass sein Bruder kurz das Gleichgewicht verloren hatte, nach kurzem Ausbalancieren allerdings wieder relativ sicher stand.
    Friedrich richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Weg vor ihm. Die Hälfte der Schlucht war überwunden. Ein Funken Hoffnung bildete sich, verflog allerdings sofort als Friedrich ausversehen nach unten schaute. Er konnte den Boden der Schlucht nicht ausmachen. Nebel waberte einige hundert Meter unter ihnen und machte den Eindruck als würden sie auf einem Steg über den Wolken spazieren. Die Vorstellung machte wieder etwas Hoffnung und wieder verschwand sie nach kürzester Zeit.
    Schneeflocken bildeten kleine Wirbel, kamen näher. „Eisgeister!“, schrie jemand hinter Friedrich. Der verfluchte sich dafür, vorangegangen zu sein und bekam es gewaltig mit der Angst zu tun. Er durfte nicht fallen. Nicht fallen. Niemals. Er machte auf dem Absatz kehrt. „Lauft!!!“ Sehr weit kam er nicht. Der Steg war eine Falle der hinterlistigen Eisgeister gewesen. Er löste sich langsam unter Friedrichs Füßen auf. Die ganze Welt schien für eine Weile die Luft anzuhalten. In Zeitlupe sah Friedrich, wie sein Bruder und der Schmied zusammenstießen und den Halt verloren. Er sah Michael, der sich mit einem verzweifelten Sprung ans „Ufer“ retten konnte, wo Petra und Markus bereits angekommen waren.
    Ein weiterer Schritt … ins Leere. Friedrich ruderte wild mit den Armen,doch er konnte nicht verhindern, nach vorne zu kippen. Er öffnete den Mund, er wollte schreien, doch ihm wollte kein Laut entweichen. Die Gewissheit zu sterben grub sich wie ein Maulwurf durch seine Gedanken. Er war erfüllt von Furcht. Unter ihm verschwanden Torge und Holger in der Nebeldecke.
    Friedrichs Gedanken flossen zäh. Schön Erlebnisse gingen ihm durch den Kopf. Wie er als Koboldkind mit Holger und Michael durch den Schnee getollt war. Er hatte sich immer vorgenommen, den Sommer kennenzulernen, den Frühling und den Herbst. Er mochte den Schnee, doch er war neugierig. Er kannte so wenig. Er hatte in seinem kurzen Leben viel zu wenig erreicht.
    Im nächsten Moment wurde Friedrich vom Nebel umhüllt. Wabernde Masse, die ihn mit Feuchtigkeit benetzte.
    Leere. Keine Gedanken mehr. Der fallende Kobold hatte aufgehört zu denken. Der Nebel verschluckte sämtliches Licht, in Friedrichs Ohren rauschte es.
    Er war nichts weiter als eine leere Hülle, ohne Gedanken ohne Gefühle. Ohne Persönlichkeit. Den Aufprall spürte er schon kaum noch. Die weltliche Schwärze vor Friedrichs Augen wich einer alles umfassenden, vollkommenen Schwärze. Mit weit aufgerissenen Augen lag der Kobold im weichen Schnee, der den Aufprall gut abgefedert hatte, eine Träne rann aus dem Augenwinkel und zog eine unsichtbare Spur über seine Schläfe.


    Keuchend erwachte der Kobold. Es war stockdunkel, seine Augen fühlten sich ausgetrocknet an, als hätte er zu lange nicht geblinzelt. Eine zitternde Hand tastete nach seinem Herzen. Es schlug, wenn auch schwach. Schnee rieselte dem Schwachen aus der Finsternis ins Gesicht … und plötzlich erinnerte sich Friedrich wieder. Er erinnerte sich an den Steg, an den Sturz und daran, dass er eigentlich gar nicht mehr am Leben sein konnte. Vielleicht war er das auch nicht. War das der Himmel? Fühlte sich so der Tod an? Hatte am denn auch im Tod ein schlagendes Herz? Friedrich tastete seine Umgebung ab. Schnee. Nichts als Schnee. Langsam kroch er in eine zufällige Richtung. Nach mehreren Metern gab er auf. Es veränderte sich nichts. Überall der gleiche pulverige Schnee. Wenn dies nicht der Himmel war, dann mussten Holger und der Schmied irgendwo in der Nähe sein. „Hallo? Ist da noch jemand?“, rief Friedrich schwach in die Dunkelheit hinaus. Er wollte nach seinem Bruder rufen, doch seine Stimme versagte ihm den Dienst. Mehr als ein Flüstern brachte er nicht mehr heraus. Schwer atmend sank er in den weichen Schnee, seine Augenlider flatterten.
    Frieden, er wollte Frieden. Er wollte schlafen, für immer ruhen.
    Friedrich schrak wieder hoch. Er war tatsächlich kurz eingeschlafen. Er durfte nicht einschlafen. Schlaf war tödlich, er würde erfrieren.
    Kleine grüne Punkte erschienen vor Friedrichs Augen. Er blinzelte, doch sie blieben. Das war gar nicht seine Netzhaut, die sich etwas einbildete. Nein, das war der Nebel. Ein leichtes Glühen ging von dem Nebel aus. Es war nur schwach, doch Friedrichs Augen mussten sich erst an die plötzliche Helligkeit gewöhnen.
    Nach einigen Sekunden konnte Friedrich normal sehen und schaute sich um. Er achtete nicht auf seine Umgebung, sondern suchte den Boden nach seinem Bruder ab. In einigen Metern Entfernung erblickte er schließlich einen Körper. Die Gliedmaßen waren merkwürdig verdreht und der Schnee unter dem Kopf hatte sich dunkel verfärbt.
    „Holger...“, dachte Friedrich erschrocken und stolperte auf den Kobold zu. Es war nicht Holger. Der Körper dieser Person war viel zu stämmig.
    Friedrich griff nach der verkrampften Hand des Kobolds. Sie war eiskalt und steif. Er drehte den Körper auf den Rücken. Die Augen des Toten blickten ins Leere und seine linke Wange war blutverschmiert. Es war der Schmied. Er hatte sich beim Aufprall wohl das Genick und eine Menge anderer Knochen gebrochen. Warum? Warum hatte sich Friedrich nichts gebrochen und lebte noch? Und warum war der Schmied tot? Das war nicht gerecht. Torge war wortkarg gewesen, keine Frage, doch das bedeutete nicht, dass er nicht durchaus freundlich sein konnte. Zuhause wartete seine Frau auf ihn. Vergeblich...
    Friedrich verharrte einige Minuten bei Torge. Er hatte dem Toten die Augen geschlossen und ihm eine angemessenere Pose verpasst. Nun lag der Schmied beinahe wie schlafend im Schnee.
    Friedrich erhob sich zitternd. Er konnte sich kaum auf den Beinen halten. Die Trauer um einen Gefährten lastete auf ihm wie ein dicker Felsbrocken. Friedrichs Fund machte die Angst um seinen Bruder immer schlimmer. Die Wahrscheinlichkeit, dass er überlebt hatte war gering. Das war sie immer gewesen, doch nun wurde es Friedrich erst richtig bewusst. Er hatte riesiges Glück gehabt. Vielleicht mehr als Glück.


    Einige Hasen hatten ihr Fell und Fleisch lassen müssen, doch es war die einzige Hoffnung für Friedrich, lebend aus der Sache herauszukommen. Aus den Fellen hatte er sich einen Übermantel gefertigt, den er über seine zerschlissene alte Winterkleidung gezogen hatte. Das Fleisch hatte er roh verzehrt, ein Feuer zu machen war ihm misslungen.
    Der Sturz war vier Tage her. Friedrich war froh, überhaupt so lange überlebt zu haben. Noch ein paar Tage mehr, dann würde er aus dem Tal herausfinden. Und wenn er erst einmal herausgefunden hatte, dann, so war er sich sicher, würde er auch zurück zum Dorf finden.
    Friedrich quälte sich vorwärts, Schnee peitschte ihm ins Gesicht. Schnaufend hielt er inne. Er ging jeden Tag ein ganzes Stück weit, jeden Tag ungefähr acht Stunden. So lang konnte diese Schlucht doch unmöglich sein.
    Nachdem Friedrich auch heute wieder einige Stunden unterwegs gewesen war, erblickte er eine große Öffnung in der Ferne. Ein großer schwarzer Spalt klaffte direkt vor ihm, die Schlucht endete dort. Hoffnung keimte in Friedrichs Herz auf, auch wenn es genauso gut nur eine Höhle sein konnte, die eine Sackgasse bildete. Doch Friedrich spürte, dass dies keine einfache Höhle war. Er spürte schon die Freiheit.
    Schnellen Schrittes bewegte er sich auf die Öffnung zu, zuletzt rannte er sogar. Woher er die Kraft nahm wusste er selbst nicht.
    Als der Kobold in den Spalt trat, begann die Welt um ihn herum zu verschwimmen. Summende, leuchtende Lichter erschienen und erfüllten die Luft mit angenehmer Wärme. Friedrich stolperte und fiel der Länge nach auf den Eisboden. Flüsternde Stimmen schienen mit ihm zu reden, doch er verstand nur Wortfetzen. Irgendetwas mit „unglaublich“ oder „unmöglich“.
    „Ihr seid der erste, der hier überlebt hat“, übertönte eine weiche Stimme das Geflüster, „Ihr habt Kraft und Ausdauer dazugewonnen. Ihr habt Hasen mit den Händen gefangen und seid stundenlang durch eisige Kälte gewandert. Es ist unsere Pflicht, euch einen Wunsch zu erfüllen.“ Friedrich hob seinen Kopf ein wenig. Er konnte nur die Lichter sehen. Schon wollte er seinen Wunsch formulieren, doch das war nicht nötig. Die Lichter verschwanden, die Welt um Friedrich begann sich zu drehen und schließlich landete er mit einer lauten Explosion auf der Straße. Geschrei und Lärm entstand unter den Kobolden, die gerade Weihnachten feierten. Friedrich erhob sich langsam. Sein Hasenmantel war verkohlt und um ihn herum brannten einige Stände.
    Er war zu Hause, das war alles was jetzt zählte. Einige Kobolde versammelten sich erstaunt um ihn, doch Friedrich ließ sie stehen und ging nach Hause. Er wollte allein sein.
    Seine Reise war traurig gewesen. Zu traurig um sich noch einmal an alles erinnern zu müssen …


    MfG TrOeToN