ZitatAlles anzeigenDer Kult der Roten Erlösung
Von Hermann Schlösser
Als ich vor kurzem im Internet vor mich hin surfte, ist mir das Wort "Schutzpatron" untergekommen. Da wollte ich auf einmal wissen, welcher Heilige eigentlich die Stadt beschützt, in der ich seit zwanzig Jahren lebe. Geschwind öffnete ich Google, gab "Schutzpatron von Wien" ein – und landete, wie meistens, zuerst bei "Wikipedia". Dort erschien der Name Klemens Maria Hofbauer: Das war ein Priester und Heiliger, der im frühen 19. Jahrhundert in Wien tätig war, 1820 gestorben ist, und 1914 zum Wiener Stadtpatron erwählt wurde.
Außerdem erfuhr ich noch, dass Hofbauer dem Orden der Redemptoristen angehört hat. Dieses Wort gefiel mir und ich beschloss, auch über diesen Orden ein paar Informationen herbeizugoogeln. Ich machte eine kurze Pause, trank Tee, aß Kuchen, dann begann ich wieder zu surfen. Doch wurde ich jetzt mit der Schwachstelle des Suchsystems konfrontiert, nämlich mit dem unzulänglichen menschlichen Gedächtnis. Statt "Redemptoristen" schrieb ich aus Versehen Redemptionisten in die Suchmaske.
Das erwies sich als folgenschwerer Irrtum. Ich wurde nicht in die fromme Welt des Mönchtums geführt, sondern auf eine kriegerisch aufgemachte Website mit der Adresse http://www.wh40k.lexicanum.de . Dort flimmerten mir Sätze entgegen, die zum heiligen Klemens Maria Hofbauer so ganz und gar nicht passen wollten: "Redemptionisten sind Anhänger der imperialen Sekte der Redemption, die auch Kult der Roten Erlösung genannt wird. Die radikale Glaubenswelt der Redemption entstand auf der Makropolwelt Necromunda, ist inzwischen aber auch auf anderen Planeten anzutreffen."
Diese Ausführungen waren mir schlechterdings unverständlich, also blieb mir nichts anderes übrig, als nach dem Wort "Necromunda" zu forschen. Dabei lernte ich, dass es sich um ein Computerspiel handelt, das im 41. Jahrtausend angesiedelt ist, und zwar in einer Welt, die "Warhammer40.000" heißt. Sie ist für Menschen herkömmlicher Bauart eigentlich nicht mehr bewohnbar, weil sie von Kriegen und Umweltkatastrophen auf verheerende Weise heimgesucht worden ist.
Nur in künstlich errichteten Großstädten – also den besagten "Makropolen" – können noch Menschen existieren. In diesem gefährdeten Universum toben Kriege intergalaktischen Ausmaßes zwischen verfeindeten Sippen, Clans und Sekten – und die gefährlichste und grausamste dieser Gruppierungen trägt den Namen Redemptionisten. Ihre Devise lautet: "If it doesn't hurt, it doesn' t count" – wenn es nicht weh tut, zählt es nicht. (Ich hoffe nur, dass ich das alles richtig verstanden habe!)
Ja, man erfährt eben immer viel Interessantes, wenn man das world wide web durchquert. Ob das menschliche Gehirn dieses wahllose Informationschaos aber wirklich bewältigen kann? Wo es doch schon Schwierigkeiten hat, zwischen Redemptoristen und Redemptionisten zu unterscheiden?
Wer eine Antwort auf diese Frage im Internet sucht und das Wort "Gehirn" in Google eingibt, erhält übrigens 8.170.000 verschiedene Treffer. Da fragt man sich natürlich schon, ob ein solcher Wissens-Overkill für uns tatsächlich sehr hilfreich ist.
Quelle: http://www.wienerzeitung.at/De…&cob=290026¤tpage=0