XII
Nalaryss sass Anton gegenüber auf einer schmucklosen Kiste. Ihren mit Narben und Wunden übersäten Körper hatte sie mit einem schmutzigen Laken so weit abgedeckt, dass die intimsten Einblicke verwehrt blieben. Trotzdem zeige sie noch immer deutlich mehr von sich, als angebracht gewesen wäre. Ganz zum Missfallen Antons, den die verführerische Zurschaustellung des Aliens zutiefst anwiderte. Widerwillig tasteten seine Augen, von einer blasphemischen, zerstörerischen Gier getrieben, trotzdem die kunstvoll vernarbte Haut der Drukhari ab. Ein schwächerer Geist hätte sich wohl dem Anblick ergeben und sich dem verfluchten Flüstern Slaaneshs hingegeben.
Doch Anton lächelte nur kaum merklich. Egal wie begehrlich Nalaryss jenem verdorbenen, vom Chaos infizierten Teil seines menschlichen Wesens scheinen mochte, jeder Atemzug mahnte an die Pein, die ihm angetan wurde. Mit jedem Atemzug füllte sich sein Körper mit Verachtung und Hass. Er wusste, dass diese Verachtung, die er sich selbst gegenüber empfand, ihn gegen derlei Versuchung unempfindlich machte. Der dunkle Prinz kannte die niederen Triebe der menschlichen Natur und machte sich sie zunutze, um seine Anhängerschaft zu vergrößern. Doch Anton war nicht mehr länger ein Sklave der menschlichen Natur.
Für ihn hatte sie keinerlei Bedeutung mehr. Nalaryss hatte ihm alles Menschliche genommen. Sie hatte ihm das Konzept des Selbst entrissen und das zerstört, was einen Menschen ausmachte. Eine Befreiung – auf die unheiligste, finsterste Art, die möglich war. Eine Befreiung, die ihn nicht nur vor den Gefahren des Warp schützen, sondern auch sein wahres Potential entfesseln würde.
Als Inquisitor war Anton ein Werkzeug des Imperiums gewesen. Als solches hatten seine Gefühle verhindert, dass er ein gutes Werkzeug hätte sein können. Der Wille zu helfen. Der Wille, etwas Gutes zu bewirken. Kameradschaft und Liebe. Alles waren nur störende Faktoren, die seine Funktion behindert hatten. Nun war er frei. Er war von keinerlei Wert mehr. Nalaryss hat ihm jeden Sinn genommen. Selbst seine selbstverständliche Würde als Mensch. Er ekelte sich vor sich selbst ebenso wie vor seinen Gedanken. Er war wertlos. Er hasste sich. Er hasste das, was er war, ebenso wie die Erinnerungen an sein altes Ich.
Doch nun konnte er neue Pfade betreten, die ihm zuvor verwehrt gewesen waren. Nun gab es keinerlei Einschränkungen mehr. Er war nicht mehr länger ein Werkzeug des Imperiums, der Menschheit oder der Inquisition, sondern nur noch ein Werkzeug der Rache. Er würde diese Welt verlassen und Rache nehmen. Rache an den Menschen. Rache am Imperium. Rache an den Drukhari. Rache an allen, die sich ihm in den Weg stellen würden.
»Ich sehe das Antlitz des Meisters in deinen Augen«, rissen Nalaryss Worte Anton aus seinen Gedanken. Sie hatte sich nach einer Weile beruhigt, der Wahnsinn, der ihren Geist zuvor erfüllt hatte, schien sich vorerst zurückgezogen zu haben. »Es ist vollbracht. Als ich mich mit dir, niederem Tierwesen, vereint habe, habe ich die letzten Fesseln abgeworfen, die mich hier festgehalten haben. Ich habe das Wesen meiner Art verraten. Das Flüstern von Ihr, die Dürstet, ist verstummt.«
Anton wusste nicht wirklich, was die Kriegerin damit meinte. Trotzdem verstand er. Wie er selbst, war auch Nalaryss eingesperrt gewesen. Was sie ihm angetan hatte, hatte sie auch sich selbst angetan. Sie hatte sich ebenso befreit, wie sie Anton befreit hatte. Alles ergab Sinn. Eine vollkommene Erkenntnis. Klar. Absolut. Als würden sie sich denselben überlegenen Geist teilen.
Ruhig nickte Anton.
»Und was nun?« fragte er.
Sofort spürte er einen Schmerz. Innerhalb von Sekundenbruchteile war er derart heftig, dass sein Körper zu krampfen begann. Er durchfuhr ihn, als würde sein Schädel in tausend Teile zersplittern. Alle seine Gedanken verwandelten sich angesichts der blasphemischen Pein in eine unverständliche Menge; für seinen Verstand nicht mehr länger fassbar. Nur eine Handvoll Worte waren noch übrig. Sie waren dafür von unheiliger Präsenz und erfüllten seinen Geist vollständig: VERNICHTE SIE ALLE. RACHE. ZERSCHMETTERE ALLES! GÖTTER! MENSCHEN! AELDARI! DICH SELBST!
Dann war der Schmerz so plötzlich vorbei, wie er gekommen war.
»Wir bewaffnen uns«, antwortete Nalaryss so selbstverständlich auf Antons Frage, dass er sich fragte, ob er sich den schmerzvollen Anfall nur eingebildet hatte. Ein fast verstummtes Etwas innerhalb seiner Seele schrie panisch. Wollte ihn warnen. Aber vor was eigentlich?
»...dann lassen wir diese Welt zurück. Ich weiß, wo wir ein Artefakt finden, mit dem wir Dalrailac endgültig vernichten können. Wir werden es für uns beanspruchen. Und dann, dann führen wir unseren Vernichtungskrieg gegen alles und jeden, um den Schmerz zu rächen, den wir erfahren haben.«
»Rache...«, flüsterte Anton leise. »Und wieso ich? Wieso sollte ich mit dir gehen?«
»Solltest du? Du solltest nicht. Du willst«, antwortete Nalaryss, ehe sie nach einer kurzen Pause, während derer Anton sich eingestehen musste, dass die Drukhari absolut recht hatte, fortfuhr. »Der Meister hat auf jemanden wie dich gewartet. Jahrtausende lang. Auf jemanden, dessen Seele von Sai'lanthresh gezeichnet ist. Jemand, der die Saat von Ihr, die Dürstet, in seiner Seele trägt. Denn die Waffe, die wir brauchen, können wir nur einsetzten, wenn du dich ihrer Umarmung hingibst – ohne ihrem lüsternen Wesen nachzugeben. Du besitzt alles, was notwendig ist. Dein schwacher Geist heißt Sai’lanthresh willkommen, während dein Wille stark genug ist, ihr zu widerstehen. Zumindest jetzt, nachdem der Meister deine wahre Stärke erweckte.«
»Wer ist der Meister?«, fragte Anton gefasst. Er wusste nicht genau, wer diese Sai’lanthresh war, aber er wusste mit vermeintlicher Sicherheit, dass sie es war, die sich Asehnya bemächtigt hatte. Und er wusste, dass er sich auch an ihr Rächen würde. Nachdem er sowohl am Imperium als auch an den Aeldari Rache genommen hatte. Vielleicht war es Töricht, dieser Kriegerin zuzuhören, war sie doch für eine Teil seiner Qualen mitverantwortlich. Doch wenn sie ihn zu einer Waffe führen konnte, die ganze Welten vernichtete, war Anton bereit, der Rache wegen mit ihr zusammenzuarbeiten. Sobald er hatte, was er brauchte, konnte er sich der Drukhari noch immer entledigen. Sie und ihr ganzes, verkommenes Volk.
Abgesehen davon – auch wenn er dies niemals zugeben würde - war es kaum zu leugnen, wie schwach er gewesen war. Anton war sich bewusst, dass er, auf sich alleine gestellt, dem Warpwesen wohl erlegen wäre, dass sich als Ashenya ausgegeben hatte. Nalaryss schien viel mehr zu wissen, als sie sollte. Vielleicht würde sie sich sogar abseits seiner Rache als nützlich erweisen, was sich noch zeigen würde. Und selbst wenn nicht, könnte Anton, würden sie sich zusammentun, zumindest sicherstellen, dass ihr Wissen nicht in die Hände seiner Feinde fiel. Der einzige Faktor, der sich Anton vollständig entzog, war dieser unbekannt Meister.
»Spürst du ihn nicht?« antwortete Nalaryss mit einer Gegenfrage. »Er ist alles, was dir geblieben ist. Er ist das Einzige, dass bleibt, wenn man alles verloren hat.«
Anton verstand. Der Schmerz, den er gespürt hatte. Der Meister war nichts weiter als eine Metapher für die innersten Kerne ihrer beider Seelen. Der Gedanke, für den er von nun an leben würde. Für den auch Nalaryss lebte. Die Gewissheit, der Welt genau das zu geben, was sie verdient hatte. Ein allumfassendes Verständnis für die Rache, das jenen Ausgestoßenen vorbehalten war, die alles verloren hatten, einschließlich ihrer selbst. Eine selbstzerstörerische Rache. Eine Rache, die sich nach ihrer Vervollkommnung selbst verzehren würde.
Nalaryss nickte. Sie hatte begriffen, das Anton verstand. Auf schändliche Art und Weise schien ein widernatürliches Band ihre Seelen verknüpft zu haben, so dass beiden eine tiefere Einsicht über den Verstand des jeweils anderen gewährt wurde. Dann erhob sie sich und machte sich daran, ihre Rüstung anzuziehen. Anton warf einen Blick zur verriegelten Türe. Ohne die ihm sich aufdrängende Frage abzuwarten, ergriff Nalaryss das Wort. »Denkst du, ich habe nicht damit gerechnet? Ich habe einen Schlüsselkristall, der jede Türe des Palastes öffnet. Niemand wird uns aufhalten. Erst recht nicht Maelarah.« Nalaryss machte eine kurze Pause. »Außerdem gebe ich dir einen Schattenfeldgenerator. Mit diesem solltest du so lange überleben, bis wir beim Jäger der Prinzessin sind. Der Hangar liegt bei der Hauptpforte des Palastes.«
***
Hector folgte Jek durch die in den Palastmauern verborgenen, dunklen Gänge. Manchmal mussten sie diese kurz verlassen, um die entvölkert scheinende Palasthalle zu durchqueren und durch einen anderen Zugang wieder im Gangsystem zu verschwinden. Jek war derart zielstrebig, dass Hector sich zu fragen begann, wieso er sich so gut auskannte. Natürlich verfügte der Metzger über ausgesprochen gute Fähigkeiten. Doch etwas stimmte nicht. Gleichwohl wischte der Veteran seine Zweifel beiseite. Eine ganze Menge stimmte nicht – wieso sollte er gerade Jek misstrauen?
Besonders merkwürdig schien Hector, dass trotz ihres Aufstandes noch immer keine Eldar-Soldaten die Palasthalle sicherten. Die unheimliche Atmosphäre der ausgestorbenen Hallen verstärkte sein Unbehagen. Vereinzelt trafen sie zwar auf einzelne marodierende Kabalenkrieger, die durch die Leichenberge schritten und sich an all dem Leid ergötzten, doch waren es bei weitem nicht so viele, wie bei der Größe dieser Anlage zu erwarten gewesen wäre.
Ohne echte Gegenwehr war es den Sklaven gelungen, die Palasthalle schnell hinter sich zu lassen, weswegen Hector annehmen musste, dass er und Jek wohl die letzten beiden Menschen in diesem fremdartigen Kristallpalast waren. Natürlich war der Widerstand hier zwar grösser gewesen als in den Sklavenquartieren, aber trotzdem mussten die Sklaven nur ein paar dutzend Eldar-Krieger überwinden, ehe sie in die äußeren Bereiche vordringen konnten. Wo im Namen des Imperators waren die Streitkräfte der Eldar geblieben? Wieso setzte der Archon nicht seine Armee ein? Wieso gab er nicht einfach den Befehl, sie alle auszulöschen? Egal, wie oft er darüber nachdachte, Hector fand keine Erklärung.
Schließlich verließen sie das Gangsystem endgültig. Kein einziger Schuss war gefallen, seit sie sich von Kayrel getrennt hatten. Jek hatte sie erfolgreich bis in den Thronsaal geführt, der wie der Rest des Palastes vollkommen leer zu stehen schien. Sie fanden auch keine Leichen. Offenbar hatte sich bislang keiner der Sklaven bis hier hin verirrt.
Während Hector vorsichtig den Saal auf möglichen Bedrohungen prüfte, ging Jek ohne zu zögern zu der Türe, durch die Anton dereinst weggebracht worden war.
»Los Chef, hier, komm!«
»Du bist dir sicher, dass zu weisst, wie wir zum Archon kommen? Wieso kennst du überhaupt den Weg?«
Jek runzelte die Stirn.
»Du weißt, dass du mir vertrauen kannst? Ich habe beobachtet, als sie Anton weggebracht haben. Ich habe die Architektur studiert. Mir eine Karte gedacht. Überlegt, was Sinn gibt. Und so gibt das Sinn! Und bisher habe ich den Weg auch gefunden, oder?!«
Hector entschied, es dabei zu belassen. Ja, Jek wusste für gewöhnlich sehr genau, was er tat. Trotzdem, irgendwie hatte er ein mulmiges Gefühl bei der Sache. Dabei hinterfragte er nicht einmal, ob es eine gute Idee war, den Archon herauszufordern. Einen direkten Sprenggranaten-Treffer würde auch dieser nicht überleben. Irgendwie schien ihm einfach, dass das alles kein gutes Ende nehmen würde.
Nachdem die beiden die Türe passiert hatten, kamen sie in Korridore, die weit grösser und besser beleuchtet waren als jene, die den Sklaven als Transportwege dienten. Hector mutmasste, dass dies die etwas privateren, nicht ganz so repräsentativen Räumlichkeiten der Dark Eldar sein mussten. Sie schienen auf der richtigen Fährte zu sein. Jek schien den Weg wirklich zu kennen. Doch das ungute Gefühl ließ Hector nicht los. Es verstärkte sich sogar zunehmend. Ja, er vertraute dem Metzger. Aber nicht unbedingt. Bis zum Thronsaal erschien es Hector absolut logisch, dass Jek den Weg genau kannte. Dass er sich an die Türe erinnerte, durch die Anton weggebracht wurde, war dabei keine Frage. Nun schlichen sie aber schon Minuten durch diese nie enden wollende Korridore und obwohl sie immer wieder an Abzweigungen und Türen vorbeikamen, führte Jek mit unheilvoller Gewissheit. Er wusste genau, welchen Weg er nehmen musste. Etwas, das eigentlich unmöglich hätte sein können. Ganz unbewusst legte Hector seine Finger auf den Abzug. Etwas lief gerade gewaltig schief. Er wusste nur nicht, was.
»Hier, hier!« bemerkte Jek vor einem mit fremdartigen Runen reich verzierten Tor. Sie waren nun sicher schon mindestens eine Viertelstunde durch die Palastanlage geschlichen. »Der direkte Weg zum Ziel, oh ja, das ist er!«
»Was geht hier vor?« antwortete Hector. »Von wo willst du das wissen? Du bist gut – aber nicht so gut. Welches Spiel spielen wir hier?«
»He, Chef!« rief Jek aus, während er unruhig mit seinem Skalpell spielte, dass er in der Hand hielt. »Du weißt noch, als wir angekommen sind? Als Anton in die Finsternis blicke? Als er weg war?«
»Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit. Aber ja, ich erinnere mich. Natürlich. Was hat das damit zu tun?«
»Hehehe, du weisst, Jek ist flink. Du weißt, dass Jek immer vorbereitet. Habe mich umgesehen. Wenn alle am Schlafen waren... oder am Spielen, wie diese Langohren. Hehe, die ganze Nacht am Spielen. Sie hören gerne Vögelchen singen, weißt du? War auf Entdeckungsreise. Habe alles gesehen. Seeeeehr klein, verglichen mit zuhause. Seeeeeeehr klein.«
Hector wusste nicht, was er davon halten sollte. Es schien ihm nicht glaubwürdig, dass Jek aus ihrem ersten Quartier einfach so hätte fliehen können. Er war sich sicher, dass die Eldar Wachposten aufgestellt hatten. Wie sollte Jek dazu kommen, so tief in den Palast der Xenos einzudringen? Ungesehen? Seine Geschichte gab überhaupt keinen Sinn. Andererseits kannte er Jek. Der Metzger war niemand, der viel dem Zufall überließ, auch wenn es oft nicht diesen Anschein machte. Und nachts, nachts legte sich auch Hector schlafen. Es war gut möglich, dass sein Gefährte hin und wieder auf äußerst gefährliche Erkundungstouren ging. Durch seine mit Eiterbeulen verseuchte Haut, seiner mangelnden Körperhygiene und seiner allgemein sehr fragwürdigen Erscheinung wäre er sicherlich kaum von den ganzen Sklaven zu unterscheiden gewesen.
»Jaja, ist ja gut«, grunzte der Metzger ohne eine Antwort abzuwarten. Dann stellte er Jekubs Überreste neben das Tor und fuhr mit den Fingern über eine Art kristallenen Bildschirm, der wohl als Steuerkonsole der Türe fungierte. »Habe eines der Langohren beobachtet. Weiß, wie man rein kommt. Aber keine Angst Chef, ich geh ja schon vor. Jaja, du vertraust mir nicht, schon begriffen... nach allem was ich getan hab...«
»Das... Das... Tut mir leid!?« murmelte Hector etwas überrascht. Er hatte einen Moment die Menschenkenntnisse des Foltermeisters vergessen. Oft reichte ein einziger Blick und er wusste, was jemand dachte.
Nachdem Jek durch die Pforte geschritten war, folge Hector vorsichtig nach. Dahinter befand sich etwas, das den Veteranen dann aber mehr als nur erstaunte. Sie befanden sich in einem riesigen Gewölbe, das von Farben nur so strotze. Die vor ihnen liegende Anlage war enorm weitläufig und mit einer Vielzahl paradiesischer, äusserts fremdartiger Pflanzen bestückt. Es war eine Art unterirdische Gartenanlage von kaum vergleichbarer Schönheit. Hector fluchte innerlich, dass er an Jek gezweifelt hatte. Ein solch bezaubernder Ort konnte nur dem Herrscher dieser Welt gehören. Selbst die kristallene Palasthalle war nicht annähernd von solch vielseitiger, lebendiger Schönheit. Ja, verglichen zu dem diabolischen, unmenschlichen Innern der Palastanlage mit ihren Ketten, Foltergeräte und menschlichen Überreste, schien dieser Ort ein wahres Paradies zu sein, dass die Essenz der schönsten Gartenwelt des Imperiums auf kleinstem Raum perfekt spiegelte.
»Und wie finden wir nun der Xenos-Anführer?« fragte Hector seinen Freund. Auch wenn das die Quartiere des Archons waren, wussten sie nicht, wo sich der Eldar befand. Und wie viele Wachen er bei sich haben würde.
»Naja, werden ihn suchen müssen«, kicherte Jek amüsiert. Dann machte er sich auf, die vor ihnen liegende Halle zu durchsuchen. »Ich mag Versteckspielen!«
***
Anton war nur wenige Schritte hinter Nalaryss. Die Kriegerin trug ihre Kabbalistenrüstung und hatte sich mit ihrem elegant geschwungenen Schwert und einem nicht weniger eleganten Schild ausgerüstet. Er selbst hatte dabei nicht viel mehr als das merkwürdige Drukhari-Gerät, dass Nalaryss ihm gegeben hatte, und ein altes, schlecht gewartetes Kettenschwert, dass seine neugewonnene Gefährtin offenbar für Arenadarbietungen aufbewahrt hatte. Auch wenn Anton weder dem Xenos-Gerät noch dem Kettenschwert traute, war es doch besser als gar nichts. Immerhin war er sich sicher, dass die Drukhari ihn ebenso sehr brauchte, wie umgekehrt. Sie waren Verbündete, wenn auch nur durch Hass und dem Wunsch nach Rache verbunden.
Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Wie lange war es her, als Nalaryss ihn “befreit” hatte? Wie lange waren sie noch in dem Gewölbe gefangen gewesen, ehe sie nun dabei waren diese Welt hinter sich zu lassen? Er konnte sich nicht mehr erinnern. Sowohl Vergangenheit als auch Gegenwart waren in einen Nebel gehüllt, der der Zeit jegliche Relevanz raubte. Seine Wahrnehmung war anders als zuvor und dennoch auf unheimliche Art und Weise durchaus vertraut. Etwas hatte sich verändert, aber Anton konnte nicht genau ergründen, was. Es schien, als ob ihn seine Hingabe an die Rache den Zugang zu einer neuen, außerdimensionalen Ebene ermöglichte. Als ob der Warp seinen Verstand durchdrang, selbst wenn er nicht aktiv in die Dimension des Chaos blickte. War dies das wahre Potential der Menschheit? War es das, was die Inquisition fürchtete? Psioniker, die im Warp und der Realität zugleich wandelten? Der nächste Schritt zu einem vollkommenen Menschen, der von den Schwächen seiner Natur nicht mehr länger aufgehalten wurde? Wollte das Imperium ebendies verhindern, angstvoll, dass ein derart erwachter Mensch sich nicht den barbarischen Regeln des Imperiums unterwerfen würde?
»...nicht...«, wimmerte Ashenyas Stimme. Der verdammte Dämon streckte seine Klauen noch immer nach seiner Seele aus. Doch auch diesen würde er vernichten. Er hatte die teuflische Ekstase des allverschlingenden Hasses erduldet. Eines Hasses nicht nur gegen seine Feinde, sondern auch gegen sich selbst. Und er ging gestärkt daraus hervor. Selbst der mächtigste aller Dämonen würde seiner Seele nichts anhaben können, solange er unerbittlich dem Pfad der Verachtung und der Rache folgen würde. Es ward schlicht keinen Platz für andere Gefühle.
Oder doch nicht?, durchzuckte ihn ein Gedanke. Ich bin mehr als nur Hass, Rache und Verachtung. Ich bin Anton Kalen. Inquisitor... Mensch... Geliebter...
Irgendwie gewann vergangene und noch kommende Zeit plötzlich wieder an Wert. Zumindest für einige kurze Sekunden. Schnell unterdrückte er diesen schwächlichen Versuch der Selbsttäuschung. Ihm wurde all das genommen. Er war nicht mehr, was er einst war. Seine Verbindung zum Warp wurde wieder gefestigt. Und trotzdem schienen einzelne Wortfetzen an seinem Verstand haften zu bleiben. Inquisitor. Mensch. Geliebter.
»Ein Aufstand. Keine Reaktion des Archons«, bemerkte Nalaryss trocken, nachdem sie eine fremdartige Konsole aktiviert hatte, die wie ein kristallenes Geschwür aus der Wand zu wachsen schien. Ein unglaublich ästhetisches, aus glitzerndem Glas bestehendes Geschwür, dass an der sonst schlichten, kalten Wand des Gewölbes völlig fremd wirkte. »Der Meister hat wirklich alles bestens vorbereitet.«
»Ein Aufstand? Wie? Das war der Meister?« erwiderte Anton ungläubig. »Und der Archon steht auch unter seiner Kontrolle?«
Nalaryss lachte zynisch und ohne echte Gefühle. »Wohl kaum. Aber es spielt keine Rolle, warum oder wieso das passiert, was gerade passiert. Es ist auf jeden Fall zu unserem Vorteil. Die Sklaven sind wie Ungeziefer aus ihren Behausungen gekrochen und haben die Wachen überrannt. Wir werden die Unruhe nützen können.«
Ein Sklavenaufstand. Anton erinnerte sich an die schrecklichen Bilder, die er in der Palasthalle hatte mitansehen müssen. Und sie erfüllten ihn mit Verachtung. Auch wenn diese Sklaven stärke bewiesen hatten, indem sie ihre Ketten abgeschüttelt hatten, war sich Anton Gewiss, dass sie noch immer an den schwachen Leichengott des Imperiums glaubten. Sie wurden nicht auf dieselbe Art befreit, wie er befreit worden war. Sie hatten nicht dieselbe Erleuchtung genossen, wie er. Sie rannten von der Sklaverei in die Unterdrückung. Sie waren nicht fähig, seiner Rache zu dienen.
»Wir töten jeden, der versucht, uns aufzuhalten«, stimmte Anton zu. Sollten sich Sklaven und Drukhari gegenseitig bekämpfen, könnte das einige Probleme aus dem Weg schaffen. Lass uns weitergehen.«
Seine Mission hielt ihn bei Verstand. Er musste sich ihr hingeben. Ansonsten würde das, was war, wieder erstarken. Dann würde sein Handeln wieder durch seine Schwäche bestimmt sein.
»Ich hoffe, unsere liebste Herrin wird sich zeigen«, fügte Nalaryss düster an. »Denn ihr Blut gehört mir.«
Einen kurzen Moment später stiegen das ungleiche Paar die Treppen hinauf, die in die Gartenanlage Maelarahs führte. Von der Prinzessin war bisher keine Spur zu finden, was womöglich aber auch an dem scheinbar recht erfolgreichen Sklavenaufstand hätte liegen können. Vielleicht war sie damit beschäftigt, mit lustvollem Sadismus die fliehenden Sklaven auf besonders qualvolle Weise für ihre Vergehen zu bestrafen.
Nalaryss öffnete die verzierte Türe, die in den Garten führte und schritt als erste durch die im Gegensatz zu dem unten liegenden Gewölbe sehr repräsentative Pforte. Anton folgte nur wenige Schritte entfernt.
Die bunte Farbenvielfalt schien nach dem bisher Erlebten bizarr und völlig fehl am Platz. Es gab keinen Platz für Schönheit. Es durfte keinen Platz dafür geben. Hasserfüllte Rache war das einzige, dass vor der Niedertracht der Existenz Bestand hatte. Antons Kopf schmerzte höllisch. Es fiel im schwer, sich zu konzentrieren. Die vielfältigen Eindrücke wirkten äußerst stimulierend. Wie all die Pflanzen wohl zu duften vermochten? Wie würde sich die unterschiedlichen, fremdartigen Strukturen ihrer Blätter und Stängel anfühlen, wenn er sie sanft mit seiner Hand streicheln würde?
AUS MEINEM KOPF! schrie Anton innerlich. Es waren Gedanken seines alten Ichs. Der naive Mensch, der sich an belanglosem festklammerte, versuchte seine neugewonnene Stärke zu negieren. Er durfte nicht nachgeben. Er durfte nicht aufgeben, was Nalaryss ihm dargereicht hatte. Seit wann war sein Geist derart... instabil? Anton kam es vor, als würde sein altes Ich auf verschiedenen Arten versuchen, seinen Geist zu schwächen. Er wusste zwar, dass er stark genug war, den aufreibenden Gedanken zu widerstehen. Er musste nur völlig kompromisslos an der Rache festhalten. Doch trotzdem waren diese allzu menschlichen Gedanken noch immer da. Inquisitor. Mensch. Geliebter. Schönheit. Sinneseindrücke. Ektase.
Erst eine vertraute Stimme riss ihn aus seiner zunehmend zermürbenden Gedankenwelt. »Anton? Und eine Xenos-Schlampe?! Was geht hier vor, verdammt?!«
Die Stimme gehörte Hector, wie Anton sofort erkannte. Und in Hectors Stimme erkannte er unglaubliche Wut, Irritation und Überraschung. Vielleicht aber durchaus auch Freude. Erst dann realisierte er, dass der Veteran kaum zehn Meter entfernt stand und mit seinem alten Granatenwerfer direkt Nalaryss anvisierte, die ganz offenbar begriffen hatte, dass ein direkter Granattreffer trotz ihrer Fähigkeiten äußerst unangenehm wäre. Ohne, dass sie etwas hätte sagen müssen, wusste Anton, dass sie es ihm überließ, die Situation zu bereinigen.
»Was tust du hier?!« schrie Anton seinen ehemaligen Gefährten ungewollt bösartig an. »Verschwinde. Gehe mir aus dem Weg. Ich habe eine Mission zu erfüllen.«
Hector blieb wie angewurzelt stehen. Den Granatwerfe im Anschlag, den Finger unheimlich fest am Abzug. »Ich vernichte den Archon. Dann verschwinde ich von hier. Aber sag mir, Anton. Ich sehe, du hast dich mit diesen abscheulichen Xenos angefreundet. Weißt du, was ich dafür erleiden musste? Was du mir angetan hast? Und hat dir das Ashenya zurückgebracht? Hat diese Xenos nun ihren Platz eingenommen? Schau dich an! Hör, wie du mit mir sprichst. Ich erkenne dich kaum wieder!«
»Du hast keine Ahnung! Ich bin stärker als je zuvor! Verschwinde! Ich werde an dem Archon Rache nehmen. An ihm und dieser verdammten Welt!«
»Wie soll ich dir das glauben, wenn du dich mit einer von denen abgibst?«
»Er hat Recht, Mensch«, warf Nalaryss an Anton gerichtet ein. »Du bist ebenso widerlich wie der Rest deiner minderwertigen Rasse. Aber es dient mir nicht, wenn es auf diese Art zu einem Kampf kommt. Abgesehen davon würdest du sowieso nicht überleben.«
»Denkst du, ich habe Angst? Ich war wochenlang in eurer verdammten Krypta, die ihr für uns unter diesem Palast errichtet habt«, erwiderte Hector. »Eure Art verdient das Leben nicht. Lieber sterbe ich, als mit euch gemeinsame Sache zu machen!«
Anton schüttelte den Kopf, ehe er langsam aber entschlossen Hector entgegenschritt. »Ich brauche sie. Meine Aufgabe geht vor.«
»Du würdest doch nicht...«, antwortete Hector trotzig. Er wollte seinen Granatwerfer gegen Anton richten, doch dann hätte die Xenos ihn sicherlich sofort angegriffen. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als auf Antons Vernunft zu hoffen. Und auf Jek, von dem er sich getrennt hatte, um die Gartenanlage effizienter zu durchkämmen.
Mit vor Enttäuschung zittriger Stimme wandte er sich ein letztes Mal an Anton. »Du wendest dich gegen mich? Für diese Xenos? Ist dir Ashenya so viel Wert, dass du deine eigene Rasse verrätst?«
»Ashenya ist nicht mehr von Relevanz. Ich lebe nur noch für die Rache!«
Anton hatte zum Veteranen aufgeschlossen. Er zögerte einen Augenblick, schlug seinem ehemaligen Freund dann aber mit voller Wucht die Faust des von den Drukhari veränderten Armes in den die Magengrube. Hector hatte nicht damit gerechnet, dass Anton ihn wirklich angreifen würde. Und er hatte nicht mit der übermenschlichen Kraft des durch finstere Künste wiederhergestellten Armes gerechnet. Wie eine Marionette, derer Fäden durchgeschnitten wurden, klappte der eigentlich äußerst zähe Soldat zusammen und blieb bewusstlos liegen.
»Töte ihn. Ein wildes Tier, das Blut geleckt hat, wird unserer Rache nur im Weg stehen!«, befahl Nalaryss, als sie Hector zu Boden gehen sah.
Ehe Anton etwas erwidern konnte, warf sich ein hässliches Fleischbündel auf Nalaryss. Sabbernd, mit einem unmenschlichen Feuer in den Augen und gezücktem Messer stützte sich der Metzger auf die Drukhari, die soeben den Tod seines Freundes gefordert hatte.
»NICHT SO SCHNELL!« geiferte Jek, seine Klinge an Nalaryss Kehle. »Anton. Böse. Ganz Böse. Wo ist deine Oberschlampe? Ich kann dein Fickluder gehen lassen, oh ja. Aber ich muss wissen, wo die große Schlampe ist, ja das muss ich!«
Anton kannte Jek lange genug, um zu wissen, dass er alles völlig ernst meinte. Ja, er hatte bei seinem Foltermeister nie zuvor solche Verbissenheit erlebt. »Was soll das Jek? Von wem redest du? Komm mit mir. Väterchen braucht dich!«
»Hehehe«, kicherte Jek. »DU. Du bist nicht mehr Väterchen. Du bist ein Narr, oh ja. Narr!«
»Jek, was soll das? Was soll das? Folge mir! Du gehörst mir!« brüllte Anton den Metzger an.
»Ohhh nein. Du warst trunken. Trunken von scheiss Drogen. Jek genau gesehen. Wie Abschaum von Necromunda warste. Ja, das stimmt. Verneinen macht keinen Sinn. Ich habe dich gelesen. Ich kann Vögelchen singen hören, in dem ich sie beobachte. Ich muss sie nicht zum Singen bringen, wenn ich nicht mag. Nicht immer. Ich wusste, dass du uns verraten wirst. Ich wusste, dass Ashenya dir viel zu viel bedeutet hat. Ich wusste es sogar, bevor wir bei diesen Aliens gelandet sind. Du warst besessen. B-E-S-E-S-S-E-N. Nicht gut, ohhh nein. Ich habe neues Väterchen. Besseres Väterchen!«
»Du meinst Hector?!« erwiderte Anton.
»Hehehe. Hehehe! Hector? Nein, Hector war gute Hilfe, durchaus. Aber Hector kann mir nicht geben, was Väterchen mir geben konnte.«
»Wer hat dich gekauft, Jek?«
»Als du noch am Schlafen warst und Hector mit dem Langohr sich um dich gekümmert hat... Jek war schlau. Jek hat herumgeschnüffelt. Aber Jek wurde gefasst. Der Archon hat mein Talent gleich erkannt. Sollte nur die Oberschlampe umbringen. Dafür so viel bekommen! Ich weiß, dass du das gleiche Spielchen gespielt hast. Ich weiß aber auch, dass du dazu zu schwach bist! Väterchen Archon ist schlau. Väterchen Archon spielt immer mehrere Spiele zugleich. Viel schlauer als Anton. Oh ja, viel, viel schlauer. Wir waren seine Sicherheit. Einer von uns wird Erfolg haben. Aber nicht du. Ohhh nein. Ich habe Hector dazu gebracht, den Aufstand zu starten. Ich habe Hector hierhergeführt. Wir werden die Schlampe töten und alles ist nur eine Folge des Aufstands der menschlichen Maden. Archon hat nichts damit zu tun. Mein Plan... MEIN PLAN! Er ist perfekt, nicht wahr? Archon wird mich lieben. Liebt mich mehr als du je hast! Mehr als Mama! Mehr als Papa!«
»Wieso, Jek? Wieso hast du das getan? Du hättest nur warten müssen. Auf mich! Ich habe... mehr bekommen, als ich mir je hätte wünschen können. Lass die Schlampe. Lass den Archon. Komm mit mir. Wir werden gemeinsam das Blut der Schuldigen vergießen!«
»Du hast versagt! Du bist Diener der Dienerin der Oberschlampe! Lächerlich! Du kannst mir nichts geben. Oh nein. Ich werde zuerst dieses Alien töten, dann dich. Väterchen wird mich belohnen. Oh ja. Aber ich will es genießen. Will genießen, wie du leidest. Was hast du mir je gegeben? Jek war immer nur dein Werkzeug. Ein Monster. M-O-N-S-T-E-R. Nie unschuldige Töten. Nie unnötig singen lassen. Ja, deine Worte. Du hast mir immer nur verboten. Wann hast du mich geschätzt? Wann hast du mir ein Geschenk gemacht? Ich habe alles für dich gemacht, A-L-L-E-S. Nicht einmal durfte ich einfach so Freude haben. Nicht einmal einfach so jemanden singen lassen. Ja. Ich war nur ein Monster. Du hast mich nie geliebt! Aber Väterchen Archon... er hat mir viel versprochen. Bei Väterchen Archon darf ich immer spielen. Mit Menschen. Mit Xenos fremder als fremd. So viel ich will. I-M-M-E-R. Er liebt mich mehr als du es je getan hast! Er sieht kein Monster! Er sieht nur Jek! Aber weißt du was? Weißt du, was alles viel, viel süßer macht? Er hat mir das ultimative Geschenk gemacht. Ohhh! Ashenya... Ashenya! Du weißt. Letztes Geschöpf ihrer Rasse. Sehr spannend. SEHR AUFREGEND. Ich durfte sie zerlegen. Ihren Körper zerschneiden, zerstückeln. Dieses Einzelstück! Niemand sonst konnte damit spielen. Niemand sonst wird je wieder damit spielen können! Nur Jek! Jek ist privilegiert! Väterchen Archon hat Jek gegeben, was du nie hättest tun können! Als du wieder zu uns kamst, war ihre Totkiste schon lange leer. Sie ist dann schon mein gewesen! Mein Spielzeug!«
Jeks Verrat war derart ungeheuerlich, dass Anton sich diesen niemals auch nur Ansatzweise hätte ausmalen können. Jek war schon kurz nach ihrer Ankunft umgedreht worden. Er hat ihn verraten, nur damit er seine kranken Fantasien an Ashenya ausleben konnte. Trotz allem, was Anton widerfahren war, war diese Unglaublichkeit mehr, als er hätte ertragen könne. Er konnte keinen klaren Gedanken fassen, ja, war schlicht überrumpelt. Jek hatte was getan? Wieso? Warum? Wieso hatte er nichts davon bemerkt? Wieso hatte er Jak dermaßen unterschätzt? Ashenya gehörte ihm! Ihm alleine!
Die Absurdität dieser irrsinnigen Unglaublichkeit vermengte sich mit Rachsucht, Hass und Verachtung. Anton verlor die Kontrolle. Sein Bewusstsein wurde mit solcher Kraft in den Warp geschleudert, dass dabei sein Verstand beinahe vernichtet wurde. Er fand sich in einem unvorstellbaren Sturm wieder, der gleichzeitig existierte und auch nicht existierte. Psionische Blitze zerfleischten blasphemische Energieströme, die selbst für den Warp fremdartig zu sein schienen, nur um sich Sekunden später in ebensolche zu transformieren. Dann erschienen neue Blitze aus unglaublicher Energie und der Kreislauf begann von neuem. Ein ewiges Winden von zerstörerischer Geisteskraft, die sich selbst ebenso vernichtete wie alles andere.
Inmitten einer Sphäre aus kristallenem Material, die innerhalb von Bruchstücken einer Millisekunde zerbarst und sich wieder zusammenfügte, nahm Anton ein Wesen wahr, dessen Macht so unglaublich und unermesslich war, dass er an seiner eigenen Existenz zu zweifeln begann. In einem monochromen Gewittersturm aus dunkelstem psionischem Feuer erkannte er das Antlitz eines Gottes, der keiner war. Drei glühende Augen blitzen durch einen unglaublich dichten, schwarzen Nebel, der immer wieder von Energieblitze in grellstem Weiß erhellt wurde. Eine schuppige, humanoide Gestalt schien sich durch den alles in sich aufsaugenden Schleier Anton zuzuwenden.
Er wandte sich schnell von der Gestalt ab. Das offenbarte Antlitz dieses Wesen hätte seine Seele sofort zertrümmert. Der schwarze, von Blitzen durchzuckte Dunst schien sich um den gefallenen Inquisitor herum auszubreiten. Anton bekam keine Luft mehr. Verzweifelt versuchte er zu atmen. Doch nur eine einzelne Nebelschwade aus unaussprechlicher Energie erreichte seine schmerzende Lunge. Wie Säure ergoss sich die finsterte Macht in seinen Organismus. Tiefster, unendlicher Hass fraß sich tief in seine Seele hinein und drohten, sie vollständig auszulöschen.
Inquisitor. Mensch. Geliebter. Schönheit. Sinneseindrücke. Ektase. Einzelne Gedanken warfen sich wie irrsinnige gewordene Berserker gegen den Strom der unendlichen Verachtung, um ihren Platz in Antons Seele zu bewahren. In seinem Geist tobte ein Kampf, der vollständig von seinem selbst losgelöst war. Mächte, die er niemals mit seinem Verstand hätte fassen oder auch nur ansatzweise verstehen können, rangen um die Vormacht in dem geschundenen Etwas, das Anton einst Seele genannt hätte. Wie in einem Schmelztiegel formte sich aus den energetischen Strömen seines Ichs eine neue Masse, die so unsinnig und widersprüchlich war, dass sie die allermeisten Menschen unweigerlich in absoluten Wahnsinn hätte gleiten lassen.
Doch Antons Geist war stark. Zerbrochen? Ja! Verheert und geschändet? Absolut! Aber dennoch stark. Stark genug, nicht in dem Unsinn des gleichzeitigen Seins und der Negierung desselben aufzugehen. Vor ihm erkannte er die Seele des Metzgers – oder besser das verkommene Etwas, das von dessen Seele übrig war. Selbst handlungsunfähig und den Launen des Warps ausgeliefert, spürte Anton, wie die finstere Energie, die ihn zuvor heimgesucht hatte, sich auf Jek fokussierte und begann dann heftig zu würgen. Der dichte, schwarze Nebel, der sich in seine Lungen eingenistet hatte, brauch mit einer bestialischen Heftigkeit hervor und schleuderte Anton zurück in den Realraum, während der Energiestoss sich wie ein Käfig aus zuckenden Blitzen um Jeks Seele legte.
Anton war von seiner unfreiwilligen Reise in den Warp dermaßen geschwächt, dass er auf seine Knie sank. In der realen Welt war währenddessen kaum mehr als ein einziger Augenblick vergangen. Der darauffolgende Augenblick offenbarte dann das Ergebnis der verabscheuenswürdigen Macht, die Anton auf seinen ehemaligen Freund projiziert hatte. Schwarz-Weißes Warpfeuer brannte Jeks Schädel von innen heraus aus, während seine Schreie von solch unvergleichbarer Grässlichkeit waren, dass Anton beinahe Mitleid zu empfinden drohte. Als der Metzger schließlich nach minutenlangem Todeskampf zusammenbrach, glich sein Gesicht mit Nichten dem eines Menschen. Seine Muskeln hatten sich durch seine Todesschreie derart heftig verkrampft, dass Kiefer und Schädel gebarst waren. Wie eine weiße Krone ragten die gebrochenen Knochen aus seinem Gesicht heraus, die Haut durch das Warp-Feuer derart trocken und spröde, dass sie eher einem grotesken Papierbezug glich, der gleichmäßig über den zersprungenen Schädel gezogen worden war. Die Augen waren vollständig ausgebrannt und nur leere, schwarze Höhlen, die dennoch voller Schmerz zu starren schienen.
Nalaryss, die sich mit einer eleganten Seitwärtsrolle in Sicherheit gebracht hatte, als Jek durch die Macht unaussprechlicher Wesen vernichtet wurde, begab sich sofort zu Anton und zerrte ihn trotz seiner Erschöpfung hoch. Der Inquisitor war kaum bei Bewusstsein, er hatte aber seinen Wert definitiv bewiesen. Er würde ein vorzügliches Werkzeug der Rache abgeben. Hector, der Bewusstlos am Boden lag, schenkte sie keine Beachtung mehr. Er war weder eine Gefahr noch für ihre Pläne von Relevanz. Die Kabale würde sich sicherlich um ihn kümmern, sobald der Aufstand niedergeschlagen war.
Anton so stützend, dass er nicht gleich wieder zu Boden sank, schleifte sie ihn durch die Gartenanlage Richtung Thronsaal. Der Weg zum Hangar würde noch einige Zeit in Anspruch nehmen, doch war sie überzeugt, dass sich ihr nichts in den Weg stellen würde. Zumindest nichts, dass sie nicht mit ein paar gezielten Schwertangriffen würde ausschalten können. Ihr Rachefeldzug hatte gerade erst begonnen. Und mit Hilfe dieses Chem-Pan-Seys würde sie endlich bekommen, was sie so sehr begehrte.
***
Hector wusste nicht, was geschehen war. Sein ganzer Körper schmerzte, als er langsam wieder zu sich kam. Was zum Teufel war passiert? Anton hatte den Verstand verloren – sich den Xenos angeschlossen. Er hatte ihn angegriffen, verdammt noch mal! Nach all den Schrecken, denen sie gegenübergestanden hatten! Schon alleine die Tatsache, dass Anton zugelassen hatte, dass er und Jek von den Eldar gefangen genommen worden waren, war eine Ungeheuerlichkeit. Aber dass er ihn direkt angreifen würde, damit hatte Hector noch viel weniger gerechnet. Anton war verloren. Er war nicht mehr der Mann, den er einst gekannt hatte.
Mit schmerzverzerrtem Gesicht richtete Hector sich auf. Er befand sich auf dem Deck einer Art Antigravplattform. Gezackte Segel mit fremdartigen Alien-Symbolen ragten in eine kaum begreifbare Leere aus bernsteinfarbenem Leuchten. Die Plattform – das Schiff – bewegte sich durch eine Art Tunnel im Warpraum.
»Sir! Sie leben noch!« hörte Hector eine ihm unbekannte Stimme. Ein völlig verdreckter Mann mit derart zerfurchtem Gesicht, dass das Alter unmöglich einzuschätzen gewesen war, kam mit schnellem Schritt auf ihn zu. Seine Kleidung bestand aus kaum mehr als Lumpen.
»Was... was... ist... passiert?« stöhnte Hector. Mit jedem Wort, das seine gequetschten Lungen verliess, nahm der ohnehin kaum auszuhaltenden Schmerzen zu.
»Ruhig. Nicht sprechen!« Der Mann kniete sich zu Hector nieder und fühlte seinen Puls. »Sie haben schwere innere Verletzungen. Sind aber zäh wie ein Ogryn. Sie schaffen das.«
»Wer... wer bist du?«
»Walther Macduff, 378. Cadia, Zugs-Sanitäter. Sie haben uns da wirklich rausgeholt, Sir. Sie haben mehr als nur einen Orden verdient.«
Hector lächelte müde, während er damit kämpfte, das Bewusstsein nicht wieder zu verlieren. Einen Orden. Nun vielleicht. Vielleicht, wenn er zur Inquisition oder zu einer Armeeeinheit zurückkehren würde. Etwas, dass ihm im Moment so bizarr schien, wie der unheimliche Tunnel, dessen Farbmuster trotz aller Fremdartigkeit irgendwie beruhigend wirkte.
»Sir, ich habe keine Ahnung, was geschehen ist. Ich war mit einer Gruppe dabei, den Ausgang aus der Xenosfestung zu suchen. Dann kam ein Eldar, der von einer Gruppe Menschen begleitet wurde. Kaum zu glauben, aber so war es. Er brauchte uns zu einer Art Hangarbucht und verschwand. Wir warteten da – was sollten wir auch sonst tun? Schließlich kam er zurück. Mit ihnen. Hat sie von weiß der Imperator wo zu uns geschleift. Wir gingen mit dem Alien dann auf dieses Schiff... und es hat irgendwie den Antrieb aktiviert, ehe es wieder verschwunden ist. Keine Ahnung, wo uns dieses Schiff hinbringt. Aber wir haben es geschafft. Wir sind weg von dieser verdammten Welt. Beim Imperator!«
Hector nickte erschöpft. Kayrel. Am Ende war es Kayrel, der ihn gerettet hatte, nicht umgekehrt. Hector hatte versagt... oder? Einen kurzen Moment lang drohten Selbstzweifel sich wie gierige Bestien über Hectors Verstand herzumachen. Doch nur für einen Moment. Er hatte Kayrel nicht retten können. Er hatte Anton nicht retten können. Nicht Ashenya. Was aus Jek geworden war, würde er vielleicht nie erfahren. Aber verdammt, er war am leben. Und zumindest ein paar jener Menschen, die mit ihm auf dieser höllischen Welt festgehalten wurden, waren ebenso am leben. Er hatte genug erreicht. Er hatte mehr erreicht als mancher grosser Heerführer, Heiliger oder Astartes. Er hatte Leben gerettet. In einer Galaxie, in der ein Leben keinerlei Wert besitzt. In der der Tod fast hinter jeder Ecke lauerte. Er hat genug getan.
Unendlich müde schloss Hector die Augen. Er brauche Ruhe. Er musste Schlafen. Er spürte die sanfte Hand des Imperators, die über seine Stirn strich. Er war zu erschöpft, um zu hinterfragen, wieso sein letzter Gedanke gerade ihm galt, wo er doch nichts von diesem religiösen Blödsinn hielt. Aber irgendwie fühlte es sich gut an. Er fühlte sich geborgen. Beschützt. Dann entwich das Bewusstsein seinem geschundenen Körper.
***
Als vor ihnen das Ende des Dimensionstunnels, der Teil des Eldar-Wegnetztes war, mit dem die Aliens zwischen den Welten reisten, sichtbar wurde, beschleunigte Nalaryss den Jäger dermaßen stark, dass Anton übel wurde. Nachdem sie durch das wabernde, schimmernde Portal flogen, erkannte Anton, dass sich der Portalausgang auf einem kargen Hochplateau weit über einem dunstverhangenen Dschungel befand. Nalaryss wusste exakt, wo sie ihr Ziel fanden und zog den Jäger hoch., der in die dicke Wolkendecke eintauchte. Starken Turbulenzen erfassten den Jäger und schüttelten ihnkräftig durchdoch die Drukhari hatte den stark modifizierten Sichelflügel innerhalb weniger Sekunden wieder unter Kontrolle.
Nach einem mehrstündigen Flug innerhalb der Wolkendecke leiteteleitete die Drukhari-Kriegerin mitz noch immer ungemein hoher Geschwindigkeit langsam den Sinkflug ein. Schliesslich verliessen sie den grauen Schleier, der ihnen bisher alle Sicht genommen hatte. Antons blickt schweifte ohne großes Interesse über die unter ihnen liegende Landschaft. Sie flogen über einen Ozean. Endlose Mischwälder bedeckten einen Großteil der Landmasse vor ihnen, den sie bald darauf überflogen. Nach einer Weile änderte sich das Landschaftsbild. Offenbar flogen sie in Richtung Pol. Das Grün wurde zu einem dunklen Braun-Oliv, als das Waldland von einer gigantischen Moorlandschaft abgelöst wurde. Am Horizont wurde endlich ihr Ziel sichtbar. Eine riesige Makropole erhob sich mitten in einer trostlosen, verseuchten Tundra, die durch jahrtausendelange Umweltverschmutzung das Moor in einen Flickenteppich aus Schrottplätzen, Müllhalden und Chemikalienseen verwandelt hatte.
Die Makropole selbst war in einem ähnlich verheerten Zustand. Die Makropolenspitze war in sich zusammengebrochen, weswegen die inneren Bereiche eigentlich nichts anderes als ein gigantischer Trümmerhaufen waren. Nur die äußeren Bezirke dürften überhaupt noch bewohnbar sein – bis auf eine riesige Festung mitten in den Trümmern der Spitze, deren Träger in Gold und Kupfer schimmerten und völlig deplatziert, ja sogar überaus bizarr wirkte.
»Xenos-Schiff«, erklang eine verächtliche Stimme in dem Kommunikator, der Nalaryss auf die üblichen Imperialen Frequenzen eingestellt hatte. »Sofort landen. Hangarbucht 9. Dem Signal folgen.«
Als die Stimme fertig gesprochen hatte, wurde der Himmel von mehreren gigantischen Suchlichtern erleuchtet, deren grelles Licht von verräterischen Warpblitzen umzüngelt wurden. Sie wiesen deutlich auf eine offene Landebucht.
»Du weißt, was du zu tun hast«, bemerkte Nalaryss über die internen Systeme. »Wir können es nur mit ihrer Zustimmung bergen.«
»Ich weiss«, gab Anton zurück. »Wir werden bekommen, was wir brauchen.«
Nalaryss überflog die zerfallende Makropole und setzte zur Landung an. Erst jetzt, als sie sich nur noch knapp über den Makropolentürmen befanden, wurde das Ausmaß des Niedergangs dieser einst mächtigen Stadt deutlich. Ein Großteil der Sektoren schien völlig unbewohnt, die Stabilität der allermeisten Gebäude derart fragwürdig, dass jederzeit mit einem Einsturz gerechnet werden musste.
»Wie erbärmlich«, murmelte Anton verächtlich. Dann musste er sich darauf konzentrieren, die immer stärker werdende Übelkeit irgendwie zu ignorieren.
Als der Jäger in der Hangarbucht aufgesetzt hatte, verließen Anton mit Nalaryss ihr Gefährt. Der siloförmige Hangar glich einem schon lange aufgegebenen, von Rost zerfressenem Schiffsrumpf. Eine nicht minder verrostete Vierlings-Geschützstellung wies gespenstisch in den Himmel und zielte auf ein längst verschwundenes Ziel.
Einige armselige Gestalten kauerten am Rand des Silos und glotzten mit entstellten, bandagierten Gesichtern die Neuankömmlinge an, zogen sich aber sofort in die Schatten zurück, wenn Nalaryss oder Anton voller Abscheu die Blicke erwiderten. Urplötzlich verschwanden alle der widerwärtigen Bewohner dieses heruntergekommenen Sektors, als ein berobter Hüne dem ungleichen Paar entgegenschritt. Mit über zwei Metern Größe und dermaßen unnatürlicher Muskelmasse, wusste Anton sofort, dass es sich um einen Astartes-Krieger handeln musste. Ein boshafter Schelm flackerte in den Augen des Space Marines, der eine verblasste, uralte Tunika trug. Seine gewaltigen Oberarme waren mit reich verzierten, goldenen Reifen geschmückt, die sich wie Schlangen um seine Muskeln wanden. Ein ebenso reich verzierter Lamellengurt umschloss seine Taille.
Anton erkannte einen schlichten Anhänger aus schwarzem Metall in Form eines geflügelten Schwertes. Ein für diesen Ort äußerst merkwürdiges Kleinod. Wieso sollte ein Verräter das Symbol der Dark Angels tragen?
»Baron Azuron, Herrscher dieser Domäne«, donnerte die mächtige Stimme des Kriegers. »Lord Slavik erwartet euch bereits. Ihr wurdet angekündigt. Geht.«
»Danke, Baron«, zischte Anton feindselig. Dann machte er sich zusammen mit Nalaryss auf den Weg.