[Themenevent] Das Ende ist nur ein Anfang


  • Surren hüllt sie beide ein wie ein Totenhemd. Den Wächter und seinen Bruder, still und stumm neben ihm. Wissend. Wartend. Eine dicke Fliege schranzt um seinen Kopf herum und lässt sich auf dem kläglichen Rest nieder, der von seiner Nase übrig ist. Das Insekt ist Teil einer ganzen Invasionsflotte. Stoisch wie ein Felsen ignoriert er sie alle, auch als sein neuer Freund seelenruhig seine schimmernden Flügel zu putzen beginnt.


    „Ich habe diesen eigensüchtigen Zug an dir schon immer verabscheut“, durchbricht seine Stimme das weiße Rauschen tausender emsiger Fliegen. Schwerfällig und zäh ist sie, als lösten sich die Worte nur ungern aus seiner Kehle, klebten an ihm, wie vergorene Sahne. Sein Bruder ignoriert ihn. Er hat Schaum vor dem Mund und seine geschwollene Zunge liegt im Schmutz. Blasen platzen auf seinen Lippen, als winzige Chitinfüßchen hineinstoßen. Blutunterlaufene, eiternde Augen starren stumpfsinnig in die Blutlache vor sich. Nimmt er sie überhaupt noch wahr... oder bereits wieder? Sein Wächter weiß es nicht und interessiert sich auch nicht dafür.


    „Immer du zuerst. Immer voran. Der erste Fußabdruck auf weißen Fliesen. Der Erste im Gefecht, derjenige, der zuerst beschenkt werden wollte.“
    Der aufgetürmte Berg aus verbeulter, verkrusteter Rüstung und verrottenden Darmschlingen neben ihm gurgelt. Es klingt fast wie halbherziger Protest.
    „Wenn du nun hiermit auch der Erste sein musst, könntest du mir zumindest zuhören. Wenigstens das bist du mir nun schuldig.“
    Ob als Antwort, oder auch nicht, wird das Rumoren neben ihm lauter. Es steigert sich zu einem dröhnenden, blubbernden Crescendo, das bald das allgegenwärtige Summen zu übertönen droht. Der kahle Kopf des Wächters kippt auf und ab wie der eines wissenden, und doch leicht senilen Greises. Bald findet seine Wacht ein Ende.


    Die Leiche seines Bruders platzt. Der Wächter reagiert nicht, als eine weitere Schmutzschicht seine Rüstung und ihn wie ein Hagelschauer befleckt. Aus den Überresten seines Freundes gebiert sich ein neues Wesen, wie die Made sich aus einem Stück Speck schält. Es trägt eindeutig noch die Züge seines Bruders, und doch ziert seine Stirn ein Horn und Chitinaugen stieren ihn unergründlich an. Das neugeborene Ding entfaltet zerfledderte Flügel, die unangenehm an mottenzerfressene Vorhänge erinnern.


    „Dass mit dir auch immer alles so melodramatisch ablaufen muss.“
    Seine Begrüßung wirkt despektierlich und neidisch. Unbedacht hevorgewürgt aus vereiterten Bronchien und angefressenen Eingeweiden. Doch die Entität, die nun diesen Körper zusammen mit dem Geist seines Bruders bewohnt, weiß wie der sardonische Tonfall des Wächters gedacht ist. Alles andere als unhöflich.


    „Du hast dir ganz schön Zeit gelassen.“
    Ein privater, leichter Scherz unter ihresgleichen. Für den Wächter und ihn hat der nagende Zahn der Zeit kaum noch eine Bedeutung. Sie besitzen beide das Wissen, wie in jedem Ende auch ein neuer Anfang verborgen liegt. Alles, was gerade blüht, war bereits im Verwelken begriffen; was starb, konnte neu erstehen.



    ... oder: "Die Vergangenheit ist ein Prolog." [Anonym]


    In aller Kürze das aktuelle Projekt vorgestellt:


    [Die Thematik]
    Metamorphose, Erneuerung. Was für die einen das Ende der Welt ist, wird für andere zum Schmetterling.
    Die neue Edition hat zwar das Thema vorgegeben, doch die Geschichten schreibt ihr!


    [Der Umfang] Eingeschränkt nur durch den gesunden Menschenverstand und die Zeit. (Mehr als eine Seite, weniger als 15 bitte.)


    [Der Zeitraum] Start ist ab sofort, Ende offen


    [Die Juroren]
    Toshiro, der Grammatik-Samurai
    Endymion, der imperiale Hymnus
    CruelThunder, druckfrische Sonderausgabe
    (und hoffnungslos optimistisch: )
    Gambler, hoher Lord der Rezensionen


    Unsere ehrenwerten Freiwilligen, die alle Geschichten lesen und ihren Favoriten (mit kurzem Kommentar warum und überhaupt) vorstellen werden.


    [Kürzel für die Geschichten] => [Ende | Anfang]