[Malaxis] {Descansos} – Flügellos

  • ~Verzeihen heißt nicht vergessen,
    ~und vergessen heißt nicht verzeihen.


    Der Stich selbst war kaum zu spüren. Eine wenige Zentimeter große Ampulle. Das Projektil, welches leer ungeheuer unschuldig wirkte, war viel zu fragil, um vom Feind zu stammen. Es war flüchtig leicht - und dennoch besaß es genug Gewicht, um gleich zwei Leben zu zerstören.


    Ihr fehlte es an nichts. Außer der Fähigkeit, frei darüber entscheiden zu können, ob sie blieb oder ging. Obgleich sie in allen Belangen zuvorkommend wie ein geschätzter Gast behandelt wurde, konnte nichts gänzlich darüber hinwegtäuschen, dass sie eine Gefangene war.


    Unbemerkt verließ das Geschoss mit einem kaum wahrnehmbaren Seufzer seinen Lauf und flog auf sein Ziel zu. Innerhalb der Zeitspanne, die ein Blinzeln in Anspruch nahm, durchquerte es unbeirrt das Schlachtenchaos und bohrte sich in die nachgiebige Rüstung in der Kniekehle. Eigens für diesen Zweck konzipiert, durchstieß die verstärkte Spitze das Material, während die innere Mechanik eine Chemikalie injizierte. Verbraucht und leer, brach der Korpus einfach ab. Ein weiteres Blinzeln und der Astartes strauchelte.


    Am zweiten Tag ihrer Haft kamen sie und brachten ihre perfide Strafe mit. Äußerlich ungerührt beobachtete sie die verwischten Schemen in der Scheibe vor sich. Verfolgte, wie einer der ihren in ihre Zelle geführt wurde. Eine Monströsität, ein aufgeblähter Post-Mensch, ein Nicht-Mann – und einer, der sich mühsam auf die Schulter eines anderen stützen musste. Schwer ließ er sich auf den Stuhl fallen, den ihm sein Helfer hinschob und sah das erste Mal hoch. Die Tür fiel zu, der Lichtschein von außen wurde abgetrennt wie etwas Lebendes und alles was blieb, war seine unwillkommene Präsenz. Sie wandte ihm, ihrem einstigen Ziel, weiterhin den Rücken zu und betrachtete scheinbar interessiert die Sterne.


    „Ihr solltet denjenigen zumindest kennenlernen, den Ihr töten wolltet.“
    Seine Stimme war dunkel und weicher, als sie dem Äußeren nach vermutet hätte. Honig und alter Wein in einem Holzfass. Irritiert schob sie den Gedanken fort. Zuerst antwortete ihm nur Schweigen.
    „Wie lautet also euer Name?“ Ihre Stimme war so geschliffen glatt und kalt, es erinnerte ihn an ein Prisma. Eines voller Schattierungen an Verachtung.
    „Wie soll ich meinen Kerkermeister rufen?“
    Der Koloss auf seinem Sitz verschränkte nur seine massiven Arme. Ob aus Nachahmung oder im Spott ihrer Haltung, erschloss sich nur ihm. Solange er ihr Gesicht nicht sehen konnte, würde er eben darauf warten.


    Er kam jeden Tag zur selben Schiffszeit. Er setzte sich immer auf denselben Stuhl. Überdimensioniert und der einzige im Raum, der wie ein Mahnmal jedes Mal erneut an der selben Stelle stand und wartete. Sie mied ihn ebenso geduldig.


    Sein Bein wurde bereits taub, als er fiel. Hart und unerwartet, prallte er inmitten Schutt und zerborstener Fliesen auf und konnte sich nicht länger rühren. Die verbitterte Idee eines Fremden kroch kalt durch seine Adern, ihn betäubend und doch versengend. Sein Körper hatte bereits oft gegen Gifte gekämpft und war bislang immer als Sieger daraus hervorgegangen. Ein stechender Schmerz wie der einer Messerklinge, und die Lähmung erzählten ihm, dass es dieses Mal anders war. Sein Bolter lag nur wenige Zentimeter neben ihm und doch schien er fern, wie in einer anderen Galaxie. Während die Schlacht um ihn ungerührt weiter wütete, konnte er seinen Brüdern nur hilflos hinterher starren.


    „Muhun.“
    „Wie bitte?“
    „Dies ist mein Name. Muhun. Es bedeutet Grenzstein.“
    „Dies ist kein mir bekannter Dialekt“, sprudelte die Verwirrung aus ihr, bevor sie sich wieder sichtlich versteifte. Fast hätte sie selbst eine Grenze überschritten.
    „Ich weiß.“ Er gestattete sich ein kleines Lächeln.


    Zwei seiner Besuche verbrachten beide in vibrierendem Schweigen. Eine Leere, angefüllt mit all den ungesagten Worten zwischen Fremden, die sich bereits zu gut kennen, um sich gleichgültig zu sein.


    Dieses Mal erwartete sie ihn.
    „Sind alle so wie Ihr?“ Barsch und beinahe ein Befehl.
    „Nein.“ Seine Gelassenheit irritierte sie. Sie war es gewohnt mit diesem Tonfall die gewünschten Antworten zu erhalten.
    „Allein diese Frage stellen zu müssen, bedeutet jedoch, wie wenig Ihr euch zuvor damit auseinandergesetzt habt.“ Empörung schwappte in ihrem Sein wie bittere Galle.
    „Wisst Ihr eigentlich wirklich, was Ihr so sehr an mir verachtet?“
    „Was nicht?“, schmetterte sie und ihr Schweigen zerbrach in kleine Stücke.


    Bereits ihre ersten Worte beschrieben eine Lüge. Sie fütterte sie mit einem falschen Namen und einer falschen Intention. Falls ihnen das modifizierte Scharfschützengewehr merkwürdig erschien, blieb eine Reaktion darauf aus. Sie hatten keinen Grund an ihren Motiven zu zweifeln, denn ihr Symbol sprach laut genug, um jeden Argwohn zu übertönen.


    Sie sprach erhitzt von Fakten und Wahrheit, ereiferte sich über Genetik und Reinheit. Beschrieb die alten Aufzeichnungen und die veredelten Wirkung der Sumpforchidee. Wie deren Gift in seinem Körper Wurzeln geschlagen hatte, war in ihr ein Plan erblüht und geborsten, wie eine Samenkapsel. Dennoch blieben ihre Worte tot. Entscheidend war nicht, was sie gesagt hatte, sondern was ungesagt geblieben war: dass die Menschheit und Menschlichkeit untrennbar zusammengehörten und doch nicht gleichzeitig existieren konnten. Wer das eine wählte, für den wurde das andere unerreichbar.
    „Beschützt Ihr euer Bild dessen, was Menschlichkeit darstellen sollte, deshalb so verbissen, da Ihr sie selbst verloren habt?“
    Sie wusste keine Antwort darauf.


    „Ihr Versuch war nicht ganz erfolgreich“, konstatierte ihr Besucher distanziert, als ginge es nicht um ihn, sondern um ballistische Diagramme.
    „Ihre Dosis war nicht konzentriert genug, um zu töten – jedenfalls nicht sofort.“
    „Nicht sofort?“
    „Es hat sich im Preomnor festgesetzt und das Organ zerfrisst sich selbst. Es gibt nur noch einen Weg, wie ich ohne es existieren kann.“
    Es bedurfte keiner Erklärung. Er hatte seine letzten Tage als freier Mann mit ihren Unterhaltungen verbracht.
    „Wozu?“, fragte sie.
    „Um zu verstehen.“


    Es sind nicht die offensichtlichen Unterschiede, die uns überraschen, sondern was wir gegen jede Wahrscheinlichkeit gemeinsam haben. Sie waren beide Gefangene der Überzeugung. Im Gegensatz zu ihm, hatte ihr Gefängnis jedoch eine fremde Hand errichtet.


    Der Raum erstickte an seinen Gerätschaften, wie ein vergessenes Museum. Sie fühlte sich als Eindringling, der an diesem privaten Moment nicht teilnehmen sollte. Ihr war eiskalt. Er jedoch stand unbekleidet da, als bemerkte er es nicht, und sie konnte keine Anzeichen für ihre Tat an ihm entdecken. Eine kleine Perle der Reue pulsierte direkt unter ihrem Herzen und sie begriff, warum es notwendig war. Sie erkannte ihn kaum noch, sträubten sich doch Kabel in seinem Nacken und wucherten Schläuche aus seiner Seite. Schließlich stieg er in absoluter Stille ein Gerüst empor, das zu einem Plasglastank führte. Hinter ihr stimmte ein Astartes mit einer Vogelmaske einen schweren Klagelaut an, der halb Schrei, halb Gesang sein mochte. Sie konnte beide Augenpaare zwischen ihren Schulterblättern spüren, als sie zurück zu ihrer Zelle floh.


    Jedes Leben erzählte eine Geschichte. Und die Sprache des Verlustes benötigte keine Worte um ihre Aussage zu übermitteln.


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